Gustav Holst
(geb. Cheltenham, 21. September 1874 - gest. London, 25. Mai 1934)

A Somerset Rhapsody op. 21b für Orchester (1906/07)

Beni Mora op. 29 Nr. 1
Orientalische Suite für Orchester (1909/10)

Vorwort
Wie so viele britische Komponisten seiner Generation war Gustav Theodore von Holst (so der Taufname des englischen Komponisten russisch-swedischer Abstammung) in seinen Jugendjahren ein glühender Wagnerianer, der im Zuge der britischen Volksliedbewegung nach der Jahrhundertwende einen deutlichen Kurswechsel durchlebte. Zwar fehlte ihm Zeit und Muße, um selber als Volksliedsammler tätig zu sein, jedoch verfolgte er aufmerksam die Sammleraktivitäten des befreundeten Komponisten Ralph Vaughan Williams, vor allem aber die des großen frühen Musikethnologen Cecil Sharp. Als Holst die gesammelten Plattenaufnahmen bei sich zu Hause anhörte, konnte er über die Vielfalt und die emotionale Tiefe des rasch verschwindenden englischen Volksliedguts nur staunen. Bald erschien ihm sein Opernerstling Sita (1899-1906) nur noch wie «gutes altes wagnerianisiches Geplärr». Auf die Anregung Sharps hin, ein neues Werk ganz auf der Grundlage von Volksliedern zu komponieren, fühlte er sich dieser Herausforderung verpflichtet. Das Projekt sollte die Beschaffenheit seiner Musik grundsätzlich ändern und ihn schließlich an die Spitze der modernen britischen Komponistengeneration heben.

Das neue Werk Two Selections of Folk Songs (1906) wurde kurz darauf einer Revision unterzogen und in zwei weitere Orchesterwerke umgearbeitet: Songs of the West op. 21a und A Somerset Rhapsody op. 21b (beides 1906/07). Während das erstere in Vergessenheit geriet und nie in Druck erschien, erwies sich das letztere, Cecil Sharp gewidmete Werk seit seiner Uraufführung am 6. April 1910 mit dem New Symphony Orchester unter Edward Mason in der Londoner Queen’s Hall als beachtenswerter Erfolg. Die Rezensenten verkündeten dem damals praktisch unbekannten, nicht mehr ganz jungen Komponisten eine glänzende Laufbahn, und der führende Kritiker und Schubertforscher Richard Capell brachte die allgemeine Meinung auf den Punkt: «It had only to be heard to be liked by all.»

Begonnen hatten die Kompositionsarbeiten mit einem etwas vagen programmatischen Entwurf, bei dem «die Form aus der Andeutung einer idyllischen Weidelandschaft erwächst, die sich langsam mit menschlichem Treiben füllt und das ganze Treiben dennoch überdauert.» Später sollte das «menschliche Treiben» mit der Soldatenwerbung und der Trennung eines jungen Rekruten von seiner Geliebten in Verbindung gebracht werden – eine Bilderwelt, die wiederum aus den vier Volksliedern erwuchs, die Holst aus den Sammlungen seines Freundes Sharp aussuchte: Sheep-Shearing Song («Das Lied der Schafscherer»), High Germany (ein Soldatenlied über die Kontinentalkriege des 18. Jahrhunderts), The True Lover’s Farewell («Der Abschied des getreuen Liebhabers», ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert) und The Cuckoo («Der Kuckuck»). Statt jedoch die Melodien einer deutsch anmutenden thematisch-motivischen Arbeit zu unterziehen, ließ Holst jedes Lied für sich sprechen und sich mit den anderen polyphon kombinieren, wobei sich die einzelnen Lieder im Verlauf des Stücks jeweils in den Vordergrund drängen durften und wieder verschwanden. Als Ergebnis davon entdeckte der Komponist – um mit seinem Biographen Michael Short zu reden –, daß «wirkungsvolle musikalische Formen ohne den Rückgriff auf die herkömmlichen Satztechniken von Entwicklung oder Variation entstehen können», Formen, bei denen «der Schwerpunkt am Goldenen Schnitt oder in der Nähe davon» liege. Nicht weniger bedeutsam war seine Entdeckung der dorischen und äolischen Tonarten, die wegen des fehlenden Leittons eine neuartige, nichtfunktionelle Harmonik erforderlich machten. Mit diesen beiden Entdeckungen gewappnet war Holst nunmehr bereit, den Personalstil zu entwickeln, der ihm eine ureigene Stimme in der britischen Musikwelt verleihen sollte.

