Johannes Brahms
(Mai 1833 – gest. Wien, 3. April 1897)

Serenade Nr. 1 D-Dur op. 11 für Orchester (1857-60)
Serenade Nr. 2 A-Dur op. 16 für kleines Orchester (1858-60, rev. 1875)

Vorwort
Die beiden Serenaden von Johannes Brahms gehören zweifellos zu den am wenigsten bekannten Werken seines Orchesterschaffens. Beide entstanden ungefähr gleichzeitig mit dem Ersten Klavierkonzert, dessen komplizierte Entstehungsgeschichte und «Geburtswehen« sie ebenfalls teilen. Offensichtlich kam die Erste Serenade zunächst als dreisätziges Oktett zur Welt, von dem allerdings nichts weiteres bekannt ist. Dann wurde sie 1857/58 in ein Nonett für Streicher und Blasinstrumente umgearbeitet, das im Sommer 1858 vor einer erlesenen Gesellschaft von Freunden des Komponisten– darunter Clara Schumann und ihr Halbbruder Woldemar Bargiel – aus der Taufe gehoben wurde. Diese heute verlorene Nonettfassung wurde 1859 durch eine Version für kleines Orchester ersetzt, das ebenfalls dem Brahms’schen Drang zur Vernichtung alles scheinbar Minderwertigen zum Opfer fiel. Schließlich wurde das Werk, nunmehr für großes Orchester umgestaltet, am 28. März 1859 durch die Hamburgische Philharmonische Gesellschaft uraufgeführt, und zwar unter der Leitung des großen Geigers und engen Brahms-Freundes Joseph Joachim. Bei diesem Anlaß wurde die Erste Serenade zwar von den Zuhörern freundlich aufgenommen, nicht jedoch – wie so oft beim frühen Brahms – von den Kritikern, die die etwas angestrengte thematischmotivische Arbeit des Werks bemäkelten, das offensichtlich in die Tradition des Divertimento à la Mozart und Haydn oder von Beethovens Septett gehörte. Trotz der engen Beziehungen zu solch früheren Vorläufern (Hauptthema und Bordunquinten des Kopfsatzes erinnern deutlich an Joseph Haydns letzte «Londoner Symphonie» in der gleichen Tonart) war es Brahms durchaus bewußt, daß dieses sechssätzige Werk von fast einstündiger Dauer etwas Neues in der Musikgeschichte darstellte (Joachim bezeichnete es in Hinblick auf seine Dimensionen und beeindruckende Faktur zu Recht als eine «Symphonie-Serenade»).
Gleich darauf erschien die Erste Serenade 1860 bei Breitkopf & Härtel als Partitur zusammen mit einer vom Komponisten besorgten vierhändigen Bearbeitung als op. 11. Weitere Bearbeitungen folgten, zunächst eine vollständige Fassung für Klavier zu zwei Händen von Friedrich Hermann (1874), dann - hier nur auszugsweise aufgezählt - eine lange Reihe von Bearbeitungen bis in die Gegenwart: für Streichquartett (1939), Orgel (1951), Violine und Klavier (1964), Horn und Klavier (1968) und – als besondere Kuriosität – Blockflötenquartett (1968). Zu den interessantesten der neueren Fassungen gehört sicherlich der Versuch Jorge Rotters, die verlorengegangene Urfassung für Nonett wiederherzustellen (Bad Schwalbach 1987).
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Obwohl gleichzeitig mit der Ersten Serenade entstanden, ist die Zweite Serenade von auffallend anderem Charakter. Der Hauptunterschied liegt wohl zunächst in der Besetzung, handelt es sich doch um eines der wenigen Orchesterwerke des klassischromantischen Repertoires, das gänzlich auf den Einsatz von Geigen verzichtet. Als Ergebnis nimmt die Satzweise häufig die Form einer Komposition für Bläserensemble mit Streicherbegleitung an. Brahms sah sich demnach immer wieder mit der Aufgabe konfrontiert, die Instrumente in ungewöhnlichen Klangkombinationen verbinden zu müssen, wobei dem Werk eine ausgesprochene Raffinesse im Orchestersatz zuteil
wird. Ebenfalls ungewöhnlich ist die Behandlung der Bratschenstimme, die Brahms’ späteren Umgang mit diesem oft verschmähten Instrument in Werken wie etwa den beiden Altliedern op. 92, dem Trio op. 114 oder den beiden Bratschensonaten op. 120 vorwegnimmt. Vielleicht zum Ausgleich der fehlenden Instrumente in hohen Tonlage wird unerwartet eine Pikkoloflöte vorgeschrieben, die im Schlußsatz besonders brillant zum Einsatz kommt.
Im Februar 1860 erlebte die Zweite Serenade ihre Uraufführung durch das Hamburgische Philharmonische Orchester unter der Leitung des Komponisten. Nach der Aufführung wurde sie zwar nachweislich einer Revision unterzogen, jedoch ist – wie so oft bei Brahms – das Ausmaß der Änderungen nicht mehr festzustellen, da die Spuren davon vom Komponisten später sorgfältig ausgelöscht wurden. Im gleichen Jahr erschien die Zweite Serenade als Partitur zusammen mit einem vom Komponisten besorgten vierhändigen Bearbeitung bei Simrock in Berlin als Erstlingswerk in einer langen und fruchtbaren Verbindung mit diesem Verleger. Im Jahre 1875 gab Simrock auch eine «neue, vom Autor revidierte Ausgabe» heraus, bei der die Revisionen in einer Unzahl zusätzlicher dynamischer und anderer Vortragszeichen sowie einiger geringfügigen Retuschen im Orchestersatz bestand (die Pikkoloflöte blieb erhalten). Besonders erfolgreich wurde die Serenade vor allem in Großbritannien, bereits im Frühjahr 1862 wurde sie auch in New York öffentlich aufgeführt. Ende 1862 erlebte die Zweite Serenade während des ersten Wienbesuches des Komponisten eine hervorragende Wiedergabe durch Herbeck in der Gesellschaft der Musikfreunde. Teils wegen der begeisterten Aufnahme seitens des Publikums – anders als die zunächst kühle Rezeption in Deutschland – entschloß sich Brahms daraufhin, im nächsten Jahr nach Wien endgültig umzusiedeln. Der Rest ist Geschichte.
Bradford Robinson, 2006

