Walter Braunfels
(geb. Frankfurt am Main, 19. Dezember 1882 — gest. Köln, 19. März 1954)

Don Juan op. 34 (1922-24).

Eine klassisch-romantische Phantasmagorie
für großes Orchester

Vorwort
Mit seinen Opern Ulenspiegel op. 23 (uraufgeführt am 4. November 1913 im Königlichen Hoftheater in Stuttgart unter Max von Schillings) und vor allem Die Vögel op. 30 nach Aristophanes, seinem mit Abstand erfolgreichsten Bühnenwerk (uraufgeführt im National-Theater zu München am 30. November 1920 unter Bruno Walter) sowie der Uraufführung seines enthusiastisch gefeierten Te Deum op. 32 am 28. Februar 1922 im neunten Gürzenich-Konzert zu Köln unter Hermann Abendroth (laut G. Tischer in der Rheinischen Musik- und Theaterzeitung vom 1. März 1922 "…dem größten Erfolg, den je eine Uraufführung in Köln hatte") hatte Walter Braunfels sich einer der führenden deutschen Komponisten etabliert, was 1925 seine Berufung durch Leo Kestenberg zum Leiter der neu gegründeten Musikhochschule zu Köln zur Folge hatte. Bis dahin, 1919-25, lebte der einstige Schüler von Theodor Leschetitzky (Klavier) und Ludwig Thuille (Komposition) in München.
An symphonischen Werken hatte Braunfels vor dieser Zeit vollendet: Symphonische Variationen op. 15 (über ein altes französisches Kinderlied, 1909); die kleine Shakespeare-Tondichtung Ariels Gesang op. 18 (1910, uraufgeführt am 22. März 1911 in der Münchner Tonhalle); die 1911 bei Ries & Erler verlegte, bald sehr beliebte Serenade Es-Dur op. 20 für kleines Orchester (um 1910, uraufgeführt in München am 9. Januar 1911 im sechsten Abonnement-konzert des Münchener Konzertvereins [nachmalig Münchner Philharmoniker] unter Ferdinand Löwe); das neudeutsch-symphonisch konzipierte Klavierkonzert A-Dur op. 21, im Jahr darauf umbenannt in Konzert für Orchester und Klavier (uraufgeführt in Berlin am 20. November 1911 im zweiten Sinfoniekonzert des Blüthner-Orchesters unter Siegmund von Hausegger, mit dem Komponisten am Klavier); die Karnevals-Ouvertüre op. 22 (1911, uraufgeführt in Stuttgart am 8. Februar 1912 unter Max von Schillings, der bereits 1909 Braunfels’ Durchbruchswerk, die Oper Prinzessin Brambilla, aus der Taufe gehoben hatte); sowie die äußerst effektvollen Phantastischen Erscheinungen eines Themas von Hector Berlioz op. 25 (1914-17, Variationen über das Flohlied aus La Damnation de Faust, uraufgeführt in Zürich am 19. oder 20. Januar 1920 durch das Orchester der Tonhalle-Gesellschaft unter Volkmar Andreae und schnell vielerorts im Repertoire der großen Orchester; 2002 erschienen als Repertoire Explorer Studienpartitur 212 wiederveröffentlicht).
Während der Münchner Jahre 1919-25 schrieb Braunfels zwei weitere Orchesterwerke: Don Juan op. 34 und Präludium und Fuge op. 36 für großes Orchester (1922-25, uraufgeführt 1925 unter Rudolf Siegel, Generalmusikdirektor der Krefelder Konzertgesellschaft). 1921-23 hatte Braunfels zudem eine weitere Oper komponiert: Don Gil von den grünen Hosen op. 35, eine musikalische Komödie in drei Aufzügen in freier Bearbeitung der spanischen Verwechslungskomödie von Tirso de Molina (uraufgeführt am 15. November 1924 im National-Theater zu München unter Hans Knappertsbusch).