Fußte A Somerset Rhapsody auf den Forschungsarbeiten seiner Freunde, so stellte die Orchestersuite Beni Mora wiederum die Ergebnisse von Holsts eigenen amateurhaften musikethnologischen Recherchen dar. Im Jahre 1908 machten der Komponist und seine junge Ehefrau eine Urlaubsreise nach Algerien. Während Holst zu Fuß oder mit dem Fahrrad durch die umliegenden Dörfer unterwegs war, führte er immer ein Notizbuch mit sich, in dem er seine musikalischen Eindrücke festhielt. Die unverfälschte Frische dieser Impressionen ist in seinen Randbemerkungen immer noch deutlich zu spüren: «Arabisches Mädchen singt zwei Vögeln vor – und sie singen zurück!» oder – noch bedeutsamer – «Oboenmelodie während eines Umzug um 5 Uhr in der Früh (sie waren die ganze Nacht dabei)!»

Kurz nach seiner Rückkehr nach England wurde Holst von einer Tänzerin um eine Ballettmusik gebeten. Das daraus entstehende Orchesterwerk Oriental Dance, das eine Widmung an den befreundeten Kritiker Edwin Evans trägt (die Initialen «EE» sind geschickt in die kompositorische Faktur eingewoben), macht von seinen musikalischen Erlebnissen in Algerien ausgiebig Gebrauch. Als die Aufführung jedoch nicht zustande kam, behielt er das neue Werk als ersten Satz einer nunmehr dreisätzigen «orientalischen Suite» Beni Mora (1909/10) bei, die zu den bedeutendsten seiner frühen Meisterwerken gehört. (Der Titel «Beni Mora» bezieht sich auf den Handlungsort des damaligen Erfolgsromans The Garden of Allah von Robert Smythe Hichens aus dem Jahre 1904.) Zum Oriental Dance fügte er nun einen zweiten Satz im «Arabesque»-Stil hinzu, gefolgt von einem bemerkenswerten Finale, das das viertönige Oboenmotiv aus dem nächtlichen algerischen Umzug aufnimmt und in nicht weniger als 163 Takten wiederholt. Der neue Schlußsatz, dessen Titel «In the Street of the Ouled Naïls» auf die gleichnamigen tanzenden Beduinenmädchen anspielt, versucht einen Menschenzug aus zwei verschiedenen Richtungen gleichermaßen dreidimensional musikalisch darzustellen. Die Verschränkung der Themen und der Polymetrik gehört zu den kunstvollsten Errungenschaften im Gesamtschaffen Holsts und weist zugleich auf seinen vier Jahre später entstandenen kompositorischen Meilenstein hin: den «Mars»-Satz aus dem Orchesterzyklus The Planets.

Wohl wegen des Ungewöhnlichen an diesem Schlußsatz erlebte Beni Mora am 1. Mai 1912 bei der Uraufführung im Londoner Queen’s Hall unter der Leitung des Komponisten lediglich einen mässigen Erfolg. Einige witterten sogar in der neuen Partitur einen Affront gegen britische Empfindlichkeiten («We do not ask for Biskra dancing girls in Langham Place»), andere beklagten den Mangel an harmonischer Integration – ein Problem, das dem Werk durch den Einsatz von exotischen «arabischen» Tonleitern auf natürliche Weise erwuchs. Aus den gleichen Gründen fand die Suite jedoch auch Bewunderer und verbreitete sich bald durch die englischen Konzertsäle. Im Jahre 1922 wurde Beni Mora als erstes Werk Holsts in Paris aufgeführt; ein Jahr später ertönte die Suite im Ann-Arbor-Festival/USA, auch diesmal unter der Leitung des Komponisten. Eine Platteneinspielung für Columbia erfolgte bereits 1924 mit dem London Symphony Orchestra, ein Jahr darauf fand eine Live-Ausstrahlung durch die BBC statt. Als der junge Stardirigent Adrian Boult 1931 Beni Mora aufführte, konnte das Werk unter den charakteristischsten der Holstschen Schöpfungen neben The Planets ebenbürtig stehen.

