Max Reger
(geb. Brand in der Oberpfalz, 19. März 1873 — gest. Leipzig, 11. Mai 1916)
»Die Nonnen« op. 112
für gemischten Chor und großes Orchester (1909)
auf ein Gedicht von Martin Boelitz (1874-1918)
Vorwort
Am 7. August 1909 meldete Max Reger aus Leipzig an Karl Straube (1873-1950): "Tue Dir hiermit kund und zu wissen, daß die 'Nonnen' fix und fertig sind!" Am 13. August ließ er Straube aus Kolberg an der Ostsee weiter wissen: "Also die 'Nonnen' sind im Druck; die zwei ersten Strophen kennst Du ja, die dritte Strophe, deren Text Dir ja bekannt ist, hab ich als Art 'basso ostinato' freiester Art 'gebaut'; ich glaube, daß ich die Sache gut gemacht habe. Ich bin jetzt in der 'Chorschmiererei' drinnen! […] Der Psalm [Der 100. Psalm op. 106] ist feste im Stich; ich habe schon den Klavierauszug korrigiert, und bin soeben mit den Korrekturabzügen des ersten Teils der Partitur fertig! Der Psalm ist doch ein feines Ding! Es muß kolossal klingen! Ich denke, daß ich auch im dritten Teil (die beiden ersten Strophen eignen sich dazu nicht so gut) beim 'basso ostinato', wie den Nonnen der Heiland erscheint, eine ordentliche Klangfülle erreicht habe! Da passiert folgender Spaß: alles hat F-Dur, dazu blasen drei Trompeten und zwei Tenorposaunen D G in Oktaven; diese Sache wiederholt sich sofort auf D Fis Ais, Cis mit Dis, Gis im Blech und auf Fis, Gis, His, Dis mit Eis Ais im Blech! Es ist doch den Nonnen sicherlich 'ganz wirr' im Kopf, wenn sie in ihrer Vision den Heiland körperlich zu sehen vermeinen; und ich glaube, daß ich diese Wirrnis so ganz gut getroffen habe."
Ein gutes Jahr zuvor, am 22. Juli 1908, hatte Reger an Straube geschrieben: "Von den 'Nonnen' ist die erste Strophe fertig; drei Strophen hat das Gedicht, es wird ein sehr eigenartiges Ding." Eine weitere Nachricht zu den Nonnen erging an Straube am 26. April 1909, wo nicht nur von der Vollendung des Streichquartetts Es-Dur op. 109 die Rede ist: "Wundervollen Text zum Chorwerk habe ich, höchst eigenartig! Ganz neu in der Stimmung. Er ist von Boelitz."
Nach erfolgter Drucklegung schrieb Reger am 10. Februar 1910 an Wilhelm Lamping (1861-1929): "Ich würde mich natürlich riesig freuen, wenn Sie die 'Nonnen' nach dem Psalm zur Aufführung brächten! Oder ginge es nicht, daß Sie beide Werke: den Psalm und die 'Nonnen' an einem Abend machten? Hoffentlich kommt Ihnen die Musik des Psalms und der Nonnen nicht allzu scheußlich vor." Am 22. Februar erinnerte er Reinhold Anschütz: "Denken Sie auch daran, daß ich dem Gewandhaus die erste Aufführung der 'Nonnen' übertragen habe, woran wir unbedingt festhalten müssen." Am 23. Mai lobte er Boelitz’ Gedicht in einem Brief an den Verlag Bote & Bock: "es ist ein Stimmungsbild, wie wir es in der gesamten Chorliteratur bis jetzt noch nicht haben! Es ist ein Text von ganz wundervoller Poesie." Und am 28. Mai schrieb er an Bote & Bock: "Ich werde aber den 'Gesang der Nonnen' nicht in jenem 'Liedertafelstyl' komponieren mit welchem Strauss in der 'Salome' den Propheten Jochanaan charakterisiert! Der Gesang der Nonnen wird im Gegensatz zu dem mystisch-sinnlichen Stimmungsgehalt des übrigen Gedichtes in bewusst ganz alter Art so z. B. in einer alten Kirchentonart im Style des 14-15. Jahrhunderts gehalten, was dem Werke einen ganz aparten Reiz geben wird und muss! Diesen 2maligen Gesang der Nonnen werde ich nur für Frauenchor und nur mit Begleitung von Bratschen (geteilt diese!) (mit den Singstimmen die Begleitung) komponieren und wird durch diese Begleitung ein höchst herber, 'jungfräulicher' Klang erzielt, der sich ganz enorm von der Klangfarbe der anderen Verse abheben muss. Eine ganz große Steigerung kann man bei den Worten: 'Sieh, und aus dem goldnen Rahmen tritt der Heiland nun herfür' erzielen! Der Schluss dann in höchster Verklärung! Ich freue mich schon sehr darauf, wenn ich zum Schaffen dieses Werkes komme!"
