Bedrich Smetana
(geb. Leitomischel, 2. März 1824 - gest. Prag, 12. Mai 1884)

Libuse
Oper in drei Akten

Vorwort
Bedrich Smetana (1824-1884) komponierte acht Opern und eine unvollendete neunte, Viola, die als Fragment erhalten ist. Seine komische Oper Die verkaufte Braut gehört mittlerweile zum festen Bestandteil des Repertoires, während andere - wie etwa Dalibor (1868) oder Libuse (1869-72) - in den letzten Jahren wiederentdeckt wurden. Smetana bezeich-nete Libuse als «Festoper», denn das Werk entstand zur Einweihung des Tschechischen Nationaltheaters. Die Uraufführung mußte jedoch wegen Verzögerungen bei den Bauarbeiten immer wieder verschoben werden und fand erst am 11. Juni 1881 - fast ein ganzes Jahrzehnt nach seiner Entstehung - unter der Leitung des Komponisten statt.

Die dreiaktige Oper Libuse basiert auf einem Libretto von Josef Wenzig, der auch den Text zum Vorgänger Dalibor (1865-67, Neufassung 1870) schrieb. Obwohl ursprünglich in deutscher Sprache verfaßt, hat ihn Smetana in einer von Ervn Spindler gelieferten tschechischen Übersetzung vertont. Die Kompositions- und Übersetzungsarbeiten liefen parallel, wobei der erste Akt im September 1871, der zweite im Februar 1872 und der dritte und letzte im November 1872 vollendet wurden. Obwohl die vollständige Partitur im großen und ganzen bereits 1872 feststand, wurde das Werk dennoch beiseite gelegt, bis das Nationaltheater fertig gebaut war und offiziell eingeweiht werden konnte.

Bei Libuse handelt es sich um eine Episode aus der Geschichte Böhmens und um die Gründung einer jener Herrscherdynastien, die das Wesen der tschechischen Nation formen sollte. Libuse, die Königin von Böhmen, gerät in einen Familienzwist, als sich ihre Vettern Chrudos und Stáhlav ihrer Autorität widersetzen. Auch Libuse selbst weigert sich, dem Willen der Familie zu gehorchen und heiratet den Bürgerlichen Premysl, den sie liebt. Dadurch überträgt sie ihrem Gatten die Königsautorität und legt den Grundstein für die Dynastie der Premysid, die Böhmen bis ins 14. Jahrhundert regieren sollte.

Die großangelegte Oper hat nicht weniger als acht Hauptrollen: die Fürstin Libuse (Sopran), ihren Geliebten Premysl (Bariton), die Brüder Chrudos (Baß) und Stáhlav (Tenor), deren Schwester Radmila (Alt), ihren Onkel Lutobor (Baß), seine Tochter Krasava (Sopran) und einen Chor, der den Hofstaat und auch das tschechische Volk darstellt. Die Handlung spielt in der Bergwelt des heutigen Böhmen, vor allem aber am Vysehrad - einem Ort, der auch den Stoff zu Smetanas sechsteiligen Zyklus Má vlast («Mein Vaterland») lieferte - und im Dorf Stadice.

Der erste Akt ist in zwei Szenen unterteilt, wobei die erste am Vysehrad spielt. Hier lenkt Radmila die Aufmerksamkeit Libuses auf einen Erbstreit zwischen Chrudos und Stáhlav, der durch die Einmischung Krasavas nur noch verschlimmert wird. In der zweiten Szene steigert sich die Feindschaft zwischen den beiden Brüdern, während diese auf das Urteil Libuses warten. Der Onkel Lutobor will gleichzeitig, daß Libuse heiratet, damit sie die Aufgaben des Amtes mit ihrem Gatten teilen kann. Libuse betritt die Bühne und beruft sich auf die Tradition, daß die Brüder die Erbschaft teilen. Chrudos jedoch nimmt das Urteil nicht an, worauf Libuse enttäuscht den Wunsch äußert, ihre Macht auf einen Ehe-mann übertragen zu können, und das Volk auffordert, einen solchen für sie zu nennen. Die Wahl fällt ausgerechnet auf Premysl von Stadice, den Libuse seit Jahren liebt.

