Ernst Krenek
(geb. Wien, 23. August 1900; gest. Palm Springs, 2. Dezember 1991)

Zweites Klavierkonzert op. 81 (1937)

Vorwort
Während seiner langen, abwechslungsreichen und außerordentlich produktiven Karriere durchlief Ernst Krenek viele Kompositionsstile und ästhetische Haltungen - vom ungezügelten atonalen Expressionismus seiner Jugend bis zum energischen Eintritt der Aleatorik in der Spätzeit, wobei er sich nicht einmal davon abhalten ließ, sich an Tin Pan Alley-Songs zu versuchen. Mit ungewöhnlicher Leichtigkeit begabt, schuf er ein musikalisches Oeuvre, das allein dem Umfang nach keinen Vergleich mit den fruchtbarsten Komponisten des 20. Jahrhunderts – wie etwa Darius Milhaud oder Bohuslav Martinu – zu scheuen braucht, diese jedoch an Vielfalt und Vielfalt weit übertrifft. Seine Schriften über Musik und Literatur, aber auch über Psychologie und Soziologie, zeigen ihn als einen der scharfsinnigsten musikalischen Köpfe des 20. Jahrhunderts und führten zu literarischen Freundschaften mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Rilke, Adorno oder Thomas Mann. Schon vor dem Hochschulabschluß sicherten ihm seine I. und II. Symphonie (1921-22) sowie das I. Streichquartett (1921) schnell einen Platz an vorderster Front unter den deutschen Nachkriegskomponisten. Ausgestattet mit einem Exklusivvertrag mit der Wiener Universal Edition kehrte er umgehend dem akademischen Studium den Rücken und schlug die Laufbahn eines freischaffenden Komponisten ein, wobei er bald neben Hindemith und - etwas später - Kurt Weill zu den drei führenden deutschen Komponisten seiner Generation gehörte.

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Das entscheidende Ereignis, wenn auch nicht der künstlerische Höhepunkt dieser frühen Periode war der unglaubliche Erfolg der Oper Jonny spielt auf (1926), die nach der Leipziger Uraufführung im Jahre 1927 zu einem internationalen «Kassenschlager» wurde. Durch den weltweiten Siegeszug von Jonny wurde Krenek nicht nur zu einem skandalumwitterten Prominenten der Komponistenzunft, sondern auch zu einem wohlhabenden Mann, der nunmehr vollkommene finanzielle und künstlerische Freiheit genoß. Jedoch gibt es Anzeichen dafür, daß dieser neugegründete Ruhm den Komponisten selber überraschte. Die darauffolgenden Werke schwankten zwischen Puccini-ähnlichem Verismo (Der Diktator, 1928), Schubertscher Neuromantik (Reisebuch aus den österreichischen Alpen, 1929) und modischer Zeitoper (Schwergewicht, 1928). Letztendlich entschloß sich Krenek 1928/29, nach seiner Heimatstadt Wien zurückzukehren, wo er sich jedoch bald von der Musikwelt entweder als musikalischer Opportunist oder als haarsträubend radikaler «Neutönler» völlig isoliert sah. Besonders schmerzhaft war ihm die Ablehnung des Schönberg-Kreises, der nicht das geringste Interesse an seiner Person oder seiner Musik zeigte. Im Bewußtsein der hehren künstlerischen Ideale dieser Gruppe – und wohl auch durch geistige Herausforderung getrieben – eignete er sich das Zwölftonsystem eigenhändig an, indem er es im Grunde genommen anhand der wenigen gedruckten Partituren Schönbergs und seiner Anhänger neu erfand. Seine unabhängige Auffassung der Dodekaphonie wurde in der grandios konzipierten Geschichtsoper Karl V. (1933) eindrucksvoll unter Beweis gestellt und katapultierte ihn erneut in die vordersten Reihen der Avantgarde. Diese Leistung ist inzwischen von Musikhistorikern vollends anerkannt; hier beispielsweise Herbert Eimert in Lehrbuch der Zwölftontechnik (1977): «Erst Ernst Krenek hat die Zwölftontheorie entscheidend weitergebracht [in Studies in Counterpoint, 1940]. Er hat zum erstenmal die grundlegenden Regeln für die Bildung einer Reihe (die hier noch erweitert werden) theoretisch formuliert. Auch die Interpolationstechnik geht auf Krenek zurück. Ferner hat Krenek, allerdings nur anhangsweise und ohne theoretischen Kommentar, zwei Allintervallreihen mitgeteilt.» Genauso wichtig war Kreneks systematischer Einsatz von Permutationsverfahren in der Behandlung der Reihe. Später soll Krenek seine theoretische Beherrschung der Zwölftonmethode in Richtung Serialismus und Aleatorik erheblich erweitern. Vorerst jedoch faßte er die Erfahrungen aus seiner ersten dodekaphonischen Phase in den Zwölf Variationen op. 79 für Klavier (1937) zusammen.