Die 1922-24 komponierten Orchestervariationen Don Juan op. 34 führen in der 1925 bei der Universal Edition im Druck veröffentlichten Partitur den Untertitel: Eine klassisch-romantisch Phantasmagorie. Weitschweifig und mit phänomenalem Sinn für den orchestralen Effekt legte Braunfels diesen Variationenzyklus über die Melodie Finch’han dal vino, gemeinhin irreführend als Champagner-Arie bezeichnet, aus Mozarts Don Giovanni an — über jene Musik, in welcher der von Braunfels verehrte Ferruccio Busoni den Inbegriff von "weltmännischer Beweglichkeit, Sorglosigkeit und sprühenden Lebenslust" verspürte. Walter Berten sollte später in einem für Die Tribüne, Köln, Jahrgang 1929/30, verfassten Aufsatz über die beiden großen Orchestervariationen resümmieren: "Das stofflich Gegebene wird nicht so sehr verwandt im Sinne einer Änderung des Themas, einer zerlegenden oder kombinierenden Spiegelung, als vielmehr zur Entzündung einer höchst fruchtbaren Phantasie, die jeder neuen 'Erscheinung' aus eigener Schau ein eigenes Gesicht gibt. […] Wie die Berlioz-Erscheinungen im Grunde eine verkappte Sinfonie darstellen, so die Mozart-Variationen ein verkapptes dämonisches Don Juan-Drama ohne Worte und Szene." So fehlt denn auch von Anfang an nicht die tragische Seite der Mozartschen Musik, das Komtur-Thema, und weitere Themen Mozarts scheinen, mehr oder weniger schemenhaft, im Verlaufe des kapriziösen Werks auf (insbesondere Reich’ mir die Hand, mein Leben).
Zur Uraufführung kam Braunfels’ Don Juan op. 34. Eine klassisch-romantische Phantasmagorie für großes Orchester, in Leipzig am 13. November 1924 durch das Leipziger Gewandhaus-Orchester unter seinem Chefdirigenten Wilhelm Furtwängler, dem einstigen Verlobten von Braunfels’ Gattin Bertel aus frühen Münchner Jahren (Furtwängler hatte sich in kompositorischen Fragen auch später noch manchen Rat von Braunfels erbeten). Vier Tage später, am 17. November, leitete Furtwängler das andere Orchester, dem er seit Arthur Nikischs Tod vorstand, die Berliner Philharmoniker, in der Berliner Erstaufführung des Don Juan. Nicht genug damit: Während seiner dritten Gastperiode in New York dirigierte Furtwängler am 17. und 18. März 1927 das Orchester der Philharmonic-Symphony Society of New York (das heutige New York Philharmonic) in den zwei ersten amerikanischen Aufführungen des Braunfelsschen Don Juan (gefolgt von Strauss’ Tod und Verklärung und Brahms’ Zweitem Klavierkonzert mit Ossip Gabrilowitsch). Wenngleich die Kritiken meist nicht sehr positiv ausfielen, machten die Don Juan-Variationen nach der Uraufführung ihren Weg durch die deutschen Städte, wo sie u. a. 1925 erstmals in Frankfurt (unter Clemens Krauss), am 30. September 1927 in Dresden (unter Fritz Busch) und am 9. Dezember 1927 in München (Münchner Philharmoniker) erklangen. Weitere Informationen zu Entstehung, Hintergrund, Aufbau und Rezeption des Werkes finden sich in Ute Jungs grundlegender Monographie Walter Braunfels (Regensburg 1980, ISBN 3 7649 2215 X), der auch ein großer Teil vorstehender Informationen entnommen ist.
Christoph Schlüren

Aufführungsmaterial ist vom Originalverlag Universal Edition, Wien (www.universaledition.com) zu beziehen.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Universal Edition AG, Wien, 2003.

 

 

Walter Braunfels
(b. Frankfurt am Main, 19 December 1882 — gest. Cologne, 19 March 1954)

Don Juan op. 34 (1922-24).

