William Sterndale Bennett
(geb. Sheffield, 13. April 1816 – gest. London, 1. Februar 1875)

Symphonie in g-Moll Op. 43

Vorwort
Heutzutage ist fast vergessen, dass William Sterndale Bennett einer der ganz Grossen unter den englischen Komponisten des 19. Jahrhunderts war. In eine Cambrigder Familie geboren, deren Söhne schon seit Generationen als Chorknaben erzogen wurden, liess man Bennett bereits im Alter von 10 Jahren als musikalisches Wunderkind an Geige und Klavier zum Studium an der Royal Academy of Music zu. Nach einigen Jahren begann Bennett, sich auf das Pianospiel und Komposition zu konzentrieren, letzteres Fach unter Anleitung des gerade ernannten Direktors der Royal Academy, des Komponisten Cipriano Potter (1792-1871). Erste internationale Anerkennung wurde ihm zuteil für das Piano Concerto, op. 4, das er im Alter von 16 Jahren komponierte. Dieses Konzert führte man in Anwesenheit von König und Königin in Windsor auf und wiederholte es in der Roayal Academy, wo Felix Mendelssohn es hörte. Mendelssohn war derart begeistert von der Aufführung, dass er den jungen Bennett zu sich nach Deutschland einlud.

In den späten 30er Jahren hielt sich der Komponist häufig in Deutschland auf, wo sein Klavierspiel von Mendelssohn wie von Robert Schumann hochgelobt wurde - Schumann selbst hielt sich in seiner Neue Zeitschrift für Musik mit Anerkennung nicht zurück.
Tatsächlich genoss Bennett in Deutschland so grosse Anerkennung, dass ihm der Dirigentenposten beim Leipziger Gewandhaus-Orchester angeboten wurde, eine Position, die er am Ende aber doch abschlug. Ab Mitte der 40er Jahre widmete er sich hauptsächlich den beruflichen Verpflichtungen als Lehrer, die seine Professuren an der Universität zu Cambridge und an der Royal Academy of Music mit sich brachten. So erlebte seine Produktivität als Komponist einen starken Einbruch gerade in jener Periode, die zu seinen produktivsten gehörte. 1866 ernannte man ihn zum Rektor des Royal College, und seine weitere Karriere war gekennzeichnet durch unzählige öffentliche Ehrungen und eine bemerkenswerte Wiederbelebung seines kompositiorischen Schaffens. Zum Zeitpunkt seines Todes stand Bennett im Ruf eines der beliebtesten englischen Komponisten – es wurde im die Ehre einer Grabstätte in Westminster Abbey zuteil. Bennetts Oeuvre umfasst vier Symphonien, vier Klavierkonzerte, eine Vielzahl von Orchesterouvertüren ( darunter seine bekannteste Komposition The Naiads, Op. 15) und eine Unmenge an kürzeren Werken und Charakterstücken für Kllavier.

Die Symphonie in g-Moll op.43 gehört zu Bennetts Spätwerken, die einzige Symphonie, die er während in seinen reifen Jahren schuf. Sie wurde im Auftrag der Philharmonischen Gesellschaft 1863 geschrieben und am 27. Juni 1864 in den Hanover Square Rooms uraufgeführt. Diese Version der Symphoie bestand aus nur drei Sätzen: Allegro moderato, Menuetto und Rondo finale. Bennetts Lehrverpflichtung zu jener Zeit erschwerten die Vollendung des Werks, und mit Mühe stellte er die erste Fassung der Symphonie kurz vor Abgabetermin fertig. Tatsächlich handelt es sich bei dem Menuetto um eine erweiterte Version eines Orchestersatzes aus seiner Cambridge Installation Ode von 1862.

Die Symphonie entpuppte sich aber als so beliebt, dass die Philharmonische Gesellschaft Bennett bat, einen eigenständigen dritten Satz zu schreiben, die Romanza. Bis zum Ende des ersten Weltkrieg büßte das Werk nichts von seiner Popularität ein, seither aber war es nur noch in wenigen Aufführungen zu hören. Auch in Deutschland fand man Gefallen an der Komposition, hier wurde sie am 12. Januar 1865 in Leipzig durch das Gewandhaus-Orchester uraufgeführt.

Ohne Zweifel und auf den ersten Blick erkennt man, dass Bennett sich an Mozarts berühmter Symphonie No.40 in g-Moll orientierte. Gleich zu Beginn des ersten Satzes kommt Bennett zur Sache, ein sanftes Thema in den tiefen Registern der Violinen leitet über zu einer Melodie, präsentiert von den Holzbläsern. Der Satz folgt der klassischen Sonatenform, jedoch eher in nach Mendelssohns Art denn an Mozart angelehnt. So erklingt die recht kurze, nur um die 40 Takte dauernde Durchführung der Symphonie eher gelassen und heiter, ganz anders also als Mozarts leidenschaftliches und ausschweifend modulierendes Pendant im ersten Satz seiner 40. Symphonie.

Der zweite Satz Menuetto schreitet von Beginn an in attacca voran, und präsentiert sich solcherart als maestoso-Vorspiel zum folgenden lieblichen Menuett. Höchst bemerkenswert in diesem Satz ist, das das Trio ausschliesslich im Blech stattfindet, ganz untypisch für Mozart, umso populärer aber unter den britischen Symphonikern des 19. Jahrhunderts.

Romanza, der dritte Satz, ist Mendelssohn am verwandtesten. Einige Kommentatoren beschreiben ihn als eine an die späten Lieder ohne Worte gemahnende Musik. Ungewöhnlich in diesem Abschnitt ist die Tatsache, dass fast das gesamte melodisch-thematische Material von den Bratschen gespielt wird.

Der letzte Satz Rondo finale beginnt – wie auch der dritte – attacca, mit presto im Tempo und schnellen staccato-Phrasen bei den Streichern und Bläsern. Nicht Mozarts Pathos aus seiner g-Moll-Symphonie ertönt, sondern überströmende Fülle nach Art Mendelssohns, besonders deutlich zu erleben in jenen grossen Abschnitten des Satzes, die eher zum gleichnamigen Dur modulieren als zum paralellen Dur. Der g-Moll-Schluss der Symphonie klingt tatsächlich wie ein nachträglicher Einfall, eine Art Umkehrung der Pikardischen Terz.

Bennett war ein überlegener musikalischer Handwerker und ein Meister der klassischen Form – leicht nachzuvollziehen also, warum Mendelssohn und Schumann seine Werke hoch einschätzten. Man muss bedauern, dass Bennett sich nicht ausgiebiger dem Komponieren widmete, vor allem in seinen mittleren und späten Jahren. Die Werke, die er schliesslich doch vollendete, reichen dennoch aus, um Bennett als grosses Talent wertzuschätzen, wenn auch nicht ganz vom Range eines Schumann oder Brahms, aber als eine zeichensetzende musikalische Erscheinung, dessen Werke weit grössere Aufmerksamkeit verdienen und wert sind, auch heute noch aufgeführt zu werden.

Übersetzung: Peter Dietz, 2005

Aufführungsmaterial ist von Kistner und Sigel, Wiesbaden zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.

 

William Sterndale Bennett
(b. Sheffield, 13 April 1816 – d. London, 1 February 1875)

Symphony in G Minor, Op. 43

Preface
Although little known today, William Sterndale Bennett was one of the leading lights of British music during the 19th century. Descended from several generations of Cambridge choristers, Bennett was admitted to the Royal Academy of Music at the age of 10 as a child virtuoso on both violin and piano. After several years, Bennett began to concentrate on piano performance and composition, the latter being taught by the newly appointed director of the Royal Academy, the composer Cipriani Potter (1792-1871). Bennett first gained international recognition with his Piano Concerto, Op. 4, composed when he was only 16. This work was performed before the king and queen at Windsor and was repeated at a performance at the Royal Academy where it was heard by Felix Mendelssohn, who was so impressed that he invited the young Bennett to visit him in Germany.

