Walter Braunfels
(geb. Frankfurt, 19. Dezember 1882; gest. Köln, 19 März 1954)

Präludium und Fuge
op. 36 für großes Orchester (1922-25)

Vorwort
Walter Braunfels gehört zur Gruppe der deutschen Komponisten, die während des Dritten Reiches in die “innere Emigration” getrieben wurden. Im Jahre 1933 - auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn, nach mehreren vollendeten Opern - wurde er aus seiner leitenden Position an der Kölner Musikhochschule fristlos entlassen und unter ein reichsweites Berufsverbot gestellt: Keine Aufführungen seiner Musik durften stattfinden, sein Name wurde aus der Fachliteratur gestrichen. Als Halbjude und unzweifelhafter Regierungsgegner zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück und ging aufs Land, wo er in Weltabgeschiedenheit an seinen Kompositionen arbeitete. Nach dem Krieg setzte ihn Konrad Adenauer persönlich wieder in sein früheres Amt an der Kölner Musikhochschule ein, an deren Wiederaufbau er bis zu seiner Emeritierung 1950 mitwirkte. Er hinterließ ein umfangreiches Oeuvre, das sich von den brillanten komischen Opern und Orchesterwerken seiner Jugendzeit bis zum strengen mystischen Oratorium seiner späteren Jahre erstreckt (Braunfels war gläubiger Katholik).

Heute bleibt Braunfels vorwiegend wegen seiner Opern in Erinnerung, zu denen er häufig die Libretti nach literarischen Vorlagen selber schrieb, darunter Die Vögel nach Aristophanes (1920), Prinzessin Brambilla nach E. T. A. Hoffmann (1908) und Don Gil von den grünen Hosen nach Tirso de Molia (1924). Er war jedoch in der symphonischen Musik gleichermaßen bewandert, bei der er die Orchesterpracht eines Berlioz und eine Synthese Bachscher Polyphonie und moderner Harmonik anstrebte. Das wohl bezeichnendste Beispiel für diese Absicht ist Präludium und Fuge op. 36, dessen Titel schon auf die Bachsche Grundlage hinweist. Beim anfänglichen Präludium handelt es sich um eine Art Orgeltoccata für Orchester, in der glänzende Läufe durch alle Schichten des Orchestersatzes huschen, um von blockartigen Teilen des «vollen Werkes» abgelöst zu werden. Die darauffolgende Fuge, die selbst dem Erzmodernisten Theodor Adorno ein Lob abrang, ist eigentlich eine Doppelfuge, deren erstes Thema von unwiderstehlicher Komik ist. Über die Entstehung dieses Themas äußerte sich der Komponist in einem Brief (15. Dezember 1952) an den Musiktheoretiker Herbert Eimert: «Der Gedanke des 1. Fugenthemas (Bläser und Harfe) kam mir, als während des Umbaues meines Hauses im Isartal der Regen durch das Dach in mein Arbeitszimmer tropfte. Genau dieses Tropfenmotiv habe ich als Fugenthema festgehalten.» Da die Wirkung einer Fuge grossenteils in der Virtuosität ihrer Konzeption und Ausführung besteht, werden wir diesem Werk wohl am ehesten gerecht, wenn wir die Analyse aus Ute Jungs Buch Walter Braunfels (Regensburg 1980, S. 223-5) zitieren:“Dem Dux (auf der Tonika e), der fraglos eine leittönige Tendenz erkennen läßt, folgt der Comes (auf der Dominante H), in 1. Fag. und Bratsche, der von vier Hörnern in E und den Celli auf tiefalterierter Dominante (b) fortgeführt wird. Ein weiteres Dux-Comes-Gespann von Englischhorn, Violinen, zwei Bratschen, erster C-Trompete und Harfe beschließt die aufwendige thematische Durchführung. Ein kurzes modulierendes Zwischenspiel bringt nochmals den Themakopf in Tonikalage, welcher dann verbreitert und halbtönig hochalteriert von den Kontrabässen und dritten Posaunen sequenziert wird. [...] Das nun vorstellig werdende zweite Fugenthema ist ein Kontrastthema. Abgesehen davon, daß es doppelt so rasch abläuft, hat es im Gegensatz zu dem etwas stelzbeinigen, borstigen ersten Thema etwas Drängendes, das in der chromatisch nach oben geschraubten Sequenzierung begründet ist. Auch das zweite Thema wird zweimalig paarweise vorgestellt: 1. Vl. (Dux), Vlc. (Comes) - Zwischenspiel mit dem Repetitionsmotiv des ersten Themas - Br. (Dux) - beide Vl. (Comes) - Zwischenspiel aus Umkehrungsfiguren des zweiten Themas. Im 52. Fugentakt werden dann beide Themen zusammengeführt, wobei das erste in seiner Originalgestalt (e-moll) in beiden Fagottstimmen, zweitem, viertem Horn und Kontrabaß, das zweite jedoch auf der Dominante (H) in beiden Klarinetten und ersten Violinen erscheint. Wenn auch beide Themen viertaktig angelegt sind, benötigt doch das erste infolge seines langsameren Ablaufes den doppelten Zeitraum; diese Tatsache ermöglicht interessante Überschneidungen und Engführungen, so daß das zweite Thema bei Takt 56 bereits wieder als Dux (in Ob., 2. Vl., Br.) und das erste Thema erst bei Takt 60 dominantisch (1. Vl., Br.) erneut auftreten kann, dies bei Fortspinnung des zweiten Themas und Echowirkungen in Baßklarinette, erstem und zweitem Fagott. Eine weitere Engführung erfolgt bei Takt 64 in der ungewöhnlichen Tonart d-moll, wobei die zweite Themenhälfte verstärkt wird durch Cello und Horn, das erste jedoch von C-Trompeten mit Weitung der aufschwingenden thematischen Sept zur Oktave angeblasen wird. Das Kontrasubjekt des ersten Themas übernehmen Oboen und Bratschen, das zweite (gleichermaßen in d) die analoge Stimmgruppe (1./2. Klar., 1.-3. Fg., 2. Vl.). - Das anschließende Zwischenspiel ab Takt 68 variiert den ersten Themenkopf in weitgespannter D-Dur-Dreiklangsbrechung (Vlc., Hrn.), sich verengend bei T. 70 zum verminderten E-Dreiklang. Beim Folgetakt Wiederholung des Kopfmotivs in 3. Pos. und Tb.; bei T. 74 Echo in Hrn; T. 76 in Fis, T. 78 in gis mit Rückung nach a (T. 79). - T. 80 bringt dann auf der VI. Stufe zu h-moll das erste Thema (Ob., 3. Kl., 1. Vl.); der zweite Themenansatz erscheint in 1./2. Kl., 2. Vl., Vlc.; Takt 88 repetiert das erste Thema in fis-moll (1./2. Fg., Hrn., Br., Vlc.); T. 92 bewirkt eine Verabsolutierung des ersten Kontrasubjekts, von Splittergruppen des zweiten Themas umspielt. Nach einem accelerierenden Zwischenspiel folgen quasi fingierte Engführungen, und zwar halbtaktig in T. 109 und 111; diese erklingen dann in verschiedensten Stimmen, musikalische dramatisiert durch chromatisch geführte, tremolierte Passagen. Ab T. 157 ist eine grandiose Schlußsteigerung zu verzeichnen; sie gipfelt in einer blockartigen Reihung beider Themen und der Wiederkehr des Präludium-Themas. Der Schluß baut auf chromatischer Ostinat-Führung aller Baßstimmen».

Präludium und Fuge wurde 1926 bei Universal Edition/Wien als Partitur veröffentlicht. Die Uraufführung fand im Oktober des gleichen Jahres unter der Leitung von Rudolf Siegel in Krefeld statt. Später gehörte das Werk zum festen Repertoire u.a. von Günter Wand, der es auch öfters zur Aufführung brachte.

Bradford Robinson, 2005

Aufführungsmaterial ist von der Universal Edition, Wien zu beziehen.
Nachdruck eines Exemplars der Universal Edition, Wien.

 

 

Walter Braunfels
(b. Frankfurt, 19 December 1882; d. Cologne, 19 March 1954)

Prelude and Fugue
for large orchestra, op. 36 (1922-5)

Preface
Walter Braunfels belongs to that group of German composers who were forced into «inner emigration» during the Third Reich. In 1933, at the height of his career, with several successful operas to his credit, he was summarily removed from his teaching position at Cologne Musikhochschule and officially blacklisted throughout the Reich: performances of his music were prohibited, and his name was struck from publications. Half-Jewish and vociferously out of sympathy with the new régime, he withdrew from public life and retired to the countryside, where he worked in isolation on his compositions. After the war Konrad Adenauer personally restored him to his former position in Cologne, where he helped to rebuild the Musik-hochschule before retiring in 1950. He left behind a large body of music ranging from the brilliant comic operas and orchestral essays of his youth to the austere, mystical oratorios of his old age (Braunfels was a devout convert to Catholicism).

Today Braunfels is remembered mainly for his operas, most of them on librettos adapted by himself from literary models: Die Vögel after Aristophanes’ The Birds (1920), Princess Brambilla after E. T. A. Hoffmann (1908), and Don Gil von den grünen Hosen after Tirso de Molia (1924). Yet he was equally adept at orchestral music, where he aspired to the orchestral brilliance of a Berlioz and sought a synthesis between Bachian counterpoint and modern harmony. There is perhaps no better example of these hallmarks than his Prelude and Fugue, op. 36, whose title alone betrays its baroque forebears. The opening Prelude is an organ-like toccata in which brilliant runs skirt through all levels of the orchestra only to give way to sections of orchestral plein jeu. The fugue, which even drew grudging praise from the arch-modernist Theodor Adorno, is in fact a double fugue with a hilariously comic first subject. Braunfels later explained the origins of this subject to the theorist Herbert Eimert (letter of 15 December1952): «The idea behind the first fugue subject (winds and harp) occurs to me while I was remodeling my house in Isartal and the rain dripped through the roof into my study. It is precisely this raindrop motif that I captured in my fugue subject.» As the value of a fugue lies to a large extent in the virtuosity of its conception and execution, we can perhaps do it no better service here than to quote Ute Jung’s analysis in Walter Braunfels (Regensburg, 1980), pp. 223-5: »The subject, set in the tonic E minor, unquestionably tends toward the leading tone. It is followed by the answer in the dominant B major, stated in the first bassoon and violas and continuing on the lowered dominant (B minor) in the four horns in E and the cellos. The elaborate thematic development ends with another subject-and-answer pair, this time played by the english horn, violins, two violas, first trumpet in C, and harp. A short modulating episode restores the head-motif of the subject to the tonic, where it is then enlarged upon by the double basses and third trombones in sequence, raised a semitone. [...] Now the second subject makes its appearance. It contrasts with the first: besides being half as long, it differs from the gruff and somewhat ungainly first subject by an urgency rooted in its chromatically ascending sequence. The second subject, too, is stated in two sets of pairs: vn 1 (subject) + vc (answer) – episode with repeating motif from subject 1 – va (subject) – vns 1-2 (answer) – episode on inverted figures from subject 2. The two subjects are then combined in m. 52, with the first appearing in its original form (E minor) in the two bassoons, horns 2 and 4, and double bass, while the second occues on the dominant (B major) in both clarinets and first violins. Although both subjects are laid out in four-bar units, the first, being slower, requires twice as much time. This situation permits interesting overlaps and strettos: for example, the second subject can already recur as the leading voice in m. 56 (ob, vn 2, va), postponing the reappearance of the first subject in the dominant to m. 60 (vn 1, va) as the second reverberates and echoes in the bass clarinet and first and second bassoon. Another stretto occurs in m. 64 in the unusual key of D minor; here the second half of the subject is reinforced by the cello and horn, while the first resounds in the C-major trumpet, the buoyant thematic seventh now stretched to an octave. The countersubject to subject 1 is taken by the oboes and violas, the second (likewise in D minor) by the complementary instruments in each family (cls 1-2, bns 1-3, vn 2). – The next episode, from m. 68, varies the head-motif of subject 1 in wide-ranging D-major arpeggio (vcs, hns) only to narrow down to a diminished triad on E at m. 70. In the next bar the head-motif is repeated in the third trombone and tuba, with an echo in the horns at m. 74, modulations to F-sharp major in m. 76 and G-sharp minor in m. 78, and a sideslip to A minor in m. 79. – Now the first subject is stated on the sixth scalar degree of B minor in m. 80 (ob, cl 3, vn 1); the opening of the second subject appears in cls 1-2, vn 2 and vc; and the first reappears in F-sharp minor in m. 88 (bns 1-2, hns, va, vc). In m. 92 countersubject 1 comes into its own, garnished by scraps of the second subject. After an accelerating episode we hear what might be called fictitious strettos in half-bar units in mm. 109 and 111. These strettos then recur in a very wide range of instruments, dramaticized by chromatic tremolandi. A grandiose final crescendo begins in m. 157, culminating in a bold juxtaposition of the two subjects and the return of the theme from the Prelude. The conclusion builds on chromatic ostinati in all bass parts.”

Braunfels’s op. 36 was published in full score by Universal in Vienna in 1926. The first performance was given in Krefeld by Rudolf Siegel in October of that same year. Later it became a particular favorite of Günter Wand, who conducted it on many occasions.

Bradford Robinson, 2005

For performance material please contact the publisher Universal Edition, Vienna.
Reprint of a copy from the Universal Edition, Vienna.