Franz Schubert
(geb. Wien, 31. Januar 1797 – gest. Wien, 19. November 1828)

Bühnenmusik zu Rosamunde, Fürstin von Cypern D. 797 (1823)
Großes romantisches Schauspiel mit Musik nach einem Libretto von Wilhelmine von Chézy (1786-1856)

Ouvertüre Die Zauberharfe

Vorwort
Im Jahre 1823 hatte Franz Schubert, der gerade eine Aufführung seiner jüngst vollendeten Oper Alfonso und Estrella anstrebte, eine schicksalsschwere Unterredung mit Carl Maria von Weber, der ein Herz für den jüngeren Kollegen gefaßt hatte und ihm die Möglichkeit einer Berliner Uraufführung in Aussicht stellte. Wie ihm Euryanthe gefallen habe, fragte Weber. Ausnehmend gut – so die Antwort –, jedoch nicht so gut wie Freischütz, außerdem mangele es an Melodie. Nach diesem unglücklichseligen Mißgriff kühlte Webers Interesse deutlich ab: Denn die Oper Euryanthe sein Sorgenkind, das wegen des außergewöhnlich albernen Librettos der früheren politischen Aktivistin und späteren Amateur- Belletristin Wilhelmine von Chézy als Bühnenwerk zum Misserfolg verurteilt war. Die Pläne um eine Alfonso-Inszenierung wurden nie wieder erwähnt. Indirekt jedoch sollte Weber seine Rache haben: Bald darauf lieferte eben jene Schriftstellerin auch den Text zu Schuberts Rosamunde-Musik, was eine großartige Partitur ebenfalls zum Scheitern und – in diesem Falle – zu jahrzehntelanger Vergessenheit verurteilte.

Der Originaltext zu Rosamunde, Fürstin von Cypern galt knapp zwei Jahrhunderte lang als verschollen, tauchte jedoch als Unikat in Stuttgart auf und erschien 1996 zum erstenmal in Druck. Damit erhielt die Öffentlichkeit einen ersten vollständigen Einblick in ein Bühnenstück, das Schubert als «völlig überzeugend bereits bei der ersten Lektüre» bezeichnet hatte. Am Anfang der Handlung ist die Titelheldin, die Tochter des Herrschers von Zypern, ein zweijähriges Kind. Kurz vor dem frühen Tod des Vaters vertraut er seine Tochter der Obhut einer armen Schifferswitwe namens Axa an, um sie aus der schädlichen Umgebung des Hofes zu entfernen. Gleichzeitig ernennt er einen gewissen Fulgentius zum Regenten, jedoch unter der Bedingung, daß Rosamunde am 18. Geburtstags und bei einer Eheschließung mit dem Prinzen Alfons von Candia die Herrschaft übernehmen solle. Die beiden jungen Menschen – wie könnte es anders sein?! – haben sich ohne Kenntnis ihrer wahren Identität bereits kennen- und liebengelernt. Als Rosamunde ihren 18. Geburtstag erreicht, wird sie von Axa pflichtgemäß dem zypriotischen Volk als legitime Herrscherin vorgestellt. Daraufhin macht Fulgentius, der seine Machtstellung zu behalten trachtet, Rosemunde einen Heiratsantrag, den sie jedoch ausschlägt. Nach einem mißlungenen Entführungsversuch wird sie ins Gefängnis eingesperrt, aus dem sie jedoch vom Volk befreit wird. Angeekelt von den Machenschaften dieser Welt kehrt sie zu ihrer Pflegemutter zurück, um weiterhin in Abgeschiedenheit zu leben. Fulgentius braut jedoch eine Gifttinte, mit der er einen Brief an die junge Frau in der Überzeugung verfaßt, sie werde beim Öffnen des Umschlags tot umfallen. Als Überbringer wählt er niemand anderen als den Prinzen Alfons, der in der Zwischenzeit unter dem Decknamen Manfredi zum Vertrauten Fulgentius’ avanciert ist. Alfons warnt Rosamunde vor dem Mordversuch, der Brief bleibt ungeöffnet. Als Fulgentius Rosamunde noch am Leben findet, gibt ihm Alfons zu verstehen, daß sie den Brief doch geöffnet habe und dadurch wahnsinnig geworden sei, was ihr jetziges Leben als Schäferin erklärt. Fulgentius – in einem erneuten Versuch, Rosemunde umzubringen – organisiert ihr zu Ehren ein ländliches Fest. Rosamunde schreibt einen Brief um Hilfe, der jedoch von Fulgentius abgefangen wird. Im entscheidenden Augenblick vertauscht er die beiden Briefe, öffnet den falschen – und stirbt als Opfer seiner eigenen Mordpläne. Rosamunde und Alfons heiraten und werden die rechtmäßigen Herrscher Zyperns.

