Ernst Krenek
(geb. Wien, 23. August 1900; gest. Palm Springs, 2. Dezember 1991)

Erstes Klavierkonzert op. 18 (1923)

Vorwort
Während seiner langen, abwechslungsreichen und außerordentlich produktiven Karriere durchlief Ernst Krenek viele Kompositionsstile und ästhetische Haltungen - vom ungezügelten atonalen Expressionismus seiner Jugend bis zum energischen Eintritt der Aleatorik in der Spätzeit, wobei er sich nicht einmal davon abhalten ließ, sich an Tin Pan Alley-Songs zu versuchen. Mit ungewöhnlicher Leichtigkeit begabt, schuf er ein musikalisches Oeuvre, das allein dem Umfang nach keinen Vergleich mit den fruchtbarsten Komponisten des 20. Jahrhunderts – wie etwa Darius Milhaud oder Bohuslav Martinu – zu scheuen braucht, diese jedoch an Vielfalt und Vielfalt weit übertrifft. Seine Schriften über Musik und Literatur, aber auch über Psychologie und Soziologie, zeigen ihn als einen der scharfsinnigsten musikalischen Köpfe des 20. Jahrhunderts und führten zu literarischen Freundschaften mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Rilke, Adorno oder Thomas Mann. Schon vor dem Hochschulabschluß sicherten ihm seine I. und II. Symphonie (1921-22) sowie das I. Streichquartett (1921) schnell einen Platz an vorderster Front unter den deutschen Nachkriegskomponisten. Ausgestattet mit einem Exklusivvertrag mit der Wiener Universal Edition kehrte er umgehend dem akademischen Studium den Rücken und schlug die Laufbahn eines freischaffenden Komponisten ein, wobei er bald neben Hindemith und - etwas später - Kurt Weill zu den drei führenden deutschen Komponisten seiner Generation gehörte.

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Das Erste Klavierkonzert entstand 1923 in einer Zeit äußerster Produktivität, in der Krenek «mit fast unanständiger Fruchtbarkeit» unter anderem zwei abendfüllende Opern (Der Sprung über den Schatten und Orpheus und Eurydike) sowie Chorsätze, Orchesterwerke, zwei Streichquartette und ein monumentales Klavierwerk zustande brachte. Anlaß zu dem Konzert war seine neue Freundschaft mit dem deutsch-baltischen Pianisten und Komponisten Eduard Erdmann (1896-1958), der bereits mit seinen Aufführungen der Klavierwerke Schönbergs und Bergs seinen künstlerischen Durchbruch erzielt hatte und damals den wohl größten Einfluß auf den jungen Krenek ausübte. Später resümierte der Komponist diese frühe Freundschaft:

«Ich kann wohl sagen, daß ich praktisch meine gesamte Musikphilosophie meinem Verkehr mit Erdmann verdanke, zumindest wurde das Fundament dafür in jenen drei Wintern in Berlin gelegt, als ich ihn jede Woche etwa ein- oder zweimal besuchte.»)

Obwohl Krenek das Klavierspiel auch ausnehmend gut beherrschte (er wurde sogar von seinem Freund Arthur Schnabel zu öffentlichen Auftritten ermutigt), erkannte er sofort nicht nur die Überlegenheit Erdmanns auf diesem Gebiet, sondern auch die einschneidende musikalisch-analytische Denkweise, die auch seine spätere Laufbahn als Musikintellektueller maßgebend prägen sollte. Da die Kunstauffassung und Klaviertechnik Erdmanns in das Erste Klavierkonzert direkt eingingen, seien Kreneks eigene Eindrücke:

«Sein Spiel stützte sich auf eine meisterhafte Technik und war sinnlich und asketisch zugleich. Er zielte mit äußerster Entschlossenheit immer auf die stärksten Effekte ab, stellte diese Absicht aber stets in den Dienst rein musikalischer Erwägungen und benutzte sie nie dazu, in einer Komposition sentimentale oder sensationelle Züge herauszustellen.»

