Franz Schmidt
(geb. Bratislava/Preßburg, 22. Dezember 1874 - gest. Perchtoldsdorf bei Wien, 11. Februar 1939)

Concertante Variationen über ein Thema von Beethoven
für Klavier mit Begleitung des Orchesters (1923)
(Fassung für Klavier zu zwei Händen von Friedrich Wührer)

Vorwort
Mit seinen vier Symphonien und weiteren Orchesterwerken, dem Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln, der Oper Notre Dame, großformatig gearbeiteter Kammermusik und einem umfangreichen Orgelœuvre war Franz Schmidt einer der bedeutendsten Komponisten der Bruckner-Nachfolge in Österreich, für dessen Schaffen sich Dirigenten wie Oswald Kabasta und Clemens Krauss oder (postum) Dimitri Mitropoulos, Josef Krips und Zubin Mehta einsetzten.
1916-21 arbeitete Franz Schmidt an seiner zweiten Oper Fredigundis (die erste, Notre Dame — mit der Karnevalsmusik und dem populären Zwischenspiel — war 1902-04 entstanden), die am 19. Dezember 1922 in Berlin zur Uraufführung kam. 1919 hatte er sich nach zwanzigjähriger Gemeinschaft von seiner an zunehmendem Wahnsinn erkrankten ersten Frau Karoline (geb. Perssin, 1878-1940) getrennt. Am Tage der Fredigundis-Uraufführung, die ein großer Mißerfolg wurde, bewilligte das Landesgericht Wien "die Scheidung von Tisch und Bett". Am 13. Februar 1923 heiratete Schmidt seine ehemalige Schülerin Margarethe Jirasek. Und erst in diesem Jahr gelang es dem als Pädagogen Vielbeschäftigten, eine neue Komposition zu vollenden: die Concertanten Variationen über ein Thema von Beethoven für Klavier und Orchester. Eigentlich war anzunehmen, dass Schmidt nichts mehr fürs Klavier schreiben würde, hatte er doch Freunden gegenüber die Frage, warum er keine Klaviermusik komponiere, beantwortet: "Weil ich innerlich nur große symphonische Musik höre."
Da fragte ihn Paul Wittgenstein (1887-1961), ob er für ihn nicht ein Konzert für Klavier (für die linke Hand alleine) und Orchester schreibe. Wittgenstein hatte im Ersten Weltkrieg den rechten Arm verloren und fand nun den eigentlichen Sinn seines weiteren Lebens darin, Klavierkonzerte (und Kammermusik sowie Solowerke) für die linke Hand bei berühmten Komponisten in Auftrag zu geben und öffentlich vorzutragen. Er war sehr vermögend und konnte sich so die größten Meister leisten. So erhielt er konzertante Werke u. a. von Richard Strauss, Maurice Ravel, Sergej Prokofjew, Benjamin Britten, Erich Wolfgang Korngold und Paul Hindemith (er hat Hindemiths Werk nicht nur nie aufgeführt, sondern postum noch vor aller Welt unter Verschluß halten lassen). Die dauerhafteste und harmonischste schöpferische Verbindung jedoch ging Wittgenstein mit Franz Schmidt ein. Nachdem Schmidt 1923 die Concertanten Variationen über ein Thema von Beethoven geschrieben hatte, erhielt Wittgenstein noch fünf weitere Werke für die linke Hand von ihm, darunter 1926 das Quintett für Klavier und Streichquartett G-Dur, 1932 das Quintett für Klavier, Klarinette und Streichtrio B-Dur, 1934 das Klavierkonzert Es-Dur und 1938 das Quintett für Klavier, Klarinette und Streichtrio A-Dur sowie die Toccata d-moll für Klavier linke Hand alleine.

Das Thema seiner Concertanten Variationen entnahm Schmidt dem Scherzo und Trio von Ludwig van Beethovens 'Frühlingssonate' für Klavier und Violine op. 24. Eine zu diesem sich quasi variativ verhaltende langsame Einleitung führt auf das Thema hin. Carl Nemeth schreibt (in Carl Nemeth. Franz Schmidt. Ein Meister zwischen Brahms und Bruckner, Wien 1957) über das Werk:
"Die Melodiegestalt, durch die verzögernde Pausenwirkung eigenartig zerdehnt, war ein glücklicher Griff des Meisters. Die ersten Variationen tragen eher Züge der klassischen Stilvariation. Dazu kontrastieren die Folgevariationen, in der für Schmidt charakteristischen Variationstechnik, Figuration und Charakterumbildung der Grundthematik, und lassen neuen Geist in Form und Melodieführung deutlich werden. […] Unbeschwert und heiter schiebt sich eine boleroartige Tanzweise dazwischen. In der Verkleinerung der Werte, die sich bei allen Variationsformen Schmidts beobachten läßt, zieht in laufendem Zweivierteltakt die Fuge dahin. Noch kurz vor Abbruch des Finales, einer Doppelfuge, in der erstes und zweites Thema Veränderungen des Beethoven-Scherzos sind, richtet Schmidt einen gemütlichen Ländler ein, bis in bizarrer Anlage das Finale einen Schluß vorbereitet, dessen tosende Wirkung Schmidt vor dem Ende noch interessant abzufangen weiß und in etwas zögernder und immer leiser werdender Beherrschung das Variationsthema in der Urgestalt ausklingen läßt. […] Franz Schmidt hat sich, nach den schwer durchgestandenen Zeiten des Bemühens um seine Opern, plötzlich in die vorderste Reihe der österreichischen Komponisten gespielt […]"

Uraufgeführt wurden die Concertanten Variationen über ein Thema von Beethoven durch Paul Wittgenstein in einem Konzert der Wiener Konzerthausgesellschaft am 2. Februar 1924 unter der Leitung von Julius Prüwer (1874-1943), in welchem außerdem die Intermezzi Goldoniani op. 127 von Marco Enrico Bossi (1861-1925) und die Sechste Symphonie c-moll op. 58 von Alexander Glasunov (1865-1936) erklangen.

Auf Wunsch des Komponisten erstellte der Pianist Friedrich Wührer (1900-75) Fassungen für Klavier zu zwei Händen von den für Wittgenstein geschriebenen Kompositionen Schmidts. Carl Nemeth schreibt dazu (s. o.):
"Erst nach den zweihändigen Fassungen […] ergab sich die Möglichkeit, die Werke populärer zu machen. An die Bearbeitung schloß sich die Bedingung, daß bei einer Aufführung Programme und Rundfunkansage den Satz enthalten:
'Dieses Werk wurde vom Komponisten für Herrn Paul Wittgenstein für die linke Hand geschrieben; es wird heute mit dessen Zustimmung zweihändig vorgetragen.'"
Wie das Klavierkonzert Es-Dur erschienen auch die Concertanten Variationen nur in der vierhändigen Fassung Wührers 1952 bei der Universal Edition als Partitur im Druck. Zuvor waren die einhändige Urfassung der Concertanten Variationen 1926 und die des Klavierkonzerts ohne Jahresangabe — beide auf Kosten des Auftraggebers — als Partitur gedruckt worden. Die hier erstmals im Studienformat vorgelegte Partitur ist ein Nachdruck der 1952 veröffentlichten Wührerschen Fassung, welcher 1953 noch Wührers Klavierauszug für zwei Klaviere zu vier Händen folgen sollte.
CS, 2004.

Aufführungsmaterial ist vom Originalverlag Universal Edition, Wien (www.universaledition.com) zu beziehen.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Universal Edition AG, Wien, 2004.

Franz Schmidt
(b. Bratislava, 22 December 1874 – d. Perchtoldsdorf near Vienna, 11 February 1939)

Concertante Variations on a Theme by Beethoven
for Piano with Orchestral Accompaniment (1923)
(Version for piano two-hands by Friedrich Wührer)

Preface
Franz Schmidt’s reputation as one of the most significant composers of the Austrian Bruckner legacy rests on his four symphonies and other orchestral works, the oratorio The Book of the Seven Seals, the opera Notre Dame, large-scale chamber works and an extensive corpus of organ music. Conductors such as Oswald Kabasta and Clemens Krauss devoted themselves to his works during his lifetime, as did Dimitri Mitropoulos, Josef Krips, and Zubin Mehta after his death.
During the years 1916-21 Schmidt worked on his second opera, Fredigundis, which was premiered in Berlin on 19 December 1922. (His first opera Notre Dame, most familiar for its carnival music and the popular Intermezzo, was written in 1902-04.) In 1919 he had separated from his first wife Karoline (née Perssin, 1878-1940) after twenty years of life together; she had been suffering increasingly from mental illness. On the day of the Fredigundis premiere--which was a notable failure--the Viennese provincial court granted "the separation from table and bed". Schmidt married his former student Margarethe Jirasek on 13 February 1923. Only in this year did the highly occupied pedagogue again manage to complete a new composition: the Concertante Variations on a theme by Beethoven for Piano and Orchestra. This ran contrary to the assumption that Schmidt would write no more music for piano, for in response to the question of why he wrote no piano music, he had responded to friends: "Because I hear only large symphonic music inside me."
But then Paul Wittgenstein (1887-1961) asked him whether he might write for him a concerto for piano left-hand and orchestra. Wittgenstein had lost his right arm in the First World War and discovered the purpose of his continued existence in commissioning and performing works by famous composers for piano left-hand: concertos as well as chamber and solo works. He was quite wealthy and could therefore afford the greatest masters. Thus he obtained concertos and similar works from--among others--Richard Strauss, Maurice Ravel, Sergey Prokofiev, Benjamin Britten, Erich Wolfgang Korngold, and Paul Hindemith. (Not only did he never perform Hindemith's work, but he demanded that the work be kept under lock and key even after his death.) The most lasting and harmonious creative of these associations was the one Wittgenstein enjoyed with Franz Schmidt. After Schmidt wrote the Concertante Variations on a Theme by Beethoven for him in 1923, Wittgenstein received five more works for piano left-hand from him: the Quintet for Piano and String Quartet in G Major (1926), the Quintet for Piano, Clarinet, and String Trio in B-flat Major (1932), the Piano Concerto in E-flat Major (1934), the Quintet for Piano, Clarinet, and String Trio in A Major (1938), and the Toccata in D minor for piano left-hand (1938).

Schmidt took the theme of his Concertante Variations from the Scherzo and Trio of Beethoven's "Spring Sonata" for piano and violin, op. 24. A slow introduction, itself possessing something of variation character, leads to the theme. In his book Franz Schmidt. Ein Meister zwischen Brahms und Bruckner (Vienna, 1957), Carl Nemeth offers the following description of the work: "The shape of the melody, uniquely stretched thin by the delaying effect of rests, was a felicitous artifice on the part of the master. In the first variations, traits of the Classical stylistic variation predominate. The following variations offer a contrast in their variation technique, figuration and transformation of the character of the basic thematic content, all of which is characteristic of Schmidt; these variations manifest a new spirit in form and melodic writing. […] A bolero-like dance tune inserts itself in an unburdened, cheerful manner. The fugue sets off in a continuous 2/4 meter and a diminution of note values observable in all of Schmidt’s variation forms. Just shortly before the end of the Finale, a double fugue whose first and second themes are variations of the Beethoven Scherzo, Schmidt makes room for a good-natured Ländler. The Finale then proceeds in bizarre design toward an ending whose raging effect Schmidt interestingly snatches away, allowing the theme to conclude in its original form by means of somewhat hesitant and ever gentler control […]."

Paul Wittgenstein premiered the Concertante Variations on a Theme by Beethoven in a concert of the Wiener Konzerthausgesellschaft on 2 February 1924; the conductor was Julius Prüwer (1874-1943). Also on the program were the Intermezzi Goldoniani, op. 127, by Marco Enrico Bossi (1861-1925) and the Sixth Symphony of Alexander Glazunov (1865-1936).

At the composer’s request, the pianist Friedrich Wührer (1900-75) prepared versions for piano two-hands of the works written for Wittgenstein. About these Carl Nemeth writes: "Only after the two-handed versions […] did it become possible to make the works more popular. The arrangements followed from the condition that programs and radio announcements accompanying a performance contain the statement: 'The composer wrote this work for Paul Wittgenstein for the left hand; it is being performed today by piano two-hands with his approval.'"
Like the Piano Concerto in E-flat Major, the score of the Concertante Variations was published in 1952 by Universal Edition only with Wührer’s arrangement of the solo part. Prior to that, the original scores of the Concertante Variations and the Piano Concerto had been published--the former in 1926, the latter without date, and both at Wittgenstein’s expense. The present score, published here for the first time in study score format, is a reprint of Wührer’s 1952 version, which was followed in 1953 by Wührer’s reduction for two pianos, four hands.
Translation: Stephen Luttmann, 2004.

For performance materials please contact the original publisher, Universal Edition, Vienna (www.universaledition.com).

Reprinted with the kind permission of Universal Edition AG, Vienna, 2004.

Original Preface by Friedrich Wührer

This work was originally written for only a left-hand piano part and dedicated to the one-armed pianist Paul Wittgenstein; the score bears the handwritten note: "Hartberg, 22 August 1923".

I prepared the present two-hand version at the request of the composer. Paul Wittgenstein has consented to its performance, provided that programs and radio announcements contain the statement:

The composer wrote this work for Paul Wittgenstein for the left hand; it is being performed today by piano two-hands with his approval.

With regard to my arrangement, I have distributed the one-hand part over both hands, and have strengthened and filled it in by means of octave or chord doublings or by incorporating orchestral parts in those passages where expressivity demanded it.

The first performance of the work in the two-hand version took place in Wuppertal-Barmen on 12 April 1940 under the direction of Fritz Lehmann [with Friedrich Wührer at the piano].