Percy Aldridge Grainger
(geb. Melbourne, 8. Juli 1882 - gest. White Plains, New York, 20. Februar 1961)

»Hill-Song No. 1«
Room-music 22-some (1901-02 / rev. 1920-21)

Vorwort
Als Student am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt ging Percy Grainger auf Distanz zum professoralen Konservativismus und studierte Komposition bei dem begabten Amateur Karl Klimsch. Er suchte Auswege aus der Dominanz von Diatonik und Chromatik und experimentierte mit exotischen Modi, wie sie sich auch in den Hill-Songs finden, in welchen er auch eine vom Bach-Studium beeinflußte "demokratische Polyphonie" verwirklichen wollte, "in der alle, oder die meisten, Stimmen gleiche Bedeutung genießen". 1900 hörte Grainger auf einer ausgedehnten Reise die "sehr rauh klingende ländliche Oboe (Piffero) in Italien, einige äußerst nasale ägyptische Doppelrohrblatt-Instrumente auf der Pariser Weltausstellung, und Dudelsäcke im schottischen Hochland". Diese wilden und ungemilderten Klänge regten ihn zur Besetzung der ersten Fassung jenes Werkes an, das er 1901-02 komponierte: 2 Piccoloflöten, 6 Oboen, 6 Englischhörner, 6 Fagotte und 1 Kontrafagott. Er gab der Komposition den Titel Hill-Song, ausgehend vom Erlebnis einer dreitätigen Wanderung im westlichen Argyllshire in den schottischen Bergen als neue Gattungsidee: ohne jegliche thematische Wiederholung und ohne formale Ordnungsprinzipien, wie die scheinbar zufällige, nirgendwo gleiche Ordnung der Natur. Gleichwohl nahm die Komposition eine dreiteilige Gliederung an: der erste Teil ist In walking measure (In gehendem Zeitmaß), der mittlere Slow and dreamy (Langsam und träumerisch), der dritte beginnt in einem zwischen den vorhergehenden Abschnitten vermittelnden Zeitmaß, findet zurück zum Anfangstempo und endet langsam mit der Bezeichnung As from afar (Wie von ferne). Grainger beendete die Erstfassung am 1. September 1902. Als er im Juni 1903 für kurze Zeit bei Ferruccio Busoni studierte, war dieser begeistert von Hill-Song und lobte die einzigartige Inspiration. Doch Grainger begann, das Werk nicht als abgeschlossene Einheit zu betrachten, sondern als "eine Erforschung von musikalisch-hügeligen Wegen, eine Sammlung von Spezies künftiger Hill-Songs, ein Katalog".
1907 beschloß Grainger, die beiden Sorten Musik, die sich im ursprünglichen Hill-Song finden, zu trennen und daraus, wie er an Karen Holten schrieb, zwei Hill-Songs zu machen: "1, langsam, für Streicher (und vielleicht auch ein paar Stimmen) … & 1, schnell & wild, für Holzbläser & vielleicht etwas Blech". Im Sommer 1907 besuchte Grainger mit neuen Skizzen Edvard Grieg in Troldhaugen, und am 20. August vollendete er nach mühevoller Instrumentationsarbeit den schnellen Hill-Song für Blasorchester, der ungefähr zur Hälfte aus Material des ursprünglichen Hill-Song (1901-02) und zur Hälfte aus neuem Material bestand (drei Tage später legte er eine Fassung für zwei Klaviere zu vier Händen nach). Er konnte dieses neue Werk erstmals am 4. Mai 1911 komplett hören, worauf er umfangreiche Revisionen vornahm und Perkussion hinzufügte, bevor es am 25. Februar 1913 unter dem Titel Hill-Song (für 15 Holzbläser, 8 Blechbläser und 5 Schlaginstrumente) uraufgeführt wurde. Zu jenem Zeitpunkt bezeichnete Grainger das neue Werk als Hill-Song No. 1, da er noch beabsichtigte, das langsame Geschwisterstück anhand der Urfassung zu extrahieren und neu zu komponieren. Erst später änderte er den Titel des schnellen Blasorchester-werks in Hill-Song No. 2 um, denn 1920 kam er auf den ursprünglichen Hill-Song von 1901-02 zurück, zunächst in der Absicht, eine Fassung für Kammerorchester zu machen. Zuerst erstellte er einen Auszug für zwei Klaviere zu vier