In the late 1830s, Bennett spent much time in Germany, where his compositions and piano playing were praised by both Mendelssohn and Robert Schumann, the latter praising him in print in his journal Neue Zeitschrift für Musik. Indeed, Bennett’s reputation in Germany was so great that he was even offered the conductorship of the Leipzig Gewandhaus Orchestra, a position he ultimately turned down.

From the mid-1840s, Bennett’s career was preoccupied mostly with his teaching duties, which included professorships at both Cambridge University and the Royal Academy of Music. His compositional output fell sharply in what should have been his most productive years. He became the principal of the Royal Academy in 1866, and his later career was marked by numerous public honors and a marked resurgence in his creative output. At the time of his death in 1875, Bennett was one of the most beloved composers in British history and was afforded the honor of being buried in Westminster Abbey. His compositional oeuvre included 4 symphonies, 4 piano concertos, numerous orchestral overtures (including his most popular work, The Naiads, Op. 15), several chamber works, and a host of shorter works and characteristic pieces for the piano.

The Symphony in G Minor, Op. 43 is a late work of Bennett’s and the only symphony from his mature period. Commissioned by the Philharmonic Society in 1863, the work received its first performance at Hanover Square Rooms on June 27, 1864. This version of the symphony, however, only had three movements: Allegro moderato, Menuetto, and Rondo finale. Bennett’s teaching duties at the time made completion of the work problematic, and he barely finished the first version of the work before its due date. In fact, the Menuetto is an expanded version of an orchestral movement from Bennett’s Cambridge Installation Ode of 1862.

The symphony proved to be so popular that the Philharmonic Society commissioned Bennett to write a third movement, the Romanza. The second and final version of the symphony was premiered on July 1, 1867. The work retained its popularity in the repertoire until the end of the First World War, but has since received few performances. The symphony was also well received in Germany and was premiered in Leipzig on January 12, 1865 by the Gewandhaus Orchestra.

It is almost immediately apparent that Bennett’s model for his symphony was Mozart’s famous Symphony No. 40 in G Minor, K. 550. The first movement begins with a sense of in media res, with an undulating theme in the lower register of the violins for several bars before a melody is stated by the woodwinds. The movement follows classical sonata form, but more in the style of Mendelssohn than Mozart. For example, the relatively short 40 some bars of the development section are tentative and almost serene in nature, quite unlike the fiery and highly modulatory development section of the first movement of Mozart’s 40th Symphony.

The second movement, Menuetto, proceeds almost attacca from the first, and features a maestoso introduction to the charming minuet. What is most remarkable about this movement is that the Trio is scored exclusively for the brass section, a most un-Mozartean technique, but one that was popular among British symphonists of the 19th century.

The third movement, Romanza, is the most like Mendelssohn, and has been described by some commentators as reminiscent of one of the latter’s songs without words. An unusual aspect of the movement is the scoring of most of the melodic thematic material for the violas.

The final movement, Rondo finale, begins attacca from the third, and features a presto tempo and rapid staccato phrases in both the strings and winds. There is a Mendelssohnian exuberance to the movement that differs greatly from the pathos of Mozart’s G Minor Symphony, accountable in large part from large portions of the movement modulating to the parallel major rather than to the relative major. In fact, the g minor ending of the symphony almost seems like an afterthought, a sort of reversal of the old tierce de Picardie.

Bennett was a fine musical craftsman and a master of classical forms. It is understandable why Mendelssohn and Schumann thought so highly of his works. It is perhaps regrettable that Bennett did not devote more time to composition in his middle and late years. Nevertheless, the works that Bennett did complete are enough to be able to say that his was a formidable talent, not quite in the league of Schumann and Brahms, but a significant musical presence whose works deserve greater attention and are eminently worthy of being performed today.

William Grim, 2005

For performance material please contact the publisher Kistner und Sigel, Köln. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.