Paul von Klenau - Gespräch mit dem Tod (Conversations with Death)
(b. Copenhagen, 11 February 1883 - d. Copenhagen, 31 August 1946)
Preface
The development of twelve-tone music was an extremely messy affair. Contrary to the linear textbook account (which composer Michael Finnissy mocks as a patrilineal catechism: “and Schoenberg begat Webern who begat Stockhausen...”), the early twentieth-century saw a proliferation of composers devising wildly different systems for chromatic organisation. There was considerable overlap between these systems – to use a prominent example, Alban Berg utilised techniques developed by both Josef Mathias Hauer and his student Fritz Heinrich Klein in works from his “twelve-tone” period, which demarcates his musical development from that of Schoenberg and Webern. Nevertheless, the multiplicity of twelve-note systems (which might collectively be referred to as “total chromaticism”), their multiplicity of origins, and the wildly different aesthetic ends to which they were deployed, demonstrates that the linear, prescriptivist teleology of modern music – the story passed down from Theodor W. Adorno, René Leibowitz, and Pierre Boulez to contemporary textbooks – could only be conceived in retrospect.
One of the most complicated cases in the interwar development of twelve-tone music is that of Paul von Klenau. Together with fellow Schoenberg pupil Winfried Zillig, Klenau was one of the few composers who gained recognition using twelve-tone technique during the National Socialist period. Since twelve-tone music was officially categorised as degenerate, this was both an unusual and extremely risky position for Klenau to take. But he was more than prepared to defend his aesthetics: after his first opera incorporating twelve-tone passages was met with some hostile reviews, he wrote a defence of twelve-tone technique – without mentioning the name of his former teacher, Arnold Schoenberg – arguing that such a technique in fact operated in parallel with the Führerprinzip, eliminating “musical dilettantism” through its strict “totalitarian” construction.
In practice, however, Klenau’s twelve-tone music would never be mistaken as that of the three more central members of the Second Viennese school. Instead of the “twelve notes related only to each other” of Schoneberg’s theory, Klenau creates a series of triadic key centres which operate hierarchically but without tonal/cadential function. Somewhat ironically, the aural result of this schematic organisation sounds very free and frequently sumptuous, reminiscent of the “suspended tonality” of Franz Schreker. It is perhaps for this reason that the recent revival of interest in Klenau has seen him evaluated as one of the last participants in the romantic tradition (several CD releases of his work have the category “Late Romantic” on the cover) rather than one of the first participants of the modernist tradition.
The score that follows, Gespräche mit dem Tod (Conversations with Death) from 1916, is a work that showcases the more adventurous and introspective facets of Klenau’s compositional language. To a certain degree, the expressionism of this piece can be attributed to the spirit of the times: the Second Viennese school, as well as Franz Schreker, Alexander Zemlinsky, and Wilhelm Grosz, were composing in a similarly dark and iridescently chromatic style. For Klenau in particular, however, it demonstrates that he had graduated from the Brahmsian influences of his early career into a post-Wagnerian chromaticism.
Klenau still retains a certain classicism, however – more than the previously mentioned composers did during this period – which can be heard most prominently in the second movement, which comprises a Schumann-like elaboration of short, distinctive melodic gestures. Indeed, the entire song cycle bears the traces of symphonic form: the second movement is an Adagio, the third a Scherzo, etc. While the work is written in an open key signature throughout – cf. contemporaneous works by Schreker et al – the songs always resolve with a distinctive tonal center.
Such an uneasy reconciliation between classical and modernist form is central to Klenau’s musical thinking, and would find its most unusual manifestation in the (idiosyncratic) twelve-tone passages in his later, otherwise harmlessly tonal works. This heterodox preoccupation spanned the length of Klenau’s compositional career, and the juxtaposition of twelve-tone and tonal, even hymn-like music can be found in his opus ultimatum, the massive Symphony No. 9 (1944–1945), which was only recently rediscovered in 2001. In 2014, a week after its world premiere in Denmark, this symphony was broadcast on German radio on a programme titled ‘Between Goebbels and Schoenberg.’ This title is perhaps somewhat sensational, but it gives a good indication of Klenau’s bizarre position in the aesthetic and ideological history of twentieth-century music.
Max Erwin, 2017
For performance material please contact Universal Edition (www.universaledition.com), Vienna.
Paul von Klenau - Gespräch mit dem Tod
(geb. Kopenhagen, 11. Februar 1883 – gest. Kopenhagen, 31. August 1946)
Vorwort
Die Entwicklung der Zwölftonmusik war eine außerordentlich verwickelte Angelegenheit. Im Gegensatz zu dem, was so schön linear in Lehrbüchern steht (worüber sich der Komponist Michael Finissy als patrilineare Litanei lustig macht: „und Schönberg zeugte Webern, und jener zeugte Stockhausen ...“), erlebte das frühe zwanzigste Jahrhundert eine Flut von wild divergierenden Systemen der chromatischen Organisation durch verschiedene Komponisten. Diese Systeme überschnitten sich weithin – um ein bekanntes Beispiel zu nennen, benutzte Alban Berg in seiner zwölftönigen Periode Techniken, die von Josef Mathias Hauer und seinem Schüler Fritz Heinrich Klein entwickelt worden waren, wodurch sich seine Entwicklung von der Schönbergs und Weberns unterscheidet. Trotz alledem, die Vielzahl der Zwölftonsysteme (im Ganzen vielleicht besser „totale Chromatik“ genannt), ihre mannigfaltigen Ursprünge und die höchst unterschiedlichen ästhetischen Ziele, denen sie dienten, zeigt, dass die lineare präskriptive Teleologie der musikalischen Moderne – die Geschichte, die über Theodor W. Adorno, René Leibowitz und Pierre Boulez bis in die zeitgenössischen Lehrbücher überliefert worden ist – nur im Nachhinein ersonnen sein konnte.