A Classical-Romantic Phantasmagoria
for large orchestra

Preface
In 1925 Walter Braunfels, a pupil of Theodor Leschetitzky (piano) and Ludwig Thuille (composition) who had been living in Munich since 1919, was appointed by Leo Kestenberg to head the newly founded Musikhochschule in Cologne. The appointment was the upshot of three works that had placed him in the front rank of German composers: the opera Ulenspiegel, op. 23, premièred at the Stuttgart Royal Theater on 4 November 1913 under Max von Schillings; Die Vögel, op. 30, an operatic setting of Aristophanes’ The Birds that was premièred by Bruno Walter at the Munich National Theater on 30 November 1920 (this was incomparably Braunfels’s greatest success in the theater); and the wildly applauded première of his Te Deum, op. 32, conducted by Hermann Abendroth at the Ninth Gürzenich Concert in Cologne on 28 February 1922 (G. Tischer, writing in the Rheinische Musik- und Theaterzeitung on 1 March 1922, called it "the greatest triumph ever accorded to a première in Cologne").
Before moving to Munich, Braunfels had also produced a number of orchestral works: Symphonic Variations on an Old French Nursery Rhyme, op. 15 (1909); Ariel’s Song, op. 18 (1910), a short tone-poem after Shakespeare that received its première in the Munich Tonhalle on 22 March 1911; the instantaneously popular Serenade in E-flat major for small orchestra, op. 20 (1910), premièred by Ferdinand Löwe at the sixth subscription concert of the Munich Konzertverein (later the Munich Philharmonic) on 9 January 1911 and published by Ries & Erler in that same year; a Piano Concerto in A major, op. 21, conceived in a Lisztian symphonic vein (it was renamed Concerto for Orchestra and Piano one year later) and premièred in Berlin by Siegmund von Hausegger at the second concert of the Blüthner Orchestra on 20 November 1911, with the composer taking the solo part; a Carnival Overture, op. 22 (1911), first performed in Stuttgart on 8 February 1912 under the baton of Max von Schillings (he had already conducted the première of Braunfels’s artistic breakthrough, the opera Prinzessin Brambilla, in 1909); and the extraordinarily brilliant Fantastic Apparitions of a Theme of Hector Berlioz, op. 25 (1914-17), a set of variations on the 'Song of the Flea' from La Damnation de Faust that was premièred by Volkmar Andreae and the Tonhalle Orchestra in Zurich on 19 or 20 January 1920 and quickly entered the repertoires of many major orchestras (it was reissued as Study Score no. 212 in the Repertoire Explorer series in 2002). During his years in Munich (1919-25) Braunfels wrote two further orchestral works: Don Juan, op. 34, and Prelude and Fugue for large orchestra, op. 36 (1922-5), premièred in 1925 by the principal conductor of the Krefeld Concert Society, Rudolf Siegel. He also turned out Don Gil von den grünen Hosen, op. 35 (1921-3), a three-act comic opera loosely based on a comedy of mistaken identity by the Spanish playwright Tirso de Molina and premièred in the Munich National Theater on 15 November 1924, Hans Knappertsbusch conducting.

Don Juan was composed from 1922 to 1924 and published in score by Universal Edition one year later with the subtitle a classical-romantic phantasmagoria. Written with a phenomenal instinct for orchestral effects, it is a discursive and loose-limbed set of variations on Finch'han dal vino, the number commonly if misguidedly referred to as the "Champagne Aria" from Mozart’s Don Giovanni. (Ferruccio Busoni, a composer much admired by Braunfels, considered this aria to be the quintessence of "urbane agility, nonchalance and dazzling joie de vivre.") Later Walter Berten, in an article published in Die Tribüne (Cologne, 1929-30), aptly summarized Braunfels’s two great sets of orchestral variations: "The given material is used not so much in the spirit of variations on a theme, dissecting or combining it in mirror-reflection, but rather to kindle a richly fertile fantasy that lends a distinctive guise to each new 'apparition' from a personal perspective. […] Just as the Berlioz setting is essentially a symphony in disguise, so the Mozart variations are a wordless and unstaged drama in disguise on the diabolical figure of Don Juan." Accordingly, the tragic aspect of Mozart’s music — the theme of the Commendatore — is present from the very outset, and other themes, notably Là ci darem la mano, crop up more or less furtively in the course of this capricious work.
Don Juan was heard for the first time in Leipzig on 13 November 1924, when it was given by the Gewandhaus Orchestra under its principal conductor, Wilhelm Furtwängler. (Furtwängler was the former fiancé of Braunfels’s wife Bertel and later sought Braunfels’s advice on many questions of compositional technique.) Four days later, on 17 November, Furtwängler conducted the work’s Berlin première with his other orchestra, the Berlin Philharmonic, over which he had also presided since the death of Arthur Nikisch. As if that were not enough, on 17 and 18 March 1927, during his third season as visiting conductor in New York, Furtwängler also conducted the first two American performances of the piece with the Orchestra of the Philharmonic-Symphony Society of New York (later the New York Philharmonic), following it in the same program with Strauss’s Death and Transfiguration and Brahms’s Second Piano Concerto played by Ossip Gabrilowitsch. Although the critics were seldom entirely favorable, the Don Juan variations continued their successful progress through the cities of Germany, including Frankfurt in 1925 (under Clemens Krauss), Dresden on 30 September 1927 (under Fritz Busch) and Munich on 9 December 1927 (with the Munich Philharmonic). Further information on their genesis, background, musical structure and subsequent reception can be found in Ute Jung’s standard German monograph Walter Braunfels (Regensburg, 1980, ISBN 3 7649 2215 X), from which much of the information in this preface has been taken.

For performance materials please contact the original publisher Universal Edition, Vienna (www.universaledition.com).

Reprint with the kind permission of Universal Edition AG, Vienna, 2003.