Edward Alexander MacDowell
(geb. New York, 18. Dezember 1860 – gest. New York, 23. Januar 1908)

Zweites Klavierkonzert in D-Moll, op. 23

Vorwort
Edward MacDowell, der wohl führende amerikanische Komponist und Pianist des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wurde vielerorts als die große Hoffnung der amerikanischen Musik angesehen. Das war eine Etikettierung, die MacDowell selber tunlichst vermied, sah er sich doch nicht vorwiegend als «amerikanischer Komponist», sondern eher als Komponist, der zufällig Amerikaner war. Schon im Kindesalter bewies er außerordentliche musikalische Fähigkeiten und erhielt in seiner Heimatstadt New York bereits mit 8 Jahren Klavierunterricht von einer Reihe lateinamerikanischer Musiker: der Kolumbianer Juan Buitrago, die Venezolanerin Teresa Carreño (1853-1917) und der Kubaner Pablo Desvernine (1823-1910). Im Jahre 1876 zog der junge MacDowell mit seiner Mutter nach Paris, wo er Klavier bei Antoine-François Marmontel (1816-1898) und Komposition bei Augustin Savard (1814-1881) am dortigen Conservatoire studierte. 1878 zog der Student weiter nach Deutschland, wo er zunächst bei Siegmund Lebert (1822-1884) am Stuttgarter Konservatorium und später bei Carl Heymann und Louis Ehlert (1825-1884) in Wiesbaden Klavier studierte. Schließlich folgte er Heymann 1879 ans Hoch’sche Konservatorium nach Frankfurt, wo er bei Joachim Raff (1822-1882) und Franz Böhme auch Kompositionsunterricht erhielt.
1879/80 hatte Franz Liszt MacDowells Klavierspiel bei drei Gelegenheiten erlebt und sich davon überaus beeindruckt gezeigt. In den folgenden Jahren leistete er dem jungen Amerikaner bei seinen Kompositionsarbeiten wertvolle Hilfe und sorgte dafür, daß einige seiner Werke bei wichtigen Festivals aufgeführt wurden. 1881 erhielt MacDowell eine Professur für Klavier am Konservatorium Darmstadt, zog sich jedoch nach nur einem Jahr wieder zurück, um sich ausschließlich dem Komponieren zu widmen. Er blieb in Deutschland, bis er 1888 in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, um eine erfolgreiche Laufbahn als Pianist und Komponist in Boston aufzubauen. 1896 wurde er zum ersten Professor des neu gegründeten Musikinstituts an der Columbia-Universität berufen, eine Stelle, die ihn unter die herausragenden Musikpädagogen des Landes einreihte. In den ersten Jahren war MacDowell an der Universität zwar außergewöhnlich erfolgreich, nach einer Personaländerung in der Verwaltung jedoch sah er sich durch den neuen Präsidenten und Erziehungswissenschaftler Nicholas Murray Butler (1862-1947) zunehmend in die Enge getrieben, der das Musikinstitut in den pädagogischen Zweig der Universität integrieren wollte. Der bereits gesundheitlich angeschlagene Komponist (im März 1904 wurde er von einer Pferdekutsche überfahren) gab seine Professur schließlich auf und verbrachte die verbleibenden vier Jahre seines Lebens in einem Zustand schleichender Paralyse und verschiedener Arten geistiger Umnachtung. Nach seinem Tod wurde sein Sommerdomuizil in Peterborough/New Hampshire in eine Künstlerkolonie umgewandelt, wo seitdem die Begabungen einiger der hervorragenden amerikanischen Komponisten des letzten Jahrhunderts gefördert wurden.

MacDowells Musik fehlt durchweg jeglicher Drang zur Neuerung. Seines Zeichens Miniaturist, wandte er sich selten den symphonischen oder konzertanten Instrumental-formen zu. Auch gibt es wenig in seiner Musik, das als betont amerikanisch bezeichnet werden könnte. Stilistisch war MacDowell der deutschen Romantik verpflichtet: Der Einfluß seines Lehrers Raff wie auch von Liszt, Grieg und - wenn auch weniger stark ausgeprägt - Brahms und Wagner sind unverkennbar. Es wäre jedoch verfehlt, seine Musik deswegen abzutun, denn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Kunst der musikalischen Komposition in den Vereinigten Staaten größtenteils fest in deutscher Hand. Fast alle namhaften amerikanischen Musiker und Komponisten des 19. Jahrhunderts ließen sich in Deutschland fortbilden, ganz abgesehen davon, daß damals die überwiegende Mehrzahl der Dirigenten und Orchestermusiker Amerikas aus Deutschland eingewandert waren oder von dort. vertrieben wurden.

MacDowells souveräne Beherrschung der Schreibarten der deutschen musikalischen Romantik zeigt sich am auffälligsten im Zweiten Konzert für Klavier und Orchester, das in den Jahren 1884 bis 1886 entstand, als der Komponist noch in Wiesbaden wohnte. Die Uraufführung fand Juli 1888 in der Chicagoer Exhibition Hall statt, wo seine ehemalige Lehrerin Teresa Carreño, die sich unermüdlich für seine Musik einsetzte, den Solopart unter der Leitung von Theodore Thomas (1835-1905) bestritt. Bei der New Yorker Erstaufführung am 5. März 1889 in der Chickering Hall, abermals unter Thomas’ Leitung, übernahm MacDowell selbst die solistischen Aufgaben. Eine weitere denkwürdige Aufführung des Klavierkonzerts mit Beteiligung des Komponisten fand am 14. Dezember 1894 mit dem New York Philharmonic Orchestra statt. Sowohl Carreño als auch MacDowell führten das Werk mit überragendem Erfolg in London auf, erstere 1900 im Crystal Palace, letzterer am 14. Dezember 1903 mit der Royal Philharmonic Society.

Bei dem mit Larghetto calmato bezeichneten Kopfsatz handelt es sich um eine Sonatenhauptsatzform in d-Moll und 6/8-Takt, der MacDowells Vorliebe für den sogenannten Lombardischen Rhythmus deutlich zum Vorschein bringt.Das Hauptthema besteht vorwiegend aus zwei viertaktigen Phrasen, die ungefähr gleichwertig zwischen Tonika und Dominante verteilt sind. Die verhältnismäßig kurze Reprise zeichnet sich durch eine erhellende Umdeutung in die Durtonika aus.

Im zweiten Satz - ein Presto giocoso in B-Dur - wird die Form des Sonatenrondos geschickt eingesetzt. Hier wird neues thematisches Material mit einem Seitenthema aus dem Kopfsatz verwoben, um der Komposition eine zyklische Einheit zu verleihen. Das zyklische Prinzip wird im abschließenden dritten Satz (Largo-Molto allegro) erneut aufgegriffen, wobei Elemente der Sonatenhauptsatzform wie auch des Sonatenrondos miteinander verknüpft werden. Nach einer langsamen Einleitung in d-Moll bleibt der Satz bis zum Schluß in der Haupttonart der Dur-Parallele.

Durch MacDowells vollkommene Beherrschung der Sonatenform, wie in diesem Klavierkonzert deutlich bewiesen, wird die Behauptung, seine Vorliebe für musikalische Miniaturen sei das Ergebnis mangelnden Formgefühls, vollends widerlegt. Tatsächlich beschreibt der Komponist in einer Vorlesung aus seinen Jahren an der Columbia-Universität die Grenzen der Sonatenform: «Diesen Gast, den poetischen Gedanken, der uns aus dem Mysterium des heiteren Himmels wie eine Brieftaube auftaucht, diesen vertraulichen Fremden stecken wir stracks in ein eisernes Bettgestell namens ‘Sonatenform’ oder gar in die dritte Sonatenform, denn es gibt davon eine ziemlich breite Auswahl. Sollte der Gedanke überleben und dem Bettgestell zu groß werden, und sollten wir ihn zu sehr lieben gelernt haben, um ihm die Füße abzuhacken (wie weiland dem alten Räuber aus Attika), damit er ins Bett paßt, so laufen wir Gefahr, dass irgend ein fachkundiger Kritiker behaupten wird - wie einst über Chopin: ‘Der Komponist ist der Sonatenform nicht mächtig!’»

Diese und ähnliche Bemerkungen führen zum Schluß, daß MacDowell möglicherweise nicht so konservativ war wie allgemein behauptet. Auch wenn er kaum dazu geneigt gewesen wäre, den musikalischen Radikalismus seines Altersgenossen Charles Ives (1874-1954) zu erproben, so brachte sein vorzeitiger Tod im Alter von 48 Jahren die Vereinigten Staaten und die Welt der Musik um ein wichtiges Bindeglied zwischen der Romantik und der Moderne, wie auch zwischen der «Alten» und der «Neuen» Welt.

Übersetzung: Bradford Robinson, 2005

Aufführungsmaterial ist von Benjamin Musikverlage, Hamburg zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikabteilung der Leipziger Städtischen Bibliotheken, Leipzig.

Edward Alexander MacDowell
(b. New York, 18 December 1860 – d. New York, 23 January 1908)

Concerto No. 2 in D Minor for Piano and Orchestra, Op. 23

Preface
Edward MacDowell was perhaps the most prominent American composer and pianist of the latter half of the 19th century. In many respects, MacDowell was viewed as the great hope of American music, a sobriquet he largely eschewed, preferring not to be known as an «American» composer, but as a composer who happened to be American. Displaying great musical abilities at an early age, MacDowell’s formal piano instruction began in his home town of New York City at the age of eight with a succession of Latin American musicians: the Colombian Juan Buitrago, the Venezuelan Teresa Carreño (1853-1917), and the Cuban Pablo Desvernine (1823-1910). In 1876, MacDowell and his mother moved to Paris where he studied at the Conservatoire with Antoine-François Marmontel (1816-1898) on piano and Augustin Savard (1814-1881) on theory. MacDowell moved from Paris to Germany in 1878, first studying piano with Siegmund Lebert (1822-1884) at the Stuttgart Conservatory, then with Carl Heymann and Louis Ehlert (1825-1884) in Wiesbaden before following Heymann to the Hoch Conservatory in Frankfurt in 1879. At Frankfurt, MacDowell also studied composition with Joachim Raff (1822-1882) and Franz Böhme.

