Paul Dukas
(geb. Paris, 1. Oktober 1865; gest. Paris, 17. Mai 1935)

La Péri, Poème dansé in einem Bild für großes Orchester (1911/12)
nach einem Szenario des Komponisten

Vorwort

Paul Dukas, der Schöpfer der immerwährenden Tondichtung Der Zauberlehrling, war ein äußerst kritischer Perfektionsfanatiker, der die uneingeschränkte Anerkennung seiner Zeitgenossen genoß und gleichzeitig – in einer Schaffenszeit von mehr als 50 Jahren – der Nachwelt ein Gesamtoeuvre von kaum 15 Werken hinterließ. Auf dem Höhepunkt seines Ruhmes und seiner schöpferischen Kraft wurde er offenbar von der gleichen Art künstlerischer Lähmung heimgesucht, die Rossini und Sibelius in einem ähnlichen Lebensalter befiel. Dieser Künstler von unbestrittener Geisteskraft und unbändigem Schaffensdrang hinterließ ein reiches künstlerisches Erbe in drei Bereichen: eine lange Reihe von scharfsinnigen Musikkritiken, eine hohe Anzahl bedeutsamer Schüler (darunter Olivier Messiaen und Maurice Duruflé) und drei unangefochtenen Meisterwerken: Der Zauberlehrling (1897), seine einzige Oper Ariane et Barbe-Bleue (1899-1906) und das Ballett La Péri, dessen Fanfare alleine einen festen Platz für das Werk im Konzertrepertoire sichert.
Die Musik zu La Péri wurde bereits 1911 als Gegenstand einer Wette für die Tänzerin Natalia Trouhanova vollendet (die berühmte Fanfare wurde erst später hinzugefügt). Das Szenario wurde vom Komponisten selber nach einer bekannten Legende aus Altpersien zusammengestellt. In der altpersischen Mythologie waren "Peris" feenähliche weibliche Wesen, die vom Himmel gestürzt waren und die Erde durchwandern und Buße tun mußten, um wieder in den Himmel aufgenommen werden zu können. Bei dieser besonderen Legende, die zur Zeit Alexander des Großen (ca. 300 vor Christi Geburt) spielt, beschließt der König Iskender (Parsi für "Alexander"), den Tod zu überwinden, indem er die Blume der Unsterblichkeit findet. Auf seinen Wanderungen entdeckt der König eine schlafende Peri, die die Blume der Unsterblichkeit in ihrer Hand hält. Zwar pflückt der König die Blume, jedoch bleibt er vor der Schönheit der Peri wie angewurzelt stehen. Als die Peri aufwacht, merkt sie, daß die Blume fehlt, sieht jedoch gleichzeitig in kurzer Entfernung den liebestrunkenen König. In einem Tanz der Verführung, die mehr als die Hälfte des gesamten Werkes ausmacht, bewirkt sie, daß er ihr die Blume als Gegenleistung für einen einzigen Kuß zurückgibt, worauf Peri und Blume entschwinden. Iskender bekennt sich zu seiner Sterblichkeit und macht sich auf den eigenen Tod gefaßt.
Zur gleichen Zeit, als Dukas La Péri komponierte, wurde Paris von einer Begeisterungswelle für das von Serge Diaghilew geleitete Tanzensemble "Ballets russes" erfaßt, das solche Meisterwerke wie Daphnis et Chloe von Maurice Ravel, Jeux von Claude Debussy sowie die drei "russischen" Balletts Igor Strawinskys – Der Feuervogel, Petruschka und Le Sacre du Printemps – auf der Bühne kreieren sollte. Diaghilew zeigte großes Interesse an dem neuen Werk Dukas' und bot an, die Uraufführung noch im Jahre 1911 zu veranstalten. Es entwickelten sich alsbald zähe Verhandlungen, bei denen Dukas auf der Besetzung der Hauptrollen durch Trouhanova und Nijinski bestand, während Diaghilew Dukas als Dirigenten verpflichten wollte und gleichzeitig Anspruch auf die Weltrechte erhob. Nachdem das (von keinem geringeren als Léon Bakst entworfene) Szenendekor bereits fertig war und die Probenarbeit angefangen hatte, wurde das Werk jedoch kurzerhand vom Spielplan abgesetzt. Daraufhin plante Trouhanova eine Aufführung im Rahmen ihrer eigenen Reihe "Concerts de danse" am Pariser Théâtre du Châtelet, wo La Péri am 22. April 1912 neben Istar von Vincent d'Indy, Valses nobles et sentimentales von Maurice Ravel und La Tragédie de Salomé von Florent Schmitt zum erstenmal erklang. Dukas' Werk erlebte einen sensationellen Erfolg: Weitere Inszenierungen folgten ein Jahr darauf am Théâtre des Champs-Elysées und 1914 an der Opéra-Comique. 1919 wurde die Rolle der Peri ins Repertoire von Anna Pavlova aufgenommen, die das Ballett auf ihren Tourneen international bekannt machte. Auch war es Pavlova, die 1921 bei der ersten Aufführung an der Pariser Oper die Rolle der Peri übernahm. Zu den weiteren wichtigen Choreographen, die sich später für La Péri einsetzten, zählten Serge Lifar in Monte Carlo (1946) und Frederick Ashton für Margot Fonteyn in London (1956).
Die Musik zu La Péri, ein üppiges impressionistisches Panorama von beinahe filigraner Leichtigkeit, gilt zu Recht seit jeher als Triumph der Orchestrierkunst. (Zum Zeitpunkt der Entstehung bekleidete Dukas eine Professur für Orchestration am Pariser Conservatoire.) Nicht weniger brillant ist jedoch die formale Anlage, die die Sonatenhauptsaztform mit einem doppelten Variationszyklus über zwei, den beiden Hauptpersonen zugeordneten Themen auf geniale Weise vereint. Die Sonatenhauptsatzform kommt auch im Szenario deutlich zum Ausdruck: In der Exposition wird die schlafende Peri von Iskender entdeckt und um die Blume der Unsterblichkeit beraubt; der Durchführungsteil und die Reprise werden vom Tanz der Peri bestritten; und in der abschließenden Coda sieht sich Iskender wieder allein gelassen, während er sich auf den Tod vorbereitet. Die später hinzugefügte, als selbständiges Stück höchst wirkungsvolle Fanfare wird in einem etwas moderneren Stil gehalten, in dem ein heroisch anmutender Mittelteil für die Hörner von zwei Eckteilen umrahmt wird, die mit harmoniefremden Tönen und unerwarteten Akkordrückungen überraschen.
La Péri war das letzte großangelegte Werk, das die schonungslose Selbstkritik Dukas' überleben durfte. Danach veröffentlichte er nur noch zwei kleinformatige Kompositionen und widmete sich seinen pädagogischen, verwaltungstechnischen und schriftstellerischen Tätigkeiten. Noch vor der Premiere wurde das Werk 1911 in Partitur und im Klavierauszug beim Pariser Verlagshaus Durand veröffentlicht; eine ebenfalls bei Durand verlegte Partiturausgabe der Fanfare erschien separat im Jahre 1927. Für eine Inszenierung an der Pariser Oper im Jahre 1935 überarbeitete Dukas das Szenario, indem er zusätzlich zu den beiden Hauptfiguren auch die anderen Peris miteinbezog. Vor allem im Tanztheater hat sich das Werk – wie die Nachdrucke der Partiturausgabe 1949 und 1996 beweisen – bis in die jüngste Zeit im Repertoire behaupten können.