Zdenek Fibich
(b. Seborice, 21 December 1850 - d. Prague, 15 October 1900)

Záboj, Slávoj a Ludek, symphonische Dichtung für großes Orchester nach Motiven aus dem Königinhofer Handschrift (1873), op. 37

Vorwort
Während seines kurzen Lebens und noch eine kurze Zeit danach zählte der vielseitige und außerordentlich produktive Zdenek Fibich neben Smetana und Dvorák zum Dreigestirn der tschechischen Nationalkomponisten. Daß er schließlich doch diesen Rang an den etwas jüngeren Zeitgenossen Janácek abtreten mußte, darf nicht über die handwerkliche Meisterschaft und die mitunter auflodernde Gefühlsgewalt seiner Musik hinwegtäuschen. Fibich wuchs in einer gebildeten zweisprachigen Familie auf und verbrachte seine Schulzeit in Wien und Prag. Als er mit 15 Jahren nach Leipzig zog, um seine musikalische Ausbildung (1865-67) fortzusetzen, hatte er bereits 50 Kompositionen vollendet. Nach weiteren Studienjahren in Paris und Mannheim kehrte er 1870 nach Prag zurück, wo es ihm schnell gelang, eine freiberufliche Existenz als Komponist und Privatlehrer aufzubauen. Obwohl er in beinahe allen Gattungen ein umfangreiches Oeuvre schuf, ist Fibich heute wohl am bekanntesten als Meister des Konzertmelodrams, bei dem ein vom Orchester begleiteter Sprecher einen literarischen Text vorträgt, sowie als Schöpfer der Nálady, dojmy a upomínky («Stimmungen, Eindrücke und Erinnerungen» 1892-98), eines Zyklus von nicht weniger als 376 Klavierstücken - eine Art erotisches Tagebuch der großen Liebe seiner späteren Jahre - und der die beliebte und unverwüstliche Miniatur Poème als Stück Nr. 139 enthält.

Das Orchesterwerk Záboj, Slávoj a Lude k ist nach dem herzlich gefeierten Othello von 1873 die zweite symphonische Dichtung aus Fibichs Feder. Es entstand in einer Zeit intensiven nationalistischen Aufbruchs und wurde – noch bevor ein Ton daraus erklang - durch sein patriotisches Sujet zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion, als eine Analyse von V. J. Novotny in der Musikzeitschrift Dalibor erschien. Die heiß erwartete Uraufführung fand am 12. Dezember 1873 statt, als eine vierhändige Fassung in einem Konzert des Prager «Künstlerkreises» (Umelecká beseda) aufgeführt wurde. Die damals erweckten Hoffnungen gingen in der Orchesterpremière, die am 25. Mai 1874 im Neustädter Theater Prags unter der Leitung von Adolf Cech stattfand, vollends in Erfüllung. Es handelte sich dabei um die erste symphonische Dichtung nach national-tschechischem Volksgut und nahm Smetanas Má vlast um fast ein Jahr vorweg.

Die Legende von Záboj, Slávoj und Lude k entstammt der sogenannten "Königinhofer Handschrift" (Rukopis Královédvorsky), einem Kodex, der 1817 in der Stadt Dvur Králové (buchstäblich: "Königinhof") entdeckt wurde und angeblich aus dem 13. Jahrhundert stammt. Die Wirkung dieser Entdeckung war geradezu sensationell: Als die Handschrift zwei Jahre später in einer zweisprachigen Ausgabe in Deutsch und modernem Tschechischem erschien, sorgte sie in europäischen literarischen Kreisen für Furore. Bald wurde der Text in allen wichtigen europäischen Sprachen (einschließlich Englisch im Jahre 1852) veröffentlicht. Gegen Mitte des Jahrhunderts erschienen eine mehrsprachige "Polyglottausgabe" (1852) und sogar eine fotografische Faksimileausgabe (1862), obwohl die Kunst der Fotografie noch in den Kinderschuhen steckte. In der zweiten Jahrhunderthälfte, als die tschechische Romantik ihren Höhepunkt erreichte, diente die "Königinhofer Handschrift" als nationales Symbol und zugleich als Fundgrube für frühe Geschichte und kollektives Bewußtsein des tschechischen Volks: Smetana bediente sich aus ihr für seine Oper Libuse, Dvorák (wie auch Fibich) vertonte daraus einige der lyrischen Gedichte, die Helden der Handschrift wurden in Dramen, Historiengemälden, Romanen und – wie auch hier – in symphonischen Dichtungen verewigt. Erst in den 1990er Jahren wurde die Handschrift endgültig wissenschaftlich als Fälschung enttarnt – eine Möglichkeit, die bereits 1887 von keinem Geringeren als Tomás Masaryk in angedeutet wurde! Als Fälschung steht die Handschrift nunmehr zur Geschichte der tschechischen Literatur ungefähr im gleichen Verhältnis wie die Ossianischen Balladen Macphersons zum "Celtic Twilight".

