Vítezslav Novák
(geb. Kamenice nad Lipou, Südböhmen, 5. Dezember 1870 - gest. Skute?, Ostböhmen, 28. Juli 1949)

Slovakische Suite op. 32 für kleines Orchester (1903)

Vorwort
Im Jahre 1896 begab sich Vítezslav Novák auf eine Urlaubsreise in die entlegene Valassko-Region im Grenzgebiet zwischen Böhmen und Mähren. Für den 25jährigen Hitzkopf, den sein Lehrer Dvorák einmal neckisch als «ungepflegten Philosophen mit schiefliegender Krawatte» bezeichnet hatte, bedeutete die Reise einen Wendepunkt in seinem Leben. Er war entzückt von der Landschaft und noch mehr von der einheimischen Volksmusik, die ihm wie eine Offenbarung vorkam. Nach seiner Rückkehr nach Prag war er nicht mehr nur der begabte junge Nachahmer von Brahms und Richard Strauss, sondern ein anderer Mensch geworden. Nachdem er das von ihm gesammelte Liedgut näher analysiert hatte, entdeckte er – wie später Bartók –, daß darin die Grundlage zu einer neuen und höchst persönlichen Musiksprache lag, und er stellte sich alsbald der Aufgabe, seinen Kurs als Komponist neu zu bestimmen.

Nováks Entdeckung der ländlichen Reize von Mähren, Slovakien und Wallachien sollte schließlich später in eine von der Musikwissenschaft konstatierte «zweite Schaffensperiode» münden, die sich etwa von 1900 bis 1911 erstreckte. Zackige Rhythmen, veraltete Tonarten, quart- und quintdurchtränkte Melodik und die Klänge der einheimischen Zimbel prägte nunmehr seine Musik und erreichten einen ersten Höhepunkt in den Tondichtungen In der Tatra (1902) und Von der ewigen Sehnsucht (1904). Zwischen diesen beiden meisterhaften Tonschöpfungen steht das Werk, daß heutzutage immer noch als sein populärstes und charakteristischstes gilt: Slovácká svita, d.h. die Slowakische Suite op. 32, eine liebevolle Huldigung an das ländliche Leben im Dorf Javorník, das im Grenzbereich zwischen dem westlichen Mähren und dem östlichen Slovakien liegt.

Die Slovakische Suite gliedert sich in fünf Sätze, die jeweils von einem anderen ländlichen Bild bestimmt werden. Der erste Satz (In der Kirche) stellt einen protestantischen Gottesdienst samt einer Predigt des Dorfpfarrers und - ab Takt 11 - eines protestantischen Kirchenchorals dar. (Da in Mähren der Widerstand gegen die Habsburger weniger stark ausgeprägt war als im benachbarten Böhmen, konnte dort der Protestantismus den Dreißigjährigen Krieg überleben.) Im zweiten Satz (Unter Kindern) werden der Übermut und die Lebensfreude der einheimischen Knaben und Mädchen lebhaft skizziert. Beim dritten Satz (Die Verliebten) handelt es sich um das Liebeslied eines jungen Slowaken mit dazu gehörigen Neckereien und abschließender versöhnlicher Umarmung. Der 4. Satz (Beim Tanz) schildert eine überschwängliche Szene in einer slowakischen Dorfschänke, in der das Einstimmen der Instrumente und die virtuosen Passagen des Primarius deutlichen zu hören sind und die – nach einem Quasi-Dudelsack-Einschub – in einem immer schneller werdenden Tanz endet, bei dem sämtliche Tanzpaare wild herumwirbeln. Der fünfte Satz (In der Nacht) entpuppt sich als sanftes Notturno mit Reminiszenzen aus Den Verliebten, bei dem die Kontrabässe diskret schweigen.

Am 4. Februar 1903 erlebte die Slowakische Suite ihre Uraufführung durch das Tschechische Philharmonische Orchester unter der Leitung von Vilém Zemánek. Nach dem glänzenden Erfolg erschien das neue Werk beim Prager Verlag Urbánek in einer Klavierfassung (1903) und einige Jahre danach als Partitur (1911). Bald sah sich Novák als bedeutendster tschechischer Komponist seiner Zeit gefeiert, seine Karriere erlebte einen steilen Aufstieg: 1906 wurde er als Mitglied der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und der Künste aufgenommen, drei Jahre später wurde er zum Professor für Komposition am Prager Konservatorium ernannt (1909-1939). Wenn der Ruhm Nováks in späteren Jahren durch seinen älteren Zeitgenossen Janácek und die Nachkriegsavantgarde auch leicht in den Schatten gestellt wurde, so mangelte es ihm doch nicht an internationaler Anerkennung: Noch zu Lebzeiten wurde er als Ehrenmitglied des Institut de France, der Académie des Beaux Arts und der Accademia di Santa Cecilia aufgenommen und erhielt die Ehrendoktorwürde der Universität Bratislava. Die Slowakische Suite behält immer noch einen festen Platz im tschechischen Orchesterrepertoire und ist vorteilhaft auf CD-Aufnahmen vertreten, wie etwa durch Jirí Belohlávek und vor allem Václav Talich, der Novák für den «größten Landschaftsmaler der tschechischen Musik» hielt.

