Max Bruch
(geb. Köln, 6. Januar 1838 - gest. Friedenau bei Berlin, 20. Oktober 1920)

Erste Symphonie
Es- Dur op. 28 (ca. 1865 - 68)Max Bruch
(b. Cologne, 6 January 1838 – d. Berlin, 20 October 1920)

Vorwort
In dem renommierten Führer durch den Concertsaal von Hermann Kretzschmar aus dem Jahr 1890 steht zur Ersten Symphonie von Max Bruch, sie sei «eine der bekanntesten der Periode». Aufführungsdaten belegen, dass dies keineswegs eine Fehleinschätzung war, nur war diese „Periode“ bereits bei Erscheinen des Konzertführers abgelaufen. Bruchs drei Symphonien gerieten schnell in Vergessenheit, und wer heute eine der seltenen Druckausgaben dieser Werke sucht , wird allenfalls in großen Bibliotheken fündig. Bruch kam mit seinen Symphonien zu spät, und ihn bestrafte sprichwörtlich das Leben.

Hatten Bruchs Zeitgenossen, insbesondere Johannes Brahms, noch anfänglich Skrupel, mit ihren symphonischen Erstlingen in Erscheinung zu treten - Brahms veröffentlichte seine Erste Symphonie erst 1877 im Alter von 44 Jahren - so setzten sie doch bald neue Maßstäbe und entwickelten eine ausdrucksstärkere, modernere Tonsprache, der Max Bruch nicht folgen konnte und wollte. Bruchs Werke sind der Ästhetik Schumanns und Mendelssohns verpflichtet, und als Bruch 1886 seine Dritte Symphonie zum Druck freigab, war für ihn im Alter von 48 Jahren das Projekt «Symphonie» bereits abgeschlossen. Bruchs Anachronismus steht bis heute seinen Werken im Wege - mit Ausnahme einiger konzertanter Stücke und insbesondere natürlich seines g-moll Violinkonzerts. Äußerungen Bruchs aus späteren Jahren belegen, dass ihm dies durchaus bewusst war. Als er 1907 gefragt wird, wie in 50 Jahren seine und Brahms Kompositionen beurteilt werden, antwortet er durchaus realistisch: «In 50 Jahren wird sein (Brahms) Glanz als der des überragendsten Komponisten aller Zeiten hell erstrahlen, während man sich meiner nur wegen meines g-moll Violinkonzertes erinnern wird.» Doch nach nunmehr weiteren 50 Jahren verdienen es die Werke Bruchs durchaus wiederbelebt zu werden, und wer sich unbefangen, ohne historische Vergleiche anzustellen, den drei Symphonien Bruchs nähert, entdeckt die reichhaltige Melodik, die elegante Instrumentation und die formale Ausgewogenheit dieser Musik - zweifellos eine Bereicherung für das romantische Repertoire.

«Was für ein herrliches Notenpapier! Wo haben Sie das nur her?», wird Brahms gerne anekdotenhaft zitiert, nachdem Bruch diesem eine neue Partitur vorgelegt haben soll. Das Verhältnis der beiden Komponisten zueinander war gewiss nicht frei von Spannungen, was wohl weniger an den unterschiedlichen musikalischen Geschmacksrichtungen lag als an den Persönlichkeiten selbst. Brahms konnte mit seiner rustikalen Art sehr verletzend sein, Bruch andererseits war diesbezüglich sehr «dünnhäutig» und später auch eifersüchtig auf den erfolgreicheren Komponistenkollegen. Dessen ungeachtet genoss Brahms jedoch stets die künstlerische Wertschätzung Bruchs, ein Beleg hierfür ist die Erste Symphonie, die Brahms «in Freundschaft» gewidmet ist.

Die Anfänge dieser Symphonie reichen zurück in die Zeit, als Bruch noch Kapellmeister in Koblenz war (1865-1867), vollendet wurde das Werk aber erst im Frühjahr 1868 in Sondershausen, wo mit dem dort ansässigen Orchester unter Bruchs Leitung am 26. Juli auch die Uraufführung stattfand. Zeitgenössischen Quellen zufolge war die Satzfolge: 1. Allegro maestoso, 2. Intermezzo (Andante con moto), 3. Scherzo, 4. Grave/Allegro guerriero (Finale).

Der ursprüngliche zweite Satz (Intermezzo, in H-Dur !) schied aber sehr bald aus, und Bruch widmete die Grave - Einleitung des letzten Satzes zum eigenständigen Satz um, so dass die Viersätzigkeit gewahrt blieb ( ein handschriftlicher Stimmensatz des ausgeschiedenen Satzes ist im Notenarchiv des Sondershausener Orchesters erhalten geblieben!).

Die Drucklegung des Werkes in seiner endgültigen Gestalt als op. 28 erfolgte 1870 im Verlagshaus Cranz, Bremen, wo Bruch auch schon sein g-moll Violinkonzert publiziert hatte. Brahms, der sich zuvor schon für die Widmung bei Bruch herzlich bedankt hatte, schrieb über eine Aufführung am 20.2.1870 in Wien: «Die Sinfonie ging wirklich ganz vortrefflich - durchaus. Sie wurde in allen Sätzen ohne Widerspruch applaudiert. Namentlich das Scherzo hatte einen ganz ungewöhnlichen Beifall, den indes nicht bloß das Stück, sondern auch die prächtige, schwungvolle Ausführung verdiente…»

Der erste Satz sowie das es - moll Grave erinnern nicht nur tonartlich an die Rheinische Symphonie von Schumann, das g - moll Scherzo ist sicherlich durch Mendelssohns Sommernachtstraummusik inspiriert, und die Satzbezeichnung Allegro guerriero findet sich gewiss nicht zufällig auch in Mendelssohns Schottischer Symphonie. Doch selbst wenn man berücksichtigt, dass Bruch als Schülerarbeiten schon mindestens drei (nicht überlieferte) Symphonien vor seiner Es - Dur Symphonie konzipiert hatte, so überrascht doch die sichere Handhabung des Orchesterapparates und die stringente Formgestaltung, mit der Bruch hier an Schumann und Mendelssohn anknüpfend seine eigene Tonsprache entwickelt.

