Johan Severin Svendsen
(geb. Christiania [Oslo], 30. September 1840 - gest. Kopenhagen, 14. Juni 1911)

Zorahayda op. 11, Legende für Orchester (1874-9)

Variationen über eine norwegische Volksweise
op. 31 für Streichorchester (1874)

Vorwort
Im Jahre 1874 befand sich Johan Severin Svendsen inmitten von Geldsorgen, einem Mangel an Auftritten und der Abwesenheit seines Freundes und Gesinnungsgenossen Edvard Grieg in einer tiefen Depression. «Zur Zeit führe ich kein angenehmes Leben», klagte er Grieg am 15 April 1875; «von Schulden und damit verbundenen Unannehmlichkeiten geplagt bin ich selten zufrieden, und als Ergebnis bin ich selten in der richtigen Stimmung zu komponieren.» Und dennoch hat er komponiert, zwei Orchesterwerke, die zu den größten Errungenschaften seines Künstlerlebens zählen sollten: Zorahayda op. 11 und Variationen über eine Norwegische Volksweise op. 31. Seinem Charakter gemäss hielt er von beiden Werken nicht sonderlich viel: Am 11. November 1874 – wiederum an seinen Freund Grieg – tat er Zorahayda als «Mißerfolg» ab. Dieses Urteil wurde von Zuhörern, Kritikern und Komponistenkollegen nicht geteilt: Bis Ende des Jahrhunderts zählte gerade Zorahayda zu den beliebtesten Werken Svendsens und wurde in den europäischen Metropolen von Moskau bis Madrid aufgeführt.

Die «Legende» Zorahayda beruht auf einer exotischen Erzählung des amerikanischen Dichters Washington Irving aus seiner damals international beliebten Sammlung Tales of the Alhambra (1838). Sie handelt von einer jungen Moslime, die sich während der spanischen Reconquista in einen christlichen Krieger verliebt. Sie verspricht den christlichen Glauben anzunehmen, zögert jedoch im entscheidenden Augenblick und wird zur Strafe mit einem Zauberbann belegt, der nur dadurch gelöst werden kann, daß sie von einem wahren Christen getauft wird. Jahrhunderte müssen vergehen, bis dieser «wahre Christ» in der Gestalt eines arglosen gleichaltrigen Mädchens erscheint, dem sie ihre Lebensgeschichte anvertraut. Die Taufe wird symbolisch vollzogen, die Seele Zorahaydas findet endlich ihre Ruhe.

Diese schlichte, jedoch stimmungsvolle Erzählung, die gleichzeitig der Legende des Ewigen Juden, des Fliegenden Holländers und anderer beliebter Erlösungsgeschichten des 19. Jahrhunderts ähnelt, war auch für Svendsen von tieferer Bedeutung. In Paris hatte sich der er in eine amerikanische Erbin jüdischen Glaubens verliebt, die er 1871 in New York heiratete. Kurz darauf bekannte sich die junge Ehefrau – Sara Levett – zum Christentum und nahm den Taufnamen Bergljot Svendsen an, wobei ihr keine Geringeren als Richard und Cosima Wagner ihre Taufpaten waren.

Die neue Tondichtung wurde am 3. Oktober 1874 am Gymnasium der Festung Akershus in Oslo unter der Leitung des Komponisten brillant uraufgeführt. Obwohl unmittelbar erfolgreich, arbeitete der immer noch unzufriedene Svendsen 1879 in Paris das Werk für die Veröffentlichung um. Sein ursprüngliches Urteil – seinen Briefen an Grieg nach zu schätzen – blieb jedoch unverändert: «Trotz der Tatsache, daß ich mit diesem Opus überhaupt nicht einverstanden bin, habe ich es an Warmuth verkauft. Was für einen Feigling der Geldmangel aus einem machen kann!» (15. Februar 1879). Beim besagten «Warmuth» handelte es sich um den Osloer Musikverleger Carl Warmuth, der die Orchesterlegende im gleichen Jahr mit einer Widmung an den schwedisch-norwegischen König Oskar II. als Partitur veröffentlichte. Diese zweite Fassung erlebte am 11. Mai 1880 in Oslo ihre Uraufführung und trat sogleich – vor allem nach der glänzenden Kopenhagener Aufführung von 1880 – ihren Triumphmarsch durch die Konzertsäle Europas an (u.a. Karlsbad, Stockholm, Madrid, Wien, Leipzig, Amsterdam, Paris und Brüssel). Besonders überrascht zeigte sich der Komponist über die wohlwollende Zustimmung seines Freundes Grieg: «Es freut mich, daß Du an Zorahayda Vergnügen finden kannst, da es trotz allem – wie ich jetzt eingestehen muß – auch mir sehr teuer geworden ist.» (22. Juni 1882). Kein Wunder: Das Werk brachte dem Komponisten bald weltweiten Ruhm ein. Bei der Pariser Aufführung von 1900 wurde es vom damaligen Kritikerpapst, dem Komponisten Alfred Bruneau, überschwenglich gelobt, während ein anderer Kritiker berichten konnte: «Der größte Erfolg wurde durch die Zorahayda Svendsens erzielt, die wahre Beifallssalven sowohl vom Publikum als auch vom Orchester erntete.» Als der bereits betagte Svendsen das Werk 1907 erneut in Kopenhagen dirigierte, erhielt er ein Telegramm aus dem fernen Rußland von Rimsky-Korsakow: «Herzlichste Glückwünsche dem Schöpfer der Zorahayda und vieler anderer Meisterwerke.»

Zu diesem Zeotpunkt aber hatte Svendsen bereits seit einem guten Vierteljahrhundert nichts mehr komponiert. Die Ehe mit Sara Levett zeigte sich nämlich alles andere als glücklich; und als die erzürnte und leidgeprüfte Ehefrau das Manuskript der neukomponierten Dritten Symphonie in einem Anfall von Eifersucht verbrannte – ein Vorfall, dem Ibsen als Höhepunkt des Dramas Hedda Gabler ein Denkmal setzte –, war die Wirkung auf Svendsen vernichtend. Das Komponieren gab er danach zugunsten einer internationalen Karriere als einer der grössten Dirigenten seiner Zeit auf, und die Ehe mit «Bergljot-Zorahayda» endete bald in einer bitter umkämpften und teuer erkauften Scheidung.

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Bei der Uraufführung von Zorahayda stand ein weiteres neues Werk Svendsens auf dem Programm: die im gleichen Jahr entstandenen Variationen über eine norwegische Volksweise op. 31 (1874). Dem neuen Werk wurde ein erstaunlicher Erfolg beschieden: Bei einerm Sonderkonzert am Königshofe (2. Februar 1877) war Oskar II. derart begeistert, daß er dem Svendsen als erstem Musiker die Goldmedaille des Heiligen Olaf verlieh – eine Ehre, die auch Ibsen bereits zuteil wurde. Kurz darauf, am 18. November 1877, wurden die Variationen von Walter Damrosch in der New Yorker Steinway-Hall mit ebenso denkwürdigen Erfolg aufgeführt: Der Kritiker der Tageszeitung New York Herald bescheinigte dem Stück «eine ureigene musikalische Poesie, eine Welt der Nuancen, eine vollkommene Ausgewogenheit». Darauf folgten weitere Aufführungen u.a. in Paris (1878), St. Petersburg (1885), Helsinki (1886), Wien (1892) und Amsterdam (1898). Bereits 1877 erschien das neue Werk beim Leipziger Verlag E. W. Fritzsch in Druck mit einer Widmung «an Frau Bergljot Svendsen geb. Levett». Bei der zugrunde liegenden melodischen Vorlage handelt es sich um das eindringliche Volkslied Ifjol gjaett’e gjeitinn («Letztes Jahr hütete ich die Ziegen) – eine Ballade über die verschmähte Liebe, die ausgiebig Gelegenheit zur Entfaltung jener fließenden Chromatik bietet, die Svendsens Musiksprache kennzeichnet.

Die Erstausgabe von Zorahayda (1879) enthielt nicht nur sechs Zwischentitel, die die Musik mit der Geschichte der Titelheldin verbinden, sondern auch eine Zusammenfassung in französischer Sprache, die hier in deutscher Übersetzung abgedruckt sei:

In einer sternklaren Sommernacht sitzt Jacinta neben einem Alabasterbrunnen in einem Innenhof der Alhambra. Sie weint: Die Tränen fließen ihr über die Wangen auf die Brust herab. Einige fallen in das Becken zu ihren Füßen.
Nach und nach gerät das kristallklare Wasser in Bewegung. Aus dem Dunst um den Alabaster-brunnen steigt eine blasse, traumartige Figur empor in der Gestalt einer schönen jungen Frau. In ihren Händen hält sie eine silberne Laute, ihre Kleider sind mit kostbaren Juwelen besetzt.

«Warum so traurig, Jacinta?» fragt eine milde, melodische Stimme.

«Warum trübst du meinen Teich mit deinen Tränen? Warum störst du meine unruhigen, schlaflosen Nächte?»

«Ich beweine den Geliebten, der mich verließ!»

«Dein Kummer findet bald ein Ende... So wisse: Ich bin die unglückliche Zorahayda, genau wie du unglücklich in der Liebe. Ein christlicher Ritter aus deiner Familie eroberte mein Herz. Ich versprach, ihm in die Heimat zu folgen und seinen Glauben anzunehmen. Ich verlor jedoch den Mut, zögerte zu lange und muß in diesem Palast als Gefangene bleiben. Die bösen Mächte erhielten daher Gewalt über mich, bis ein wahrer Christenmensch den Zauber löst und den Bann, der mich hier gefangenhält, bricht. Du kannst mich befreien! ... Willst du es tun?»

«Ja, das will ich!» erwidert Jacinta.

«Tritt näher, habe keine Angst! Tauche deine Hand in das Brunnenwasser ein, gieß es über mich und taufe mich wie in deinem Glauben üblich. Dann wird meine Seele in die ewige Ruhe zurückkehren.»

Jacinta trat näher, füllte ihre leere Hand mit Wasser und goß es über die blasse Figur, deren Gesicht alsbald mit einem unbeschreiblich schönen Lächeln strahlte. Die silberne Laute entglitt ihrer Hand und kam neben den Füßen Jacintas zur Ruhe. Die schwindende Figur kreuzte die Arme in Gestalt eines Kruzifixes über der Brust und verschwand mit einem Blick von unaussprechlicher Zärtlichkeit in einer Dunstwolke...

Jacinta war es, als ob sie geträumt hätte, doch als sie die silberne Laute zu ihren Füßen erblickte, schwanden all ihre Zweifel dahin, und sie freute sich über den Gedanken, daß die Prophezeiung Zorahaydas bald in Erfüllung gehen würde.

Bradford Robinson, 2006

Aufführungsmaterial ist von Hansen, Kopenhagen zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.

Johan Severin Svendsen
(b. Christiania [Oslo], 30 September 1840; d. Copenhagen, 14 June 1911)

Zorahayda
legend for full orchestra, op. 11 (1874-9)

Variations on a Norwegian Folk Tune
for string orchestra, op. 31 (1874)

Preface
In 1874 Johan Severin Svendsen, weighed down by financial cares, a lack of concert engagements, and the absence of his good friend Edvard Grieg, found himself in a state of abject despondence. «It is not a pleasant life that I am living,» he wrote to Grieg on 15 April 1875. «Plagued by debt and other related miseries, I am seldom content, and as a result I am seldom in a mood to compose.» Yet compose he did, and two of the orchestral pieces he wrote during these years of adversity, Zorahayda (op. 11) and the Variations on a Norwegian Folk Tune (op. 31), were to figure among his greatest creations. Typically, he held both of them in low esteem. On 11 November 1874, again writing to Grieg, he dismissed Zorahayda as «a failure.» Critics, audiences, and fellow composers thought differently, and by the end of the century it had become the most popular of Svendsen’s works and was being performed in European capitals from Moscow to Madrid.

Zorahayda is based on a Moorish tale recounted by the American writer Washington Irving in his internationally popular Tales of the Alhambra (1838). Basically, it involves a young Moslem woman who falls in love with a Christian soldier during the Reconquista of Spain. She promises to adopt his faith, but hesitates at the crucial moment and is placed under a magic spell until a true Christian can break the spell by baptizing her. This true Christian proves to be an artless young girl of her own age to whom, centuries later, she confides her story. The baptism takes place, and Zorahayda’s soul is finally laid to rest.

This simple yet evocative tale bears clear resemblances to the tale of the Wandering Jew, the Flying Dutchman, and many other nineteenth-century stories of redemption through innocence. It was also of immediate import to Svendsen himself, who had fallen in love in Paris with an American Jewish heiress, Sara Levett, and married her in New York in 1871. A short while later his new wife converted to Christianity and assumed the baptismal name of Bergljot Svendsen. None other than Richard and Cosima Wagner served as godparents at the ceremony.