Sowohl A Somerset Rhapsody als auch Beni Mora wurden erst nach langer Verzögerung veröffentlicht. Letzteres mußte zehn Jahre warten, bis die Partitur 1921 bei Goodwin & Tabb/London in Druck erschien. Vier Jahre später folgte beim Londoner Verlag Curwen eine Klavierbearbeitung, und 1983 – als Zeichen des ungebrochen hohen Ansehens der Suite – eine neue Druckpartitur bei Faber. Volle zwei Jahrzehnte mußte jedoch A Somerset Rhapsody warten, bis sich der Londoner Verlag Boosey & Hawkes 1927 dazu entschloß, das Werk als Partitur herauszugeben. Ein Jahr darauf erschien beim gleichen Verlag eine Piano-Direktion mit Stimmensatz und 1943 sogar eine Studienpartitur mit aufschlußreicher Werkanalyse. Auch wurde A Somerset Rhapsody 1980 durch eine entsprechende Bearbeitung (wiederum bei Hawkes) ins Repertoire für sinfonische Blasorchester aufgenommen. Obwohl diskographisch nicht gerade stark vertreten, sind beide Werke durch Einspielungen mit dem Scottish National Orchestra unter David Lloyd-Jones, vor allem aber durch die historischen Aufnahmen von Sir Adrian Boult und dem London Philharmonic Orchestra auf Schallplatte festgehalten.

Bradford Robinson, 2006

Aufführungsmaterial ist von Chester Novello, London zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars aus der Sammlung Philipp Brookes, Market Drayton.

 

 

Gustav Holst
(b. Cheltenham, 21 September 1874 - d. London, 25 May 1934)

A Somerset Rhapsody
for orchestra, op. 21b (1906-7)

Beni Mora
oriental suite for orchestra
op. 29, no. 1( 1909-10)

 

Preface
Like so many British composers of his generation, Gustav Theodore von Holst (to quote the baptismal name of this English composer of Russo-Swedish extraction) was an earnest Wagnerian in his youth who changed course with the emergence of the British folk-song movement shortly after the turn of the century. Though not a collector himself, Holst avidly followed the collecting activities of his friend Ralph Vaughan Williams and especially the great early ethnomusicologist Cecil Sharp. Listening to their recordings in the privacy of his home, Holst was dumbstruck by the variety and expressiveness of England’s rapidly vanishing folk culture. Suddenly his first opera Sita (1899-1906) seemed to him like «good old Wagnerian bawling.» When Sharp suggested that he try his hand at a work based entirely on folk song, he readily rose to the challenge. The project would fundamentally change the character his music and eventually establish him at the forefront of his generation of modern British composers.

The work in question, Two Selections of Folk Songs (1906), was later revised and recycled into two further orchestral works: Songs of the West (op. 21a) and A Somerset Rhapsody (op. 21b), both dating from 1906-7. If the former fell by the wayside and was never published, the latter, appreciatively dedicated to Cecil Sharp, proved instantaneously successful from the moment Edward Mason first conducted the piece with the New Symphony Orchestra in Queen’s Hall, London, on 6 April 1910. The critics predicted a brilliant career for the then practically unknown and no longer exactly young composer. The leading critic and Schubert scholar Richard Capell summed up the general impression: «It had only to be heard to be liked by all.»