Soviel zu der theatralischen Kuriosität, die am 20. Dezember 1823 als «großes romantisches Schauspiel mit Musik» dem Wiener Theaterpublikum vorgestellt wurde. Kläglich gescheitert sie wurde bereits nach der zweiten Vorstellung endgültig abgesetzt. Die Kritiker waren einstimmig in ihrem Hohn über das Theaterstück, äußerten sich jedoch beeindruckt von Schuberts Bühnenmusik, die auf Wunsch des Publikums in Ausschnitten sofort wiederholt werden mußte. Bald wurden Auszüge daraus in Umlauf gebracht: Die Romanze, der Jägerchor, der Geisterchor und der Hirtenchor erschienen mit einer Klavierbegleitung aus Schuberts Feder bei Sauer & Leidesdorf als op. 26 in 1824, der Geisterchor mit der ursprünglichen Bläserbegleitung beim gleichen Verlag in 1828. Die berühmte dritte Zwischenaktmusik wurde vom Komponisten als langsamer Satz des Streichquartett a-Moll op. 29 Nr. 1 (D. 804, 1824 veröffentlicht) sowie als das dritte der Vier Impromptus op. 142 für Klavier (D. 935, erst 1838 veröffentlicht) umgestaltet. Die ursprünglichen Orchesterstimmen der Bühnenfassung blieben hübsch zusammengeschnürt unter Schuberts hinterlassenen Papieren erhalten, wo sie im Jahre 1867 George Grove (der Gründer von Grove’s Dictionary of Music) und Arthur Sullivan (vom berühmten Zweigespann Gilbert & Sullivan) im Büro von Schuberts Neffen Eduard Schneider entdeckten. Bis dahin waren die ersten und dritten Zwischenaktmusiken sowie die ersten und zweiten Ballettmusiken 1866/67 beim Wiener Verlag Spina bereits als Partitur in Druck erschienen. Seitdem genießt die orchestrale Bühnenmusik zu Rosamunde in verschiedenen Zusammenstellungen im Konzertsaal ein hohes Ansehen und gilt vielerorts als das natürliche Bindeglied zwischen der «Unvollendeten» Symphonie aus dem Jahr 1822 und der «Großen» C-Dur-Symphonie von 1828.

Von den Instrumentalsätzen der Rosamunde-Musik verdienen zwei eine nähere quellengeschichtliche Betrachtung. Die erste Zwischenaktmusik (in h-Moll) unterscheidet sich insofern von der restlichen Partitur, als sie eine größere Orchesterbesetzung vorschreibt und eine anspruchsvollere und aufwendigere Sonatenhauptsatzform einsetzt. Aus diesem Grunde ist öfter spekuliert worden -, zunächst von Sir George Grove selbst -, daß der Satz möglicherweise als verlorenes Finale der «Unvollendeten» habe dienen sollen, mit der er nicht nur die Haupttonart, sondern auch die gleiche Orchesterbesetzung gemeinsam hat. In der Tat wird die erste Zwischenaktmusik gelegentlich in Konzertaufführungen zur Vervollständigung dieses ansonsten meisterhaften Torsos zu Gehör gebracht. Die Meinungen über die Richtigkeit dieser Vorgehensweise gehen zwar weit auseinander, auch gibt es im Quellenmaterial keinen Anhaltspunkt für eine solche Verbindung. Dennoch bleibt diese Spekulation hartnäckig weiter bestehen, zumal die Rosemunde-Musik unter großem Termindruck in kürzester Zeit (laut von Chézys Sohn in fünf Tagen) mit vielen Selbstzitaten und - übernahmen zusammengestellt wurde und Schubert sehr wohl hätte versucht sein können, auf einen früheren symphonischen Entwurf zurückzugreifen.

