Ernest Chausson
(geb. Paris, 20. Januar 1855 — gest. Limay bei Mantes, 10. Juni 1899)

»Viviane«
Poème Symphonique op. 5 (1882/rev. 1887)

Vorwort
Unter den Schülern César Francks ist der im besten Alter bei einem Fahrradunglück zu Tode gekommene Ernest Chausson eine Lichtgestalt. Er verschmolz starke Einflüsse Richard Wagners und der französischen Tradition zu einem leidenschaftlich-feurigen Personalstil, der sich auch in großen Formen glänzend bewährte. Zu seinen Hauptwerken zählen die Oper Le Roi Artus op. 23 (postum uraufgeführt am 30. November 1903 in Brüssel), die Schauspielmusik zu La Tempête op. 18 (nach Shakespeares The Tempest), Poème de l’Amour et de la Mer op. 19 für Sopran und Orchester (Repertoire Explorer Studienpartitur 143), die Symphonie B-Dur op. 20 sowie einige größere Kammermusikwerke wie das Concerto D-Dur op. 21 für Violine, Klavier und Streichquartett, das Klaviertrio g-moll op. 3, das Klavierquartett A-Dur op. 30 und das unvollendet hinterlassene, von Vincent d’Indy komplettierte Streichquartett c-moll op. 35. Von hohem Reiz sind seine Lieder. Am populärsten wurde das bis heute im ständigen Repertoire der großen Geiger befindliche Poème op. 25 für Violine und Klavier bzw. Orchester.
Die symphonische Dichtung Viviane op. 5 war Chaussons erstes gültiges Orchesterwerk, dem 1886 die später vom Komponisten zurückgezogene und vernichtete Tondichtung Solitude dans les bois op. 10 folgte. 1882-90 entstand das berühmte Poème de l’Amour et de la Mer op. 19 für Sopran und Orchester, das er 1893 revidierte. 1889-90 schrieb er die bis heute recht häufig gespielte Symphonie B-Dur op. 20, 1896 das Poème op. 25 für Violine und Orchester (Repertoire Explorer Studienpartitur 131), 1897-98 die Tondichtung Soir de Fête op. 32, und 1898 die Chanson perpétuelle op. 37 für Sopran und Orchester (Repertoire Explorer Studienpartitur 243).

Nachdem er mit die Arbeit an der unvollendet gebliebenen Comédie lyrique Les Caprices de Marianne op. 4 (1882-84) aufgenommen hatte, begann Chausson am 16. September 1882 in Estampes mit der Komposition der Erstfassung von Viviane, die er am 18. Dezember 1882 in Paris zum Abschluss brachte. Chausson widmete das Werk Jeanne Escudier, die er im Jahr darauf heiratete. Viviane gelangte am 31. März 1883 in Paris in der Société National de Musique, Salle Érard, unter der Leitung von Édouard Colonne (1838-1910) zur sehr erfolgreichen Uraufführung — im selben Jahr, in welchem auch die Tondichtung Le Chasseur maudit seines Lehrers César Franck zum ersten Mal erklang. Die Kritik Edmond Stoulligs in La Nation zu Chaussons orchestralem Erstlingswerk endete mit der Feststellung: "Man hat das Recht, große Hoffnungen in den Komponisten zu setzen." Anlässlich einer weiteren Aufführung von Viviane im April 1884 in Paris wurden freilich Vorwürfe des Wagnerianismus erhoben. Dies mag dazu geführt haben, dass Chausson sich zu einer Umarbeitung des Werkes entschloss. Er begann mit Erstellung der zweiten Fassung am 23. Juli 1887 in Heiden und beendete sie am 15. November 1887 in Paris. Uraufgeführt wurde die zweite Fassung der Viviane op. 5, die hiermit erstmals als Studienpartitur vorliegt, am 29. Januar 1888 in Paris in den Concerts Lamoureux unter Charles Lamoureux (1834-99). Partitur und Stimmen von Viviane op. 5 erschienen 1894 beim Pariser Verlag Le Bailly-Bornemann im Druck.

Die Legende von Viviane ist der Artus-Sage entnommen, die Chausson zeitlebens faszinierte und die er später in seinem Hauptwerk Le Roi Artus musikalisch verewigen sollte. Viviane ist die Geliebte des weisen Magiers Merlin. Er verrät ihr seine magischen Geheimnisse, worauf sie ihn mit seinem eigenen Zauber bannt. Chaussons Tondichtung gliedert sich in vier ineinander übergehende Abschnitte, die der Komponist folgendermaßen auswies:
Viviane und Merlin im Wald von Brocéliande. Liebesszene.
Trompetenrufe – Boten von König Artus durchstreifen den Wald auf der Suche nach dem Zauberer.
Merlin erinnert sich seiner Aufgabe; er versucht zu fliehen und sich der Umarmung Vivianes zu entwinden.
Zauberszene – Um ihn festzuhalten, schläfert Viviane Merlin inmitten des blühenden Hagedorn ein.
Christoph Schlüren, 2004.

Aufführungsmaterial ist vom Verlag Alphonse Leduc, Paris (www.alphonseleduc.com) zu beziehen.