Heinz Schubert
(geb. Dessau, 8. April 1908 — gefallen im Oderbruch, Februar 1945)

»Vom Unendlichen« (1941)
Praeludium und Fuge für Sopran und drei Streichquintette

Vorwort
Der knapp 37-jährig im Kriege gefallene Heinz Schubert zählte als Komponist und Dirigent zu den eminentesten Musikern aus dem Kreis um Heinrich Kaminski (1886-1946). Sein Tod bedeutete einen der schmerzlichsten Verluste für die deutsche Musik jener Zeit, und doch wurde Heinz Schubert nach dem Kriege schleunigst vergessen – in einer Welt, die sich fluchtartig abwandte von allem, was vorausgegangen, in welcher das Abbrechen aller Brücken zur Tradition und das Neuerfinden der Welt als herrschende Losung ausgegeben war. Symbolisch für dieses Vergessen steht eine innerdeutsche Lösung, die in ihrem verwerflichen Charakter noch der breitenwirksamen Enthüllung harrt: als Ende der fünfziger Jahre das neue, bis heute entscheidende deutsche Musik-Standardlexikon MGG (Musik in Geschichte und Gegenwart) erschien, entschieden die Herausgeber – die selbst mit dem nationalsozialistischen Regime verflochten gewesen waren und nun in ihren Versuchen der Reinwaschung nach Sündenböcken suchten –, Heinz Schubert – der als Künstler allen Verlockungen und Erpressungen des Dritten Reichs widerstanden und erstaunliche Zivilcourage bewiesen hatte – nicht aufzunehmen. Indem sein Name hier ausgeschieden wurde, wurde er nach und nach mit dem Ableben seiner Mitstreiter und Verehrer schließlich fast völlig ausgelöscht. Symptomatisch: als das hier vorliegende Werk im Oktober 2004 auf einer Deutschland-Tournee gespielt werden sollte, stellte sich heraus, dass der Verlag über keine Stimmen mehr verfügte, da diese in der Häuserschlacht um Berlin im Verlagsarchiv verbrannt waren. Inzwischen liegen bei Ries & Erler neu ausgeschriebene Stimmen für »Vom Unendlichen«; ein anderes wichtiges Werk jedoch beispielsweise, »Das ewige Reich« nach Wilhelm Raabe, scheint hingegen in Partitur endgültig verloren zu sein. Kein Zweifel, der Dessauer Heinz Schubert muss aus heutiger Sicht als eine der tragischsten Figuren der deutschen Musikgeschichte gelten.

Heinz Schubert studierte zunächst bei Franz von Hoeßlin (1885-1946) und Arthur Seidl (1863-1928) in seiner Heimatstadt Dessau, dann in München bei Hugo Röhr (1866-1937) und vor allem Heinrich Kaminski, dem er die – ethisch, stilistisch, handwerklich – unbedingte Prägung für sein weiteres Schaffen verdankte und zeitlebens in tiefer Dankbarkeit verbunden blieb. 1926-29 war er Meisterschüler von Siegmund von Hausegger (1872-1948) und Joseph Haas (1879-1960) an der Münchner Akademie der Tonkunst. Ab 1929 wirkte er als Theaterkapellmeister in Dortmund und Hildesheim, dann 1933-35 an der Flensburger Oper. Ab 1938 bis zur finalen Mobilmachung zum Kriegsende war er Städtischer Musikdirektor und musikalischer Oberleiter am Stadttheater in Rostock. Dann wurde er – bei den Regierenden längst in Ungnade gefallen, und lange Zeit wirkungsvoll protektiert und häufig in Berlin aufgeführt durch Wilhelm Furtwängler (1886-1954) – in den Volkssturm eingezogen. Der genaue Ort und Zeitpunkt seines Todes ließen sich nicht mehr ermitteln.

Die Werke Heinz Schuberts listete Erich Valentin (geb. 1906) 1952 in seinem Gedenkartikel für Heinz Schubert in der Zeitschrift für Musik (Heft I/52) auf. Hier eine ergänzte Fassung von Valentins unvollständiger Liste:

»Krippenmusik« (für Sopran, kl. gem. Chor und 7 Instrumente); 1927
Drei Lieder nach Walther von der Vogelweide und aus Des Knaben Wunderhorn (für Sopran, Klarinette und Cello); 1927
»Abend« nach Rilke (für Alt und Kammerorchester); 1928
5 Motetten a cappella; ab 1928
Sinfonietta; 1929
»Kammer-Concertino« (für Klavier und Streichtrio); 1929
»Geistliche Hymnen« nach Rilke (für Bariton und Orgel); 1929
»Choräle vom Tod« nach Ambrosius, Luther, Gramann und Klopstock (für Bass und Orgel); 1929
»Te Deum« (für 5 Frauenstimmen und Doppelchor a cappella); 1929
»Concertante Suite« (für Violine und Kammerorchester); 1931-32
»Die Seele« nach den Upanishaden (für Alt und Orgel resp. Orchester); 1932
»Hymnus« nach Zarathustra (für Sopran, Chor, Orchester und Orgel); 1932
»Lyrisches Concert« (für Bratsche und Kammerorchester); 1933
Kammersonate (für Streichtrio); 1934/37
»Verkündigung« nach Upanishaden (für Sopran, Frauenchor, gem. Chor und Orchester); 1936
»Das ewige Reich« nach Wilhelm Raabe (für Bariton, Männerchor und Orchester); 1936
Praeludium und Toccata (für doppeltes Streichorchester); 1936
Fantasia und Gigue (für Streichquartett); 1937
»Hymnisches Konzert« (für Sopran, Tenor, Orgel und großes Orchester); 1939
»Vom Unendlichen« nach der Yasna (für Sopran und 3 Streichquintette); 1941
Phantasie (Praeludium und Toccata für Violine solo); 1943
»Ambrosianisches Konzert« (Choral-Phantasie über »Verleih’ uns Frieden gnädiglich« für Klavier und Orchester); 1943

Valentin kommentiert dazu: "Das ist nur die nüchterne Aufzählung einer Folge von Werken, für die sich einst Persönlichkeiten wie Wilhelm Furtwängler (dem das »Hymnische Konzert« gewidmet ist), Hermann Scherchen [1891-1966], Bruno Walter [1876-1962], Peter Raabe [1872-1945], Wilhelm Sieben [1881-1971], Karl Straube [1873-1950] und Hermann Dubs [1895-1969] eingesetzt haben. Und heute? Das lastende Schweigen ist unentschuldbar. Noch sind einige Werke ungedruckt. […] Heinz Schubert selbst […] hat als Dirigent gern seine Pflicht gegenüber der Zeit erfüllt. Was tun wir?"

Des weiteren führt Valentin u. a. aus: "Immer wieder erscheint das geistige Fundament als die bestimmende Kraft, die auch das Musikantische im Werk Heinz Schuberts – der zwar ein Schüler Joseph Haas’ war, aber zuinnerst Heinrich Kaminski nahestand – hoch über die Ebene des Spielerischen, Konzertanten und Virtuosen hinaushebt. Es hat fürwahr keinen Sinn, von stilistischen Voraussetzungen oder wesenhaften Anklängen zu sprechen, von Gotischem oder Barockem, so viel man dessen erkennen zu müssen glaubt. Denn dieses Wachstum von den Motetten des Jahres 1928 bis zum »Ambrosianischen Konzert« des Jahres 1943 ist so eigenbegründet, dass man – und das ist das Erstaunliche an diesem vorzeitig abgeschlossenen Lebenswerk – von Anbeginn die aus dem Inneren gereifte Persönlichkeit erkennt.
Das Wissen um die Dinge, die zwischen Diesseits und Jenseits stehen, erschließen am begrifflichsten die Worte, die aus dem Persischen des Zarathustra (»Hymnus«, »Vom Unendlichen«) herrühren, aus dem Indischen der Upanishaden (»Verkündigung«, »Die Seele«), denen Schopenhauer so viel zu verdanken hatte, dem christlichen Gedicht des Ambrosius, Luthers, Klopstocks und Gramanns und der Sprache Rilkes. Dieser Zug ins Hymnische ist frei von Pathos. Es ist das Wesentlichsein im Sinne des Angelus Silesius, das uns auch hier an Schubert so tief berührt. Denn es gehört zum Ganzen seiner Erscheinung und ist nicht anders wie in den Phantasien über »Verleih’ uns Frieden gnädiglich« (im »Ambrosianischen Konzert«) oder in den weltlichen Gaben (Walther von der Vogelweide, Wilhelm Raabe) ein einziges Bezogensein auf das Wahrhaftige.
Aus diesem Grund erscheint auch seine wortungebundene Musik, sein Instrumentalwerk, nicht als etwas Andersgeartetes. Es ist aus gleichem Geist. […] Schuberts instrumentale Sprache verbindet die Freizügigkeit der Improvisation mit der Strenge des 'Niedergeschriebenen'. Das Organische dabei ist, das diese heterogenen Elemente sich nicht gegeneinander 'stellen', sondern sich zur Einheit durchdringen. […] Großräumigkeit Brucknerschen Klangs steht neben solistischer Feingliedrigkeit. Solch großartige Steigerungen wie im Finale des »Hymnischen Concerts« sind seit Bruckner wenige gestaltet worden.
Ohne eine sensationell zur Schau getragene Absicht, neue Wege zu beschreiten, hat Schubert neue Wege angetreten. Sie liegen insbesondere im Formalen, aber auch da nicht in einer von außen herangezogenen Eigenwilligkeit, sondern in der aus der Struktur gewachsenen Notwendigkeit. Das, so scheint uns, ist der Hauptbeitrag, den Schubert, der aus dem Geiste Kaminskis kam und aus dem Geiste Bachs, dem indessen auch die Welt Strawinskys und Hindemiths nicht fremd war (Sinfonietta), der aber im Ganzen ein Eigener ist – das ist der Hauptbeitrag, den Schubert zur Geschichte der Musik unsrer Tage geleistet hat."

Die einzige eingehendere generelle Äußerung Heinz Schuberts zu seinem eigenen Schaffen, die wir bislang auffinden konnten, stammt aus dem Programmheft zu einem Matineekonzert der Berliner Philharmoniker am 6. Dezember 1942, in welchem unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler die Berliner Erstaufführung von Schuberts »Hymnischem Konzert« (mit den Solisten Erna Berger, Walther Ludwig und Fritz Heitmann) gegeben wurde (der Mitschnitt dieses Konzerts ist erhalten geblieben, war lange in Russland verschollen und befindet sich heute im Archiv von Radio Berlin-Brandenburg in Berlin). In der Programm-Einführung (die den Vermerk "bei Fliegeralarm müssen sich sämtliche Zuhörer in die Wandelgänge und Garderoben des Erdgeschosses begeben" trägt) schreibt Heinz Schubert u. a. das Folgende, was zu einem guten Teil auch für das unmittelbar danach entstandene »Vom Unendlichen« Gültigkeit hat:

"Jedes wahrhaftige Werk eines schöpferischen Menschen bildet ein Glied, das aus seinem Wesen organisch wächst, in seinem Keim die im 'Vorhergegangenen' seines Schöpfers erreichten Entwicklungen trägt, und diese wiederum in dem neuen Schöpfungsprozeß nach neuen Gesetzen ausreifen läßt; d. h. mit anderen Worten, daß im Grunde jedes gültige Werk auf den Schultern des vorher entstandenen ruht, oder, daß die organische, folgerechte Entfaltung eines schöpferischen Lebens nie einen Stillstand oder eine Rückentwicklung kennen kann.
Von diesen Gesichtspunkten aus betrachtet entspricht die Entstehung des »Hymnischen Konzertes« (komponiert 1939-40 und 1941 in Rostock uraufgeführt) einer logischen Konsequenz aus stilistischen Erkenntnissen der Vorwerke, getragen von der stets gegenwärtigen Leitidee polyphonen Lebens und ihrer Musikwerdung im Zusammenklang der Vielfalt polyphoner (i. e. 'vielstimmiger') Kräfte. Diese Voraussetzung gibt den geistigen, formalen und musikalischen Unterbau auch für diese Konzeption. Der Ausgangspunkt liegt in Entwürfen, […] die erst jetzt zu einer Formung reiften, die durch eine Konzentration auf das Wesentliche der Dichtung jede konfessionell-dogmatische oder kirchliche Bindung entzog und ihre Gültigkeit für jede Seele bewußt stärkte, die sich auch nur eine Spur eines Gefühls ihrer Gott-Verbundenheit, Gott-Verantwortung und Gott-Nähe behütet hat."

Nach dem »Hymnischen Konzert« komponierte Heinz Schubert für die von ihm favorisierte Sängerin Amalie Merz-Tunner »Vom Unendlichen«, Praeludium und Fuge für Sopran und drei solistische Streichquintette, die jeweils aus zwei Violinen, Viola, Cello und Kontrabass bestehen. Über die Sängerin Amalie Merz-Tunner, die ihrerzeit weithin aufs Höchste geschätzt wurde, finden sich im Deutschen Musiker-Lexikon von 1929 und in Kürschners Deutschem Musiker-Kalender von 1954 Einträge, aus denen u. a. hervorgeht: Geboren am 11. Januar 1895 in Köllach in der Steiermark, Tochter des Brauereibesitzers Alois Tunner und von Amalie Laquai; katholisch; studierte privat bei Matthias Schön, Emil Schipper, Hugo Proksch in München und Tona von Hermann in Wien; ab 1919 Konzertsängerin, ab 1926 Leiterin einer Sonderklasse am Dortmunder Konservatorium; Professorin an der Musikhochschule in Köln; 1913 verheiratet mit Adolf Merz, 1921 geschieden, 1932 verheiratet mit Fritz Baum; 1929 wohnhaft in München, Barerstr. 50; 1954 wohnhaft in Langenberg im Rheinland.

Heinz Schubert schrieb zu »Vom Unendlichen« folgenden kurzen Einführungstext:
"Das Werk wurde im Sommer 41 für A. Merz-Tunner, die seit langen Jahren vorbildliche und unerreichte Interpretin Schuberts geschrieben. Die Dichtung wurde nach persischen Weisheitssprüchen des Zarathustra frei zusammengestellt; ihre Gliederung gab die formale Gestalt: ein toccataartiges Praeludium (mit thematisch und polyphon sich entwickelnden Höhe- und Ruhepunkten, dem Sinn der Dichtung folgend) mündet organisch in eine Fuge, an deren Durchführung – nach der instrumentalen, kraftvoll und energisch aufgebauten Exposition – sich gleichberechtigt die Solostimme beteiligt, um ihre letzte ekstatische Steigerung in einem hymnischen Halleluja zu finden. In 'heilige Stille' des entschwebenden Schluß-Amen verklingt der inbrünstige Anruf. Alle Einzelheiten der musikalischen Gestaltung folgen der Sinnbedeutung des Textes. Die Ausführung des instrumentalen Partes wird durch drei solistisch besetzte Streichquintette (15 Spieler) übernommen, die in gleicher Weise in sich wie gegeneinander polyphon geführt sind."

Zur Uraufführung kam »Vom Unendlichen« am Donnerstag, den 11. Dezember 1941, in der Münchner Tonhalle im 5. Volks-Symphonie-Konzert der Münchner Philharmoniker unter der Leitung von Adolf Mennerich (1902-66; Schuberts neues Werk wurde umrahmt von Beethovens I. Symphonie und Bruckners 3. Symphonie). Solistin war die Widmungsträgerin Amalie Merz-Tunner.
Am 10. März 1942 erklang »Vom Unendlichen« erstmals in Berlin, in einem Konzert des Berliner Philharmonischen Orchesters im Saale der Singakademie (Kastanienwäldchen), in welchem drei Komponisten als Dirigenten eigene Werke vorstellten: auf Heinz Schubert folgten Johannes Przechowski (geb. 1904) mit der Uraufführung seines Klavierkonzerts (Solist: Arno Erfurth [geb. 1908] und Johann Nepomuk David (1895-1977) mit der Berliner Erstaufführung seiner Partita Nr. 2 für Orchester Werk 27. Im November 1942 dirigierte Heinz Schubert »Vom Unendlichen« zum ersten Mal in Rostock, wo das Werk zum Abschluss nach Mozarts Symphonie g-moll KV 550 sowie Rezitativ und Arie Ergo interest und Franz Schuberts Symphonie h-moll D 759 (der 'Unvollendeten') gespielt wurde. Jedes Mal war Amalie Merz-Tunner die Solistin.
Der Klavierauszug von »Vom Unendlichen« existiert in Kopistenabschrift, die Partitur erschien 1942 bei Ries & Erler, Berlin, im Druck.

Heinz Schubert war, bei all den beschränkten Möglichkeiten jener Zeit und in Anerkennung der Tatsache, dass er generationsbedingt seinen Aufstieg während des Dritten Reichs machte, ein couragierter Gegner der nationalsozialistischen Kulturpolitik. Als 1938 die Musik seines verehrten Lehrers Heinrich Kaminski verboten worden war, da man diesen verdächtigte, 'Halbjude' zu sein, dirigierte Heinz Schubert am 20. November 1940 in Rostock unter Verstoß gegen das Aufführungsverbot die Uraufführung von Kaminskis jüngstem Werk, der Trauermusik »In memoriam Gabrielae«. Kaminskis Biograph Hans Hartog schrieb darüber: "Schuberts Unbotmäßigkeit wurde natürlich bemerkt und gerügt. Eine Strafaktion aber unterblieb." In der Folge aber geriet Schubert zunehmend unter Druck, ließ sich jedoch nicht dazu bewegen, auch nur ein Werk zu komponieren, in welchem irgendeine Form von Sympathie oder Loyalität mit dem Regime oder den herrschenden Ideologien zum Ausdruck gekommen wäre. Wilhelm Furtwängler erwies sich als sein mächtigster und effektivster Beschützer, doch mit Furtwänglers Abgang war Heinz Schubert fällig: er wurde in den Volkssturm eingezogen, in das auf den Kriegsdienst nicht vorbereitete letzte Aufgebot, "Kanonenfutter" für die russische Armee.

Im Dezember 2003 trat ich in schriftlichen Kontakt mit der Witwe des Komponisten, Anna-Charlotte Schubert-Behr. Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung lebt sie als 95-jährige in Hamburg. Frau Schubert-Behr antwortete auf meinen Brief u. a. mit folgenden Zeilen:
"Im April 1943 hatten mich Heinz Schubert und der Opern-Spielleiter – gegen den Willen des Intendanten, der ein Hitler-Anhänger war – engagiert als 1. Altistin im Rostocker Opern-Ensemble. Es war für mich eine Zeit der Reife, weil ich bisher nur in der Kirchenmusik tätig war.
Wir heirateten am 22. November 1943. Heinz Schubert war 35 (und ich 34) Jahre alt. Sein Vater war Augenarzt, seine Mutter die Tochter eines evangelisch-lutheranischen Pastors. Heinz Schubert studierte in München Musik, er hatte aber auch Medizin und Theologie erwogen. Von dieser Zeit weiß ich wenig, von dem einen Jahr in Dortmund als Repetitor mit Dirigier-Verpflichtung sprach mein Mann mit großer Hochachtung – von GMD Professor Sieben. Danach war Heinz Schubert drei Jahre Musikdirektor in Flensburg, [… dann wurde er] nach Rostock berufen, als Generalmusikdirektor – er durfte sich nicht so nennen, weil im Kriege keine Beförderungen vermerkt wurden.
Heinz Schubert war auf Vorschlag des Vaters in die Partei Hitlers eingetreten – daß er austreten wollte, sagte mein Mann mir nicht, ich hörte es vom Bariton-Kollegen, da war fast ein Todes-Urteil gesprochen, und daher das Gerücht, daß mein Mann im KZ gewesen sei. Nein, das kann ich beweisen, mit Briefen von Heinz Schubert.
Am 1. September 1944 wurden alle Theater geschlossen, mein Mann kam nach Schneidemühl, und ich musste in der Neptun-Werft die V3-Waffen röntgen […]
Mein Mann hatte immer sehr engen Kontakt mit W. Furtwängler, er schrieb ihm Feldpost. Mein Mann bekam den Befehl, zum Hauptmann der Kompanie zu kommen, und dieser zerriß vor den Augen meines Mannes seinen Brief, mit den Worten: "so ist es besser für Sie". Er gab meinem Mann als Trost einen Tag Urlaub, das war unser letztes Wiedersehen, Mitte Januar, die Russen standen lange vor Stettin. Und am 8. Februar schrieb mir mein Mann: "hier ist die Hölle…", und am nächsten Tag: "wir sind frei gekämpft, wir marschieren Richtung Westen", das war sein letzter Brief – er klang so hoffnungsfroh.
Ein Rückkehrer, der mich besuchte, sagte mir, er habe Heinz Schubert gesehen, als er zusammensackte, und 1952 bekam ich vom Suchdienst des 'Roten Kreuzes' die Todesurkunde: vermißt seit Ende 1945. Heinz Schubert starb in der grausamen Schlacht im Oderbruch."

Für die Hilfe bei der Recherche und die Überlassung des wenigen nicht verschollenen Materials von und über Heinz Schubert danke ich Frau Anna-Charlotte Schubert-Behr und Klaus Lang, Redakteur a.D. beim Sender Freies Berlin (SFB).
Christoph Schlüren, 2004.

Aufführungsmaterial ist vom Verlag Ries & Erler, Berlin (www.rieserler.de) zu beziehen.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Ries & Erler, Berlin, 2004.