Carl Ditters von Dittersdorf
(geb. Wien 2. Noember 1739 - gest.. Neuhof 24. Oktober 1799)
Sechs Symphonien nach Ovids «Metamorphoses»
Vorwort
Carl Ditters war ein Zeitgenosse von Haydn und Mozart, vielseitig und von großer Produktivität, was seine Opern (vorzugsweise Singspiele), Konzerte, Kammermusik, instrumentale Werke und ungefähr 120 Symphonien eindrucksvoll belegen. Dank seiner Autobiographie, die er zwei Tage vor seinem Tod vollendete, ist uns einiges aus seinem Leben bekannt - sie stellt Ditters als Mann von Charme, Temperament und Gelehrsamkeit dar.
Ditters wurde 1739 als Sohn eines Schneiders in Wien geboren und begann schon früh seine musikalischen Studien. Mit elf Jahren schloß er sich dem Orchester des Prinzen Joseph Friedrich von Sachsen-Hildburghausen an, mit 21 war er Musiker des Hoftheaters. 1764 berief man ihn zum Kapellmeister beim Bischof von Grosswardein, eine Anstellung, die vor ihm Michael Haydn innehatte. Hier komponierte er seine ersten großen Werke und einige Opern.
Als Ditters 1769 Kapellmeister des Prinzbischofs von Breslau, dem Grafen Scaffgotsch, wurde, ließ er sich für die nächsten 25 Jahre in Johannisberg nieder (Nebenher bekleidete er das Amt des Forstmeisters). Diese bestens gepolsterte Situation gewährte ihm Sicherheit und inspierte eine ausserordentliche Bandbreite musikalischen Schaffens, das vor allem in Wien ausgiebig zum Tragen kam und ihm grosse Wertschätzung eintrug.
1770 wurde sein Ruhm besiegelt durch den päpstlichen Orden vom Golden Sporn, drei Jahre später erhob ihn Kaiserin Maria Theresia in den Adelsstand. Diese Gelegenheit nahm Ditters zum Anlass, sich nunmehr mit dem zusätzlichen (und elegant alliterierenden) Namen «von Dittersdorf» zu schmücken, obwohl er weder aus dieser Stadt stammte noch sie wahrscheinlich je zu Gesicht bekam.
Offenbar ging es ihm in Johannisberg gut, so daß er es sich 1774 leisten konnte, die Berufung zum Königlichen Hofkapellmeister bei Kaiser Joseph II. abzulehnen. Nach dem Tod des Prinzbischofs verbrachte Dittersdorf seine letzten Lebensjahre auf den böhmischen Gütern des Baron Ignaz von Stillfried. Er starb am 24. Oktober 1799.
Daß Dittersdorf sich großer Beliebheit erfreute und sich in eleganten Wiener Kreisen bewegte, wird durch das Tagebuch von Michael Kelly belegt, einem Schüler Mozarts. Er berichtet von der Aufführung eines Streichquartetts, das aus Joseph Haydn und Dittersdorf an den Violinen, Mozart an der Bratsche und Johann Baptist Vanhal (Wanhal) am Cello bestand.
In den frühen 1870er Jahren komponierte Dittersdorf 12 Symphonien nach Erzählungen aus den Metamorphosen des römischen Dichters Ovid, von denen sechs spurlos verschwanden, bevor sie veröffentlicht werden konnten - sie sind nur in Form von Klavierduetten erhalten. Die sechs erhaltenen Werke zeugen von der Fähigkeit des Komponisten, einprägsame Themen zu schaffen (oft als ausgedehnte Soli für Blasinstrumenten), seinem Talent für das Orchestrieren und einem ganz speziellen Witz, mit dem er seinem Zeitgenossen Joseph Haydn den Kampf ansagte. Ausserdem ist sein Umgang mit Fragen der Form sehr erfrischend, vor allem durch die Verwendung von Märschen und Menuetten in den äusseren Sätzen.
Symphony No. 1 in C-Dur
«Die vier Weltalter»
Wie bei allen Symphonien des Zyklus stellt Dittersdorf auch hier jedem Satz ein kurzes, lateinisches Zitat aus dem zugeordneten Gedicht voran. Der erste Satz erzählt von einem Zeitalter, als die Menschheit treu an ihrem Glauben festhielten, obwohl niemand da war, der es ihnen gebot. Die Musik eröffnet mit einem Marsch, der aus eben jener Epoche zu kommen scheint, die auch der Marsch der Priester in Mozarts Zauberflöte herbeiruft. Man darf annehmen, daß Mozart die Symphonie kannte, denn der gesamte Zyklus wurde 1786 in Wien uraufgeführt, im Jahr von La Nozze di Figaro.
Der Sonatenform-Teil des ersten Satzes steht stellvertretend für das Zeitalter des Silbers und erfreut sich - in seiner Entwicklung der Bronzezeit bereits überlegen - an Vielfalt und Reichtum der Jahreszeiten. Dem entspricht Dittersdorf auch musikalisch durch eine weit grössere musikalische Bandbreite, als wir sie im einleitenden Marsch erlebten.
Das Minuetto con garbo repräsentiert das Zeitalter der Bronze, hier war der Mensch wilder und kriegerischer, gleichzeitg aber ohne Niedertracht - Qualitäten, die sich in kantigen Themen in den äusseren Sätzen niederschlagen.
Im letzten Satz erreichen wir das Zeitalter des Eisens, hier bricht die Niedertracht in vollem Umfang aus. Eine fallende und sich beschleunigende chromatische Phrase wird von Rufen der Trompete unterbrochen - eine Attacke wird vorbereitet, die sich durch für Dittersdorf typische Motive auszeichnet, vor allem lange harmonische Passagen und Ketten von Sequenzen. Die Gewalttätigkeiten klingen ab und werden durch einen Siegesmarsch abgelöst, ein unbehaglicher Kontrast zum Marsch, mit dem das Werk eröffnete.
Symphony No.2 in D-Dur
«Der Sturz Phaëtons»
Phaëton war der Sohn der Sterblichen Clymene. Eines Tages macht er sich auf, um seinen Vater Helios, den Sonnengott, aufzusuchen. Phaëton bittet den Vater, ihm seien Streitwagen für einen Tag zu überlassen. Helios aber hat böse Vorahnungen und lehnt anfangs ab, lässt sich aber schließlich vom Flehen seines Sohnes anrühren und gibt nach. Phaëtons Unerfahrenheit jedoch lässt die Pferde bald durchgehen und setzt so die Erde der Gefahr des Feuers aus. Zeus, König der Götter, bemerkt dies und schleudert einen Blitz auf Phaëton, der sich in den Fluß Eridanus zu Tode stürzt.
Dittersdorfs erster Satz beschreibt den Thron des Helios, glänzend von Gold und vergoldeter Bronze. Die synkopierte Eröffnung erinnert wiederum an Mozart - hier an die Anfangstakte seines D-Moll-Klavierkonzerts K.566 - und erzeugt so einen Grad an Spannung, der dem Satz den Nimbus einer sehr ernsten Angelegenheit verleiht.
Der zweite Satz ist ein Dialog zwischen Vater und Sohn. Phaëton bittet - fleht -, den Streitwagen benutzen zu dürfen. Helios erwidert mit einem unmißverständlichen «Nein!», das jedoch nach und nach schwächer wird. Dittersdorfs Satztechnik ist hier sehr gewählt, mit einem Fagott, das die Geigen eine Oktave tiefer verdoppelt, was uns daran erinnert, daß er ein begabter Opernkomponist war.
Das Menuett berichtet von Helios´Befürchtungen, sollte er den Wunsch seines Sohnes erfüllen. Es erklingt in einem ernsten Ton, mit dem tiefen Schmerz des Bedauerns in Takt 3 und 4.
Der abschliessende Satz erzählt von Phaëtons schicksalshafter Fahrt in den Himmeln. Interessanterweise beginnt Dittersdorf das Finale mit einer moll-gefärbten Fassung der Einleitung dieser Symphonie. Das Drama des Blitzes ist von holzschnittartiger Wucht, und das Werk schliesst ab mit einem Sonnenuntergang, als Helios seinen Sohn beweint.
Merkwürdigerweise schreibt Ditersdorf in dieser Symphonie nicht für Pauken. In den 1780er Jahren erwartete niemand Trompeten ohne Pauken, sodaß man vernünftigerweise annehmen darf, daß Dittersdorf vom Paukisten erwartete, seinen Part nach der Konvention zu improvisieren. Für dieses Verfahren gibt es durchaus Vorgänger ( zum Beispiel Mozarts Symphonie No.32, K.318), und Zeus´Blitz schreit geradezu nach machtvoller Unterstützung; tatsächlich wird heute die Symphonie häufig mit Pauken aufgeführt.
Symphony No. 3 in G
«Verwandlung Aktaeons in einen Hirsch»
Aktaeon war der Sohn von Kadmus, dem Gründer der Stadt Theben. Eines Tages, bei einem Jagdvergnügen, wird er von der Jadgesellschaft getrennt und findet sich inmitten einer Waldlichtung wieder, auf der im Nebel Diana, die Göttin der Jagd, nackt badet. In ihrem Zorn über die Störung verwandelt die Göttin Aktaeon in einem Hirsch, der nun von seinen eigenen Hunden gehetzt und in Stücke gerissen wird.
Dittersdorfs einleitender Satz arbeitet mit typischen zeitgenössischen Jagdmotiven, aber es ist der zweite Satz Pastorale, der speziell ist. Über sanftem Gemurmel der Geigen (con sordino) singt eine solistische Flöte eine lange, pastorale Weise, beantwortet von einem sich wiederholenden, schwermütigen Motiv der Violine, als Diana badet. Diese Szenerie weckt Erinnerungen an die Szene am Bach aus Beethovens Pastoralsymphonie wie auch an die Arie Soave il Vento aus Mozart Cosi van Tutte.
Das Menuett präsentiert Dianas Wut, während der Schluss-Satz sehr «graphisch» Jagd und Tötung nachzeichnet, mit dem endgültigen, erschöpften Niederstürzen des verzauberten Aktaeon, als der letzte Atemzug seinen Körper verläßt.
Symphony No. 4 in F
«Die Rettung der Andromeda durch Perseus»
Als Perseus nach der Ermordung der Medusa zurückflieht, bemerkt er weit unten Andromeda, die als Opfer eines Seeungeheuers an einen Felsen geschmiedet ist. Sofort verliebt er sich, und Andromedas Eltern (Cepheus und Cassiopaeia) versprechen Perseus die Hand ihrer Tochter, wenn er sie rettet. Und so geschieht es nach einem grausamen Kampf mit dem Monster.
Bemerkenswert ist hier der erste Satz. Über sanft pulsierenden Streichern singt die schwermütige Oboe eine große Klage: Dittersdorf verwendet hier Haydns bevorzugten Trick, den Satz mit einer ausgedehnten Begleitfigur zu eröffnen, so daß es wie eine Überraschung wirken muß, wenn man schliesslich bemerkt, daß das Hauptthema vollkommen unterschiedlich ist. Die Illusion von Flucht und Bewegung ist bemerkenswert.
Symphony No. 5 in A
«Verwandlung der lycischen Bauern in Frösche»
Die Göttin Lakona, die ihre Kinder Apollo und Diana (deren Vater Jove war) bei sich trägt, flieht vor dem Zorn der Juno, Joves Ehefrau. Sie ist überhitzt und durstig und will aus einem Teich trinken, wird jedoch von einer Gruppe Bauern zurückgehalten, da ihr hier zu trinkken nicht erlaubt sei. Inständig fleht sie um Wasser, aber keiner gibt nach. Als die Bauern die Göttin bedrohen, schreit sie: « So lebt denn in eurem Teich auf ewig» und verwandelt alle Bauern in Frösche.
Diese Symphonie ist die gradlinigste des gesamten Zyklus. Der erste Satz beschreibt die Bauern, wie sie um den Teich tanzen. Eine starke Verwandschaft mit den Lustbarkeiten der Bauern vor dem Sturm in Beethovens Pastoralsymphonie fällt ins Auge. Im zweiten Satz vernimmt man unüberhörbar Lakonas Flehen um Wasser und die böse Abfuhr in der Antwort der Bauern.
Das Menuett zeigt die Entschlossenheit der Göttin, sich für die erfahrene Schmach zu rächen und schildert im Folgenden ihren Zorn. Besonders in der Koda stellt Dittersdorf aufs Neue seine Geschicklichkeit im Orchestrieren unter Beweis, als die Bauern einer nach dem andern verwandelt werden - gespenstig dargestellt in den Hörnern - bis nichts mehr übrig bleibt als das Quaken der Frösche.
Symphony No. 6 in A
«Die Versteinerung des Phineus uns seiner Freunde»
Während der Hochzeit von Andromeda und Perseus im Palast des Königs Cepheus greift ihr Onkel Phineus die Gesellschaft an, geleitet durch das Mißverständnis, Andromeda sei entführt worden. Ein heftiger Kampf entbrennt, in dessen Verlauf Perseus den abgeschlagenen Kopf der Medusa in die Höhe reckt und so Phineus und seine Freunde zu Stein verwandelt.
Wieder beschreibt Dittersdorf den Höhepunkt der Geschichte auf sehr handgreifliche, «graphische» Art, bevor er die Symphonie mit einem triumphierenden Tanz beendet. Vorher aber werden wir noch unterhalten durch die Hochzeitsfeierlichkeiten, die im zweiten Satz unter anderem mit dem Gesang eines Barden aufwarten.
Übersetzung: Peter Dietz
Nachdruck eines Exemplars aus Sammlung Phillip Brookes.
|