Nach dem seinerzeit vom Verlag Lauterbach & Kuhn abgelehnten Gesang der Verklärten op. 71 (1903, Text von Busse) und direkt im Anschluß an den gigantischen 100. Psalm op. 106 (vollendet am 22. Juni 1909) waren Die Nonnen op. 112 das dritte großangelegte chorsymphonische Werk Max Regers, denen dann noch Die Weihe der Nacht op. 119 (1911, Text von Friedrich Hebbel), ein unvollendet gebliebenes lateinisches Requiem (1914), Der Einsiedler op. 144a (1915, Text von Eichendorff) und das Requiem op. 144b 'Seele, vergiß sie nicht' (1916, Text von Hebbel) folgten. Mitte Juli 1909 begonnen, vollendete Reger Die Nonnen am 5. August 1909 in Partitur. Nach geringfügigen Retouchen war am 22. August alles ins Reine gebracht, und am 8. September übergab er Partitur und Klavierauszug dem Verlag zum Druck. Fritz Stein (1879-1961) überlieferte später den von Reger angesichts der recht unterschiedlichen Geschwisterwerke von 1909 getanen Ausspruch, er "habe mit den 'Nonnen' das katholische Gegenstück zu dem protestantischen 100. Psalm schaffen wollen".
Im Frühjahr 1909 hatte Reger einen geeigneten Text für ein neues Chorwerk von etwa halbstündiger Dauer gesucht und Freunde um Mithilfe gebeten. Die Entscheidung fiel schließlich für Die Nonnen von Martin Boelitz, von welchem er bereits einige Kindergedichte im fünften Band seiner Schlichten Weisen op. 76 vertont hatte. Boelitz nahm auf Regers Wunsch ein paar kleine Änderungen vor, was die fragwürdige Qualität des Gedichts nicht grundlegend verbessern konnte. Dessen ungeachtet zählen Die Nonnen zu Regers wichtigsten Werken, und neben überschwenglichen und feindseligen Kommentaren gab es auch differenzierte Stellungnahmen der Zeitgenossen, so durch Rudolf Louis (1870-1914) am 13. Dezember 1910 in den Münchner Neuesten Nachrichten: "[…] es sind wenige Stellen in den 'Nonnen', die mich als Musiker nicht aufs nachhaltigste gefesselt, sehr viele, die mir ganz gewaltig imponiert haben. Dagegen scheint mir die eigentliche Schwäche des Werkes in dem Verhältnis der Musik zur Dichtung zu liegen. Nicht als ob Reger die Stimmungen des (übrigens dichterisch höchst üblen) Poems […] nicht vielfach ausgezeichnet getroffen hätte […]. Aber das berührt peinlich, daß Reger sich hat verleiten lassen, alle Steigerung des Gedichts, die sozusagen nur eine Steigerung nach innen ist, rein äußerlich-dynamisch durch Auswachsen der Tonstärke wiederzugeben, anstatt eine Steigerung der Intensität des Empfindungsausdrucks anzustreben."