Händen, in welcher er vor allem die Takteinteilung vereinfachte, was primär eine Aufteilung der extrem weitgespannten Takte der Urfassung (bis hin zu 13/4) in kleinere Einheiten bedeutete. Nun experimentierte Grainger in abschnittsweise in Partitur gebrachten Versuchen mit der Instrumentation für die Neufassung des ursprünglichen Hill-Song, dem er endlich wieder den Titel Hill-Song No. 1 gab. Auf diese Weise kam er zu jener solistischen Ensemblebesetzung, die er als Room-Music 22-some (23-some at will) bezeichnete. Während der Experimente fand er im Sommer 1921 heraus, daß das ganze Stück, um einen Ganzton nach unten versetzt, wesentlich besser klang, und Ende 1921 vollendete er die Partiturskizze.
Im Januar 1923 ging Grainger nach Frankfurt, um die freundschaftlichen Bande mit Frederick Delius zu erneuern und diesem bei den Vorbereitungen zu einem Konzert zu helfen. Bei dieser Gelegenheit machte Grainger sechs Proben seines Hill-Song No.1, bei denen Delius zugegen war. Ein paar kleine Revisionen waren noch nötig, und Grainger war zufrieden mit der Instrumentation. Zu jener Zeit hatte die Universal Edition, die einen großen Teil von Delius’ Werk verlegte, Interesse bekundet, weitere britische Musik in den Verlag zu nehmen. Delius empfahl Hill-Song No. 1. Da keine komplette Partitur existierte, ließ Grainger in Eile eine neue Partitur aus den vorhandenen Stimmen zusammenschreiben. Aus dieser Partitur, die 1924 bei Universal Edition erschienen ist, wurden wiederum Stimmen erstellt, in welchen sich allerdings nur die italienischen und nicht die englischen Vortragsanweisungen finden.
Am 26. April 1925 dirigierte Percy Grainger in New York die Uraufführung seines Hill-Song No. 1, gesetzt für Room-music 22-some. Doch kam es entgegen der Erwartungen des Komponisten und des verlegerischen Prestiges zu keinen weiteren Aufführungen bis 1947, was vor allem auf die aufwändige und ungewöhnliche Besetzung zurückzuführen ist, obwohl Grainger für die mutmaßlich schwer zu beschaffenden Sarrusophone und Saxophone in der Partitur Ersatzstimmen vorgesehen hatte — ob es wirklich nur an der Schwierigkeit lag, Harmonium und Euphonium beizuschaffen, wenn die Dirigenten sich trotz Graingers intensiver Bemühungen des Werkes nicht annahmen? Für ihn war es ein wahres Desaster, schrieb er doch gegen Ende seines Lebens: "Ich halte Hill-Song No. 1 für meine mit Abstand beste Komposition."
In der Folge wandte sich Grainger wieder dem Hill-Song No.2 zu und erstellte 1929 eine Fassung für gewöhnlicheres Blasorchester, die recht erfolgreich wurde, jedoch siebzig Jahre lang nirgends im Druck erschien, bis sie von Bardic Edition herausgebracht wurde. 1940 machte er eine weitere Revision der Erstfassung von Hill-Song No. 2 (1907), und 1948 hatte er endlich eine Partitur fertiggestellt, die 1950 im Druck erschien und drei Aufführungsvarianten ermöglichte: für 24 Solobläser, für volles Blasorchester und für Symphonieorchester.
Während Hill-Song No. 2 im Blasorchesterrepertoire ziemlich populär wurde und unter Dirigenten wie Frederick Fennell schwungvolle Wiedergaben erfuhr, erwachte das Interesse an Hill-Song No.1 erst nach Graingers Tod zögerlich. Als besonders schwierig stellte sich nach den wenigen Aufführungen die Realisierung der Harmoniumstimme heraus, eines Instruments, das Grainger meisterlich spielte und dessen Möglichkeiten er in vollem Umfang ausnutzte, inklusive Vibratoeffekt, Pedaltonfixierung für bestimmte Töne, ein breite Palette unterschiedlicher Klangfarben, Oktavkopplungen nach oben wie nach unten etc. Bisher sind zwei Platteneinspielungen erschienen, die beide nicht in der vollständigen Originalinstrumentation aufgenommen wurden.