Beim zweiten problematischen Satz handelt es sich um die Ouvertüre, die in der ursprünglichen Bühnenmusik zu Rosamunde eigentlich fehlt. Für die Uraufführung bediente sich Schubert der Ouvertüre zur Oper Alfonso und Estrella, bei der nichts darauf hindeutete, dass eine Aufführung in Sicht sei (sie wurde erst 1854 von Franz Liszt uraufgeführt). Trotzdem war Schubert mit dem Ergebnis immer noch nicht zufrieden, denn für seine Begriffe wirkte die Ouvertüre im neuen Zusammenhang zu lärmend. Da Rosamunde nie wieder im Theater aufgeführt wurde, bleibt es ungewiß, wie Schubert die Alfonso-Ouvertüre schließlich ersetzen wollte. Im Jahre 1827 wurde jedoch die Ouvertüre zu einer weiteren erfolglosen Oper Schuberts – Die Zauberharfe (1823) – in einer Bearbeitung für Klavier zu vier Händen als «Ouvertüre zum Drama Rosamunde» von Leidesdorf veröffentlicht. Da Schubert mit diesem Wiener Verleger eng zusammenarbeitete, gibt es kaum Grund, daran zu zweifeln, daß der Titel vom Komponisten selber herrührt. Auch wurde der gleiche Titel eingesetzt, als die Ouvertüre 1854 als Stimmensatz und 1867 als Partitur beim Wiener Verlag Spina erschien. Die Situation wurde 1891 noch weiter durch die Veröffentlichung der «Alten Gesamtausgabe» verkompliziert, in der der Herausgeber der Rosamunde-Musik Johann Nepomuk Fuchs – trotz der offensichtlichen Mißbilligung des Komponisten – die Alfonso-Ouvertüre wieder an ihren alten Platz erhob. Angesichts der Quellenlage und der äußerst kurzen Aufführungsgeschichte der Rosamunde-Musik bleibt eine Antwort auf die Frage nach der richtigen Ouvertüre immer noch aus – ein Problem, zu dem wir durch den Abdruck der Ouvertüre zur Zauberharfe in der vorliegenden Studienausgabe indirekt Stellung nehmen.

Bradford Robinson, 2006

Aufführungsmaterial ist von Breitkopf und Härtel, Wiesbaden zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.

Franz Schubert
(b. Vienna, 31 January 1797 - d. Vienna, 19 November 1828)

Incidental music to Rosamunde, Fürstin von Cypern, D. 797 (1823)
Grand romantic play with music on a libretto by Wilhelmine von Chézy (1786-1856)

Overture to Die Zauberharfe

Preface
In 1823 Schubert, intent on arranging a performance of his newly completed opera Alfonso und Estrella, had a portentous conversation with Carl Maria von Weber, who had taken an interest in his younger colleague and voiced the possibility of staging the work in Berlin. How did he like Euryanthe, Weber asked. Well enough, Schubert replied, but not as much as Freischütz, and besides it has too little melody. After this unfortunate faux pas Weber’s goodwill noticeably cooled: Euryanthe had been his crown of thorns, condemned to failure on the stage because of an extraordinarily silly libretto by the early blue-stocking and amateur belletrist Wilhelmine von Chézy. Plans for the Alfonso production were summarily scrapped. But Weber, indirectly, had his revenge: the same authoress would soon supply the stage play for Schubert’s Rosamunde, condemning a splendid score to failure and decades of oblivion.

Von Chézy’s original text for Rosamunde, Fürstin von Cypern («Rosamunde, Princess of Cyprus»), long considered lost, recently resurfaced in a solitary copy in Stuttgart and was issued for the first time in print in 1996, thereby allowing us a full glimpse into a play that Schubert had pronounced «fully convincing from the moment he read it.» At the beginning of the action the eponymous Rosamunde is a two-year-old child, the daughter of the ruler of Cyprus. Shortly before her father dies he places her in the care of a poor boatman’s widow named Axa to remove her from the pernicious atmosphere of court society. He also elevates a certain Fulgentius to the status of regent, but with the proviso that Rosamunde shall become the lawful ruler of Cyprus upon reaching her eighteenth birthday and marrying Prince Alfons of Candia. The two young people - how could it be otherwise? - have already met and fallen in love without knowing each other’s true identity. Rosamunde reaches her eighteenth birthday, and Axa duly presents her to the people of Cyprus as their legitimate ruler. Now Fulgentius, hoping to retain his hold on power, proposes marriage to Rosamunde, who spurns him. He tries to have her abducted, but the plan miscarries and she is thrown into prison instead, from which she is freed by the Cypriot people. Disgusted at the ways of the world, she returns to her foster-mother to live in seclusion. Fulgentius concocts a poisonous ink with which he writes her a letter, expecting her to fall dead upon opening the envelope. As his courier he selects none other than Prince Alfons, who has meanwhile become Fulgentius’s confidant under the assumed name of Manfredi. Alfons warns Rosamunde of the attempt on her life, and she leaves the letter unopened. When Fulgentius finds her still alive, Alfons pretends that she has opened the letter and gone insane, which accounts for the fact that she has now become a shepherdess. Fulgentius organizes a bucolic feast in her honor, hoping to ensnare her once again. Rosamunde dashes off a letter for help, which is intercepted by Fulgentius. At the decisive moment, however, he confuses it with his own poisoned letter, opens the wrong one, and dies the victim of his own foul play. Rosamunde and Alfons marry and become the lawful rulers of Cyprus.

