Carl Heinrich Carsten Reinecke
(geb. Altona, 23. Juni 1824 — gest. Leipzig, 10. März 1910)

König Manfred
Oper in 5 Akten op. 93 (1866)
nach einem Libretto von Friedrich Roeber

Vorwort
Geboren im damals dänischen Altona als Sohn eines angesehenen Musik-pädagogen, ging Carl Reinecke schon in jungen Jahren als Pianist auf Konzertreisen und wurde 22-jährig Hofpianist Christians VIII. von Dänemark, ging dann nach Paris, wurde Musiklehrer in Köln und wirkte anschließend als königlicher Musikdirektor in Barmen und Breslau, bis er schließlich als 36-jähriger nach Leipzig kam, wo er als herausragender Pianist, gediegener Dirigent, Leiter des Konservatoriums (die Zahl seiner prominenten Kompositions-schüler ist Legion) und äußerst fruchtbarer Komponist in allen Gattungen bis ins hohe Alter das Musikleben beherrschte. Von 1860 bis 1895 war er Kapellmeister der Gewandhauskonzerte, ein Gralshüter des akademischen Konservatismus und Feind der Neudeutschen, über den einige Jahre nach seinem Tode in der Geschichte der Musik des 19. Jahrhunderts von Richard Batka und Willibald Nagel folgendes Resumé zu finden ist: «Seine Stellung zur modernen Kunst wie seine Berechtigung dazu gehören in ein anderes Kapitel, in das der Kämpfe um Wagner und die neudeutsche Musik. Reinecke als Charakter verdient wohl unsere Anerkennung. Aber eine Überzeugung braucht nicht bis zur Unduldsamkeit der Andersgläubigen zu gehen, zumal kein besonderer Prophetenblick dazu gehörte, wem der Sieg zufallen würde. Die Engherzigkeit der Anschauungen, in Verbindung mit einer äußeren Machtstellung, hat keinesfalls segensreich gewirkt, sie hat auch die Hüter des ‘einzig Schönen und Wahren’ in der Musik selber jeglichen Verständnisses für die Notwendigkeit der Entwicklung beraubt.»

Über seine Kompositionen wird an gleicher Stelle geurteilt: «Reineckes Opus-Nummer reicht hoch hinauf, und kein Gebiet der musikalischen Produktion ließ er unbebaut. Kammermusik, Klavierkonzerte, Sonaten, eine Unmenge kleiner Klavierstücke, Messen, Chöre, Konzertarien, Ouvertüren, Konzerte, Symphonien, Oratorien, Singspiele und sogar einige Opern (darunter ‘Auf hohen Befehl’ und ‘Der Gouverneur von Tours’) geben ein Bild von der Fruchtbarkeit des Komponisten Reinecke; doch ist es nur dem großen Musiker gegeben, einer solchen Expansion des Schaffens Werke bleibenden Wertes gegenüberzustellen. Immerhin hat auch Reinecke solche hinterlassen. Und zwar im Gebiete der kleineren Form, des Genrestückes. Seine Kinderlieder z. B. sind unübertroffen und er hat, wie Volkmann mit seinen Liedern der Großmutter, wie weiter Tschaikowsky, St. Heller und Wilhelm Kienzl mit Kinderliebe und -leben das Material für die ‘kleinen Leute’ bereichert. Heutigestags hat Reinecke viele Nachahmer, die zweifellos vortreffliche Arbeiten geschrieben haben. Doch das Original wird eben selten erreicht, geschweige denn überboten. Die feinsinnigen Klavierstücke Reineckes gehören auch zum erfreulichsten Kapitel der ‘Hausmusik’. Was sonst aus dem hinterlassenen musikalischen Riesenvermögen des seinem Wesen treu gebliebenen Reinecke als lebensfähig und Werte schaffend für das reale Musikleben wird gebucht werden können? Heute, ein paar Jahre nach des Komponisten Tode, kommen außer gelegentlichen Aufführungen einiger Ouvertüren (die Friedensfeier ist wohl die beliebteste) nur eben die genannten musikalischen Miniaturen in Betracht.»

Aus heutiger Sicht hat sich — trotz der Ersteinspielung u. a. der drei Symphonien und der vier Klavierkonzerte auf CD — daran nicht viel geändert, sieht man davon ab, daß aufgrund des eklatanten Mangels an romantischen Flötenkonzerten Reineckes später Beitrag (op. 283) zu dieser schwach bedachten Gattung mittler-weile sein bekanntestes und meistgespieltes Werk ist. Fritz Volbach bezeichnet Reinecke in seiner Schrift Die deutsche Musik im 19. Jahrhundert (Kempten 1909) als «die sympathischste Erscheinung» unter den Leipziger ‘Akademikern’.