Das Zweite Klavierkonzert op. 81 entspringt dieser frühen Phase in Kreneks Erkundungen der Dodekaphonie. Komponiert wurde das aus vier ineinander übergehenden Sätzen bestehende Werk zwischen dem 25. Mai und dem 22. August 1937, und daher gleich nach den vorhin erwähnten Zwölf Variationen. Entgegen der üblichen Praxis entstand das Thema des Kopfsatzes noch vor der Festlegung der Reihe: «In diesem Fall konzipierte ich das Thema des einleitenden Satzes zuerst und leitete meine Zwölftonreihe anschließend davon ab. In Anbetracht des Zweckes, den das Stück erfüllen sollte, entschloß ich mich, nicht ganz so ‘kompromißlos’ zu sein, bemühte mich aber doch um eine recht kunstvolle Bearbeitung des Materials.» Dadurch erklärt sich wenigstens teilweise der auffallend tonale Charakter der kompositorischen Faktur, die mit Dur-, Moll- und übermäßiger Dreiklängsmotivik, Terzschichtungen und Umdeutungsakkorde nur so strotzt. Auch bemerkenswert ist der Einsatz von Permutationsverfahren, und der Orchestersatz erreicht zuweilen eine fast kammermusikalische Zartheit.

Das Zweite Klavierkonzert erlebte am 17. März im Amsterdamer Concertgebouw mit Krenek als Solist seine Uraufführung. Der Dirigent des Concertgebouw-Orchesters war Bruno Walter, der – obwohl Jonny spielt auf oder Kreneks späteren avantgardistischen Experimenten keineswegs freundlich gesonnen – wenigstens zu diesem Zeitpunkt ein glühender Verfechter der Kunst Kreneks war (von der Orchestersuite Triumph der Emfindsamkeit, die er 1932 mit den New Yorker Philharmonikern dirigierte, behauptete Walter, sie «gehört zu den bestmöglichen aller musikalischen Novitäten»). Am 4. November 1938 führte Krenek das Klavierkonzert erneut auf, und zwar diesmal mit dem Boston Symphony Orchestra. Bei diesem Anlaß wurde eine irritierte Dame im Publikum bei der Bemerkung ertappt: «Die Umstände in Europa müssen furchtbar sein.» Das waren sie auch: Krenek nützte den Anlaß klugerweise, um sein lebenslanges amerikanisches Exil anzutreten.

Bradford Robinson, 2006

For performance material please contact the publisher Universal Edition, Wien. Reprint of a copy from the Universal Edition, Wien.

Ernst Krenek
(b. Vienna, August 23, 1900; d. Palm Springs, December 22, 1991)

Second Piano Concerto op. 81 (1937)

Preface
In his long, diverse, and extraordinarily productive career, Ernst Krenek passed through many compositional styles and aesthetics, from the unbridled atonal Expressionism of his youth to an energetic espousal of indeterminacy in his old age, and was not even averse to trying his hand at Tin Pan Alley songs. Gifted with unusual facility, he turned out a body of music that in sheer bulk brooks comparison with the most prolific composers of the century - Darius Milhaud, say, or Bohuslav Martinu - while surpassing them in the variety and versatility of his technique. His essays on music, literature, even psychology and sociology place him among the most incisive musical minds of the twentieth century and brought him literary friendships with figures as diverse as Rilke, Adorno, and Thomas Mann. His early First and Second Symphonies (1921-2) and First String Quartet (1921) quickly placed the young man at the forefront of post-war German composers before he had even completed his music degree. He immediately abandoned his studies and, armed with an exclusive publishing contract from Universal-Edition in Vienna, advanced upon a career as a freelance composer, where he stood alongside Hindemith and, later, Kurt Weill, as one of the three most gifted German composers of his generation.

