Josef Suk
(geb. Krecowitz, 4. Januar 1874 — gest. Beneschau, 29. Mai 1935)

Praga [Prag]
Tondichtung für großes Orchester op. 26

Vorwort
Josef Suk war ein renommierter Geiger und zugleich einer der bedeutendsten tschechischen Komponisten der Generation nach Antonín Dvorák (1841–1904). Er wuchs in der böhmischen Stadt Krecowitz auf, wo sein gleichnamiger Vater (1827–1913) Chormeister war; bei ihm lernte der Jüngere zunächst Geige, Klavier und Orgel. Mit 11 Jahren studierte er am Prager Konservatorium bei Antonín Bennewitz (1833–1926) Geige und Komposition bei Dvorák. Suk war bald sein Lieblingsstudent und heiratete später sogar dessen Tochter Otylka (1878–1905). 1891 gründete Suk gemeinsam mit Karel Hoffman (1872–1936), Oskar Nedbal (1874–1930) und Otto Berger (1873–1897) das berühmte Tschechische Streichquartett, das bis 1933 in fast unveränderter Besetzung musizierte. In 40 Jahren konzertierte Suk mit diesem Ensemble weltweit in über 4000 Konzerten. Seine Konzertreisen mit ihrer großen Bandbreite erlebter neuer Musik hatten großen Einfluß auf die Entwicklung seines Kompositionsstils; das Quartett spielte viel Avantgarde und gab unter anderem die Uraufführungen von Leos Janáceks (1854–1928) beiden Quartetten (Kreutzer Sonate; Intime Briefe).
Angesichts der Bekanntheit von Suk als Kammermusiker scheint es überraschend, daß er vor allem als Komponist sinfonischer Werke hervortrat. Außerdem war er, anders als seine tschechischen Zeitgenossen, recht wenig an nationaler Volksmusik interessiert. Sein Stil war gleichermaßen eklektizistisch wie originell, Einflüsse unter anderem von Dvorák, Bedrich Smetana (1824–1884), Claude Debussy (1862–1918) und Richard Strauss (1864–1949) in sich vereinend. In seinem Spätwerk freilich wurde Suks Harmonik derart komplex, daß sie sogar an Stravinskijs Bi-Tonalität heranreichten. Suks Gesamtwerk enthält unter anderem zwei nicht numerierte Sinfonien, verschiedene Ouvertüren und Tondichtungen, Klavierwerke, Streichquartette, andere Kammermusik, Chöre und Lieder. Er schrieb zwar keine Opern, hinterließ aber immerhin die Bühnenmusik zu dem Schauspiel Radúz und Mahulena von Julius Zeyer (1841–1901), die insbesondere aufgrund ihrer Introvertiertheit und ihres Pathos geschätzt wurde.

Obwohl Suk ein substantielles Oeuvre hinterließ, blieben aufgrund seines relativ frühen Todes im Alter von 61 Jahren und seiner zeitraubenden Konzerttätigkeit viele Kompositionsprojekte unbeendet – zumal Suk auch noch seit 1922 Kompositionsprofessor, später gar Rektor des Prager Konservatoriums war. Zu seinen Studenten zählten unter anderem Bohuslav Martinù (1890–1959) und Karel Reiner (1910–1979). Suks Enkel, der ebenfalls Josef heißt (*1929), wurde zu einem der angesehensten Geiger des 20. Jahrhunderts.

Praga ist eine einsätzige Tondichtung, die Suk im Herbst 1904 nach dem Tod seines geliebten Mentors und Schwiegervaters Antonin Dvorák komponierte. Zugrunde liegt ihr die Dichtung Zizka (1879), des tschechischen Nationaldichters Svatopluk Cech (1846–1908). Ihr Titelheld, Jan Zizka (d. 1424), war ein berühmter General der Hussiten, jener slawischen Protestanten-Bewegung des 15. Jahrhunderts, die der Reformation Martin Luthers noch vorausging. Darin geht es um Zizkas brilliante Kriegsführung bei der Schlacht der Hussiten gegen Kaiser Sigismund 1424 bei Prag. Über seine Landesgrenzen hinaus waren seine Gedichte und Romane wenig verbreitet, doch war Cech einer der bekanntesten slawischen Autoren seiner Zeit. Sein Roman Die Ausflüge des Herrn Brouc^ek (1886) zum Beispiel diente Leos Janácek als Vorlage für seine gleichnamige Oper.