Im zweiten Akt konzentriert sich die erste Szene auf die Schwierigkeiten mit Chrudos. Am Anfang der Szene bekennt Krasava ihre Liebe zu Chrudos, den sie jedoch früher verstoßen hatte. Stáhlav und Radmila, die Krasavas Liebesbekenntnisse belauschen, bitten den Vater Lutobor, Krasava für eine Heirat mit Chrudos freizugeben. Lutobor stellt jedoch eine Bedingung: Chrudos muß sich mit Libuse vertragen. Diese Vorgehensweise scheint den Streit wenigstens teilweise zu schlichten. In der zweiten Szene wird die Handlung nach Stradice verlegt, wo Premysl den lang gehegten Wunsch nach einer Lebensgefährtin äußert. Durch die Menge erfährt er, daß er als Ehegatte der Libuse ausgewählt wurde.

Die verschiedenen Handlungsstränge werden in der ersten Szene des dritten Akts zu Ende geführt, als sich die Brüder versöhnen und Krasava mit Chrudos verheiratet wird. Am Ende der Szene wird Libuse auf ihrem Hochzeitszug von Hofdamen begleitet. In der zweiten Szene jedoch zeigt sich Chrudos zunächst unwillig, sich mit Libuse zu versöhnen, wird letztendlich aber doch dazu überredet. Am Ende dieser Szene erlebt Libuse eine Vision von der Zukunft: Sie erblickt Bilder künftiger Grosstaten des tschechischen Volkes, dem eine Machtposition inmitten der Königreiche Europas prophezeit wird.

Was die Musik von Libuse betrifft, gelingt es Smetana im Vorspiel mittels aufwühlender Klangfiguren, eine Stimmung zu erzeugen, die der Gefühlslage der Anfangsszene entspricht. Somit bildet das Vorspiel einen wirkungsvollen Kontrast zur selbstbewußteren Triumphmusik, die in der Schlußszene zur Darstellung des tschechischen Nationalstolzes ertönt. Gleichzeitig bieten auch die einzelnen Nummern musikalisch Bemerkenswertes: Die Arie des Premysl Jiz plane slunce in der zweiten Szene des zweiten Aktes zeichnet sich durch eine starke Ausdruckskraft und ein breites Gefühlsspektrum aus und wird gleich von einer ebenfalls gelungenen Tenorarie Ó vy lípy gefolgt. So muss Premysl zwei anspruchsvolle Nummern innerhalb einer einzigen Szene zu bewältigen. Gegen Ende der Oper - innerhalb der Szene mit Libuses prophetischer Vision - taucht eine Passage unter dem Titel Muj drah´y národ cesky´ neskoná auf, eine Anrufung des Überlebenswillens des tschechischen Volkes, die sogleich vom ganzen Ensemble auf der Bühne aufgegriffen wird und unmißverständlich den nationalistischen Tenor des Werkes präsentiert. Dieser Teil der Oper steht ganz für sich, als ein Augenblick der Besinnung für das Publikums, ähnlich der Chorstellen, die Beethoven gegen Ende der Oper Fidelio nach dem dramatischen Höhepunkt erklingen läßt.

Dies unterstreicht die Bedeutung der Prohezeiungsszene als Indiz für die Aufgaben von Libuse als Festoper, die sich als solche zur Begleitung von feierlichen Staatsakten eignen sollte. Tatsächlich hatte Smetana diese Szene bereits 1869 im Orchesterwerk Libusin soud («Das Urteil der Libuse») komponiert. Ursprünglich wurde das Werk als Tableau vivant konzipiert, das teilweise auf ein Gedicht von Zelenohorsky´ zurückgreift und zugleich den Ausgangspunkt zur späteren Opernvertonung aus den Jahren 1869-72 bildet. Libusin soud verhält sich zu Libuse etwa wie die symphonische Lulu-Suite von Alban Berg zu seiner späteren gleichnamigen Oper. Darüber hinaus tauchen später einige der musikalischen Themen aus Libuse in Smetanas musikalischem Zyklus Má vlast auf, vor allem in Vysehrad (1880). Die Beziehung zur letztgenannten Tondichtung scheint naheliegend, wenn man den Zusammenhang der beiden Werke berücksichtigt. Smetana, der Libuse als Festoper bezeichnete, verfolgte die Absicht, sie bei nationalen Feierlichkeiten aufführen zu lassen; das Werk sollte nicht - wie etwa Die verkaufte Braut - ins Opernrepertoire gelangen, sondern feierlichen Staatsakten vorbehalten bleiben. Die Tondichtung Vysehrad beschwört einen Ort, der mit der Geschichte des Landes eng zusammenhängt und beinahe mythische Assoziationen hervorruft. An diesem Ort spielen auch einige Szenen in Libuse. Wenn so diese Oper wie eine Nacherzählung von Legenden über die tschechische Staatsgründung erscheint, so überrascht es nicht, dass Smetana ähnliche Themen in seiner Tondichtung aufgreift, denn solche Selbstbezüge sind eigentlich naheliegend.