Auch vom Komponisten Erdmann ließ sich Krenek als Gegenwicht zu seinem Lehrer Franz Schreker beeinflussen:

«Eine ganze Weile hielt ich sehr viel von seiner kompositorischen Begabung. [...] Es war genau das, was Rosenstock kritisierte, wenn er sagte, er meine, sie enthielte ‘zu viele weiße Noten’. Das sollte heißen, daß die Partiturseiten leer aussahen, wenn man sie mit dem verglich, was Schreker gerne in einer Partitur hatte. [...] Erdmann zögerte nicht, die Instrumente in ganzen und halben Noten spielen zu lassen, wenn der Aufbau das verlangte, ohne den blendenden Schnee klingender Konfettis, der über jede leere Stelle wirbelte. Ich wußte sofort, daß das der Stil war, den ich anstrebte, ohne daß mir das bis dahin ganz klar gewesen war.»

Zusätzlich zu diesen klavier- und kompositionstechnischen Impulsen übernahm Krenek von seinem älteren Kollegen auch dessen Liebe zu Schubert, die ihm später von großer Bedeutung sein sollte:

«Ich werde Erdmann ewig dankbar sein, daß er mit unermüdlichem Enthusiasmus sämtliche Bände von Schuberts Liedern in der schönen Originalausgabe von Breitkopf & Härtel mit mir durcharbeitete. [...] Ich stimme mit Erdmann vollkommen darin überein, daß man für die Unterweisung in den Grundprinzipien der Komposition kaum mehr benötigen würde als die sechshundert Lieder von Franz Schubert. Erst damals habe ich wirklich verstanden und gelernt, wie man Phrasen gestaltet und ausbalanciert, wie man Betonungen verteilt und Harmonie und Metrum koordiniert, was Erweiterung und Verkürzung bedeutet, daß alle Details musikalischer Gestaltung voneinander abhängig sind und was musikalische Logik ist.»

Zu den ersten Ergebnissen dieser neuen kompositionsästhetischen Betrachtungs-weise gehört das Erste Klavierkonzert, das Krenek - verglichen mit seinen avantgardistisch-atonalen Werken dieser frühen Periode - später als «Experiment in eine andere Richtung» bezeichnete. Hier ging er auf eine Herausforderung Erdmanns ein, eine Komposition im tonalen Idiom zu versuchen. Er nahm die Herausforderung gerne an und schrieb eine bewußt anders geartete Komposition, die sich von seinem bisherigen Schaffen unterscheiden und als «nahezu emfindsame Reise in eine längst vergessene Heimat» wirken sollte. In seiner Autobiographie widmete der sonst eher zurückhaltende Krenek dem neuen Werk eine verhältnismäßig ausführliche Beschreibung:

«Das Konzert stand in Fis-Dur und begann mit einem feierlichen Klaviersolo, das in ein lebhaftes und kantiges Allegro überging; darauf folgen ein langsamer Abschnitt in der Art eines Intermezzos und dann eine Kadenz und ein spritziges Rondo mit verschiedenen munteren Themen; den Schluß bildete das langsame Klaviersolo des Anfangs. Der Gedanke, daß ein Konzert mit dem Soloinstrument allein anfängt und aufhört, gefällt mir immer noch sehr gut, und ich habe ihn in allen drei Konzerten, die ich komponiert habe, realisiert. Es machte mir sehr viel Freude, dieses Konzert zu schreiben, weil es mir die Gelegenheit bot, viele der tonalen Kunstgriffe anzuwenden, die ich inzwischen von Schubert gelernt hatte.»

Kurz vor Weihnachten des gleichen Jahres fand die Uraufführung statt, jedoch nicht in Berlin, sondern in der kunstsinnigen Schweizer Kleinstadt Winterthur, wo der mit Krenek befreundete Dirigent Hermann Scherchen seit kurzem eine Dirigentenstelle innehatte. Wie erwartet spielte Erdmann den Solopart; unerwartet waren jedoch die Folgen dieses denkwürdigen Abends, denn kurz darauf richtete der Schweizer Kunstmäzen ein Angebot an Krenek, das sein Leben verändern soll: Gegen ein einmaliges Stipendium von 10.000 Schweizer Franken sollte sich der bis dahin freischaffende Musiker Krenek verpflichten, sich gänzlich seiner Kompositionskunst zu widmen. Nur zwei Bedingungen waren daran geknüpft: er müsse als Wohnort die Schweiz wählen, und - wie er diskret von seinem Freund Erdmann erfuhr - müsse er seine Liebesbeziehung zu der Mahler-Tochter Anna durch eine Heirat besiegeln. Krenek willigte ein - mit der Folge, daß er bald aus der Großstadt Berlin in die Provinz zog (Krenek blieb danach zeitlebens ein überzeugter Provinzler), und daß ihm durch die kurz darauffolgene Scheidung von Anna Mahler die 10.000 Schweizer Franken mit einem Schlag wieder verlorengingen. Zu diesem Zeitpunkt war Krenek jedoch durch den Welterfolg von Jonny spielt auf längst ein gemachter Mann und durfte zuversichtlich in eine Zukunft blicken, in der die für ihn erschütternden Weltereignisse der dreißiger Jahre noch in weiter Ferne lagen.

Bradford Robinson, 2006

For performance material please contact the publisher Universal Edition, Wien. Reprint of a copy from the Universal Edition, Wien.

Ernst Krenek
(b. Vienna, August 23, 1900; d. Palm Springs, December 22, 1991)

First Piano Concerto
op. 18 (1923)

Preface
In his long, diverse, and extraordinarily productive career, Ernst Krenek passed through many compositional styles and aesthetics, from the unbridled atonal Expressionism of his youth to an energetic espousal of indeterminacy in his old age, and was not even averse to trying his hand at Tin Pan Alley songs. Gifted with unusual facility, he turned out a body of music that in sheer bulk brooks comparison with the most prolific composers of the century - Darius Milhaud, say, or Bohuslav Martinu - while surpassing them in the variety and versatility of his technique. His essays on music, literature, even psychology and sociology place him among the most incisive musical minds of the twentieth century and brought him literary friendships with figures as diverse as Rilke, Adorno, and Thomas Mann. His early First and Second Symphonies (1921-2) and First String Quartet (1921) quickly placed the young man at the forefront of post-war German composers before he had even completed his music degree. He immediately abandoned his studies and, armed with an exclusive publishing contract from Universal-Edition in Vienna, advanced upon a career as a freelance composer, where he stood alongside Hindemith and, later, Kurt Weill, as one of the three most gifted German composers of his generation.

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Krenek’s First Piano Concerto was written in 1923 during an extremely productive period in which the still young composer turned out, «with almost indecent fertility,» two full-length operas (Der Sprung über den Schatten and Orpheus und Eurydike) as well as choruses, orchestral works, two string quartets, and a monumental piano piece. The motivation for the concerto came from Krenek’s new-found friendship with the Germano-Baltic pianist and composer Eduard Erdmann (1896-1958), who had already achieved a breakthrough with his renditions of the piano music of Schoenberg and Berg. At this time Erdmann was perhaps the greatest influence on the young composer, who later summed up this early friendship in words of sincere gratitude:

«It is probably safe to say that I owe practically my entire musical philosophy to my dealings with Erdmann; at the very least its foundations were laid in those Berlin winters when I visited him once or twice every week.»

Although himself an accomplished pianist (he even received encouragement from his friend Arthur Schnabel to appear in public), Krenek immediately recognized Erdmann’s superiority not only in this area but in his incisive analytical approach to music, which was to have a formative impact on Krenek’s later career as a musical intellectual. As Erdmann’s artistic outlook and piano technique both left an immediate imprint on the First Piano Concerto, it is worth quoting Krenek’s impressions in his own words (translated here, and below, from the German edition of his autobiography, Im Atem der Zeit):

«His playing was sustained by a masterly technique and was at once sensual and ascetic. He always aimed with extreme determination to achieve maximum effects, but invariably placed his intentions in the service of purely musical considerations, and never used them to bring out sentimental or sensational traits in a composition.»

Krenek also fell directly under the influence of Erdmann the composer, who thereby formed a counterweight to his teacher Franz Schreker:

«For quite a while I had a very high opinion of his talent for composition. [...] It was precisely the thing that Rosenstock criticized when he claimed that there were ‘too many white notes’ in it. By this he meant that the pages of Erdmann’s music looked empty compared to the things Schreker was fond of putting into a score. [...] Erdmann did not hesitate to have the instruments play whole notes and half-notes when the structure called for it, without blinding flurries of musical confetti swirling over every empty passage. I immediately knew, although I had not been aware of it before, that this was the style I was seeking for myself.»

In addition to these stimuli from Erdmann’s pianistic and compositional technique, Krenek also received from him a new-found love of Schubert that would become extremely important in his later life:

«I am eternally grateful to Erdmann for taking me, with tireless enthusiasm, through all the volumes of Schubert’s songs in the beautiful original edition from Breitkopf & Härtel. [...] I agree with him entirely that there is little more that one needs for instruction in the basic principles of composition than Franz Schubert’s six-hundred lieder. It was not until then that I truly learned and understood how to shape and balance phrases, how to distribute climaxes and coordinate harmony and meter, what expansion and contraction mean, that every detail in a musical design is dependent on every other, and what constitutes musical logic.»

One of the first fruits of this new aesthetic outlook was the First Piano Concerto, which Krenek, compared to his avant-garde atonal works of these early years, later referred to as an «experiment in an opposite direction.» Here Erdmann urged him to try his hand at a work in a tonal idiom. He gladly accepted the challenge and wrote a work that deliberately stood out from his previous music and was meant to appear «almost like a sentimental journey to a long-forgotten homeland.» In his autobiography the otherwise rather reticent Krenek presents a comparatively detailed account of the new piece:
«The concerto was in F-sharp major and opened with a solemn piano solo that led to a lively and rough-edged Allegro. This was followed by a slow section in the style of an intermezzo, and then by a cadenza and a sprightly rondo with various cheerful themes. The slow piano solo of the opening formed the conclusion. The idea of having a concerto begin and end with the unaccompanied solo instrument still has great appeal to me, and I have employed it in all three of the concertos I have written. I took great pleasure in writing this concerto because it gave me an opportunity to apply many of the tonal devices I had meanwhile learned from Schubert.»

The première took place shortly before Christmas of the same year, not in Berlin, however, but in the artistically-minded Swiss town of Winterthur, where Krenek’s friend, the conductor Hermann Scherchen, had recently accepted a new appointment. As expected, Erdmann played the solo part; but the consequences of this memorable occasion were entirely unexpected, for shortly afterwards a Swiss patron of the arts made Krenek an offer that would change his life. For a single stipend of 10,000 Swiss francs he was to leave his previous freelance existence and devote himself entirely to composition. However, two conditions were attached: he would have to live in Switzerland, and – as he was discretely informed by his friend Erdmann – he would have to marry his lady-friend Anna Mahler, the daughter of the famous composer. Krenek agreed to both conditions, with the twin results that he soon left the metropolis of Berlin for the provinces (he remained a confirmed provincial to the end of his days) and the subsequent hasty divorce from Anna cost him, at a single stroke, the 10,000 francs he had just received from the stipendium. By then, however, the worldwide success of Jonny spielt auf had made Krenek a wealthy man, and he could look comfortably into a future in which the world events that would devastate him in the 1930s were still very far away.
Bradford Robinson, 2006
For performance material please contact the publisher Universal Edition, Vienna. Reprint of a copy from the Universal Edition, Vienna.