Bedrich Smetana
(geb. Leitomischel, 2. März 1824 - gest. Prag, 12. Mai 1884)

Richard III op. 11

Vorwort
Dank seiner zahlreichen Werke bleibt Bedrich Smetana eine beeindruckende und bewegende Stimme nicht nur des tschechischen Nationalstolzes, sondern auch hinsichtlich bestimmter Sujets, wie sie andere Komponisten des 19. Jahrhunderts ebenfalls abgehandelt haben. Zwar ist sein bekanntestes Orchesterwerk der Zyklus sinfonischer Dichtungen Mein Vaterland (1880–94), und insbesondere der zweite Teil daraus, Die Moldau, ist nach wie vor ein Kernstück des Standard-Konzertrepertoires. Doch sind unter den Orchesterwerken von Smetana etliche weitere bedeutende Beiträge zur Gattung der sinfonischen Dichtung, darunter insbesondere Richard III op.11 (1857–8), Wallensteins Lager op.14 (1858–9) und Hakon Jarl op.16 (1860–1), die alle drei posthum 1896 in Berlin uraufgeführt wurden.

In Richard III. nahm Smetana das gleichnamige Drama von Shakespeare zum Ausgangspunkt für ein einsätziges Orchesterwerk über seine eigene Sicht der Geschichte. Das fünfaktige Schauspiel ist eine ambitionierte Vorlage für eine Ton-dichtung: Als Richard of Gloucester durch Intrigen nach der Krone greift, noch während König Edward IV. dahinsiecht, werden seine Machenschaften zunehmend hektischer, um seine Gegner systematisch zu eliminieren. Die Gewalt, die man mit Richard III. in Verbindung bringt - sicher ein weit politischeres Stück als der frühere Titus Andronicus - , konfrontiert gerade jenes Volk, das ihn zum König krönen soll, mit Gräueltaten. Der offenkundige Versuch, seine Gattin, Lady Anne Neville, zu verführen, gleich nachdem ihr Schwiegervater gestorben war, unterstreicht Richards gefühllose Selbstsucht. Weitere schnelle Schritte sichern ihm den Herrschaftsanspruch, als das House of York schließlich den jahrelangen Konflikt mit dem House of Lancaster beendet. Doch nachdem er seine jungen Neffen im Tower von London inhaftiert und mitsamt Lady Anne später ermordet hat, wendet sich die Meinung des Pöbels gegen ihn. Seine Handlungen schüren die Rebellion Henry Tudors; es kommt zum offenen Kampf. Als Richard Henry gegenübersteht, erscheinen ihm die Geister all seiner Opfer; sie werden zum Ehrenmal seines verdienten, gewaltsamen Todes, als Henry Tudor den Thron gewinnt, um fortan als Heinrich VII. zu herrschen. Smetanas Richard III. ist nicht so ausführlich wie die Tondichtungen, die Richard Strauß eine Generation später komponieren sollte. Sie erinnert eher an jene Programm-Musik, die man mit Franz Liszt in Verbindung bringt. In diesem Sinne fängt Smetana eher die Stimmung des Ganzen ein, als erzählerisch sein zu wollen; dadurch gestattet er den Zuhörern, ihre eigene Vorstellungskraft zu gebrauchen, wenn sie ihre Kenntnisse von Shakespeares Drama mit der Struktur dieses knappen Werkes zur Deckung bringen möchten. Details, die in der Lage wären, das Drama selbst in Klängen zu malen, fehlen mithin in der Partitur, die aber dessen ungeachtet sehr wirkungsvoll die Stimmung und Spannung zum Ausdruck bringt, die Smetana in einer der faszinierendsten Schurkenfiguren Shakespeares sah. Die Musik bewahrt sich insbesondere jenen tragischen Zug des Schauspiels, den Smetana auch zum Bezugspunkt seines eigenen Werkes nahm.

