Eduard Erdmann
(geb. Wenden (Tsezis), Lettland, 18. (julian.: 5.) März 1896 — gest. Hamburg, 21. Juni 1958)

Klavierkonzert op. 15 (1928)

I Allegro, ma non troppo p. 1
(ausgiebige Pause, mindestens 1 Minute)
II Intermezzo. Adagio p. 68
III Rondo Finale p. 72

Vorwort
Eduard Erdmann ist der musikalischen Welt in Erinnerung als einer der großen deutschen Pianisten, vor allem als unübertroffener Bach- und Schubert-Spieler und wegen seines grandiosen Einsatzes für die neue Musik. Den Komponisten Erdmann, der u. a. vier großartige Symphonien hinterließ, kennt man kaum (dies eine klare Parallele zu Artur Schnabel). Wie später Sergiu Celibidache und viele andere war er Schüler des gleichfalls als Komponisten völlig unterschätzten und seit den Jahren des Dritten Reichs verdrängten Heinz Tiessen (1887-1971), eines der großen Tonschöpfer des Berliner Expressionismus.
Am 16. Dezember 1920 erschien in der Vossischen Zeitung unter dem Titel Beethoven und wir Jungen eine Art künstlerisches Bekenntnis Erdmanns, in dem er u. a. ausführt:
"Bei Beethoven glauben wir das 'Ewige' vor allen Dingen in der Persönlichkeitsäußerung zu sehen. Das Leiden, Ringen, Überwinden, Entsagen des großen Menschen steht im Vordergrund unserer Aufmerksamkeit. Er war der Anfang des bewußten Individualismus in der Musik. In der Folgeentwicklung hat dieser Zug zum Individualismus die einzelnen Künstler immer mehr isoliert und vereinsamt und führte endlich zu der aphoristischen und eruptiven Ausdrucksweise, wie sie z. B. den letzten Schönberg charakterisiert. Diese Musik erfordert eine Einstellung von Seiten des Zuhörers auf einen Einzelfall, der schon kaum mehr Beziehung zur Allgemeinheit hat. Dem Persönlichkeitskult mußte eine Kunstäußerung folgen, die für den Schöpfer die größte Bedeutung hat als intimstes und persönlichstes Bekenntnis, für den Hörer aber nur bei intensivster Einstellung genießbar wird. Solche Musik der Gefühlsextrakte kennt keine Zwischenflächen, keine Vermittlungen; sie erscheint gewissermaßen unverdünnt. Diese äußerste Konsequenz des Beethovenschen Schaffens zeitigt allmählich das tagebuchartig 'expressionistische' Prävalieren jenes Schaffens-faktors, der sich von der Psyche des Schöpfers herleitet.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei hier bemerkt, daß nicht die Gesamtheit der fortschrittlichen musikalischen Jugend sich zu Schönberg uneingeschränkt bekennt. Ein Teil dieser Jungen, zu dem ich mich selbst zähle, fühlt wieder eine starke Wahlverwandtschaft zu jenen Meistern, die mir, wie etwa Bach, vor allem aber seine Vorgänger, wie Schütz, Buxtehude, späterhin Schubert, zuletzt vielleicht Bruckner, das 'Erformen' des musikalischen Stoffes in herrlicher Erfüllung zeigen. Bei dieser 'Es-Musik' im Gegensatz zur 'Ich-Musik' interessiert uns der psychische Anlaß ihres Entstehens so gut wie gar nicht. Ein solches Stück ist als Musik wohl empfunden, ohne daß es einen Ballast von 'allzumenschlichen' Gefühlen mit sich herumträgt. Sein Leben ist ein kosmisches. Man fühlt gewissermaßen die Ewigkeit der Materie und nicht die Vergänglichkeit des Individuums in seinem Ringen."