This theatrical curiosity was presented to Viennese audiences as a «grand romantic play with music» at the Theater an der Wien on 20 December 1823. It failed utterly, and was withdrawn after the second performance. The critics were unanimous in their contempt for the play, but equally struck by the power of Schubert’s incidental music, parts of which had to be encored on the spot. Selected items were soon being circulated in print: the Romance, Huntsmen’s Chorus, Chorus of Spirits, and Shepherds’ Chorus were published with Schubert’s own piano accompaniment as op. 26 by Sauer & Leidesdorf in 1824, and the same publisher issued the Chorus of Spirits with its original wind-band accompaniment in 1828. The now famous music to the third entr’acte was reworked by Schubert to become the slow movement of the A-minor String Quartet, op. 29, no. 1 (D. 804, published in 1824), and again to form the third of the Four Impromptus for piano, op. 142 (D. 935, publication delayed to 1838). The original orchestral parts for the incidental music remained neatly bound in string among the composer’s posthumous papers and remained undisturbed until 1867, when George Grove (the author of the original Grove’s Dictionary of Music) and Arthur Sullivan (of Gilbert & Sullivan fame) unwrapped them in the office of Schubert’s nephew, Eduard Schneider. By then the first and third entr’actes, and the first and second ballets, had been published in full score by Spina of Vienna (1886-7). Since that time the instrumental music to Rosamunde, in various selections and excerpts, has rightly become famous in concert performance and is commonly regarded as the missing orchestral link between the «Unfinished» Symphony of 1822 and the «Great» C-major Symphony of 1828.

Two of the instrumental movements merit closer discussion. The first entr’acte, in B minor, stands out from the rest of the score by calling for a larger orchestra and employing a more elaborate and demanding sonata-allegro form. This has given rise to the speculation, first bruited by Sir George Grove himself, that it may originally have been intended as the lost final movement of the «Unfinished» Symphony, with which it shares not only the tonic key but the same orchestral forces. Indeed, it has sometimes been used in performance to complete that otherwise truncated masterpiece. Opinions vary widely on the advisability of doing so, and there is nothing in the surviving source material to prove such a connection. But the speculation remains, especially since the music to Rosamunde was hurriedly put together (in five days, according to Wilhelmine von Chézy’s son) with many self-borrowings, and Schubert may well have turned to an earlier symphonic draft for use in Chézy’s play.

The second problem is the matter of an overture. The Rosamunde music does not itself contain an overture, and for the première Schubert availed himself of the overture to Alfonso und Estrella, which showed no signs of ever reaching the stage (its première only took place in 1854, conducted by Liszt). Yet he was dissatisfied with the result, finding it too «noisy» for its new context. As no further performances of Rosamunde were forthcoming, it is uncertain how he would have replaced the Alfonso overture. However, in 1827 the overture to another unsuccessful Schubert opera, Die Zauberharfe, was published by Leidesdorf as the «Ouvertüre zum Drama Rosamunde» in an arrangement for piano duet. As Schubert worked very closely with the publisher Leidesdorf at that time, there is no reason to believe that this new title did not stem from the composer himself. The same title was used when the work was published in parts (by Spina in 1854) and in full score (Spina, 1867). Matters were further complicated in 1891 by the appearance of the «Old Complete Edition,» for which the editor of the Rosamunde volume, Johann Nepomuk Fuchs, restored the Alfonso overture despite Schubert’s misgivings. Given the state of the sources and the work’s very brief performance history, there is no answer to the question of which overture is correct, a problem to which we have indirectly responded by including the Overture to Die Zauberharfe in our study score.

Bradford Robinson, 2006

For performance material please contact the publisher Beitkopf und Härtel, Wiesbaden. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, Munich.