Auch die zweite der hier vorgelegten drei Tondichtungen, Wallensteins Lager, hat ein Schauspiel als Vorlage – den ersten Teil der Triologie von Schiller über den Herzog Wallenstein, einen der Heerführer des dreißigjährigen Krieges. Diese historische Figur mag für Smetana auch deshalb von Interesse gewesen sein, weil Wallenstein einst den böhmischen Aufstand niederschlug, doch galt sein Augenmerk insbesondere der Drama-Trilogie Schillers selbst. Wallensteins Lager dient da als eine Art Präludium und setzt Entwicklungen in Gang, die erst später in Piccolomini und Wallensteins Tod zum Tragen kommen werden. Als eigenständiges Werk beschreibt es insbesondere den Charakter von Wallenstein selbst, dessen militärische und politische Erfolge aus ihm einen charismatischen Held gemacht hatten. Smetana versuchte, eben dieses Heldenbild in seiner lautmalerischen Tondichtung nachzuzeichnen. In der Verwendung der Blechbläser und auch in anderer Hinsicht erinnert Wallensteins Lager ans Liszts Mazeppa. Wiederum handelt es sich eher um eine Charakterstudie aus Smetanas Sicht, nicht um eine Nacherzählung; dies macht diese beiden so wirkungsvollen Tondichtungen auch besonders attraktiv. Zugleich diente Schillers Folge mehrerer Spiele Smetana später auch als Vorbild für den berühmten Zyklus sinfonischer Dichtungen Mein Vaterland.

Auch die dritte und letzte Tondichtung Hakon Jarl hat eine literarische Vorlage - die Tragöde von Adam Oehlenschläger (1779–1850). Oehlenschläger wurde insbesondere durch nordische Dramen bekannt, darunter Baldur hin Gode (1808), Palnatoke (1809) und Axel og Valborg (1810). Sein Hakon Jarl handelt vom gleichnamigen berühmten früh-norwegischen König. Seine Regentschaft war eine der letzten, die sich zugunsten der alten nordischen Götter der Christianisierung des Volkes entgegenstellte. Seine heroischen Anstrengungen machten ihn in Norwegen zu einem Nationalhelden, aber seine Rastlosigkeit führte auch zu einem tragischen Ende – einen Aspekt, den Smetana in besonderer Weise aufgreift. Die massiven Klänge zu Beginn, dominiert von tiefen Streichern, etablieren Smetanas musikalisches Portrait dieser Figur. Wiederum entwickelt er ein bewegendes Werk in einem Satz in Art der sinfonischen Dichtungen von Liszt, jedoch in Smetanas idiomatischem, eigenem Stil.

Alle drei Tondichtungen entstanden in vergleichsweise kurzer Zeit zwischen 1857 und 1861; sie wurden von zeitgenössischen Kommentatoren als Smetanas Rückkehr zur Orchestermusik gedeutet, denn tatsächlich hatte er seit 1849 kaum mehr etwas zu diesem Genre beigetragen, nimmt man einmal die Preis-Symphonie op. 6 aus, die er 1854 anläßlich der Hochzeit des Habsburger Kaisers Franz Joseph von Österreich mit Elisabeth von Bayern geschrieben hatte – ein Stück, das zwar im österreich-ungarischen Kulturraum Verbreitung fand, aber gleichwohl bei der Kritik umstritten war. Nach den Ouvertüren und kürzeren Charakterstücken früherer Zeit betrat Smetana mit den drei Tondichtungen Neuland, nicht zuletzt auch vielleicht wegen des nicht ungeteilten Erfolgs dieser Sinfonie. Zur gleichen Zeit legt die neue Beschäftigung mit dramatischen Werken auch seine Gefühl für die Bühne an sich nahe, das Jahre später in neue Richtungen drängen sollte, als er die erste seiner insgesamt acht Opern komponierte. Die Komposition sinfonischer Dichtungen als Ausdrucksmittel war mit diesen drei bedeutenden Werken jedoch keineswegs erschöpft: In den nächsten zehn Jahren würde er jene sechs Tondichtungen nach nationalen Themen schreiben, die Smetana später als Mein Vaterland zusammenfasste, einer der Meilensteine nationalistisch geprägter Kompositionen des 19. Jahrhunderts. Einige Elemente des späteren Zyklus wirken in den drei früheren Dichtungen bereits vorgeformt, und insgesamt bilden diese neun Orchesterwerke einen bedeutsamen Beitrag zur sinfonischen Literatur. Jenseits aller Vergleiche mit dem Vaterland verdienen die früheren drei, Richard III., Wallensteins Lager und Hakon Jarl, darüber hinaus besonderes Interesse, weil sie neben dem Unterton des Nationalstolzes, den man oft mit seiner Musikk inn Verbindung bringt, ein besonderes Interesse Smetanas an dramatischen Sujets von internationalem Interesse zeigen.