Reinecke komponierte seine “Große Romantische Oper” König Manfred op. 93 auf einem Libretto von Friedrich Roeber (1819-1901) zwischen April und Dezember 1866. Das Werk handelt von den Höhen und Tiefen des Lebens des historischen König Manfred von Sizilien (1232-66), dem unehelichen Sohn Friedrichs II von Hohenstaufen, über den Roeber ebenfalls ein tragisches Bühnenstück schrieb. Im Verlauf der Oper macht sich Manfred, der bereits in dem gleichnamigen Versdrama von Lord Byron (1817) die Fantasie des ganzen 19. Jahrhunderts gefesselt hatte, überall Feinde und fällt schließlich auf dem Schlachtfeld durch die Hand von Karl von Anjou. Die Oper kam am 26. Juli 1867 am Königlichen Hoftheater zu Wiesbaden unter der Leitung von Wilhelm Jahn (1834-1900) zur Uraufführung. Der eher musikalische als bühnengeschichtliche Erfolg des Werks sorgte dafür, daß König Manfred sofort verlegerisch verwertet wurde. Ein Jahr nach der Wiesbadener Premiere erschien 1868 die vollständige Oper in Partitur sowie in einem vom Komponisten selber besorgten Klavierauszug bei Breitkopf & Härtel in Leipzig. Bald fingen Teile der Oper an, ein eigenes Leben zu führen: Die Ouvertüre, die Ballett-Musik und das Vorspiel zum 5. Akt wurden ebenfalls in Partitur separat verlegt und erschienen auch in einer Vielzahl von Bearbeitungen beispielsweise für Soloklavier (Vorspiel zum 5. Akt), Klavier zu vier Händen (Ballett-Musik), zwei Klavier zu acht Händen (Ouvertüre) sowie denkwürdigerweise in der Bearbeitung eines gewissen Hermann Teibler für Harmonium, Klavier, Streichquintett und Flöte (Vorspiel zum 5. Akt). Die Arien In Lenzesnacht und Ja, es singt der Hoffnung Strahl wurden in Fassungen für Violoncello und Klavier mit dem Titel Andante bzw. Klage aus der Oper “König Manfred” veröffentlicht, und 1874 erschienen fünf Auszüge in einer Bearbeitung für Kunstharmonium von R. Schaaf. Der Beitrag Englands zu dieser Verwertungsorgie bestand in einer Orgelbearbeitung des Intr’acte durch den großen musikalischen Gelehrten Ebenezer Prout (1883). Obwohl sich die Oper eine Zeitlang auch im Bühnenrepertoire behaupten konnte (noch 1881 erschien das Libretto in Druck), lebte sie vorwiegend in Auszügen und Bearbeitungen im Konzertsaal und Wohnzimmer weiter, vor allem die Ouvertüre, die zu den beliebtesten aus Reineckes Feder gehört (vgl. Repertoire Explorer Nr. 267). Eine “premier recording” von vier Auszügen aus König Manfred in einer Aufführung der Rheinischen Philharmonie Koblenz unter der Leitung von Alfred Walter erschien 1988 bei der Plattenfirma Marco Polo.

Christoph Schlüren, 2003.
Letzter Absatz: Bradford Robinson, 2007

Aufführungsmaterial ist vom Verlag Breitkopf & Härtel, Wiesbaden (www.breitkopf.de) zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München

Carl Heinrich Carsten Reinecke
(b. Altona, 23 June 1824 — d. Leipzig, 10 March 1910)

König Manfred
opera in five acts, op. 93 (1866)
on a libretto by Friedrich Roemer

Preface
Carl Reinecke was born in Altona (at the time, part of Denmark), the son of a respected music teacher. In his youth, he toured as pianist, and at the age of twenty-two was appointed Court Pianist to Christian VIII of Denmark. The Denmark appointment was followed by moves to Paris, Cologne, Barmen, and Breslau, progressing from music teacher to music director. Finally, at the age of thirty-six, Reinecke settled in Leipzig where he was widely known as pianist, conductor, director of the Conservatory (the number of prominent composers he taught is extensive) — and as an unusually prolific composer in all genres. From 1860 until 1895 he was director of the Gewandhaus Concerts, and regarded as an enemy of newer styles and ardent defender of an academic conservatism. Not long after Reinecke’s death the following description of him was written by Richard Batka and Willibald Nagel in their Geschichte der Musik des 19. Jahrhunderts: «His position in modern music — as well as the justification for it — belongs in another chapter, one describing the struggles surrounding Wagner and the New German School. Reinecke’s character is worthy of our appreciation. But it is certainly of no particular merit if convictions are held to the point of intolerance. Narrow-minded perceptions, combined with a position of extraordinary power, on no account are beneficial. And it blinds self-proclaimed guardians of ‘Truth and Beauty’ in music to the necessity for progress and development.»