Das Themenmaterial von Suks Tondichtung entstammt zwei Quellen – den Hussitenchoral Kdoz jste Bozí bojnovnici (Die ihr Kämpfer Gottes seid) sowie das Liebesthema aus Suks Bühnenmusik zu Radúz a Mahulena von Julius Zeyer (1898). Dadurch zeigte Suk nicht nur patriotische Begeisterung; er zollte auch Dvorák und Smetana Tribut, die den Hussitenchoral beide in eigenen Kompositionen verarbeitet hatten.

Suk läßt die Tondichtung geheimnisvoll mit Pauken beginnen, doch der Hussitenchoral betritt rasch die Bühne. Man erkennt die Melodie leicht als gebrochenen Dreiklang auf der Terz des Akkordes. Dem Publikum von Suks Heimat freilich war die Hymne bestens bekannt. Während der Hussitenkriege im 15. Jahrhundert geleiteten die Priester die Kämpfer in die Schlacht, indem sie den Choral intonierten und dabei Streitäxte schwangen. Die Wirkung war angeblich so abschreckend, daß viele der Feinde allein schon dadurch vom Schlachtfeld flohen. Die deutsche Übersetzung lautet:

Die Ihr Kämpfer Gottes seid und seines Wortes,
betet zu Gott um Hilfe und hoffet auf ihn,
auf daß Ihr schließlich mit ihm siegreich sein werdet.

Suk verwendet in Praga ein großes Orchester mit starker Bläserbesetzung nebst Orgel. Die Themen werden oft von Bläserchören herausgeschmettert – nicht nur ein Anklang an die traditionellen Schlachtenmusiken, sondern auch an die Posaunenchöre, mit denen bis heute in vielen Gemeinden Mährens zum Gottesdienst gerufen wird.

Jede spätromantische Tondichtung kann einem Vergleich mit ähnlichen Werken von Richard Strauss kaum entgehen; der Gefühlseindruck von Suks Werk ist gleichwohl direkter und unmittelbarer. Der Musikwissenschaftler John Tyrrell nannte Suks Orchesterwerke sogar einmal mindestens ebenso gefühlsintensiv, doch nicht so neurotisch wie die von Mahler.

Praga wurde nur einen Monat nach der Fertigstellung von der Tschechischen Philharmonie unter Oskar Nedbal im November 1904 in Plzen (Pilsen) uraufgeführt. Die Prager Erstaufführung folgte am 25. März 1905 unter der Leitung von Suk selbst.

© William Grim, 2006
© der Übertragung ins Deutsche: Benjamin-Gunnar Cohrs, 2006 (artiumbremen@yahoo.de)

Aufführungsmaterial erhältlich beim Benjamin Musikverlage, Hamburg. Nachdruck einer Partitur aus der Sammlung von Phillip Brookes, Shropshire.

 

 

Josef Suk
(b. Krecovice, 4 January 1874 – d. Benesov, 29 May 1935)

Praga [Prague]
Symphonic Poem for Large Orchestra, Op. 26

Preface
Josef Suk was a renowned violinist and one of the most important Czech composers of the generation to follow Antonín Dvorák (1841–1904). He grew up in the Bohemian city of Krecovice where his father, also named Josef Suk (1827–1913), was choirmaster and with whom the younger Suk studied violin, piano and organ. Entering the Prague Conservatory at the age of 11, Suk studied violin with Antonin Bennewitz (1833–1926) and composition with Dvorák. Suk was Dvorák’s favorite student and eventually ended up marrying the latter’s daughter Otylka (1878–1905). In 1891 Suk, along with Karel Hoffman (1872–1936), Oskar Nedbal (1874–1930), and Otto Berger (1873–1897), founded the Czech String Quartet, which remained in existence with relatively few personnel changes until 1933. During his 40 years with the ensemble Suk performed in over 4000 concerts internationally. The composer’s travels had a profound impact on his evolving compositional style due to exposure to a wide variety of new music. The Czech Quartet also performed much new music and was the ensemble that gave the premiere performances of Leoss Janacek’s (1854–1928) Quartets No. 1 (Kreutzer Sonata) and No. 2 (Intimate Letters).

