Giovanni Sgambati
(geb. Rom, 28. Mai 1841 - gest. Rom, 14. Dezember 1914)

Konzert g-Moll für Klavier und Orchester
op. 15 (1878-80)

Vorwort
Eines schönen Tages - es war im Jahre 1878/79 - traf eine junge Engländerin von beachtlichem pianistischen Können im Verlauf ihrer musikalischen Europareise in Rom ein. Bevor sie die Stadt verlassen wollte, entschloß sie sich, «einem der größten lebenden Vertreter der Liszt-Schule, als sich diese in grösster Blüte befand» einen Besuch abzustatten. Der Mann, den sie nur vom Hörensagen kannte, zeigte zu ihrer Überraschung nichts von der kühlen Herablassung, die sie von den Musikern ihres Heimatlandes gewohnt war. «Die Tür öffnete sich und es erschien ein Herr im besten Mannesalter. [...] Leicht füllig und blühend, als sei er im hellen Sonnenschein glücklicher Stunden unter dem wohlwollenden Lächeln der Götter aufgewachsen, war Sgambati das Bild eines Mannes, der mit seiner Umgebung in vollkommenem Einklang ist, und der körperlich wie geistig in perfektem Gleichgewicht lebt.» Die junge Dame arrangierte kurzerhand ein Vorspiel, und so wurde ihr grösster Wunsch Wirklichkeit: ein privates Vorspiel des Meisters, nur für sie allein. Diese Eindrücke hielt sie in ihren Memoiren fest: «In allem, was er spielte, übertraf Sgambati alles, was ich je erwartete. Sein hinreißend elastischer Anschlag, die Schwere und gleichzeitige Weichheit seines Handgelenk-Stakkatos, der Schwung und Impuls seines Rhythmusgefühls, die Klangfarbe - reich, warm und doch von äußerstem Feingefühl - vor allem aber die Aura der Grazie, des Charmes und der Ruhe, die nur von einer vollkommenen Meisterschaft herrühren kann.»

Das Treffen war ein Wendepunkt im Leben der jungen Frau: Anderthalb Jahre blieb sie in Rom, wo sie ein Studium an der von Sgambati geleiteten Musikakademie abschloß und zur ihrer großen Überraschung zu einer überzeugten «Listzianerin» wurde. Als Privatschülerin und bevorzugte Umblätterin hatte sie reichlich Gelegenheit, Sgambati beim Vortrag aus nächster Nähe zu erleben. Am Ende eines Lebens, das sie in enger Verbindung mit dem größten Pianisten ihrer Zeit verbrachte, bemerkte sie: «Jetzt, da ich Sgambati mit den vielen anderen vergleichen kann, die ich seitdem erlebt habe, kann ich von seinen Lisztinterpretationen behaupten, sie seien die poetischsten von allen. Bei den plötzlichen Fortissimi, die diese Schule so sehr auszeichnen, blieb sein Ton stets reich und voll, nie hölzern oder grell, während seine Pianissimi so subtil und feinfühlig und die Nuancen, die Augenblicke der Schönheit, mit einer seufzenden, fortwährenden, gänzlich unnachahmlichen Dolcezza durchtränkt waren, die sich mit nichts vergleichen ließe als mit den unzähligen Schattierungen, die dort entstehen, wo Himmel und Meer sich treffen und ineinander gehen.»

Giovanni Sgambati kam in Rom als Sohn eines italienischen Vaters und einer englischen Mutter zur Welt. Mit sechs Jahren war er als Pianist bereits mehrmals öffentlich aufgetreten, mit neun hatte der nunmehr Halbwaise bereits seine ersten Kompositionsversuche vollendet. Das entscheidende Ereignis seiner jungen Jahre fand jedoch im Jahre 1862 statt, als er die Bekanntschaft Liszts machte, der kurz vorher mit dem Weimarer Hof gebrochen hatte und in Rom die ersten Schritte zur Priesterweihe unternahm. In einem Brief an Franz Brendel beschrieb Liszt sofort seine Eindrücke vom damals 21jährigen Sgambati: «Ich habe hier einen hochbegabten jungen Pianisten namens Sgambati aufgegabelt, der einen erstklassigen Duopartner abgibt.» Mit der Zeit sollte Sgambati zum engen Freund Liszts und - als Pianist und Dirigent - zum Hauptvertreter der Liszt’schen Schule in Italien werden. Zur Einweihung der Sala Dante in Rom leitete er am 26. Februar 1867 die italienische Erstaufführung der Dante-Sinfonie; ein Jahr später, am 6. Juli 1867, fand die Uraufführung des ersten Teils des noch nicht vollendeten Oratoriums Christus unter seiner Leitung statt. (Im gleichen Jahr war er unter den Anwesenden, als Liszt seine berühmte Primavista-Wiedergabe von Griegs Klavierkonzert gab.) Zwei Jahre danach gründete Sgambati - zunächst privat, dann als öffentliche Einrichtung - den Liceo Musicale di Santa Cecilia, wo er zum Doyen der Pianisten und zum ersten Klavierlehrer Italiens wurde. Er blieb in diesem Amt bis zu seinem Tode, nicht ohne vorher jedoch als erster italienischer Pianist eine Plattenaufnahme (London 1910) eingespielt zu haben.

Zu Lebzeiten war Sgambati jedoch ebenso sehr als Komponist gefeiert. Unsere junge Engländerin kannte ihn nicht nur als Klaviervirtuosen, sondern auch als «einen Komponisten, dessen Werke für Klavier, konzertante Kammermusik und Orchester sowohl in Frankreich als auch in Deutschland bekannt sind, wohin er mehr als nur einmal eingeladen wurde, um seine Kompositionen für Klavier alleine oder mit anderen Instrumenten zusammen vorzutragen.« Richard Wagner, der Sgambati 1876 kennenlernte, war von seinen Klavierquintetten dermaßen beeindruckt, dass er den Italiener an das Verlagshaus Schott in Mainz empfahl, in dessen Programm die Werke Sgambatis bald aufgenommen wurden. Es folgte eine lange Reihe von Veröffentlichungen: die beiden Klavierquintette, eine Sinfonie (1883), ein Requiem (1906), italienische Lieder (einschließlich der späten Vertonung eines Gedichtes von Gabriele d’Annunzio), Konzertstücke für Klavier und Orchester sowie eine berühmte, heute noch gespielte Klavierbearbeitung des Reigen der Seligen aus der Oper Orphée et Eurydice von Christoph Willibald Gluck. Das Verlagshaus Schott war von der Musik Sgambati derart überzeugt, daß es am Ende seines Lebens einen Katalog veröffentlichte, mit seinen wichtigsten Werken bis in die Neuzeit, mit ausführlichen Erläuterungen, Kritiken von Aufführungen und einer Einleitung aus der Feder eines gewissen Fritz Volbach des Älteren (Mainz 1913).

Sgambati nahm die Arbeit an seinem Klavierkonzert g-Moll kurz nach seinem ersten Treffen mit Wagner auf und brachte das Werk zwischen 1878 und 1880 zur Vollendung. Nach ein paar Jahren, in denen er das Konzert öffentlich ausprobierte, wurde es 1882 als Partitur bei Schott in Mainz veröffentlicht. Mit seinen haarsträubenden technischen Anforderungen und kühnen thematischen Verwandlungen steht es offensichtlich im Zeichen der beiden Klavierkonzerte Liszts, die Sgambati makellos spielte, während sich die Chromatik Wagners auch mitunter bemerkbar macht. Wie das Oeuvre Sgambatis insgesamt hatte das Klavierkonzert einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der italienischen Instrumentalmusik seiner Zeit und erhob ihn neben Giuseppe Martucci zum ersten rein instrumentalen Komponisten seiner Generation in Italien. Seitdem hat es dem Konzert, wenn auch weitaus weniger bekannt als die zeitgenössischen Klavierkonzerte eines Grieg oder eines Tschaikowsky, an Verfechtern nie gemangelt, allen anderen voran Jorge Bolet in einer aufsehenerregenden Platteneinspielung aus dem Jahr 1972.

Alle Zitate aus: Bettina Walker (gest. 1893), My Musical Experiences, London 1890.

Bradford Robinson, 2005

Aufführungsmaterial ist von der Schott, Mainz zu beziehen.
Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München

 

 

Giovanni Sgambati
(b. Rome, 28 May 1841 - d. Rome, 14 December 1914)

Concerto for Piano and Orchestra in G minor
op. 15 (1878-80)

Preface
One day in the late 1870s a young Englishwoman of considerable pianistic attainments arrived in Rome on a musical tour of the Continent. Before leaving she resolved to pay a visit to «one of the greatest living exponents of the Liszt school at its point of greatest perfection,» a man she knew at that time only by reputation. He surprised her by showing none of the distant aloofness she had come to expect from English musicians. «The door opened, and let in one ... in the full summer of his manhood... Slightly enbonpoint, and looking as if he had grown up into leaf and flower in the full sunshine of happy hours, and the benign smile of the gods, Sgambati presented the appearance of one in complete harmony with all around him. He struck one as being both physically and mentally in perfect balance.» The young lady arranged an impromptu lesson and received her greatest wish: to hear the master play for her in private. She recorded her impressions: «In everything that he played, Sgambati far exceeded all that I could have anticipated. His lovely elastic touch, the weight and yet the softness of his wrist-staccato, the swing and go of his rhythmic beat, the colouring rich and warm, and yet most exquisitely delicate, and over all the atmosphere of grace, the charm and the repose which perfect mastery alone can give.»

The meeting was to prove a turning point in the young lady’s life: she remained in Rome for one and a half years, taking a degree from Sgambati’s school and becoming, to her own surprise, a confirmed «Listzianerin.» As a private student and preferred page-turner she had ample opportunity to hear Sgambati in concert. At the end of a lifetime spent in close association with the great pianists of her day, she recalled: «Sgambati’s playing of Liszt was, now that I compare him with many others whom I have since heard, more poetic than any. In the sudden fortissimi so characteristic of the school his tone was always rich and full, never wooden or shrill; while his pianissimi were so subtle and delicate, and the nuance, the touches of beauty, were fraught with a sighing, lingering, quite inimitable sweetness, which one could compare to nothing more material than the many hues where sky and ocean seem to melt and blend.»

Giovanni Sgambati was born in Rome to an Italian father and an English mother. By the age of six he had already played the piano in public, and by the time he was semi-orphaned at the age of nine he had already begun to compose. The decisive event in his early years was, however, a chance meeting in 1862 with Liszt, who had just severed his ties with the Weimar court and had taken minor vows in Rome. Liszt immediately recorded his impressions of the twenty-one-year-old pianist in a letter to Franz Brendel: «I have fished out here a very talented young pianist, Sgambati by name, who makes a first-rate partner in duets.» Sgambati was to become a close friend of the great virtuoso and, as a pianist and conductor, the leading exponent of the Liszt school in Italy. He conducted the Italian première of the latter’s Dante Symphony to inaugurate the Sala Dante in Rome (on 26 February 1866) and gave the première of the first part of the still unfinished oratorio Christus on 6 July 1867. In the same year he was present at Liszt’s famous read-through of the Grieg Concerto. Two years later Sgambati founded the Liceo Musicale di Santa Cecilia, at first privately and later as a public institution, with which he became the doyen of pianists and the foremost teacher in Italy. It was a position he was to retain until his death, by which time he had, incidentally, also become the first Italian pianist to make a phonograph recording (in London, 1910).

Sgambati was no less celebrated in his day as a composer. The young English lady was aware of him not only as a virtuoso but as «a composer whose works for the pianoforte, concerted chamber music, and the orchestra are known both in France and Germany - to both of which countries he has been more than once invited to conduct his own symphonies, and to play his compositions both for the pianoforte solo, and for this instrument in concert with others.» Wagner, upon meeting Sgambati in 1876, was sufficiently impressed by the piano quintets to recommend him the House of Schott in Mainz, where Sgambati’s music soon entered the catalogue. There followed a long list of publications: the two piano quintets, a symphony (1883), a Requiem (1906), Italian songs (including a late setting of a poem by Gabriele d’Annunzio), concert pieces for piano and orchestra, a great many short piano pieces, and a celebrated transcription of the Chorus of the Blessed Spirits from Gluck’s Orphée that is still heard in recitals today. Such was the pride that Schott took in Sgambati’s music that, at the end of his life, they published a complete catalogue of his major works with detailed commentary and a selection of reviews (Mainz, 1913).

Sgambati started work on his Piano Concerto shortly after his meeting with Wagner and completed it between 1878 and 1880. After being tried out for several years in perfor-mance the concerto was published by Schott in full score in 1882. In its vast technical challenges and bold use of thematic transformation it is clearly patterned on the model of Liszt’s concertos, which he played to perfection, yet it also owes something to Wagnerian chromaticism. Like Sgambati’s works as a whole, it was of seminal importance to Italian instrumental music of the period and placed him alongside Giuseppe Martucci as the foremost non-operatic composer of his generation in Italy. Since then the concerto, although not as well-known as the contemporary examples by Grieg or Tchaikovsky, has never lacked for champions, one of the most famous being Jorge Bolet in a remarkable recording of 1972.

Quotations from Bettina Walker (d. 1893): My Musical Experiences (London, 1890).

Bradford Robinson, 2005

For performance material please contact the publisher Schott, Mainz.
Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München