His compositions are evaluated as follows: «Reinecke’s opus numbers are legion. No area of musical production was left unexplored. Chamber music, piano concertos, sonatas, a tremendous number of small piano pieces, masses, choruses, concert arias, overtures, concertos, symphonies, oratorios, singspiel, and even several operas (among them, Auf hohen Befehl [By Command from on High] and Der Gouverneur von Tours [The Governor of Tours]) give an indication of how prolific Reinecke was. Only the greatest composers are capable of creating music of lasting worth among so much work. But Reinecke has left some music of real value, especially among his smaller genre pieces. His children’s songs, for example, are unsurpassed, and — like Volkmann’s Grandmother’s Songs and, later, Chaikovsky, Stephen Heller and Wilhelm Kienzl — he has enriched the repertoire for ‘little folk.’ These days Reinecke has many imitators who have undoubtedly created some excellent works. But the standards of the original have been seldom attained, let alone surpassed. Reinecke’s tasteful piano pieces are delightful instances of Hausmusik. But what else from Reinecke’s astonishing body of work seems worthwhile and of lasting value? Today, several years after the composer’s death, beyond the occasional performance of an overture or two (the Friedensfeier [Peace Celebration] is the most beloved) consideration is given only to his musical miniatures.»

Despite the premiere on CD of, among others, the three symphonies and the four piano concertos, that general evaluation of Reinecke’s music has not changed a great deal; and there are notable deficiencies present in even his best known and most frequently performed piece, the late Flute Concerto (op. 283). Fritz Volbach characterized Reinecke is his Die deutsche Musik im 19. Jahrhundert (Kempten, 1909) as «the most sympathetic» of all those associated with Leipzig musical academicism.

Reinecke created his King Manfred, Grand Romantic Opera in Five Acts op. 93, on a libretto by Friedrich Roeber (1819-1901), and composed the music for it from April to December 1866. The plot turns on the fortunes and misfortunes of the historical King Manfred of Sicily (1232-66), the illegitimate son of Frederick II of Hohenstaufen, on whom Roeber also wrote a tragic drama. In the course of the opera Manfred, who captured the imagination of the nineteenth-century century in Byron’s like-named verse tragedy of 1817, gains the enmity of all and falls on the field of battle fighting Charles of Anjou. The first performance took place at the Royal Court Theater of Wiesbaden on 26 July 1867 under the baton of Wilhelm Jahn (1834-1900). Such was the success of the work, musically if not theatrically, that König Manfred was soon being exploited for publication purposes. In 1868, a year after the première, the complete opera appeared in full score and vocal score (by Reinecke himself) from Breitkopf & Härtel of Leipzig. Parts of the work immediately began to take on lives of their own. The Overture, the Ballet Music and the Prelude to Act 5 were all published separately in full score. They also appeared in a wealth of arrangements: the Ballet Music in a version for piano four-hands, the Prelude to Act 5 in another for solo piano, the Overture in an arrangement for two pianos eight-hands, and, perhaps most curiously, the Prelude to Act 5 in a version by one Hermann Teibler for harmonium, piano, string quintet and flute. The arias In Lenzesnacht and Ja, es singt der Hoffnung Strahl were issued in versions for cello and piano entitled, respectively, Andante and Klage from the Opera King Manfred, and five excerpts arranged for harmonium by R. Schaaf were published in 1874. England’s contribution to this cottage industry was an Intr’acte arranged for organ by the great musical savant Ebenezer Prout (1883). Although the opera remained for a while in the repertoire (a printed libretto appeared in 1881), it survived primarily in the concert hall and domestic parlor in excerpts and arrangements, especially the Overture, which was one of Reinecke’s most popular efforts in the genre (see Repertoire Explorer No. 267). In 1988 a “premier recording” of four excerpts from König Manfred, with Alfred Walter conducting the Rhenish Philharmonic of Koblenz, was released by Marco Polo.

Translation: Eric Jensen, 2003.
Final paragraph by Bradford Robinson, 2007

For performance materials please contact the publisher Breitkopf & Härtel, Wiesbaden (www.breitkopf.de). Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.