Eduard Erdmanns Werkverzeichnis ist schmal und von erlesener Qualität. Es umfaßt nur 22 Opusnummern. darunter die vernichtete Tondichtung Am Gardasee op. 4 von 1914. Wo er ein so überragender Pianist war, erscheint es bemerkenswert, daß von ihm nur drei Werke für Klavier solo vorliegen: die 7 Bagatellen op. 5 (1912-19), die Fünf kleinen Klavierstücke op. 6 (1915-18) und der den engen Freunden Ernst und Anni Krenek gewidmete Foxtrot in C-Dur von 1923, die einzige Komposition ohne Opuszahl. Neun Jahre nach dem Lyrischen Stück ‘An den Frühling’ für Violine und Klavier op. 1 (1912) schrieb er 1921 eine sehr anspruchsvolle Sonate für Violine solo op. 12 für Alma Moodie. Deutlich fruchtbarer war er als Liedkomponist, und hat außerdem 1925 eine weder instrumentierte noch irgendwie an die Öffentlichkeit gelangte Operette Die entsprungene Insel op. 14 geschrieben. Der überwiegende Teil seiner Werke (das komplette Spätwerk nach dem wundervollen Streichquartett op. 17 von 1937, der einzigen Komposition, die er während des nationalsozialistischen Regimes hervorbrachte) ist orchestral. Für Klavier und Orchester hat Erdmann außer dem Klavierkonzert op. 15 noch ein am 22. Dezember 1946 in Langballigau (Schleswig-Holstein) vollendetes Konzertstück (Rhapsodie und Rondo) op. 18 komponiert, welches am 28. April 1948 in Duisburg durch den Widmungsträger Paul Baumgartner zur Uraufführung kam, der vom Städtischen Orchester Duisburg unter Georg-Ludwig Jochum begleitet wurde.

Das Konzert für Klavier und Orchester op. 15 konnte Eduard Erdmann am 17. November 1928 vollenden. Er widmete es seinem Freund und Komponistenkollegen Philipp Jarnach. Zur Uraufführung brachte es der Komponist selbst am 15. Januar 1929 in Köln, begleitet vom Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Hermann Abendroth. Weitere Aufführungen seines Konzerts konnte Erdmann bald darauf mit den Dirigenten Otto Klemperer (Berliner Staatskapelle, Symphoniekonzert in der Kroll-Oper am 3. Oktober 1929) und Bruno Walter geben. Neunzehn Jahre nach der Uraufführung, am 14. Januar 1948, schrieb Erdmann an seinen Lehrer und Freund Heinz Tiessen: "Für das Klavierkonzert, das Du seinerzeit in Berlin hörtest, kann ich heutzutage nur noch wenig Zuneigung aufbringen, wiewohl es mich in formaler, stellenweise auch in struktureller Hinsicht, dann durch das manifestierte Talent, sowie vor allem in seiner Instrumentation verblüfft."
Eduard Erdmanns Klavierkonzert op. 15 war im Dritten Reich geächtete Musik und ist, obwohl es doch für neugierige Pianisten interessant sein müßte, auch danach vollkommen in der Versenkung verschwunden geblieben. Der Mangel an Erfolg dürfte wohl auch der Hauptgrund dafür sein, daß die Universal Edition das Werk zwar 1930 in den Verlag nahm und auch noch eine Stichvorlage ausschreiben ließ, es dann aber nicht im Druck veröffentlichte. Der hier vorgelegte Partitur-Erstdruck wurde durch die außerordentliche Kooperationsbereitschaft des Verlags Universal Edition ermöglicht, der uns die auf Transparentpapier geschriebene originale Stichvorlage zur Verfügung stellte. Hoffen wir, daß unser Eintreten für Eduard Erdmanns Musik dieser zu weiter Verbreitung und womöglich Beliebtheit verhilft.
Christoph Schlüren, März 2003

Aufführungsmaterial ist vom Verlag Universal Edition, Wien (www.universaledition.com) zu beziehen.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Universal Edition AG, Wien, 2003.

 

Eduard Erdmann
(b. Tsezis, Latvia, 18th (julian.: 5th) March 1896 — d. Hamburg, 21st June 1958)

Piano Concerto Op. 15 (1928)

I Allegro, ma non troppo p. 1
(long interval, lasting for at least 1 minute)
II Intermezzo. Adagio p. 68
III Rondo Finale p. 72