Die «Königinhofer Handschrift» besteht aus einer Reihe schlichter lyrischer Gedichte und aus sechs Epen, bei deren letzten es sich um die Legende der heidnischen Fürsten Záboj und Slávoj und ihren Kampf gegen den germanischen Kriegsherrn Lude k (Ludwig) im Jahre 805 handelt. Fibich erzählt diese pseudohistorische Geschichte musikalisch in drei Teilen, wobei jeder der drei Protagonisten ein ausgeprägtes Leitmotiv erhält. Am Anfang des ersten Teils steht der in der Lgende weniger bedeutsame Slávoj, der alsbald durch den kriegerischen Lude k musikalisch überschattet wird. Danach wird Záboj als slawischer Urheld von noblen und friedfertigen Charakterzügen eingeführt (sein Leitmotiv verrät eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem berühmten «Vysehrad»-Motiv aus Smetanas Má vlast!). Allein durch die Greueltaten der Germanen wird Zábojs Zorn geweckt. Schließlich ruft er in einem Ausbruch von Fanfaren zum heiligen Krieg gegen die christlichen Eindringlinge auf – und beendet so den ersten Teil des Werkes. Im zweiten Teil wird dieser «Kampf der Kulturen» musikalisch ausgefochten, und zwar im Sinne eines symphonischen Durchführungsteils, der das Kriegsgeschehen in doppeltem Kontrapunkt virtuos dargestellt wird und aus dem Záboj nebst Leitmotiv siegreich hervorgehen. Im dritten Teil ertönt ein strahlendes Triumphlied zur Feier des Sieges der werdenden tschechischen Nation.

Wie bei so vielen Orchesterwerken Fibichs wurde Záboj, Slávoj a Lude k nicht sofort veröffentlicht. Zwar gab es 1893 eine Ausgabe für Klavier zu vier Händen, die Partitur erschien jedoch erst im Jahre 1962 beim Staatlichen Musikverlag in Prag. Seitdem hat sich die Tondichtung einen bescheidenen Platz im Konzertrepertoire erobert, vor allem dank einer Aufnahme durch das Rundfunksymphonieorchester Prag unter der Leitung von Vladimir Valek (1997).
Bradford Robinson, 2006

Aufführungsmaterial ist von Bärenreiter, Kassel zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikabteilung der Lipziger Städtischen Bibliotheken, Leipzig.

Zdenek Fibich
(b. Seborice, 21 December 1850 - d. Prague, 15 October 1900)

Záboj, Slávoj a Ludek, symphonic poem for full orchestra on motifs from the Queen’s Court MS, op. 37 (1873)

Preface
An extraordinarily prolific and wide-ranging composer, Fibich was celebrated during his relatively brief lifetime and shortly thereafter alongside Smetana and Dvorák as one of the three supreme creators of Czech national music. If he later sacrificed this role to his younger contemporary Janácek, this is not to deny the invariably superb craftsmanship and occasionally the emotional force of his music. Fibich grew up in a highly cultivated bilingual household and divided his school years between Vienna and Prague. He had already composed fifty works by the age of fifteen when he left for Leipzig to perfect his musical training (1865-7). After further studies in Paris and Mannheim he returned in 1870 to Prague, where he was soon able to earn a living entirely from his compositions and private teaching. Although he wrote voluminously in practically every genre, he is perhaps best known today as the master of the concert melodrama, in which a speaker recites a literary text to an orchestral accompaniment, and for his Nálady, dojmy a upomínky («Moods, Impressions and Reminiscences,» 1892-8), a set of 376 piano pieces of extraordinary range and variety that functioned as a sort of erotic diary for the great love-affair of his later years and which included, as piece no. 139, the perennial and much-loved miniature, Poème.

Záboj, Slávoj a Lude k was Fibich’s second symphonic poem, following upon the warmly received Othello of 1873. It was written at a time of intense national sentiment, and its patriotic subject-matter made it an object of discussion even before a note of it had been heard, when V. J. Novotny published an analysis of the score in the music periodical Dalibor. The eagerly awaited first performance took place in a version for piano four-hands at a concert of the Art Circle on 12 December 1873. The hopes kindled in the work at that time were fully realized at the orchestral première, given at Prague’s New Town Theater by Adolf Cech on 25 May 1874. It was the first symphonic poem to be based on Czech national material, antedating Smetana’s Má vlast by almost a year.

The story of Záboj, Slávoj a Lude k is taken from the so-called «Queen’s Court Manuscript» (Rukopis Královédvorsky), a codex discovered in the town of Dvur Králové (literally «Queen’s Court») in 1817 and allegedly dating from the 13th century. The impact of this discovery was nothing short of sensational: two years later it was published in a translation into modern Czech and German, creating a large stir in European literary circles. Soon it was translated into all major European languages (including English in 1852), and by mid-century it had been published in a multi-lingual «polyglot» edition (1852) and even in a photographic facsimile (1862) at a time when the art of photography was still in its infancy. In the late 19th century, as Czech romanticism reached its height, the «Queen’s Court Manuscript» served as a national symbol and a treasure-trove for the early history and collective identity of the Czech nation: Smetana drew on it for his Libuse, Dvorák set some of its lyric poems (as did Fibich himself), and its heroes were immortalized in plays, paintings, novels, and, as here, symphonic poems. It was not until the 1990s that the manuscript was proved to be a forgery (the possibility had been suggested as early as 1887 by none other than Tomás Masaryk!). As such, it now stands to Czech literary history in much the same ambiguous but irreversible relation as Macpherson’s Ossianic ballads to the «Celtic Twilight.»The Queen's Court MS consists of a number of simple lyric poems and six historical epics, of which the sixth is the story of heathen princes Záboj and Slávoj in their battle against the Germanic warlord Lude k (Ludwig), allegedly in the year 805. Fibich cast this story in three sections, allowing each of the protagonists his own distinctive leitmotif. The first section opens with Slávoj, a rather minor figure in the legend, who is soon fully eclipsed by the belligerent Lude k. Záboj is then introduced as a Slavic ur-hero of noble and pacific ways (his motif is uncannily identical to the famous «Vysehrad» motif of Smetana's Má vlast), who is only moved to anger by the atrocities of the encroaching Teutons. Finally, in a paean of fanfares, Záboj proclaims a holy war against the Christian invader, thereby bringing this first section of the work to a dramatic conclusion. The second section, depicting the early medieval "clash of civilizations," functions along the lines of a symphonic development, with the battle enacted in a virtuoso display of invertible counterpoint from which Záboj and his motif emerge triumphant. The third section is given over to a fulsome panegyric of victory celebrating the triumph of the emerging Czech nation.

As with so many of Fibich's orchestral works, Záboj, Slávoj a Lude k did not immediately appear in print. An edition for piano four-hands was published in 1893, but otherwise the work had to wait until 1962 before a full score was issued in Prague by the State Music Publishers. Since then the work has established a tentative hold in the concert repertoire, notably in a recording by the Prague Radio Symphony Orchestra under Vladimir Valek (1997).

Bradford Robinson, 2006

For performance material please contact the publisher Bärenreiter, Kassel. Reprint of a copy from the music Department archives of the Leipzig Municipal Libraries.
Zdenek Fibich
(geb. Seborice, 21. Dezember 1850 - gest. Prag, 15. Oktober 1900)