Wir verdanken die hier vorgelegten Informationen dem Artikel The Hill-Songs of Percy Grainger von R. Mark Rogers, veröffentlicht von der Percy Grainger Society als The Grainger Society Journal Vol. 15 No. 1, Winter 1998 (Music Monograph Number 3). R. Mark Rogers hat zudem eine eigene Fassung von Hill Song No. 1 für ein gewöhnlicheres Ensemble hergestellt, die auf akribischem Studium der Originalpartituren beruht. Weitere wertvolle Informationen verdanken wir dem Secretary der Grainger Society, Barry Peter Ould (www.bardic-music.com).
Christoph Schlüren

Aufführungsmaterial ist vom Originalverlag Universal Edition, Wien (www.universaledition.com) zu beziehen.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Universal Edition AG, Wien, 2002.

Percy Aldridge Grainger
(b. Melbourne, 8 July 1882 - d. White Plains, New York, 20 February 1961)

»Hill-Song No. 1«
Room-music 23-some (1901-02 / rev. 1920-21)

Preface
As a student at the Hoch-Konservatorium in Frankfurt, Percy Grainger distanced himself from academic conservatism and studied composition with the talented amateur Karl Klimsch. He sought alternatives to the dominance of diatonicism and chromaticism, and experimented with exotic modes we can find in the Hill Songs, in which he also wanted to realize a "democratic" polyphony inspired by his studies of Bach – "in which all, or most, of the tone-strands (voices, parts) enjoy an equality of prominence and importance". During a long journey in 1900 Grainger heard the "very harsh-toned rustic oboe (piffero) in Italy, some extremely nasal Egyptian double-reeds at the Paris Exhibition, and bagpipes in the Scottish Highlands." These wild and rough sounds inspired the instrumentation of the first version of the work which he composed in 1901-1902: 2 piccolos, 6 oboes, 6 English horns, 6 bassoons and 1 double-bassoon. He gave this work the title Hill-Song, thereby creating a new form of composition based upon his impressions of a three-day walk in the Scottish hills in western Argyllshire. This form lacked any thematic repetition or formal organising principle, in conformity with the seemingly random and ever-changing order of nature. Nevertheless, the composition took on a tripartite structure: the first section is In walking measure, the second Slow and dreamy, and the third begins with a tempo halfway between those of the previous two sections, returns to the initial tempo and ends slowly, As from afar. Grainger finished this original version on 1st September 1902. When in June 1903 he studied for a short time with Ferruccio Busoni, his teacher was enchanted by the Hill-Song and praised its unique inspiration. However, Grainger began to see in the work not a completed unity but "an exploration of musically-hilly ways, a gathering of types for future hill-songs, a catalog."
In 1907 Grainger decided to divide the two types of music which are present in the original Hill-Song, and to transform it into two Hill-Songs, as he wrote to Karen Holten: "1, slow, for strings (and maybe a few voices as well), and 1, fast and wild, for woodwind and maybe a trifle brass." In the summer of that year Grainger visited Edvard Grieg in Troldhaugen with some new sketches, and after laborious scoring on 20th August he completed the fast Hill-Song for wind band, half of which consists of material from the original Hill-Song (1901-1902), the other half comprising new material. Three days later he presented a version for two pianos/four hands. He could hear the whole of this new work for the first time on 4th May, whereby he took up major revisions and added percussion before it was first performed on 25th February 1913 under the title Hill-Song (for 15 woodwind, 8 brass, and 5 percussion instruments). At that time Grainger named the new work Hill-Song No. 1, because he still planned to extract the slow sestions from the original version and compose it anew as a sibling piece. Only later would he change the title of the faster opus for wind orchestra to Hill-Song No. 2, as he returned in 1920 to the original Hill-Song of 1901-1902 with the intention of composing a version for chamber orchestra. First he constructed an extract for two pianos/four hands, in which he simplified the barring, which primarily involved a division of the original work’s lengthy bars (up to 13/4) into smaller units. Now Grainger experimented with the instrumentation for the new version of the original Hill-Song, which he placed section-by-section into a new score that he eventually named Hill-Song No. 1. In this way he realised the orchestration for soloist ensemble which he entitled Room-Music 22-some (23-some at will). During these experiments in the summer of 1921 he discovered that the whole piece sounded much better when transposed a whole tone lower, and by the end of that year he finished the draft score.
In January 1923 Grainger travelled to Frankfurt, in order to renew his bonds of friendship with Frederick Delius and help him with preparations for a concert. Grainger took the opportunity to make six rehearsals of his Hill-Song No. 1, which Delius attended. A few small revisions were still necessary, and then Grainger was satisfied with the instrumentation. At that time Universal Edition, which published a great deal of Delius‘ music, was showing interest in taking more British music into their programme. Delius recommended Hill-Song No. 1. As there existed no complete score, Grainger hurriedly arranged for a new score to be copied on the basis of the existing parts. From this score, which appeared with Universal Edition in 1924, new parts were again created in which the Italian but not the English annotations appear.
In New York on 26th April 1924 Percy Grainger directed the premiere performance of his Hill-Song No. 1, set for Room-music 22-some. But contrary to the expectations of the composer and the prestigious Viennese publisher there were no further performances until 1947; the primary reason for this disappointment was the lavish and unusual instrumentation, even though Grainger had provided replacement parts for the sarrusophone and saxophone in the score, presuming that they would be difficult to procure. But did the difficulty really only lie in providing a harmonium and euphonium, when the conductors neglected the score despite Grainger’s intensive efforts? It was a true disaster for him, as towards the end of his life he wrote: "I consider Hill-Song No. 1 by far the best of my compositions."
Subsequently Grainger again took up work on the Hill-Song No. 2, and in 1929 he realized a version for a more regular wind band which became quite successful, but which went unpublished for the next seventy years until it was issued by Bardic Edition. In 1940 he again revised the first version of Hill-Song No. 2 from 1907, and finally completed a score in 1948 which was set in print two years later with provision for three possible orchestrations: a 24-piece solo wind ensemble, a full concert band, or a symphony orchestra.
Whilst Hill-Song No. 2 became quite popular in repertoires for wind bands and met with lively performances under conductors such as Frederick Fennell, the interest in Hill-Song No. 1 grew hesitantly only after Grainger’s death. It became evident after a few performances that the part for the harmonium was particularly difficult to realize — an instrument which Grainger himself played masterfully, utilizing its possibilities to the fullest extent, including an effect similar to vibrato, the sustaining of certain pitches as a pedal point, a large variety of differing timbres, and the ability to add octave doublings both above and below at will, etc. Until now two commercial recordings have appeared, which were both recorded without exactly fulfilling the original instrumentation.

The foregoing information derives from the article The Hill-Songs of Percy Grainger by R. Mark Rogers, published by the Percy Grainger Society as The Grainger Society Journal Vol. 15 No. 1, Winter 1998 (Music Monograph Number 3). Furthermore, R. Mark Rogers has realized his own version of Hill-Song No. 1 for a more regular ensemble, which is based upon meticulous study of the original scores. Thanks for further valuable information are due to the secretary of the Grainger Society, Barry Peter Ould (www.bardic-music.com).
Translation: Hereward Tilton

For performance materials please contact the original publisher, Universal Edition, Vienna (www.universaledition.com).

Reprint with the kind permission of Universal Edition AG, Vienna, 2002.