Wolfgang Eggerking, 2005

Aufführungsmaterial ist von Kistner und Sigel, Köln zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars des Max Bruch Archiv im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln.

 

 

Max Bruch
(geb. Köln, 6. Januar 1838 - gest. Friedenau bei Berlin, 20. Oktober 1920)

Symphony No. 1
in E-flat major, op. 28 (c. 1865-68)

Preface
Hermann Kretzschmar, in his renowned concert guide of 1890, Führer durch den Concertsaal, tells us that Max Bruch’s First Symphony is «one of the best-known of the period.» Performance statistics bear out his assessment, the only problem being that the «period» had already come to a close by the time his book appeared. Bruch’s three symphonies quickly fell into oblivion, and anyone searching for one of the rare printed editions of these pieces today is most likely to find them in a well-stocked library. Bruch’s symphonies arrived too late in the day, and paid the proverbial price.

At first Bruch’s contemporaries, most notably Johannes Brahms, were wary of appearing in the public arena with their first symphonies. (Brahms waited until he was forty-four before publishing his First Symphony in 1877.) Nevertheless, they soon set new standards and developed a more expressive and modern idiom than Bruch was able or willing to adopt. Bruch’s works are beholden to the artistic credo of Schumann and Mendelssohn, and by the time he sent his Third Symphony to the printers in 1886, at the age of forty-eight, his «symphonic project» was already at an end. Bruch’s anachronistic stance has posed an obstacle to his works to the present day, with the exception of a few pieces for solo instrument and orchestra, first and foremost of course his G-minor Violin Concerto. Statements from his later years reveal that he was perfectly aware of this state of affairs. Asked in 1907 how his and Brahms’s compositions would be judged in fifty years’ time, he gave a thoroughly realistic answer: «In fifty years [Brahms’s] star will still shine radiantly as that of the outstanding composer of all the ages, whereas I will be remembered solely for my G-minor Violin Concerto.» Today, however, another fifty years have elapsed, and Bruch’s works merit revival. Anyone who approaches his three symphonies without preconceptions or historical comparisons will discover the rich vein of melody, elegant orchestration, and formal balance of this music - beyond doubt a welcome addition to the romantic repertoire.

«What wonderful manuscript paper! Wherever did you find it?» This, so an anecdote tells us, was Brahms’s response when Bruch showed him his new score. Granted, the relations between the two men were not exactly carefree. This had less to do with differences in their musical taste than in their respective personalities. Brahms, with his gruff manner, could be extremely offensive. Bruch, in contrast, was very «thin-skinned» in this respect and, in later years, highly jealous of his more successful colleague. Nonetheless, there was never a moment when Brahms did not enjoy Bruch’s artistic appreciation. Proof of this can be found in the First Symphony, which Bruch dedicated to Brahms «in friendship.»
The origins of this symphony date back to the days when Bruch was still a conductor in Koblenz (1865-67), but it was not completed until the spring of 1868 in Sondershausen, where the local orchestra gave the piece its first hearing under Bruch’s baton on 26 July. According to contemporary accounts, the sequence of movements was 1) Allegro maestoso, 2) Intermezzo (Andante con moto), 3) Scherzo, and 4) Grave/Allegro guerriero (Finale). The original second movement, the Intermezzo (in B major!), was quickly scuttled, however, and Bruch reworked the introductory Grave of the finale into a movement in its own right, thereby preserving the four-movement structure. (A handwritten set of parts for the discarded movement survives in the archives of the Sondershausen Orchestra.)

In its final form, the symphony was published as op. 28 in 1870 by Cranz in Bremen, the same publishing house that had issued Bruch’s G-minor Violin Concerto. Brahms thanked him warmly for the dedication and later sent an account of a Viennese performance given on 20 February 1870: «The symphony came off splendidly, really it did. Every movement was applauded without reservation. The Scherzo in particular received an unusual round of applause, which not only the piece but the magnificent and energetic performance fully deserved....»

The first movement and the E-flat minor Grave recall Schumann’s “Rhenish” Symphony, not only in their choice of key. The G-minor Scherzo surely takes a leaf from the book of Mendelssohn’s incidental music to A Midsummer Night’s Dream, and it is certainly no coincidence the heading “Allegro guerriero” is also found in Mendelssohn’s “Scottish” Symphony. But even bearing in mind that Bruch’s op. 28 was preceded by at least three (lost) symphonies from his student years, the skilful handling of the orchestra and the solid workmanship with which he develops his own tonal language, in the footsteps of Schumann and Mendelssohn, take us by surprise.

Translation: Bradford Robinson, 2005

For performance material please contact the publisher Kistner und Sigel, Cologne. Reprint of a copy from the Max Bruch Archiv im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln.