Paul von Klenau
(geb. Kopenhagen, 11. Februar 1883 - gest. Kopenhagen, 31. August 1946)

Paolo und Francesca (1913, rev. 1919)
Symphonische Dichtung für großes Orchester
nach dem 5. Gesang aus Dantes Göttlicher Komödie: Hölle

Vorwort
Paul von Klenau läßt sich nur schwer einordnen. Trotz seines deutschen Namens (seine Vorfahren entstammten einem altmecklenburgischen Adelsgeschlecht) wurde er in Dänemark geboren und erzogen. Dennoch taucht sein Name in der dänischen Musikgeschichte höchstens am Rande auf, denn seine Studienjahre und dengrossen Teil seiner beruflichen Laufbahn verbrachte er in Deutschland und Österreich; selbst seine Opernlibretti schrieb er in deutscher Sprache. Obwohl er sich früh der Zwölftonmethode verschrieb und aktiv für die Musik Schönbergs einsetzte, blieb er während des Dritten Reiches in Deutschland und versuchte in - aus heutiger Sicht -peinlicher Weise, sich den neuen Machthabern anzubiedern. So schrieb der Freund Alban Bergs Zwölftonmusik mit so engem Bezug zur funktionalen Harmonik, daß er der Moderne kaum zuzuordnen ist. Dennoch setzten sich Musiker vom Range eines Furtwänglers oder Bruno Walters für seine Kompositionen ein, die heute durchaus eine Wiederentdeckung verdienen.

Klenau erhielt seine klassisch-konservative Ausbildung bei Max Bruch in Berlin (1902-04), Ludwig Thuille in München (1904-06) und Max von Schillings in Stuttgart (1908). Im Alter von 25 Jahren erlebte er den Durchbruch mit seiner Ersten Symphonie (1907), die 1908 beim Festival des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in München mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. Bald darauf folgten drei weitere Symphonien sowie Anstellungen in Freiburg, Stuttgart und Frankfurt, bis er 1913 zum ersten Kapellmeister der Freiburger Oper ernannt wurde.

Diese «symphonische Schaffensperiode» nahm jedoch ein jähes Ende, als Klenau nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges nach Dänemark zurückkehrte. Da er mit der – aus seiner Sicht – Rückständigkeit der dänischen Musikinstitutionen unzufrieden war, gründete er 1920 die Dänische Philharmonische Gesellschaft, mit der er bald die Musik der Moderne – vor allem Schönbergs – in Dänemark einführte. Als Leiter dieser neuen Organisation bis 1926 dirigierte er u.a. Pelleas und Melisande, Verklärte Nacht und die dänische Erstaufführung von Pierrot lunaire und lud 1923 Schönberg selber ein, um die Erste Kammersymphonie sowie Auszüge aus den Gurreliedern zu leiten. Gleichzeitig wurde Klenau 1922 zum Chorleiter der Wiener Konzerthaus-Sozietät ernannt, eine Stelle, die er bis 1930 innehielt. 1929 wurde er vom österreichischen Staat mit einem Professorentitel geehrt, worauf er als freier Komponist abwechselnd in Oberbayern und Wien lebte und sich kompositorisch vorwiegend der Opernkunst widmete. Im Winter 1939/40 kehrte er bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wieder nach Dänemark zurück, wo er - zunehmend schwerhörig und isoliert - fieberhaft eine Vielzahl von Werken komponierte, die bis heute unveröffentlicht und unaufgeführt geblieben sind.

Die symphonische Dichtung Paolo und Francesca entstand 1913 auf dem Höhepunkt der symphonischen Schaffensperiode Klenaus. Wie die unmittelbar vorausgegangene Vierte Symphonie («Dante-Symphonie», 1913) nimmt sie unmittelbar auf die Göttliche Komödie Dantes Bezug: auf die gleiche Liebesgeschichte aus dem V. Gesang der Hölle, der Tschaikowsky mit Francesca da Rimini 1878 bereits ein unvergeßliches Denkmal gesetzt hatte. Klenaus Tondichtung zeichnet sich durch eine brillante Handhabung des Orchesterapparats in Strauss’scher Manier aus, in dem düstere, unheilverkündende Orchesterfarben gelegentlich durch blitzartige Lichtblicke und unheimliche Farbtupfer von Klavier und Celesta erhellt werden. Wie bei vielen anderen Tondichtungen der deutschen Spätromantik wird auch hier hinter der durchkomponierten einsätzigen Faktur eine viersätzige formale Anlage erkennbar. Nach einer bedrückten, dunkeltönenden Einleitung mit breit angelegtem Kantilena für Solovioloncello ertönt plötzlich ein Agitato-Teil mit dissonanzreichen Akkordbildungen und deutlich kontrastierendem Hauptthema und lyrischem Seitenthema. Statt eines Durchführungsteils erleben wir aber eine langsame, geisterhaft-unheimliche Klangrede, die in zwei überwältigenden, jedoch sofort zurückgenommenen Tutti-Höhepunkten kulminiert. Dieser Hauptteil des Werkes, der eine elegische Nacherzählung der tragischen Liebesgeschichte Paolos und Francescas ist, mündet in ein Tarantella-Finale im atemlos raschen Dreiertakt voller unvermittelter Unterbrechungen und unaufgelöster Dissonanzen, die ebensogut in einer frühen Schönberg-Partitur hätten auftauchen können. Auf diesen Schlußsatz folgt eine kurze Coda mit klagend exponierter Stimme für Solocello, die den abschließenden Worten Dantes am Ende des V. Gesangs Ausdruck zu verleihen scheint:

Indes die eine Seele so erzählte,
hört’ ich die andre weinen, daß vor Schmerz
der Sinn mir schwand, als ob ich sterben müßte,
und wie ein toter Körper sank ich hin.

Die symphonische Dichtung Paolo und Francesca wurde 1916 in Mannheim unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler uraufgeführt und – nach einigen Revisionen seitens des Komponisten – 1919 in Partitur veröffentlicht. Seit der CD-Einspielung durch Jan Wagner und das Odenser Symphonieorchester im Jahre 2000 wird das Werk allmählich als eine der persönlichsten musikalischen Äußerungen des Komponisten Klenaus anerkannt.

Bradford Robinson, 2006

Aufführungsmaterial ist von Universal Edition, Wien zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Universal Edition, Wien.

Paul von Klenau
(b. Copenhagen, 11 February 1883 - d. Copenhagen, 31 August 1946)

Paolo und Francesca (1913, rev. 1919)
Symphonic poem for large orchestra
after Canto 5 of Dante’s Divine Comedy: Inferno

Preface
Paul von Klenau resists easy categorization. Despite his Germanic name (his family came from centuries-old Mecklenburg aristocratic stock) he was born and raised in Denmark. Yet he is scarcely mentioned in histories of Danish music, for his training and most of his career were spent in Germany and Austria, and he wrote his own opera librettos in German. An early adherent of the twelve-tone system and an active advocate of Schoenberg, he remained in Germany during the Nazi years and went to embarrassing extremes to ingratiate himself with the cultural establishment. A close companion of Alban Berg, he wrote twelve-tone music with such clearly defined tonal relations that he can hardly be called a modernist. Yet his music was championed by figures of the stature of Furtwängler and Bruno Walter, and bears rediscovery today.

Klenau received a thoroughly conservative musical education with Max Bruch in Berlin (1902-4), Ludwig Thuille in Munich (1904-6), and Max von Schillings in Stuttgart (1908). His breakthrough came at the age of twenty-five when his First Symphony (1907) was performed to great acclaim at the 1908 Festival of the German Musical Society in Munich. This was quickly followed by three further symphonies and professional appointments in Freiburg, Stuttgart and Frankfurt. In 1913 he became principal conductor of the Freiburg Opera.

All this ended with the outbreak of World War One, when Klenau returned to Denmark. Upset with what he considered the backwardness of Denmark’s musical institutions, he founded the Danish Philharmonic Society in 1920 and proceeded to introduce the music of the moderns, especially Schoenberg. He led the Society until 1926, during which time he conducted Pelleas und Melisande, Verklärte Nacht, and the Danish première of Pierrot lunaire, and invited Schoenberg himself to conduct the First Chamber Symphony and parts of Gurrelieder in 1923. At the same time he became choral conductor of the Vienna Konzerthaus Society, a position he held from 1922 to 1930. In 1929 he received the title of professor from the state of Austria, after which he lived alternately in Upper Bavaria and Vienna as a freelance composer and devoted his attention mainly to opera. In the winter of 1939-40, at the outbreak of World War Two, he returned to Denmark, where he worked feverishly in isolation and increasing deafness, producing a large body of music that remains unpublished and unperformed.
Paolo und Francesco was composed in 1913 at the height of Klenau’s symphonic period. Like its predecessor, the Fourth or «Dante» Symphony (1913), it draws heavily on Dante’s Inferno for its subject-matter, in this case the same heart-rending love story so memorably set by Tchaikovsky in Francesca da Rimini (1878). The work is brilliantly scored in the Straussian vein, with murky, ominous colors giving way to brilliant but evanescent flashes of light and eerie touches from the piano and celesta. Like so many symphonic poems of the German tradition, a four-movement outline can be described beneath the continuous texture. After a darkly subdued introduction with a long cantilena fo solo cello, the piece enters an agitato section punctuated with richly dissonant harmonies and a clearly adumbrated lyrical second theme. Instead of a development section, however, we are given a slow, ghostly narrative culminating in two brilliant but instantly retracted climaxes. This long section, an elegiac recounting of the tragic story of Paolo and Francesca, leads to a breathlessly rapid finale in a tarantella-like triple meter, full of violent interruptions and unresolved dissonances of a sort that would not have been out of place in a pre-atonal Schoenberg score. The movement is abruptly terminated by a plaintive coda with an exposed part for solo cello, as if to lend expression Dante’s final words at the end of the Canto:

And all the while one spirit uttered this,
The other one did weep so, that, for pity,
I swooned away as if I had been dying,
And fell, even as a dead body falls.

Paolo und Francesca received its première in Mannheim under the baton of Wilhelm Furtwängler in 1916, after which it was revised and published in full score in 1919. Since its recording by Jan Wagner and the Odense Symphony Orchestra (2000) it has gradually achieved recognition as one of the composer’s most personal statements.

Bradford Robinson, 2006

For performance material please contact the publisher Universal Edition, Vienna.Reprint of a copy from the Universal Edition, Vienna.