Als Festoper hat Libuse eher einen sagenhaften als einen historischen Charakter; sie beruft sich auf das Mythische, um dem Publikum ihre Botschaft zu vermitteln. Die Opernkunst arbeitet naturgemäß mit dramatischen Situationen, die sich um historische Echtheit nicht unbedingt kümmern, wenn es um die Vermittlung tieferer Wahrheiten und Inhalte geht. In Libuse verkürzte oder kombinierte Smetana die historischen Ereignisse und Persönlichkeiten, um eine dramatische Ebene zu erreichen, auf der das Erzählte noch bedeutungsvoller wirken konnte. Die Darstellung der Libuse in der Oper wird daher mit teilweise frei erfundenen Nacherzählungen aus der tschechischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts - wie etwa von Alois Jirasek - in Verbindung gebracht. Solche Darstellungen sind in der Musiksprache der Oper wirkungsvoll, bei der es oft um überlebensgroße Persönlichkeiten geht. Smetanas Libuse ähnelt daher eher der Figur der Didone aus der Oper Les Troyens von Hector Berlioz, und die patriotischen Gefühle, die in Libuse zum Ausdruck kommen, spiegeln etwas vom nationalistischen Rausch Richard Wagners wider, den er in seiner Oper Die Meistersinger von Nürnberg so treffend heraufbeschwor. Wenn Libuse zuweilen Überlebensgroßes enthält, so liegt der Grund dafür in der Art und Weise, wie sich Smetana der Konventionen der Opernkunst bediente, um ein höchst wirkungsvolles Werk für die tschechische Nationalbühne zu schaffen.

Übersetzung: Bradford Robinson, 2006

Aufführungsmaterial ist von Schott, Mainz zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikabteilung der Leipziger Städtischen Bibliotheken, Leipzig.

Bedrich Smetana
(b. Leitomischel, 2 March 1824 - d. Prague 12 Mayi 1884)

Libuse
Opera in three acts
Preface
Bedrich Smetana (1824-84) composed eight operas, with the ninth, Viola left as an incomplete fragment. The Bartered Bride is a staple comic opera, and some of his other works in the genre have been revived in recent years, including Dalibor (1868) and Libuse (1869-72). Smetana designated Libuse, a festival opera, since the work was composed for the opening of the Czech National Theater. Yet the delays in the completion of the house delayed the premiere of Libuse, which was only given its premiere under the direction of the composer on 11 June 1881, almost a decade after its completion.

Smetana’s Libuse is a work in three acts, with a libretto that was written by Josef Wenzig, who had contributed the text for his previous opera, Dalibor (1865-67, revised version, 1870). Even though Wenzig wrote the libretto in German, Smetana set the text in the Czech translation that was prepared by Ervn Spindler. Working in tandem with the translator, Smetana finished the first act in September 1871, the second in February 1872, and the third and final act in November 1872. While the entire opera was essentially completed in 1872, it was set aside until it could be performed when the Czech National Theater was finished and formally opened to the public.

In Libuse, Smetana dealt with an historic episode about Bohemia and the founding of one of the ruling dynasties that shaped the nation. Libuse was Queen of Bohemia, who faced family strife, as her cousins Chrudos and Stáhlav resist Libuse’s authority. Libuse herself is unwilling to give in to her family’s concerns. In fact, she has been enamored of Premysl, who is not a noble, and marries him. Upon doing so, Libuse relinquishes her authority as ruler to her husband and with him establishes the Premysid dynasty, which ruled Bohemia through the early fourteenth century.

A large-scale work, the opera involves eight principals, the princess Libuse (soprano); her beloved Premysl (baritone); Libuse’s brothers Chrudos (bass) and Stáhlav (tenor); their sister Radmila (contralto); their uncle Lutobor (bass); Lutobor’s daughter Krasava (soprano); as well as a chorus that serves as members of the court or the people of Bohemia. The action takes place in the mountains of modern Bohemia, specifically Vysehrad, a site that is the subject of one of Smetana’s tone poems collected in Má vlast (“My country”), and Stadice.

The first act is divided into two scenes, with the first set on Vysehrad, where Radmila brings to Libuse ’s attention a dispute that Chrudos and Stáhlav have over their own inheritance, which has been confounded further through the meddling of Krasava. In the second scene, the brothers enmity escalates while waiting for Libuse’s judgment, and their uncle Lutobor is concerned that Libuse wed, so that her husband can share her responsibilities. Libuse enters and invokes tradition to have the brothers share the inheritance, a decision that Chrudos disputes. In frustration Libuse expresses her desire to surrender her power to a husband and suggests that the people choose one for her. They name Premysl Premysl of Stadice, a man whom Libuse has loved for years.