Franz Liszt heard MacDowell in recital on three separate occasions in the years 1879 and 1880 and was extremely impressed with the young American’s piano playing. During the next several years Liszt gave invaluable support to MacDowell’s compositional efforts and arranged to have a number of his works performed at prominent musical festivals. MacDowell was appointed professor of piano at the Darmstadt Conservatory in 1881, a position he resigned after a year to devote himself to composition. MacDowell remained in Germany until 1888, at which time he returned to the United States to begin a highly successful career in Boston as piano soloist and composer. In 1896 MacDowell was appointed as the first professor in the newly formed Department of Music at Columbia University, a position that made him one of the most prominent music educators in the United States. MacDowell had great success at Columbia during his first years, but after a change in university administration, found his efforts undermined by Columbia’s new president, Nicholas Murray Butler (1862-1947), an educationist who wanted to subsume the Department of Music within Columbia’s Teachers College. Already in ill health due to having been run over by a hansom cab in March of 1904, MacDowell resigned his Columbia professorship and spent the remaining four years of his life suffering from paralysis and various forms of mental debilitation. MacDowell’s summer home in Peterborough, New Hampshire was turned into an artists’ colony after his death and has nurtured the talents of many of America’s finest composers of the past century.
There is very little of an innovative nature to MacDowell’s music. A miniaturist by inclination, MacDowell composed infrequently in the symphonic and concerto formats. There is also very little that can be deemed as American in his music. Stylistically, MacDowell was heavily indebted to the German romantics, and one can see the clear influences of his teacher Raff, Liszt, Grieg, and to a lesser extent, Brahms and Wagner. This is not to denigrate MacDowell’s music, because in the second half of the 19th century musical composition in the United States was largely a German affair. Virtually all prominent 19th century American musicians and composers received advanced training in Germany. Additionally, the vast majority of American orchestral musicians and conductors at the time were recent German immigrants or expatriates.

MacDowell’s mastery of the German Romantic style is seen to greatest effect in his Concerto No. 2 for Piano and Orchestra. The work was composed during the years 1884-1886 when MacDowell was living in Wiesbaden, Germany. The first public performance of the work took place in Chicago at the Exhibition Building in July of 1888 with Teresa Carreño, MacDowell’s former teacher and a tireless champion of his works, performing the solo part with Theodore Thomas (1835-1905) conducting the orchestra. MacDowell performed the solo honors himself during the New York premiere, which occurred on 5 March 1889 at Chickering Hall, again with Thomas conducting. Another very notable performance of the work by the composer took place on 14 December 1894 with the New York Philharmonic. Both Carreño and MacDowell performed the work to great acclaim in London on different occasions, the former at the Crystal Palace in 1900 and the latter on 14 December 1903 with the Royal Philharmonic Society.

The first movement, Larghetto calmato, D minor, is a sonata form set in 6/8 meter and displays MacDowell’s penchant for Lombardic rhythms. The major thematic material consists of two four-bar phrases that function in an antecedent/consequential manner. In the exposition these two phrases are roughly divided between the tonic and mediant sections. The relatively brief recapitulation is highlighted by a return to the tonic major.

In the second movement, Presto giocoso, Bb major, MacDowell deftly utilizes the sonata rondo form. He combines new thematic material with a secondary theme that is taken from the first movement, thereby adding cyclic unity to the composition. The cyclical idea is again taken up by the composer in the third and final movement, Largo—Molto allegro, which combines elements of both sonata and sonata rondo forms. After a slow introduction in D minor the movement stays in the parallel major throughout.

MacDowell’s mastery of sonata form as exemplified in this concerto belies the contention that his interest in musical miniatures was the result of a lack of formal competence. Indeed, in the passage below taken from one of his lectures during his years at Columbia University, MacDowell remarks about the limitations of the form: «We put our guest, the poetic thought, that comes to us like a homing bird from out the mystery of the blue sky—we put this confiding stranger straightway into that iron bed, the «sonata form,» or perhaps even the third rondo form, for we have quite an assortment. Should the idea survive and grow too large for the bed, and if we have learned to love it too much to cut off its feet and thus make it fit (as did that old robber of Attica), why we run the risk of having some critic wise in his theoretical knowledge, say, as was and is said of Chopin, «He is weak in sonata form!»

Such remarks lead one to believe that MacDowell may not have been as musically conservative as is generally thought to be the case. Although it is unlikely that he would have explored anything like the type of musical radicalism created by his near contemporary Charles Ives (1874-1954), his premature death at the age of 48 deprived America and the musical world of an important link between Romanticism and Modernism, as well as that between the «Old» World and the «New.»

William Grim, 2005

For performance material please contact the publisher Benjamin Musikverlage, Hamburg. Reprint of a copy from theMusikabteilung der Leipziger Städtischen Bibliotheken, Leipzig.