Holst began the work with a vaguely programmatic outline in which «the form grew out of a suggestion of pastoral country becoming filled with human activities but surviving them all.» Later the «human activities» became associated with military recruitment and the departure of the young soldier from his lover. These images were in turn suggested by Holst’s choice of folksongs, all four of which had been collected and edited by Sharp: Sheep-Shearing Song, High Germany, The True Lover’s Farewell, and The Cuckoo. Rather than subjecting the melodies to the eminently Germanic devices of thematic-motivic development, however, he allowed them to stand by themselves and to enter into contrapuntal relations with each other, merging and shifting in and out of prominence as the piece progressed. The result was his discovery, to quote Holst’s biographer Michael Short, that «effective musical forms could be built without resorting to traditional techniques of development or variation,» in which the «center of gravity [resides] at or near the Golden Section.» Equally important was Holst’s discovery of the Dorian and Aeolian modes, neither of which possess a leading-tone, and which therefore called for a fresh, non-functional approach to harmony. With these two breakthroughs under his belt, Holst was ready to fashion on the distinctive style that would establish him as a unique voice in British music.

If A Somerset Rhapsody drew on the ethnomusicological labors of his friends, Beni Mora represented the fruits of his own amateur research. In 1908 Holst and his young wife took a vacation in Algeria. Wandering or bicycling through the local towns, he kept a notebook in which he jotted down his musical impressions. The freshness of the imagery still shines through his marginalia: «Arabe girl singing to two birds - they reply!» and, more portentously, «Oboe tune in procession 5 am (they had been at it all night).»

Shortly after his return to England Holst was asked by a dancer to write a short ballet. The resultant Oriental Dance, dedicated to his friend, the critic Edwin Evans (the initials «EE» are stitched into the musical fabric), drew on his musical impressions from Algeria. When the dance production fell through, he kept the score and enlarged it into a three-movement »oriental suite,” Beni Mora (1909-10), that was to become one of the most significant of his early masterpieces. («Beni Mora» is the setting of Robert Smythe Hichens’s novel of 1904, The Garden of Allah, which enjoyed a brief flurry of popularity around mid-decade.) With the Oriental Dance functioning as a first movement, he supplied a new «arabesque» second movement, followed by a remarkable finale based on the same four-note processional oboe motif he had heard in Algeria, which is repeated for no fewer than 163 bars. This movement, entitled «In the Street of the Ouled Naïls» (in reference to the Bedouin dancing girls of that name), recreates a three-dimensional procession advancing from two directions at once. The combination of themes and polymeters is among the most effective in Holst’s oeuvre, presaging the milestone work which he would compose four years later, the «Mars» movement of The Planets.

Perhaps because of its novelty, Beni Mora was not entirely successful at its first performance, conducted by Holst himself at Queen’s Hall, London, on 1 May 1912. It was regarded by some as an affront to British sensibilities («We do not ask for Biskra dancing girls in Langham Place»); others lamented its lack of harmonic integration, a problem forced upon the work by the use of exotic «Arabian» scales. For these very reasons, however, it also attracted admirers and was soon being performed throughout England. It was the first work by Holst to be heard in Paris (1922), and the following year it graced the Ann Arbor Festival in Michigan, conducted by the composer. In 1924 it was recorded on disc for Columbia by the London Symphony Orchestra, and one year later it was broadcast live by the BBC. By 1931, when it was energetically championed by Adrian Boult, Beni Mora could stand alongside The Planets among Holst’s most distinctive creations.

Both A Somerset Rhapsody and Beni Mora were slow to reach publication. The latter had to wait ten years before being issued in full score by Goodwin & Tabb, London, in 1921; a piano arrangement was published four years later by Curwen, and - a token of the work’s continuing prestige - a new full score was issued by Faber in 1983. A Somerset Rhapsody was made to wait two decades before Boosey & Hawkes published the work in full score in 1927. A piano-conductor’s score with parts appeared from the same publisher one year later, and a «Hawkes Pocket Score,» with a useful introductory analysis, in 1943. The work has also entered the repertoire for symphonic band, for which Hawkes again published an arrangement in 1980. Though not abundantly represented on disc, both works are available in recordings by the Scottish National Orchestra (conducted by David Lloyd-Jones) and especially in historical performances by Boult with the London Philharmonic Orchestra.

Bradford Robinson, 2006

For performance material please contact the publisher Chester Novello, London. Reprint of a copy from the collection Philipp Brookes, Market Drayton.