In the second act, Smetana uses the first scene to focus on the difficulties with Chrudos. As the scene opens, Krasava admits to her father that she loves Chrudos, even though she had previously rejected him. Stáhlav and Radmila, who happen to overhear her confession, ask Lutobor to allow Krasava to marry Chrudos, but Lutobor gives his blessing on the condition that Chrudos resolve his differences with Libuse. This action promises to resolve some of the strife that they were experiencing. The second scene shifts to Stadice, where Premysl longs to share his life with someone, and learns through the crowd that he is intended as the husband of Libuse.

The various strands of narrative resolve in the first scene of Act 3, where the brothers reconcile their differences, and Krasava is betrothed to Chrudos. At the end of the scene, the women of her court accompany Libuse in her wedding procession. Yet in the second scene, Chrudos is at first loathe to reconcile with Libuse, but is finally persuaded to do so. At the end of the scene, Libuse has a vision of the future, and she sees several images of future success for her people, as they are assured their greatness in the middle of European kingdoms.

As to the music, the opening prelude is notable for setting the stage well with the agitated figures that reflect the emotional situation with which the opera begins. It stands in contrast to the more assured and triumphal music that is part of the opera’s concluding section in its celebration of the Czech national spirit. At the same time some of the individual numbers have some memorable music. Of them, Premysl’s aria in the second scene of Act two Jiz plane slunce is notable for its expressiveness and range of emotion. It is followed by another fine tenor aria Ó vy lípy, which puts two demanding numbers for the character Premysl in the same scene. Near the end of the opera, though, the tableau with Libuse ’s prophetic vision includes a passage entitled Muj drah´y národ cesky´ neskoná an invocation of the enduring quality of the Czech people that is taken up by the ensemble on stage and points to the national fervor at the core of this work. This portion of the opera stands apart as a moment intended for the audience’s reflection, somewhat like the choral passages that Beethoven used near the end of Fidelio, after the culmination of the drama.

This underscores the function of the final scene of prophecy as being crucial to the designation of Libuse as a festival opera to be performed at state occasions. In fact, it is this very scene that Smetana composed in 1869 in the orchestral work Libusin soud (“Libuse’s Judgment”). Smetana planned the work as a tableau vivant that was based in part on a poem by Zelenohorsky´ and provided the inspiration for the opera that Smetana would compose between 1869 and 1872. The relationship between Libusin soud and the opera Libuse is reminiscent of what Alban Berg would later do, when he composed the symphonic suite that contained music that would later be used in the opera Lulu. At the same time, some of the musical themes he used in the opera Libuse appear in his cycle of tone poems Má Vlast, particularly Vysehrad (1880). The connection to the tone poem seems logical, when understood in the context of both works. Smetana designated Libuse as a festival opera and intended it to be performed at national celebrations. It was not envisioned as part of the repertoire, like The Bartered Bride, but a work that was more or less restricted to national celebrations. At the same time, the tone poem Vysehrad evokes a place associated with the history of the country and has almost mythic associations. It is also the setting for some of the action in the operas Libuse. Viewing the opera Libuse as a narrative about some of the founding legends of the country, it is not surprising to find Smetana using some similar themes, as such self-references are to be expected.

As a festival opera, Libuse is not so much historic as it legendary in nature, and evokes myth to convey its meaning to the audience. By its nature, opera revolves around dramatic situations and is not necessarily constrained by details of historic facts when it can communicate better deeper truths and messages. Smetana truncated or conflated historic events and personages in Libuse to enhance the kind of drama that makes the narrative meaningful. Thus, depiction of Libuse as found in this opera is connected to the sometimes fanciful on retellings of Czech history by nineteenth-century writers like Alois Jirasek. Yet such portrayals work in the idiom of opera, which often pivots around characters who are larger than life. Smetana’s Libuse is thus more like the character of Didone as Hector Berlioz depicted her in Ley Troyens, and the patriot sentiments found in Libuse also echo some of the enthusiasm for his native culture that Richard Wagner used to excellent effect in opera Die Meistersinger von Nürnberg. If Libuse contains elements that are sometimes larger than life, it is because of the way Smetana used the conventions of operas to create a highly effective work for the Czech stage.

James L. Zychowicz, 2006

 

For performance material please contact the publisher Schott, Mainz. Reprint of a copy from the Musikabteilung der Leipziger Städtischen Bibliotheken, Leipzig.