© der deutschen Übersetzung: Benjamin-Gunnar Cohrs, Bremen, 2006

Aufführungsmaterial ist von Benjamin Musikverlage, Hamburg zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikabteilung der Leipziger Städtischen Bibliotheken, Leipzig.

Bedrich Smetana
(b. Leitomischel, 2 March 1824 - d. Prague 12 Mayi 1884)

Richard III op.11

Preface
In his various works Bedrich Smetana (1824-84) remains an impressive and moving voice for not only Czech nationalism, but also in his treatment of various themes that various composers undertook in the nineteenth century. While his best-known tone poem may be Mà vlast (1880-94) and of that work, the second piece, Vltava («Die Moldau») remains a strong part of the concert repertoire. Yet Smetana’s orchestral works include several other tone poems that are also important contributions to the genre and include Richard III, op. 11 (composed 1857-58; first performed in Berlin, 1896), Wallensteins Lager (Valdstynuv tábor), op.14, (composed 1858–59; first performed Berlin, 1896), and Hakon Jarl, op. 16 (composed 1860-61; first performed 1896, Berlin).

In Richard III Smetana takes Shakespeare’s play of the same title as his point of departure to create a single-movement work that conveys his impression of the story. The five-act play is an ambitious work to use for tone poem. As Richard of Gloucester schemes to become the monarch while Edward IV is dying, his machinations become increasingly ruthless with those who oppose him are systematically removed. More political a work than the earlier play, Titus Andronicus, the violence associated with Richard III introduces horrors to the very public that he wants to acclaim him king. His blatant attempt to seduce his Lady Anne Neville when her father-in-law has just died, suggests Richard’s unfeeling self-interest. He quickly makes other moves that secure him a place as the ruler when the House of York has finally ended the years-long strife with the House of Lancaster. With his young nephews imprisoned in the Tower of London and later murdered, and his wife Anne also eliminated, the populace changes its acceptance of to loathing. His acts foment the rebellion of Henry Tudor in outright battle. Prior to facing Tudor in combat, Richard is visited by specters of those he killed, which becomes a fitting dénouement to his own violent end, as Henry Tudor wins the throne as Henry VII.

Not as detailed a composition as the tone poems that Richard Strauss would compose a generation later, Smetana’s Richard III resembles more the kind of program music associated with Franz Liszt. In this sense, Smetana conveys mood more than narrative, and thus allows the audience to use their imagination in bringing their knowledge of Shakespeare’s play into the structure of this concise work. The details that could be brought into the interpretation of the drama in sounds are thus absent from this score, which is nonetheless effective in connoting the mood and tension associated with Smetana’s depiction of one of Shakespeare’s most intriguing villains. The music conveys the sense of tragedy conveyed in the play that Smetana used as a point of reference for his own work.

Another dramatic work is the inspiration for the second of these tone poems, with Wallensteins Lager based on the first part of Schiller’s trilogy about the seventeenth-century military leader Herzog Wallenstein. The figure of Wallenstein may have been attractive for several reasons, including his suppression of the Bohemian revolt. Yet the primary interest lies in Schiller’s dramatic trilogy, of which Wallensteins Lager serves as a kind of prelude to developments that would be realized later in Piccolomini and Wallensteins Tod. As a self-contained work, Wallensteins Lager establishes the character of Wallenstein, whose military and political successes made him a charismatic hero. Smetana tried to convey such an heroic image of Wallenstein in his evocative tone poem based on Schiller’s drama. With its the use of brass and other elements, Wallensteins Lager resembles in some ways Liszt’s symphonic poem Mazeppa. Most of all Smetana’s music conveys the sense of character that Smetana perceived in Schiller’s play, and in doing he so created an effective musical work. Wallensteins Lager is a character portrait more than a literal narrative, and therein lies the attraction of this symphonic poem. As with the other tone poems that Smetana composed at this time, it is the sense of drama that served as the composer’s point of departure in translating his reaction to a work for the stage into a musical narrative. At the same time, the sequence of plays that Schiller used to depict the story of Wallenstein is an element that emerges later, when Smetana would use a series of tone poems to form the larger canvas of his famous symphonic work Mà vlast.

The third of these three tone poems, Hakon Jarl also takes its inspiration from drama, specifically a tragedy of the same name by Adam Oehlenschläger (1779-1850). Oehlenschläger is known for works connected to Norse culture, which include Baldur hin Gode (1808), Palnatoke (1809), and Axel og Valborg (1810), and in Hakon Jarl he dramatized the story of the famed Norse king. The title character, Hakon Jarl, was one of the early kings of Norway, and his reign was one of the last to oppose Christianity in lieu of returning to the old gods of the people. Hakon’s heroic exploits made him a national figure in Norway, but his ruthlessness took him to a tragic end. Smetana captures this aspect of the drama in his tone poem Hakon Jarl. The stark sonorities with which he begins the work establish Smetana’s musical portrait of this figure, with the low string sonoroties that dominant the opening. He develops the ideas to create a moving piece in a single movement, a tone poem in the tradition of Liszt, but imbued with Smetana’s own style.

Smetana composed all three of these works within a relatively short span, between 1857 and 1861, a time that the composer’s biographers signal as his return to composing orchestral music, which he had not done since 1848-49. With these three tone poems Smetana moved away from the kinds of overtures and shorter pieces that he had pursued before. Yet the composer did not ignore entirely orchestral music, since his Triumf-Sinfonie, op.6, dates from 1853–54, since it was composed to celebrate the marriage of the Hapsburg Emperor Franz Joseph of Austria with Elizabeth of Bavaria. As prominent as that piece was in the culture of the Austro-Hungarian Empire, the work was met with criticism. Thus, it may be the lack of an unequivocal success with that Symphony, which persuaded him to explore the kind of program music that emerges in these three tone poems. At the same time, the connection with dramatic works suggests his awareness for the stage, which took a different direction several years later, when he finished the first of the eight operas he composed during the latter part of his career. More importantly, by no means did his use of the symphonic poem as a means of expression end with these three important works. In the next decade he would compose the set of six tone poems based on national themes that Smetana collected as Mà vlast, one of the landmark works of nineteenth-century nationalism. Some of the approaches he would take in that later cycle were already present in the earlier tone poems, and taken together, these orchestral works are important contributions to symphonic literature . Beyond any comparison that could be made with Mà vlast , the earlier three tone poems , Richard III, Wallensteins Lager and Hakon Jarl, merit attention as works that show Smetana apart from the overt nationalism that is often associated with his music and as he persues, instead, dramatic subjects that would have more international appeal.

James L. Zychowicz, 2006

For performance material please contact the publisher Benjamin Musikverlage, Hamburg. Reprint of a copy from the Musikabteilung der Leipziger Städtischen Bibliotheken, Leipzig.