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The decisive event of Krenek’s early career, though not its artistic high point, was the phenomenally successful opera Jonny spielt auf (1926), which became what can only be described as a «box-office smash» after its Leipzig première in 1927. The international triumph of Jonny made Krenek not only a celebrity and cause de scandale, but a wealthy man who now enjoyed complete financial and artistic freedom. There is some indication, however, that his new-found success caught him by surprise. The works that followed veered widely between Pucciniesque verismo (Der Diktator, 1928), Schubertian neo-romanticism (Reisebuch aus den österreichischen Alpen, 1929), and fashionably modern Zeitoper (Schwergewicht, 1928). In the end Krenek decided in 1928-9 to return to his native Vienna. There he found himself fully isolated from the musical community, which regarded him either as a musical opportunist or a hair-raisingly avant-garde radical. He was particularly stung by the rejection of the Schoenberg circle, which took no interest in him or his music. Realizing the loftiness of their ideals and the perhaps spurred by a spirit of intellectual challenge, he mastered the twelve-tone technique entirely on his own, basically re-inventing it from the few published scores of Schoenberg and his disciples. Krenek’s independent approach to dodecaphonicism, impressively demonstrated in his great opera Karl V. (1933), projected him once again to the forefront of the musical avant-garde. His achievement has been fully recognized by later historians: «It was not until Ernst Krenek that decisive progress was made in dodecaphonic theory,» claimed Herbert Eimert in reference to Krenek’s path-breaking Studies in Counterpoint (1940). «He was the first to lay down the basic rules for the formation of a series, expanding them in the process. The technique of interpolation also derives from Krenek. He also provided two examples of an all-interval series, albeit in an appendix and without theoretical commentary» (Lehrbuch der Zwölftontechnik, 1977). Equally significant was his systematic use of permutation in the treatment of the twelve-tone row. Later Krenek would expand his theoretical command of the twelve-tone method in the direction of total serialism and indeterminacy. For the moment, however, he «summarized the experience of my first docedaphonic phase» in the Twelve Variations for piano, op. 79 (1937).

The Second Piano Concerto is a child of this early phase in Krenek’s exploration of dedocaphony. It was composed between 25 May and 22 August 1937, immediately after the aforementioned Twelve Variations, and is laid out in four elided movements. Unusually, the main theme of the first movement preceded the formulation of the tone-row: «I conceived the theme of the introductory movement first and derived by twelve-tone series from it later. In view of the purpose the piece was meant to fulfill, I decided not to be quite so ‘uncompromising,’ but was nevertheless intent on developing the material in a highly artful manner.» This may partly explain the strikingly tonal character of the compositional fabric, which abounds in major, minor, and augmented triads, tertial harmonic structures, and pivot chords. Krenek’s use of permutation is also strongly in evidence, and the orchestral texture has an almost chamber-like delicacy.

The Second Piano Concerto was premièred in Amsterdam by the Concertgebouw Orchestra on 17 March 1938, with Krenek himself at the piano. The conductor was Bruno Walter, who, though no friend of Jonny spielt auf or Krenek’s later avant-garde excursions, ardently championed the composer at this time, (Conducting Der Triumph der Emfindsamkeit with the New York Philharmonic in 1932, Walter claimed that «it belongs to the best novelties possible»). On 4 November 1938 Krenek performed the piece again, this time with the Boston Symphony Orchestra. On this occasion a disgruntled lady of the audience was heard to murmur, "Conditions in Europe must be dreadful." Indeed they were, and Krenek wisely took the opportunity to enter his lifelong American exile.

Bradford Robinson, 2006

For performance material please contact the publisher Universal Edition, Vienna. Reprint of a copy from the Universal Edition, Vienna.