Zur Uraufführung gelangten Die Nonnen op. 112, die "meinem lieben Freunde Philipp Wolfrum [1854-1919]" gewidmet sind, beim Max-Reger-Fest am 8. Mai 1910 in Dortmund durch den Dortmunder Musikverein und das örtliche Philharmonische Orchester unter der Leitung von Julius Janssen (1852-1921). Im selben Jahr erschienen Partitur und Klavierauszug im Druck bei Bote & Bock. Im Frühjahr 1967 wurden Die Nonnen in den 29. Band der bei Breitkopf & Härtel, Wiesbaden, erschienenen Reger-Gesamtausgabe aufgenommen. Im Vorwort meinte Herausgeber Ulrich Haverkampf: "Liegt die Wirkung des '100. Psalm' in der kontrapunktisch durchdachten, objektiven Größe, so liegt die Wirkung der 'Nonnen' in dem Zauber des Orchesterkolorits, den Gegensätzen zwischen Mystik und ekstatischen Steigerungen sowie asketischer, archaisierender Satzweise." Die Partitur wird hiermit erstmals im Studienformat vorgelegt.
Christoph Schlüren, 2003.
Aufführungsmaterial ist vom Verlag Boosey & Hawkes/Bote & Bock, Berlin (www.boosey.com) zu beziehen.
Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, 2003.
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Max Reger
(b. Brand, Oberpfalz, 19 March 1873 — d. Leipzig, 11 May 1916)
‘Die Nonnen’ (The Nuns) op. 112
for mixed choir and large orchestra (1909)
on a poem by Martin Boelitz (1874-1918)
Preface
On 7 August 1909 Max Reger reported from Leipzig to Karl Straube (1873-1950): "I hereby proclaim to you that the 'Nuns' are finished down to the last jot and tittle!" He resumed his report in a letter of 13 August from Kolberg on the Baltic Sea: "So the 'Nuns' are in print. You already know the first two stanzas, of course. The third, whose words are naturally known to you, is 'constructed' as a sort of 'basso ostinato' of the freest imaginable sort; I believe I’ve made a good job of it. Now I’m in the midst of the 'choral gibberish'! [...] The Psalm [Psalm 100, op. 106] is finally down on the plates; I’ve already corrected the vocal score and just finished proofreading the first section of the full score! The Psalm has turned out to be a fine thing! It must sound capital! I think I’ve also achieved a proper volume of sound in the third section [of The Nuns] (the first two stanzas are not quite as suitable to this purpose) at the 'basso ostinato' when the Savior appears to the nuns! Here’s the caper: everything is in F major, but three trumpets and two tenor trombones blow D and G in octaves; the business is immediately repeated on D, F#, A# and C# with D# and G# in the brass, and on F#, G#, B# and D# with E# and A# in the brass! The nuns are sure to be 'bedazzled' when they fancy envisioning their Savior in the flesh, and I believe I’ve done a quite good job of capturing the dazzle."
Roughly a year earlier, on 22 July 1908, Reger had written to Straube: "The first stanza of the 'Nuns' is finished; the poem has three stanzas, and it will turn out to be a very peculiar thing." Further news on The Nuns was dispatched to Straube on 26 April 1909. After mentioning the completion of the E-flat major String Quartet, op. 109, Reger continued: "I’ve got a marvelous text for a choral piece, strange to a degree! Wholly novel in mood. It’s by Boelitz."
Once the piece had appeared in print, Reger wrote on 10 February 1910 to Wilhelm Lamping (1861-1929): "I would, of course, be absolutely delighted if you were to perform the 'Nuns' after the Psalm! Or would it be too much to do both, the Psalm and the 'Nuns,' on a single evening? I hope you won’t find the music to the Psalm and the Nuns all-too abominable." On 22 February he reminded Reinhold Anschütz: "Do remember too that I’ve given the première of the 'Nuns' to the Gewandhaus, and we absolutely must keep to that agreement." He sang the praises of Boelitz’s poem in a letter of 23 May to his publishers, Bote & Bock: "It’s a mood-painting of the sort that has no equal in the whole of our choral literature to date! The poem has the most wonderful imagery." Another letter to Bote & Bock along the same lines followed on 28 May: "But I won’t write the 'Song of the Nuns' in that 'glee club style' that Strauss used in Salome to depict the Prophet Jochanaan! Contrary to the mystic and sensual mood of the rest of the poem, I shall deliberately keep the Song of the Nuns in an antiquated style — for example, in an ancient ecclesiastical mode reminiscent of the fourteenth or fifteenth century. This can and must give the piece quite a winning air! I shall set this twofold Song of the Nuns for nothing more than a women’s chorus accompanied solely by violas (divisi!) (with the voices in the accompaniment), and I shall use the accompaniment to achieve an utterly dry and 'virginal' sound that must stand out quite sharply from the timbre of the other verses. One can achieve a huge climax at the words 'Sieh, und aus dem goldenen Rahmen tritt der Heiland nun herfür' [Behold, the Savior now steps forth from the golden frame]! Then the ending, in supreme transfiguration! I already keenly look forward to the time when I can get around to writing this piece!"