The new tone-poem received its première in the Latin School of Akershus Fortress, Oslo, on 3 October 1874. Svendsen himself conducted with his usual brilliance, and the work was an immediate success. Still, the composer was dissatisfied and produced a second version in Paris in 1879, this time with an eye toward its publication. His opinion of it, at least as voiced in his letters to Grieg, remained unchanged: «Despite the fact that I am not at all pleased with this opus, I have sold it to Warmuth. What a coward one becomes through lack of money» (15 February 1879). The «Warmuth» in question was Carl Warmuth of Oslo, who published the work in full score that year with a dedication to the King of Sweden and Norway, Oscar II. The new version was premièred in Oslo on 11 May 1880 and soon, especially after its hugely successful Copenhagen première (1880), began its triumphal march through the world’s concert halls: Karlsbad, Stockholm, Madrid, Vienna, Leipzig, Amsterdam, Paris, Brussels, and elsewhere. The composer himself seemed especially taken by surprise when his friend Grieg expressed approval: «I am glad that you find some pleasure in Zorahayda, which I can now see has nonetheless become very dear to me» (22 June 1882). As well it might: it made its composer famous worldwide. At the Paris performance in 1900 it was extravagantly lauded by the leading critic and composer Alfred Bruneau. Another newspaper proclaimed that «the biggest hit was made by Svendsen’s Zorahayda, which really brought forth ovations from both audiences and orchestra.» In 1907, when the aged Svendsen again conducted the piece in Copenhagen, he received a telegram from Rimsky-Korsakov in faraway Russia: «Heartiest congratulations to the creator of Zorahayda and many other masterworks.»

By that time Svendsen had given up composition for almost a quarter of a century, for reasons also indirectly connected with Zorahayda. His marriage with Sara Levett had not been happy, and in a jealous rage his irate and long-suffering wife had thrown the manuscript of Svendsen’s freshly composed Third Symphony into the fire - an event that was to inspire the climactic scene in Ibsen’s play Hedda Gabler. The effect on Svendsen was devastating: he never composed again, preferring an international career as one of the great conductors of his age, and the marriage to Bergljot-Zorahayda soon degenerated into a bitterly contested divorce.

***

The première of Zorahayda also featured another new work by Svendsen on the same program: the Variations on a Norwegian Folk Tune, op. 31, composed in the same year of 1874. The piece was astonishingly successful: at a command performance before Oscar II on 12 February 1877 the king was inspired to award the composer the Olaf II Medal in Gold, thereby making Svendsen was the first musician to receive this honor (another recipient was Ibsen). Shortly thereafter the Variations were conducted by Walter Damrosch in Steinway Hall in New York (18 November 1877). Again the success was extraordinary: the New York Herald proclaimed that the piece had a «musical poetry all its own, a world of nuances, a perfect balance.» Performances followed in Paris (1878), St. Petersburg (1885), Helsinki (1886), Vienna (1892), and Amsterdam (1898), and the work was published by E. W. Fritzsch in Leipzig as early as 1877, with a dedication to Bergljot Svendsen (née Levett). The folk tune in question is the haunting «Ifjol gjaett’e gjeitinn» (Last year I was tending the goats), a ballad of unrequited love that leaves ample scope for the flowing chromaticism typical of Svendsen’s style.

The original edition of Zorahayda (1879) contained not only six captions in the score, linking the music to the story of the heroine, but a summary in French of which he here append a translation:

One bright and clear summer night Jacinta is sitting beside the alabaster fountain in a courtyard in Alhambra. She is weeping. The tears stream down over her cheeks and her breast, and some of the tear-drops fall into the pool near her feet.

Little by little the crystal-clear water begins to stir. Out of the mist surrounding the alabaster fountain emerges a pale, dream-like figure in the form of a beautiful young woman. In her hands she holds a silver lute and her clothes sparkle with precious jewels.

«Why are you so sorrowful, Jacinta?» asks a melodic, mild voice. «Why do you cloud my pool with your tears? Why do your sobs disturb my restless, wakeful nights?»

«I weep for my beloved, who has left me!»

«Your sorrow will soon be ended .... Listen to me! I am the unhappy Zorahayda, like you unhappy in love. A Christian knight from your family won my heart. I promised to follow him to his homeland and to adopt his faith. But I lost my courage, I hesitated too long and was detained as a prisoner in this palace. Therefore the evil powers were given authority over me until a true Christian overcomes the magic power and breaks the spell that keeps me here. You can free me! ... Will you?

«Yes, I will!» Jacinta answered.

«Come closer, and be not afraid! Dip your hand in the water from the fountain, pour it over me and baptize me in the customary way in your own faith. My soul will then return to its eternal resting place.»

Jacinta went closer, filled her empty hand with water and poured it over the pale figure, whose face beamed in a smile of indescribable loveliness. The silver lute slipped from Zorahayda’s hands and came to rest beside Jacinta’s feet. The vanishing figure placed her white arms over her breast in the form of a cross, and with a look of inexpressible tenderness she disappeared in a cloud of mist ....

Jacinta thought she had been dreaming, but when she saw the silver lute beside her feet all doubt vanished and she rejoiced at the thought that Zorahayda’s prediction would soon be fulfilled.

Bradford Robinson, 2006

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

For performance material please contact the publisher Hansen, Copenhagen. Reprint of a copy from Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.