Given Suk’s prominence as a chamber performer, it is surprising that he was almost exclusively a composer of symphonic music. In addition, unlike his fellow contemporary Czech composers, Suk was relatively little interested in folk music. Suk’s compositional style was highly eclectic and unique, demonstrating influences from as far afield as Dvorák, Bedrich Smetana (1824–1884), Claude Debussy (1862–1918) and Richard Strauss (1864–1949). In his later works, Suk’s harmonies become so complex that they even approach Stravinskian bi-tonality. Suk’s compositional oeuvre includes two symphonies and several overtures, piano miniatures, several string quartets, piano trios and related works, and a number of choruses and solo songs. Although he composed no operas, Suk’s incidental music to Julius Zeyer’s (1841–1901) play Radúz and Mahulena was highly regarded for its pathos and introspective nature.

Although Suk left behind a healthy corpus of musical compositions, his death at the relatively young age of 61 and his time-consuming performance schedule undoubtedly prevented the completion of many compositional projects. Added to the restraints on Suk’s time was his appointment as professor of composition at the Prague Conservatory in 1922 and his later serving as rector at the same institution. Among Suk’s composition students were Bohuslav Martinù (1890–1959) and Karel Reiner (1910–1979). Suk’s grandson, also named Josef Suk (b. 1929), has been one of the most renowned violinists of the past century.

Praga is a single movement tone poem that was composed by Suk in the Fall of 1904 in the aftermath of the death of his beloved mentor and father-in-law Antonin Dvorák. The composition was inspired by the poem Zizka (1879), written by the Czech nationalist writer Svatopluk ?ech (1846–1908). The title character of the poem was Jan Cech (d. 1424), a famous general of the Hussites, a 15th Century Protestant movement in Czechoslovakia that pre-dated Martin Luther’s Reformation. The poem concerns itself with Zizka’s brilliant generalship of the Hussite forces against the Holy Roman Emperor Sigismund’s army in a battle in Prague in 1424. Although his poems and novels were little known outside of his native land, Cech was one of the most popular Slavic writers of his time. His novel The Excursion of Mr. Brouc^ek to the Moon (1886) served as the basis for Leos Janácek’s opera of the same name.

The thematic material of Suk’s tone poem is derived from two sources: the Hussite hymn Kdoz jste Bozí bojnovnici (Ye Who Are the Warriors of God); and the love theme from Suk’s incidental music of 1898 to the play Radúz a Mahulena by Julius Zeyer. In both instances Suk was displaying patriotic fervor and also paying homage to the memories of Dvorák and Smetana who both employed the Hussite hymn in several of their compositions.

Suk begins the tone poem ominously in the tympani. The Ye Who Are the Warriors of God motif quickly makes its first appearance. This melody is easily recognizable as a broken major triad beginning on the third of the chord. More importantly, the hymn tune would have been easily recognizable to audiences in Suk’s native land. During the Hussite Wars of the early 15th Century, priests would lead the Hussites into battle chanting the hymn and carrying battle axes. The effect produced was supposed to be so awe-inspiring that many of the enemies of the Hussites were alleged to have fled from the scene of battle after hearing the singing of this hymn. The English translation of the hymn text is as follows:

Ye who are God’s warriors and of his law,
Pray to God for help and have faith in Him;
That finally with Him you will be victorious.

Suk employs a huge orchestra in Praga, complete with multiple winds and brass and organ. Quite often the main thematic material is stated by brass choirs, a reference not only to the traditional use of brass instruments in combat, but also to the trombone choirs used to this day as a call to service in certain Moravian parishes.
Although a late Romantic tone poem cannot help but to be compared to similar compositions by Richard Strauss, the emotional impact of Suk’s work is much more direct and immediate. Indeed, John Tyrrell has referred to Suk’s orchestral compositions as having the emotional intensity of Mahler without the neuroticism.

Only a month after Suk completed its composition, Praga was premiered in Plzen in November of 1904 with Oskar Nedbal conducting the Czech Philharmonic Orchestra. The work received its Prague premiere on March 25, 1905 with Suk himself conducting.

© William Grim (2006)

For performance material please contact Benjamin Musikverlage, Hamburg. Reprint of a copy from the collection Phillip Brookes, Shropshire.