Aufführungsmaterial ist von Breitkopf und Härtel, Wiesbaden zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der
Musikbibliothek der Stadtbibliothek München.

Johannes Brahms
(b. Hamburg, 7 May 1833; d. Vienna, 3 April 1897)

Serenade No. 1 in D major for orchestra op. 11 (1857-60)
Serenade No. 2 in A major for small orchestra op. 16 (1858-60, rev. 1875)

Preface
Brahms’s two serenades are undoubtedly the least known items in his output for orchestra. They originated at roughly the same time as the First Piano Concerto and shared the birth pangs of that masterpiece’s tortuous genesis. The First Serenade apparently started life as a three-movement octet about which nothing further is known. In 1857-8 it was then reworked into a nonet for winds and strings that was performed in Göttingen in the summer of 1858 before a select gathering of Brahms’s friends, including Clara Schumann and her half-brother Woldemar Bargiel. This version, too, no longer survives, having been superseded by another version for small orchestra (1859) that likewise fell victim to Brahms’s penchant for destroying anything that failed to meet his own high standards. Finally the piece was again rescored for large orchestra, in which form it was premièred by the Hamburg Philharmonic Society on 28 March 1859, conducted by Brahms’s good friend, the great violinist Joseph Joachim. The work was received warmly by the audience but not, as with so many of Brahms’s early works, by the critics, who found the thematic development too labored for a work obviously beholden to the divertimento tradition of Mozart, Haydn, and Beethoven of the Septet. Yet despite the clear reminiscences of earlier models (the first theme and bagpipe fifths of the opening movement distinctly echo Haydn’s last “London« symphony in the same key), Brahms was aware that this sixmovement work of nearly an hour’s duration represented something new in the history of music (Joachim, in reference to its scale and impressive craftsmanship, rightly referred to it as a «Symphonie-Serenade»). The work immediately appeared in print as Brahms’s op. 11, published by Breitkopf & Härtel in full score and the composer’s own arrangement for piano duet (1860).
Other arrangements quickly followed, beginning with a version for solo piano by Friedrich Hermann (1874) and continuing down to the present day with excerpts for string quartet (1939), organ (1951), violin and piano (1964), horn and piano (1968), and, curiously, recorder quartet (1968). Perhaps the most interesting latter-day version is Jorge Rotter’s attempted reconstruction of the original nonet version, published in Bad Schwalbach in 1987.

The Second Serenade, though apparently written in parallel with the first, is strikingly different in character. The most obvious difference lies in its scoring, this being one of the very few orchestral works in the classical-romantic repertoire to dispense with violins. As a result, the texture often assumes the form of a wind piece with string accompaniment, and Brahms was forced time and again to discover unusual combinations of instruments, lending the work an extraordinary subtlety in its orchestration. Equally unusual is the free handling of the violas, presaging Brahms’s later treatment of this much-maligned instrument in his op. 92 songs for alto voice, the op. 114 trio, and the two sonatas, op. 120. Perhaps to compensate for the absence of a high register, the piece is also unusual in calling for a piccolo, which is heard to brilliant effect in the finale.
The Second Serenade was given its first public hearing by the Hamburg Philharmonic Orchestra in February 1860, with Brahms conducting. It is known to have been revised after this performance, but, as so often with Brahms, the extent of the revisions can no longer be determined, having been carefully eradicated by the composer. The work appeared in print that same year in full score and the composer’s own arrangement for piano duet, this marking the beginning of Brahms’s long and fruitful association with the publisher Simrock. In 1875 the same publisher issued a «new version revised by the author,» in which the revisions amounted to the addition of a large number of dynamic and expression marks and a few subtle alterations to the scoring (the piccolo was allowed to stand). The work was especially successful in England, and by the spring of 1862 it had already been performed publicly in New York. In the latter part of 1862 it was given an outstanding performance by Herbeck at the Gesellschaft der Musikfreunde, Vienna, during Brahms’s first visit to that city It was partly the warm reception given to the Second Serenade, so different from its cool reception in Germany, that moved Brahms to relocate to Vienna the following year. The rest is history.
Bradford Robinson, 2006

For performance material please contact the publisher Breitkopf und Härtel, Wiesbaden. Reprint of a copy from the music library archives of Münchener Stadtbibliothek, Munich.