Hector Berlioz
(Geboren am 11. 12. 1803 in La Cote-Saint-André, Isère, gestorben am 8.3. 1869 in Paris)

Benvenuto Cellini Oper in 3 Akten

Libretto von Léon de Wailly und Auguste Barbier nach Benvenuto Cellini
Uraufführung als Zweiakter: Paris, Opéra, 10. 9. 1838

Vorwort

Louis Hector Berlioz wuchs in der Provinz als Sohn eines Arztes auf, spielte als Jugendlicher Flöte und Gitarre und brachte sich selbst Musiktheorie bei. Er sollte Landarzt werden und begann 1821 an der Universität in Paris Medizin zu studieren. Seine Liebe zur Literatur und häufige Besuche der Pariser Opernhäuser weckte sein Interesse für das Musikdramatische und veranlasste ihn 1823 dazu, gegen den Willen seines Vaters das Medizinstudium aufzugeben und ans Musikkonservatorium zu gehen. Berlioz wurde in der Klasse des Hofkapellmeisters von Napoleon, Jean Francois Lesueur, aufgenommen und interessierte sich früh für die Programmmusik. Später studierte er auch bei Reicha. Cherubini, damals Direktor des Konservatoriums, verabscheute die harmonischen Experimente des jungen Komponisten und suchte jahrelang zu verhindern, dass der beinahe verhungernde junge Berlioz, dem der Vater jede Unterstützung entzogen hatte, den Prix de Rome erhielt, um den er sich so sehr bemühte. Die erste Opernkomposition, Estelle et Nemorin, zerstörte Berlioz; für ein Drama im Stile Webers, Le Francs-Juges fand er kein Theater und schlachtete es später für andere Kompositionen aus. 1829 komponierte er sein endgültiges Opus 1, Huit scenes de Faust, eines der erstaunlichsten Opus 1, das die Musikgeschichte kennt. 1827 hatte sich Berlioz in die etwas ältere englische Schauspielerin Harriet Smithson verliebt, die er in einer Hamlet-Aufführung als Ophelia erlebte. Nachdem sie seinen Antrag abgelehnt hatte und er vergeblich versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, stürzte er sich in die Komposition und beschrieb in der Symphonie Fantastique (1830) die Begegnung eines jungen Künstlers mit einer wunderschönen Frau. Das Werk war epochal: Eine narrative Musik begleitet von Interpretationsanweisungen vom Komponisten in der Partitur und mit einer bis dahin noch nie gehörten Orchestrierung, vor allem in den Messingbläsern und im Schlagzeug. Liszt rühmte das Werk und Berlioz gewann den Prix de Rome und das Herz seiner Harriet, die er 1833 heiratete. Doch die ersehnte Beziehung – „eine stürmische Ehe“, so Franz Liszt - wurde nicht glücklich und 1844 kam es zur Trennung.
Zurückgekehrt aus Rom komponierte er 1834 seine zweite grosse Symphonie Harold in Italien (inspiriert von Byron). Wenn man von dem dramatischen Werk Lélio ou Retour à la vie (1832) absieht, ist seine erste genuine Oper Benvenuto Cellini (1838). La Damnation de Faust folgte 1846. Die komische Oper Beatrice et Benedict (Uraufführung 1862 in Baden-Baden) schrieb er erst nach der Vollendung von Les troyens, die in zwei Teilen aufgeführt werden sollen: La Prise de Troie und Les troyens à Carthage, aber zu seinen Lebzeiten wurde nur Teil II im Pariser Théatre Lyrique aufgeführt (1863). Erst 1879 ging Teil I über die Opernbühne.
Berlioz schrieb ausserdem mit grosser Begabung über die Musik, z. B. das auch heute noch gültige Standardwerk Traité de l’Instrumentation, in der er sich mit dem für ihn so typischen grossen Gestus ein ideelles Orchester von 500 statt wie üblich 80 Mitgliedern wünscht. Er schlägt aber auch viele praktische Änderungen vor, die das Symphonieorchester entscheidend verbessern sollten. Zurecht wird Berlioz als der Vater des modernen Orchesters gesehen. Er schrieb auch selbst den Text zu L’enfance du Christ, zu Le Troyens (nach Vergil) und Béatrice et Benedict (nach Shakespeare) und schliesslich grossartige Memoiren, die nicht zuletzt ein kulturgeschichtliches Dokument sind. Auch verdiente er sich über lange Strecken seinen Lebensunterhalt als Kritiker, musste, um überleben zu können, wie er selbst sagte, „Feuilletons und ähnliche abscheuliche Machwerke“ verfassen.
So schlecht war Berlioz’ finanzielle Lage, dass der alte Violinvirtuose Paganini ihm Mitte der 1830er einen Scheck über zwanzigtausend Franken zukommen liess, damit er die „Miete... und sein tägliches Brot“ bezahlen könne. Dadurch bekam er auch den Freiraum, den er brauchte, um die dramatische Symphonie Romeo und Julia (1839) zu komponieren, die er Paganini widmete. Das einzige Amt, das ihm in seinem Leben angeboten werden sollte, war das eines Bibliothekars am Konservatorium, dem er von 1839 bis zu seinem Tod vorstand.
Berlioz stand mit seinem Opernschaffen zwischen den Zeitaltern, in der Form zurückgreifend auf das Alte, aber durchaus Romantiker, dazu moderner als viele seiner Zeitgenossen, ein Genie der Orchestrierung, ein genauer Analytiker und trotzdem temperamentsvoll, jedoch ohne Instinkt für die Bühne. Er war kein Dramatiker, sondern ein Lyriker und Epiker, ein Tonmaler, der eher im Orchester alles ausdrücken konnte als seinen Figuren Leben einflösen. Er war ein Meister der indirekten Mittel, die für das Operntheater nicht genügen. Er selbst bewunderte Gluck und die deutschen Meister. Mendelssohn, Schumann und Liszt förderten ihn in Deutschland, Wagner schickte ihm eine gewidmete Tristan und Isolde-Partitur. In Russland setzten sich Mussorgskij, César Cui, Borodin und Rimsky-Korsakoff für seine Werke ein. Interesse und Anerkennung war im Ausland deutlich grösser als in Frankreich. Bald galt er als der grösste französische Instrumentalist und Vorläufer der neuen Richtung in Deutschland. Chopin war sein Freund in Paris, Balzac bewunderte ihn, aber sonst verstand man ihn in seiner Heimat nicht. Dort dominierte die „grosse“ französische Oper nach meyerbeerschem Modell; das, was nicht zu diesem Genre gehörte, wurde kaum bemerkt und nicht geschätzt. Berlioz’ Bühnenwerke waren den Parisern fremd.
Nach dem Tod seiner ersten Frau 1854 heiratete Berlioz die Sängerin Marie Martin, die jedoch 1862 plötzlich verstarb. Die letzten Jahre verbrachte er unglücklich und einsam, seit vielen Jahren von Neuralgien geplagt. Sein einziger Sohn, Louis, der eine Laufbahn auf See eingeschlagen hatte, erlag 1867 in Havanna dem Gelbfieber. 1867 machte Berlioz eine letzte Reise nach Russland, ehe er nach Paris zurückkehrte, um den Tod abzuwarten. Er schrieb: „Ich bin allein... zu jeder Stunde sage ich zum Tod: ‚Wann immer es dir gefällt!’ Worauf wartet er noch?“
Am 8. 3. 1869 starb Hector Berlioz.

Bereits während seiner Italienreise Anfang der 1830er begann Berlioz sich für die Autobiographie des schillernden Renaissance-Menschen Benvenuto Cellinis (1500-1571) zu interessieren (deutsche Übersetzung von Goethe). Er bestellte ein Libretto von Léon de Wailly und Auguste Barbier nach einem zentralen Abschnitt der Lebensgeschichte Cellinis. Die erste Fassung mit gesprochenen Dialogen, gedacht für die Opéra-Comique, wurde für die Pariser Opéra geändert und durchkomponiert. Obwohl die Oper brillante und unkonventionelle Musik bietet, stiess die Premiere am 10. September 1838 beim Publikum auf völliges Unverständnis und zu den Lebzeiten des Komponisten sollte die Opéra jedes weitere Werk von Berlioz ablehnen. Obwohl Benvenuto Cellini auch einflussreiche Anhänger hatte, u.a. Franz Liszt, der das Werk als „vital und original“ empfand, kam es nach der Premiere nur zu wenigen Vorstellungen, bevor sie 13 Jahre lang von der Bühne verschwand. In der Zwischenzeit benutzte Berlioz Teile davon für seine Konzertouverture Römischer Karneval. 1852 wurde Benvenuto Cellini in veränderter Form in Weimar wieder aufgeführt; Liszt dirigierte. Im selben Jahr machte Berlioz weitere Änderungen. Szenen wurden umgestellt und aus den zwei Akten wurden drei. Die sogenannte Weimarer Version kam 1856 als Klavierauszug heraus (als Partitur 1886) und wurde zur Standardversion bis zur Wiederbelebung des Originals 1966 in Covent Garden, wofür man die ursprüngliche Fassung mehr oder weniger rekonstruiert hatte und den Papst wieder auftreten liess, den Berlioz aufgrund der Zensur in Paris von der Rollenliste streichen und durch den Kardinal Salviati ersetzen musste.
Alle Stellen, an welchen Orchester und Chor den Solosängern sozusagen die Fortführung der Handlung abnehmen, gelingen Berlioz in Benvenuto Cellini am besten: Der tumultöse Karneval, der elegante Tanz, die Szene beim Wirt, das Duell mit den rhythmisch deutlich hörbaren Degenstössen, der motivisch wiederholte Chor der Handwerker in der Schmiede. All das ist feinste Ensembletechnik. Dagegen wirkt z.B. die Kavatine Teresas zu Beginn der Oper mit ihren Verzierungen und Koloraturen wie altmodische opéra-comique, obwohl gerade das darauffolgende Duett zwischen Teresa und Cellini am Beginn der Szene mit Fieramosca von „neuerer“, besonders hinreissender Melodik ist und das sich entwickelnde Terzett, in dem die Stimmen Teresas, Cellinis und Fieramoscas wie Instrumente des Orchesters eingesetzt werden, bereits im Kleinen von grosser Ensemblekunst zeugt. Cellinis Fluchterzählung und sein Schwur sind mitreissend und lässt die Figur mit einem Mal lebendiger wirken, aber die Oper lebt von ihren reichen Ensembles, ihren Stimmsymphonien. Zum Teil ist sie noch etwas steif, Symmetrien und Koloraturen erinnern an herkömmliches französische Oper, man ahnt aber Berlioz’ Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, zu denen er dann in den Trojanern endlich findet.
Der Cellini-Stoff wurde mehrmals von Opernkomponisten in Szene gesetzt, von Schlösser (1845), Lachner (1849), Bozzano (1871), Orsini (1875) und Diaz (1890).
Zur Handlung
Ort und Zeit: Rom zur Karnevalszeit, 1532
Personen
Kardinal Salviati.............................................................…..........…..Bass
Balducci, päpstlicher Schatzmeister…………………….......………Bass
Teresa, seine Tochter..........................................................................Sopran
Benvenuto Cellini, Goldschmied............................................….......Tenor
Bernardino, Cellinis Lehrling.....................................................…....Bass
Francesco, Cellinis Lehrling.........................................................…..Tenor
Ascanio, Cellinis Lehrling............................................................…..Mezzosopran
Fieramosca, Bildhauer bei Papst Clemens VII……………………...Bariton
Pompeo, ein Raufbold.........................................................................Bariton
Würdenträger, Priester, Masken, Wachen, Volk
Akt I: Der junge, berühmte Goldschmied Benvenuto Cellini liebt Teresa, die Tochter des päpstlichen Schatzmeisters Balducci. Balducci schätzt den Künstler und Florentiner nicht, er möchte lieber, dass seine Tochter den Römer Fieramosca heiratet. Als dieser Teresa in ihrem Gemach aufsuchen will, überrascht er sie mit Cellini und belauscht, wie die beiden einen Fluchtplan für den nächsten Tag besprechen: Bei einem Maskenfest werden Cellini und Ascanio sich als Mönche verkleiden und Teresa nach Florenz entführen. Balducci kehrt überraschend früh zurück und während Cellini ungesehen entkommen kann, wird Fieramosca trotz seiner Proteste für den Verführer gehalten.
Akt II: Cellini hat vom Papst den Auftrag erhalten, eine Perseus-Statue in Gold zu giessen. Ärgerlich, dass nicht Fieramosca, sondern Cellini den Auftrag für die Statue erhält, hat Balducci in seiner Eigenschaft als Schatzmeister die Zahlung an den Künstler gekürzt. Cellini will sich an seinem Schwiegervater in Spe rächen und lässt ihn in einer Theatervorführung parodieren. Fieramosca und sein Freund Pompeo tragen die gleichen Kostume wie Teresa und Cellini und versuchen mit List, Teresa zu verschleppen. Cellini verteidigt seine Geliebte, ersticht Pompeo im Duell und muss ohne Teresa das Weite suchen. Fieramosca wird in der Verwirrung für den Täter gehalten und verhaftet.
Akt III: Ascanio und Teresa warten besorgt bei Cellinis Atelier. Als eine Mönchsprozession vorbeikommt, gibt der noch immer verkleidete Cellini sich zu erkennen. Balducci und Fieramosca kommen jedoch hinzu, als Cellini und Teresa flüchten wollen. Kardinal Salviati tritt dazwischen und droht dem Goldschmied, ihn wegen versuchter Entführung und Mord verhaften zu lassen. Er verspricht jedoch, Cellini unter der Bedingung zu begnadigen, dass die Perseus-Statue bis zum nächsten Tag vollendet wird. Cellini versucht fieberhaft, die Arbeit zu vollbringen; Fieramosca bietet Cellinis Lehrlingen und Assistenten Geld, damit sie ihren Meister allein lassen, wird aber stattdessen gezwungen mitzuhelfen. Als der Kardinal und Balducci kommen, um zu sehen, wie weit die Statue gediehen ist, muss Cellini wegen Goldmangels die Arbeit abbrechen. Dann aber wirf er entschlossen alle Arbeiten, die sich in der Werkstatt befinden, in den Schmelzkessel und kann genügend flüssiges Gold in die Form giessen. Die Statue wird vor den Augen aller herausgelöst und sogar Balducci und Fieramosca müssen zugeben, das sie ein Meisterwerk ist. Kardinal Salviati begnadigt Cellini nicht nur, sondern gibt ihm mit der schlussendlichen Einwillung Balduccis Teresas Hand.

Irmelin Mai Hoffer 2005