Bradford Robinson, 2006

Nachdruck eines Exemplars der Musikabteilung der Leipziger Städtischen Bibliotheken, Leipzig.

 

 

Vítezslav Novák
(b. Kamenice nad Lipou, southern Bohemia, 5 December 1870 - d. Skutec, eastern Bohemia, 28 July 1949)
Slovakian Suite for small orchestra, op. 32 (1903)

Preface
In 1896 Vítezslav Novák took a holiday trip to the remote region of Valassko in the border area between Bohemia and Moravia. For Novák, a 25-year-old firebrand whom his teacher Dvorák had called «that dishevelled philosopher with his cravat askew,» the trip was a turning point in his career. He was enchanted by the countryside, and the folk music he heard there struck him with the force of revelation. When he returned to Prague he was no longer a gifted young imitator of Brahms and Richard Strauss but a changed man. Carefully analyzing the folk songs he had collected, he discovered, as Bartók was to do later, that they could serve as the basis of a fresh and highly personal musical idiom. He immediately set about the task of reinventing himself as a composer.

The discovery of rural Moravia, Slovakia, and Wallachia brought about what has later been called the second period of Novák’s career, a period that lasted roughly from 1900 to 1911. Jagged rhythms, antiquated modes, quartal and quintal melodic intervals, and the sounds of the domestic cimbalom began to fill his music, reaching an initial apogee in his tone poems In the Tatras (1902) and Of Eternal Longing (1904). Between these two masterly works came what is today still considered his most popular and characteristic piece of music: Slovácká svita, or the Slovakian Suite, op. 32, a loving evocation of country life in the village of Javorník, nestled in the borderlands between eastern Moravia and western Slovakia.

The Slovakian Suite falls into five sections, each with a distinctive rural image. The first, In Church, depicts a local Protestant service, complete with a parlando sermon from the pastor and a Protestant hymn beginning in bar 11. (Moravia did not resist Habsburg rule to the same extent as neighboring Bohemia, and its Protestant subculture was able to survive the Thirty Years’ War.) The second movement, Among Children, exults in the uninhibited high-spirits of local peasant boys and girls. The third, entitled The Lovers, is a love song from a Slovak youth, complete with jocular teasing and tender reconciliation. Movement 4, At the Dance, portrays an exuberant scene in a Slovakian tavern. Here we can listen to the musicians tuning their instruments, the lead violinist flaunting his technique, an increasingly pell-mell dance that ends, after a sostenuto passage in imitation of a bagpipe, with all the couples swirling in a grand galop. The fifth section, At Night, is a lovely nocturne, replete with reminiscences from The Lovers, in which the double basses discreetly fall silent.

The Slovakian Suite was given its première by the Czech Philharmonic on 4 February 1903, conducted by Vilém Zemánek. Its success was instantaneous, and it was immediately issued in piano reduction by Urbánek (Prague, 1903), followed a few years later by the full score (Prague, 1911). Novák soon found himself regarded as the leading Czech composer of his age, and his career immediately took flight with his induction into the Czech Academy of Sciences and Arts (1906) and his appointment as professor of composition at Prague Conservatory (1909-1939). If Novák’s later career was somewhat overshadowed by that of his elder contemporary Janácek and the post-war avantgarde, he cannot be said to have lacked for international recognition, and by the time of his death, in 1949, he was an honorary member of the Institut de France, the Académie des Beaux Arts, the Accademia di Santa Cecilia, and the recipient of an honorary doctorate from Bratislava University. The Slovakian Suite has never left the Czech orchestral repertoire, and can be heard to excellent effect on recordings by Jirí Belohlávek and especially Václav Talich, to whom Novák was «the greatest landscape painter in Czech music."
Bradford Robinson, 2006

Reprint of a copy from the music Department archives of the Leipzig Municipal Libraries.