Preface
The musical world remembers Eduard Erdmann as one of the great German pianists, above all as an unsurpassed player of Bach and Schubert, and for his great dedication to the new music. Eduard Erdmann the composer, who among other things left four magnificent symphonies, is hardly known (this being a clear parallel to Artur Schnabel). Like Sergiu Celibidache and many others after him, Erdmann was a pupil of Heinz Tiessen (1887-1971), one of the great musicians of Berlin Expressionism who has been suppressed since the years of the Third Reich and entirely undervalued as a composer.
On 16 December 1920 there appeared in the Vossische Zeitung under the title of Beethoven and We Youths a kind of artistic confession of Erdmann, in which amongst other things he declared: "Through Beethoven we believe we see the 'Eternal' above all in expressions of personality. The suffering, struggles, conquests and renunciations of great men stand in the foreground of our attention. He was the beginning of conscious individualism in music. As a consequence this movement towards individualism left the lone artist ever more isolated and abandoned, and eventually led to the aphoristic and eruptive means of expression lately characterised — for example — by Schönberg. This music requires an adjustment of the listener’s perspective to a particular state of affairs that has hardly any relationship to the community as a whole. From this personality cult there naturally follows a mode of artistic expression which has the greatest meaning for the composer as a most intimate and personal confession, but which for the listener is only enjoyable through the most intensive engagement. Such Music of Emotional Extracts knows no middle ground or compromise; it appears somehow undiluted. This furthest consequence of Beethoven’s creations gradually leads to the diary-like 'expressionist' privatisation of every creative element deriving from the psyche of the artist.
In order to avoid any misunderstanding, it should be noted here that unlimited allegiance to Schönberg is not given by the entirety of progressive musical youth. A section of these youngsters — amongst whom I myself am to be counted — feels once again a strong affinity for those masters who to my mind demonstrate the prodigious fruition of the 'shaping' of musical matter: as perhaps Bach, but above all his predecessors, such as Schütz, Buxtehude, later Schubert, and lastly maybe Bruckner. In the case of this 'It-music' — as opposed to 'I-music' — the pyschological origins of its development do not interest us in the slightest. Such a piece is sensitive as music without carrying about with itself the ballast of 'all-too-human' emotions. Its life is a cosmic one. One feels as it were the eternity of matter and not the perishability of the individual in his suffering."

Eduard Erdmann’s list of works is small and of exquisite quality. It comprises only 22 opus numbers, including the destroyed tone poem At Lake Garda Op. 4 from 1914. As he was such an outstanding pianist it is quite remarkable that only three works for solo piano appeared from him: the 7 Bagatelles Op. 5 (1912-19), the Five Small Pieces for Piano Op. 6 (1915-18), and the Foxtrot in C of 1923 (the only one of his compositions without an opus number), which was dedicated to his close friends Ernst and Anni Krenek. Nine years after the lyrical piece 'To Spring' for Violin and Piano Op. 1 (1912) he wrote a very fastidious Sonata for Solo Violin Op. 12 for Alma Moodie in 1921. He was clearly more prolific as a song composer, and moreover in 1925 he wrote the operetta The Emerging Island Op. 14, which neither received instrumentation nor reached the public. The greater part of his work is orchestral (i.e. the entirety of his later work after the wonderful String Quartet Op. 17 of 1937, which was the only composition that he authored during the National Socialist regime). 18 years after the Piano Concerto Op. 15, Erdmann completed another work for piano and orchestra, his Concert Piece (Rhapsody and Rondo) Op. 18 on the 22nd of December 1946 in Langballigau (Schleswig-Holstein), which was first performed on 28 April 1948 in Duisburg by its dedicatee Paul Baumgartner, conducted by Georg-Ludwig Jochum.

The Concerto for Piano and Orchestra Op. 15 was completed by Eduard Erdmann on 17 November 1928 and was brought to its first performance by the composer himself in Cologne on 15 January 1929 with the Gürzenich Orchestra under the direction of Hermann Abendroth. Erdmann dedicated the work to his friend and composer colleague Philipp Jarnach and was able to give further performances of his concert soon afterwards with the conductors Bruno Walter and Otto Klemperer (the latter conducting the Berliner Staatskapelle in a symphony concert in the Kroll opera on 3 October 1929). On 14 January 1948, some nineteen years after the first performance, Erdmann wrote to his teacher and friend Heinz Tiessen: "Today I can conjure up little affection for the piano concerto which you heard at that time in Berlin, although I am quite astounded by its formal and in places also its structural aspects, as well as the manifest talent, and above all by its instrumentation.”
Eduard Erdmann’s Piano Concerto Op. 15 was proscribed music during the Third Reich, and although it must nevertheless be interesting for inquisitive pianists, after that time it altogether disappeared into oblivion. Its lack of success could well also explain the fact that the publisher Universal Edition, despite having accepted the work for publication and even having prepared for print, then nevertheless didn’t publish the score in print. The first edition of the score presented here was made possible by the exceptional readiness to provide assistance shown by Universal Edition publishers, who made available to us the original pages written on transparent paper. We hope that our advocacy for the music of Eduard Erdmann assists its wider dissemination and, if possible, popularity.
Translation: Hereward Tilton

For performance materials please contact the publisher Universal Edition, Vienna (www.universaledition.com).

Reprint with kind permission of Universal Edition AG, Vienna, 2003.