Die Nonnen was Reger’s third large-scale choral symphony after Gesang der Verklärten op. 71 (‘Song of the Transfigured Ones’ after Busse, 1903), which had been rejected by Lauterbach & Kuhn, and directly following the gigantic Psalm 100 op. 106, completed on 22 June 1909. Its successors were Die Weihe der Nacht op. 119 (‘The Consecration of the Night’ after Friedrich Hebbel, 1911), a fragmentary Latin Requiem (1914), Der Einsiedler op. 114a (‘The Hermit’ after Eichendorff, 1915), and the Requiem ‘Seele, vergiss sie nicht’ op. 144b (‘Forget them not, my soul’ after Hebbel, 1916).
Die Nonnen was begun in the middle of July 1909 and completed in full score on 5 August 1909. After some minor polishing, Reger then wrote out the work in fair copy on 22 August, and on 8 September he handed the full score and vocal score to his publishers. According to a later account by Fritz Stein (1879-1961), Reger quipped of these two highly contrasting companion pieces that he conceived of "Die Nonnen as a Catholic counterpart to the Protestant Psalm 100."
In spring 1909 Reger set about finding a suitable text for a new choral piece of roughly half an hour’s duration and sought the assistance of his friends. His decision ultimately fell on Die Nonnen by Martin Boelitz, several of whose children’s poems he had already set in volume 5 of his Schlichte Weisen, op. 76. Boelitz made a few minor changes at the composer’s request, but without fundamentally improving the dubious quality of his poem. Nonetheless, Die Nonnen is one of Reger’s most significant works. Besides many ecstatic and hostile commentaries, there were also subtle assessments by his contemporaries, notably by Rudolf Louis (1870-1914), who wrote as follows in the Münchner Neueste Nachrichten of 13 December 1910: "There are few passages in Die Nonnen that failed to hold my utmost attention as a musician, and very many that left me overawed. On the other hand, the work’s true weakness seems to me to lie in the relation of the music to the words. This is not to say that Reger did not, on many occasions, capture the mood of the poem (which consists, by the way, of the most blatant doggerel). […] But it is disconcerting that he allowed himself invariably to be misled into rendering the climaxes of the poem — all of which are, so to speak, climaxes toward within — in a purely superficial manner by increasing the level of dynamics instead of attempting to achieve a climax in intensity of expression."
Die Nonnen was dedicated to Reger’s "dear friend Philipp Wolfrum" (1854-1919) and received its première at the Reger Festival in Dortmund on 8 May 1910, when it was performed by the Dortmund Musical Society and the local Philharmonic Orchestra under the baton of Julius Janssen (1852-1921). The full score and vocal score were issued that same year by Bote & Bock. In spring 1967 the work appeared in volume 29 of the Reger Gesamtausgabe, published by Breitkopf & Härtel in Wiesbaden. In his preface the editor, Ulrich Haverkampf, summed up the work as follows: "If the effect of Psalm 100 resides in its objective, contrapuntally conceived grandeur, that of Die Nonnen lies in the magic of its orchestral colors, in the contrasts between mysticism and ecstatic climaxes on the one hand and an ascetic, archaizing compositional fabric on the other."
The work now appears for the first time in study score.
Translation. Bradford Robinson, 2003.
For performance materials please contact the publisher Boosey & Hawkes/Bote & Bock, Berlin (www.boosey.com).
Reprint of a copy from the music library archives of the Münchner Stadtbibliothek, 2003.
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