Max Bruch
(geb. Köln, 6. Januar 1838 - gest. Friedenau bei Berlin, 20. Oktober 1920)

Dritte Symphonie
E-Dur, op. 51(1870-86)

Vorwort
In dem renommierten Führer durch den Concertsaal von Hermann Kretzschmar aus dem Jahr 1890 steht zur Ersten Symphonie von Max Bruch, sie sei «eine der bekanntesten der Periode». Aufführungsdaten belegen, dass dies keineswegs eine Fehleinschätzung war, nur war diese „Periode“ bereits bei Erscheinen des Konzertführers abgelaufen. Bruchs drei Symphonien gerieten schnell in Vergessenheit, und wer heute eine der seltenen Druckausgaben dieser Werke sucht , wird allenfalls in großen Bibliotheken fündig. Bruch kam mit seinen Symphonien zu spät, und ihn bestrafte sprichwörtlich das Leben.

Hatten Bruchs Zeitgenossen, insbesondere Johannes Brahms, noch anfänglich Skrupel, mit ihren symphonischen Erstlingen in Erscheinung zu treten - Brahms veröffentlichte seine Erste Symphonie erst 1877 im Alter von 44 Jahren - so setzten sie doch bald neue Maßstäbe und entwickelten eine ausdrucksstärkere, modernere Tonsprache, der Max Bruch nicht folgen konnte und wollte. Bruchs Werke sind der Ästhetik Schumanns und Mendelssohns verpflichtet, und als Bruch 1886 seine Dritte Symphonie zum Druck freigab, war für ihn im Alter von 48 Jahren das Projekt «Symphonie» bereits abgeschlossen. Bruchs Anachronismus steht bis heute seinen Werken im Wege - mit Ausnahme einiger konzertanter Stücke und insbesondere natürlich seines g-moll Violinkonzerts. Äußerungen Bruchs aus späteren Jahren belegen, dass ihm dies durchaus bewusst war. Als er 1907 gefragt wird, wie in 50 Jahren seine und Brahms Kompositionen beurteilt werden, antwortet er durchaus realistisch: «In 50 Jahren wird sein (Brahms) Glanz als der des überragendsten Komponisten aller Zeiten hell erstrahlen, während man sich meiner nur wegen meines g-moll Violinkonzertes erinnern wird.» Doch nach nunmehr weiteren 50 Jahren verdienen es die Werke Bruchs durchaus wiederbelebt zu werden, und wer sich unbefangen, ohne historische Vergleiche anzustellen, den drei Symphonien Bruchs nähert, entdeckt die reichhaltige Melodik, die elegante Instrumentation und die formale Ausgewogenheit dieser Musik - zweifellos eine Bereicherung für das romantische Repertoire.

Bruchs letzte Symphonie hat die längste Entstehungsgeschichte. Erste thematische Einfälle reichen in die Sondershausener Zeit Ende 1870 zurück, aber nach dem Misserfolg seiner f- moll Symphonie kommt es zunächst zu keiner Ausarbeitung dieser Gedanken. Im Sommer 1882 - Bruch war als Dirigent im englischen Liverpool beschäftigt - erfolgte ein Auftrag der New York Symphony Society an Bruch für die Erstellung einer neuen Symphonie. Schon im Oktober schickte Bruch die fertige Partitur über den Atlantik, und am 19. Dezember fand die Uraufführung unter Leitung von Leopold Damrosch in New York statt. Eine weitere Aufführung ist für Februar 1883 in Boston belegt, und Bruch selbst dirigierte das Werk im April noch einmal in New York, nahm dann jedoch die Partitur wieder an sich, um Revisionen durchzuführen. «Adagio und Scherzo waren all right, am 1. Satz und am letzten Satz muß ich noch etwas tun; der 1. Satz war ein bißchen zu lang, der letzte etwas zu kurz.», schrieb er damals dem Verleger Simrock. Doch die Revisionen erstreckten sich über den langen Zeitraum von 1884 bis 1886. Bruch war mittlerweile in Breslau beschäftigt und ließ die revidierte Partitur ein paar Proben mit seinem Orchester durchspielen. Am 26. Oktober 1886 erlebte das Werk in Breslau seine zweite Uraufführung, diesmal in der endgültigen Gestalt.

Das heute im Max Bruch- Archiv, Köln, aufbewahrte Manuskript veranschaulicht die Ausmaße der Revisionen (zahlreiche Klebungen, Aneinanderheftungen von Seiten, mehrfach berichtigte Seitenzahlen etc.), die sich keineswegs nur auf die Ecksätze beziehen (der erste Satz war ursprünglich 20 Partiturseiten länger). Einige Passagen mussten sogar neu geschrieben werden (z. T. von fremder Hand), um die zahlreichen Proben und Aufführungen aus dem handschriftlichen Material bewerkstelligen zu können.

Trotz der Überredungsversuche Bruchs ließ sich der Verleger Simrock nicht darauf ein, nach der wenig erfolgreichen zweiten Symphonie noch eine weitere Symphonie zu publizieren, so dass das Werk als op. 51 erst 1887 bei Breitkopf & Härtel im Druck erschien.