Einer der kompliziertesten Fälle in der Entwicklung der Zwölftonmusik zwischen den Kriegen ist der von Paul von Klenau. Zusammen mit dem anderen Schönbergschüler Winfried Zillig war Klenau einer der wenigen Komponisten, die während der Nazizeit Anerkennung als Verwender der Zwölftontechnik fanden. Klenau vertrat damit einen ungewöhnlichen und äußerst riskanten Standpunkt, denn offiziell galt Zwölftonmusik als entartet. Doch er war mehr als bereit, seine Ästhetik zu verteidigen: Nachdem seine erste Oper, die Zwölftonpassagen enthielt, ablehnende Kritiken fand, schrieb er – ohne den Namen seines alten Lehrers Arnold Schönberg zu erwähnen – eine Verteidigung der Zwölftontechnik, die behauptete, eine solche Technik arbeite tatsächlich analog dem Führerprinzip und sondere durch ihren strengen „totalitären“ Aufbau „musikalischen Dilettantismus“ aus.
In der Praxis war Klenaus Zwölftonmusik jedoch mit der der inneren Mitglieder der Zweiten Wiener Schule gar nicht zu verwechseln. Statt der „zwölf nur aufeinander bezogenen Töne“ der schönbergschen Theorie erzeugt Klenau eine Reihe triadischer tonaler Zentren, die hierarchisch, aber nicht tonal-kadenziell funktionieren. Ironischerweise klingt das hörbare Ergebnis dieser schematischen Ordnung sehr frei und häufig opulent und an die „schwebende Tonalität“ Franz Schrekers erinnernd. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Klenau während seiner derzeitigen Wiederentdeckung als einer der letzten Vertreter der romantischen Tradition betrachtet wird (mehrere CD-Ausgaben seiner Werke nennen auf dem Cover die Kategorie „Spätromantik“) statt als einer der ersten, der sich an der Bewegung der Moderne beteiligte.
Die vorliegende Partitur, Gespräche mit dem Tod von 1916, zeigt die experimentierfreudigeren und beschaulicheren Seiten von Klenaus Tonsprache. Der Expressionismus des Stücks kann bis zu einem gewissen Grad auf den Zeitgeist zurückgeführt werden: Die Zweite Wiener Schule und auch Franz Schreker, Alexander Zemlinsky und Wilhelm Grosz schrieben in einem ähnlich düsteren und schimmernd-chromatischen Stil. Aber speziell für Klenau zeigt er, dass der sich von den brahmsschen Einflüssen seiner früheren Laufbahn gelöst und sich einer nachwagnerischen Chromatik zugewandt hat.
Klenau bleibt allerdings, mehr als es die vorhin erwähnten Komponisten in dieser Zeit waren, einem gewissen Klassizismus verhaftet, der am deutlichsten im zweiten Satz mit seiner Schumann-gleichen Durchführung kurzer, charakteristischer Melodiegesten zu hören ist. Tatsächlich trägt der ganze Liederzyklus die Spuren einer symphonischen Form: Der zweite Satz ist ein Adagio, der dritte ein Scherzo und so weiter. Während das Werk durchgehend mit offener Tonartbezeichnung notiert ist – man vergleiche die zeitgleichen Werke von Schreker und anderen –, klingen die Lieder immer auf einem erkennbaren tonalen Zentrum aus.
Solch eine unbehagliche Aussöhnung zwischen klassischer und moderner Form steht im Zentrum von Klenaus musikalischem Denken und sollte sich auf ungewöhnlichste Art in den (eigenwilligen) Zwölftonpassagen seiner späteren und sonst harmlos tonalen Werke äußern. Dieses abweichlerische Thema beschäftigte Klenau durch seine ganze Komponistenlaufbahn hindurch, und die Gegenüberstellung von zwölftöniger mit tonaler, gar hymnenartiger Musik findet sich auch in seinem letzten Werk, der gewaltigen Symphonie Nr. 9 (1944-1945), die erst kürzlich, 2001, entdeckt wurde. 2014, eine Woche nach ihrer Uraufführung in Dänemark, wurde die Symphonie im deutschen Radio gesendet. Der Titel der Sendung, „Zwischen Goebbels und Schönberg“, mag vielleicht etwas effekthascherisch sein, er zeigt aber sehr gut Klenaus bizarren Platz in der ästhetischen und ideologischen Musikgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Max Erwin, 2017
Aufführungsmaterialien sind erhältlich bei der Universal Edition (www.universaledition.com) in Wien.