Bruchs E - Dur Symphonie ist wieder traditionell viersätzig. Der Anfangssatz zeigt bezüglich Thematik und Tonart auffällige Parallelen zum Vorspiel seiner Oper Loreley, und ursprünglich plante Bruch tatsächlich den Beinamen «Am Rhein» für seine letzte Symphonie, doch nahm er davon wieder Abstand. Besonders wirkungsvoll ist das C- Dur Scherzo, das schon bei der Uraufführung in New York einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Einige Dirigenten setzten es später aus Gründen der Dramaturgie an die zweite Satzposition, um es vom Finale besser abzusetzen. Überhaupt ist die Dritte Symphonie recht abwechslungsreich gestaltet, was sicherlich als Reaktion auf die Erfahrung mit ihrer Vorgängerin zurückzuführen ist. Mag auch die Fülle von Themen und Motiven z. T. eher potpourrihaft aneinandergereiht als wahrhaft thematisch verarbeitet wirken, so überzeugt diese Symphonie doch durch ihre «rheinischen Lebensfreude» und bildet einen gelungenen Abschluss für Bruchs Symphonieschaffen.

Wolfgang Eggerking, 2005

Aufführungsmaterial ist von Breitkopf und Härtel, Wiesbaden zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars des Max Bruch Archiv im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln.

 

Max Bruch
(b. Cologne, 6 January 1838 – d. Berlin, 20 October 1920)

Symphony No. 3
in E minor, op. 51 (1870-86)

Preface
Hermann Kretzschmar, in his renowned concert guide of 1890, Führer durch den Concertsaal, tells us that Max Bruch’s First Symphony is «one of the best-known of the period.» Performance statistics bear out his assessment, the only problem being that the «period» had already come to a close by the time his book appeared. Bruch’s three symphonies quickly fell into oblivion, and anyone searching for one of the rare printed editions of these pieces today is most likely to find them in a well-stocked library. Bruch’s symphonies arrived too late in the day, and paid the proverbial price.

At first Bruch’s contemporaries, most notably Johannes Brahms, were wary of appearing in the public arena with their first symphonies. (Brahms waited until he was forty-four before publishing his First Symphony in 1877.) Nevertheless, they soon set new standards and developed a more expressive and modern idiom than Bruch was able or willing to adopt. Bruch’s works are beholden to the artistic credo of Schumann and Mendelssohn, and by the time he sent his Third Symphony to the printers in 1886, at the age of forty-eight, his «symphonic project» was already at an end. Bruch’s anachronistic stance has posed an obstacle to his works to the present day, with the exception of a few pieces for solo instrument and orchestra, first and foremost of course his G-minor Violin Concerto. Statements from his later years reveal that he was perfectly aware of this state of affairs. Asked in 1907 how his and Brahms’s compositions would be judged in fifty years’ time, he gave a thoroughly realistic answer: «In fifty years [Brahms’s] star will still shine radiantly as that of the outstanding composer of all the ages, whereas I will be remembered solely for my G-minor Violin Concerto.» Today, however, another fifty years have elapsed, and Bruch’s works merit revival. Anyone who approaches his three symphonies without preconceptions or historical comparisons will discover the rich vein of melody, elegant orchestration, and formal balance of this music - beyond doubt a welcome addition to the romantic repertoire.

Bruch’s final symphony also had the longest gestation. His initial thematic ideas date back to late 1870 in his Sondershausen period. Following the failure of his F-minor Symphony, however, he at first declined to elaborate these ideas. In the summer of 1882, while working as a conductor in the British city of Liverpool, Bruch was commissioned by the New York Symphony Society to write a new symphony. By October he was able to ship the finished score across the Atlantic, and on 19 December the première was conducted by Leopold Damrosch in New York. Another performance is known to have taken place in Boston in February 1883, and Bruch himself conducted the piece in April, again in New York. He then withdrew the score to carry out revisions. «The Adagio and Scherzo were ‘all right’,» he wrote to his publisher Simrock, using the English expression, «but I still have to do something about the opening movement and the finale. The first was a bit too long, the last a mite too short.» The revisions kept him busy for a long time, from 1884 to 1886. By then Bruch was a conductor in Breslau and had his orchestra run through the revised score in a couple of rehearsals. On 26 October 1886 the symphony received a second première in Breslau, this time in its definitive form.

The autograph score, preserved today in the Max Bruch Archive in Cologne, reveals the extent of Bruch’s revisions: many passages are pasted over with strips of paper, some pages are stitched together, and the page numbers were altered several times. His changes were not limited to the outside movements, although the first movement was originally twenty pages longer in full score. Several passages even had to be written out afresh, in some cases by a copyist, before the many rehearsals and performances could be negotiated from the handwritten orchestral material.

Despite Bruch’s attempts at persuasion, his publisher Simrock refused to issue yet another symphony following the ill fortune of the Second. As a result, the work did not appear in print until 1887, when it was published as op. 51 by Breitkopf & Härtel.

Bruch’s final symphony follows the traditional four-movement pattern. The opening movement reveals striking parallels in theme and key to the prelude to his opera Die Loreley; indeed, Bruch originally planned to nickname the work «On the Rhine,» though he later decided against it. The C-major Scherzo is particularly effective and already created a lasting impression at the New York première. To improve the work’s dramatic structure, several conductors placed it in the position of the second movement in order to set it apart from the finale. All in all, the Third Symphony is quite varied and diverse, doubtless in reaction to Bruch’s experiences with its predecessor. If the abundance of themes and motifs sometimes makes it seem more like a medley than a proper thematic construct, it nevertheless convinces us with its “Rhenish joie de vivre” and forms a worthy finish to Bruch’s symphonic output.

Translation: Bradford Robinson, 2005

For performance material please contact the publisher Breitkopf und Härtel, Wiesbaden. Reprint of a copy from the Max Bruch Archiv im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln.