Alfredo Casella
(geb. Turin, 25. Juli 1883 — gest. Rom, 5. März 1947)

Sinfonia per orchestra op. 63
(III. Symphonie, 1939-40)

I Allegro mosso p. 3
II Andante molto moderato. Quasi adagio p.65
III Scherzo. Minore. Allegro alquanto pesante e sempre molto ritmico -
Maggiore. Allegro giocoso ed animato - Variazione (minore) p. 90
IV Rondo Finale. Allegro molto vivace ed animato - Animando -
Andante molto moderato - Tempo primo, animatissimo p. 141

Vorwort
Am 28. März 1941 veröffentlichte Alfredo Casella unter dem Titel »La mia nuova sinfonia« eine Stellungnahme zu seiner Sinfonia op. 63, aus welcher folgende Zitate entnommen sind:
"Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts und auch noch zu Beginn des jetzigen war die Meinung verbreitet, daß sich die Form der klassischen Symphonie erschöpft habe und den neuen Zeiten nicht mehr entspräche. […] Jedoch in den letzten Jahren, nach dem Untergang des romantischen Gedankens und seiner letzten Ausläufer, zu welchen der Impressionismus Debussys gehörte, sind in allen kulturell bedeutungsvollen Nationen neue Tendenzen aufgestiegen — und das nicht nur in der Musik —, die sich in einem strengen Streben nach einer konstruktiven, architektonischen, linearen, dynamischen, kräftigen und auf das Wesentliche zielenden Kunstäußerung ausdrückten und jede überflüssige, dekorative Virtuosität mieden. Es ist daher nicht überraschend, wenn in dieser Zeit Formen, die von der Romantik als steril und tot betrachtet wurden, zu neuem, üppigem Leben erwacht sind. Für diese Wiedergeburt finden sich in den vergangenen Jahren in Europa unzählige Beispiele in allen künstlerischen Richtungen, die wir in den zahlreich erschienenen Concerti grossi, Partiten, Passacaglien, Ricercari, Tanzsuiten und schließlich auch Fugen erkennen. Es war also durchaus natürlich, daß auch das Problem der klassischen Symphonie über kurz oder lang wieder eine Stellung von größter Bedeutung im Denken der Komponisten und im zeitgenössischen Orchesterschaffen unterschiedlicher Nationalität einnehmen mußte.

Die Geschichte meiner neuen Symphonie ist ziemlich merkwürdig. Ich hatte schon in jungen Jahren (um nicht zu sagen im Knabenalter) zwei Symphonien geschrieben. [Diese waren die beiden ersten gültigen Orchesterwerke Alfredo Casellas: I. Symphonie h-moll op. 5, 1905-06; II. Symphonie c-moll op. 12, 1908-09.] Seither sind dreißig Jahre vergangen und niemals in dieser langen Zeit ist mir der Gedanke gekommen, eine Dritte zu schreiben. Ich glaubte immer, daß mich diese Form niemals mehr anziehen würde. Als mir Dr. Stock während unserer Begegnung in Venedig im Juli 1939 die mich so sehr ehrende Einladung des Chicago Symphony Orchestra überbrachte, ebenso wie einige andere Komponisten ein Werk zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens dieses berühmten Orchesters zu schreiben, nahm ich den Auftrag begeistert an, wobei ich zunächst an eine kleine Symphonie von etwa fünfzehn Minuten Dauer dachte. Im Oktober desselben Jahres begann ich mit der Arbeit, aber nach wenigen Tagen bemerkte ich nicht ohne Verwunderung (und keineswegs mit Begeisterung), daß das, was ich für den Anfang einer Komposition bescheidenen Ausmaßes gehalten hatte, schon die Anlage einer echten, ausgewachsenen Symphonie darstellte. Und es blieb mir einfach nichts anderes übrig, als dem vitalen Impuls zu folgen, der mir offensichtlich die Grundlinien der Komposition eingab. […] Die Symphonie stellt, will man sich mit ihr in ihrer reinen klassischen Form auseinandersetzen, zweifellos die schwierigsten, verpflichtendsten und erhabensten Aufgaben, denen sich ein Komponist stellen kann. […]
Die Komposition wurde in Rom am 8. Oktober 1939 begonnen und die Partitur in Siena am 24. August 1940 fertiggestellt. Ich möchte noch anmerken, daß ich mich von Februar bis Juni nicht damit beschäftigen konnte, da ich mit anderen musikalischen Angelegenheiten überlastet war. Die für die Ausarbeitung der Symphonie aufgewandte Zeit überstieg also tatsächlich nicht sieben Monate.
Da die Form dieser Symphonie, wie gesagt, rein klassisch ist, bedarf sie keiner Erklärung — umsoweniger, als es sich nicht um Musik handelt, die irgendein Programm enthält. […] Es ist somit über diese Arbeit nicht viel mehr zu sagen, als daß sie von einem Komponisten verfaßt wurde, der seit vielen Jahren in Frieden mit der eigenen Kunst lebt. Vergeblich würde man polemische Elemente suchen in dieser Symphonie, die nur ein seriöses und dabei klares und faßliches Werk sein will."

Zur Uraufführung kam Alfredo Casellas Sinfonia per orchestra op. 63, seine Dritte Symphonie, wie geplant im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten am 27. März 1941 in Chicago durch das auftraggebende Chicago Symphony Orchestra unter seinem legendären ersten Chefdirigenten Frederick Stock (1872-1942). Der Erfolg war immens, und am nächsten Morgen hieß es in der Chicago Daily Tribune, es sei "gesichert, daß Casellas Symphonie in das ständige Repertoire eingehen wird". Die nicht weniger bejubelte zweite Aufführung am 30. März 1941 in Rom durch das Orchester der Accademia di Santa Cecilia leitete der Komponist selbst, und tags darauf verlautbarte L. F. Lunghi im Giornale d’Italia über die Sinfonia: "Sie bedeutet einen Sieg, der zugleich ein solcher der italienischen Kunst ist, indem A. Casella zu unserer großen Tradition der Klarheit der Sprache und der Reinheit der Formen zurückgekehrt ist, ohne seine natürliche Haltung zu verleugnen." Am 28. November 1941 dirigierte Casella die Dresdner Staatskapelle (in der Kritik hieß es über "Casella, der Dirigent: Ein peinlich genauer Orchesterleiter, bestechend klar, knapp in der Gestik, überlegen und sicher.") und am 18. Januar 1942 die Wiener Philharmoniker (im Musikverein in der zweiten Hälfte eines Furtwängler-Konzerts, in welchem zuvor Schuberts Rosamunde-Ouvertüre und 'Unvollendete' erklungen waren) in seiner neuen Sinfonia. Überall war sie von Erfolg gekrönt. Ins ständige Repertoire hat sie nicht nachhaltig Eingang gefunden. Möge die erstmalige Veröffentlichung der — 1941 bei der Universal Edition im Druck erschienenen — Partitur im Studienformat neues Interesse für dies zentrale Werk des italienischen Neoklassizismus wecken.

Aufführungsmaterial ist vom Originalverlag Universal Edition, Wien (www.universaledition.com) zu beziehen.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Universal Edition AG, Wien, 2002.

 

 

Alfredo Casella
(b. Turin, 25 July 1883 – d. Rome, 5 March 1947)

Sinfonia per orchestra op. 63
(Symphony No. 3, 1939-40)

I Allegro mosso p. 3
II Andante molto moderato. Quasi adagio p.65
III Scherzo. Minore. Allegro alquanto pesante e sempre molto ritmico -
Maggiore. Allegro giocoso ed animato - Variazione (minore) p. 90
IV Rondo Finale. Allegro molto vivace ed animato - Animando -
Andante molto moderato - Tempo primo, animatissimo p. 141

Preface
Alfredo Casella wrote a foreword to his Symphony Opus 63 on March 28, 1941, with the title La mia nuova sinfonia, excerpts from which are quoted below:
"During the course of the last century and also at the beginning of this, the general view was that the form of the classical symphony was exhausted and inappropriate for modern times. […] In the last few years, however, with the decline of Romanticism and its offshoots, to which Debussy’s Impressionism belongs, new trends - not only in music - can be discerned today in all countries of cultural importance, aiming at architectural, linear, powerful and dynamic artistic expression based on sound structures and focused on significant form, avoiding any type of superfluous or decorative virtuosity. These days, it is hardly surprising, therefore, that forms considered by the Romantics as sterile and lifeless should revive and flourish once more. Within Europe in recent years there have been numerous examples of this revival in all types of artistic directions, as can be seen from the many concerti grossi, partitas, passacaglias, ricercars, dance suites and, last but not least, fugues that have reappeared. So it was quite natural that sooner or later the problem of the classical symphony should once again become a priority in the minds of composers and in the contemporary repertoire of various countries.

The history of my new symphony is rather curious. In my youth, actually during my childhood, I had already composed two symphonies. [These were the first two accepted orchestral works of Alfredo Casella: the Symphony No. 1 in B minor op. 5, 1905-06, and the Symphony No. 2 in C minor op. 12, 1908-09.] Thirty years have elapsed since then, during which time it has never occurred to me to compose a third. I always believed that this form would never attract me again. When, at our meeting in Venice in July 1939, Dr Stock paid me the honour of inviting me on behalf of the Chicago Symphony Orchestra, to compose a work, together with other composers, in commemoration of the fiftieth anniversary of the founding of this famous orchestra, I eagerly accepted the commission, thinking in terms of a small symphony of about fifteen minutes’ duration. In October that year I started work but after a few days I noticed, not without surprise but certainly without much enthusiasm, that what I had imagined to be the beginning of a work of modest size had in fact the makings of a genuine, fully-fledged symphony. I was left with no alternative but to follow my creative impulses, which indicated to me what the basic structure should be. […] The symphony, if one has to deal with it in its purely classical form, is without doubt one of the most difficult, demanding and elevating tasks a composer can ever undertake. […]
I started work in Rome on October 8, 1939, and completed the full score in Siena on August 24, 1940. I should also like to add I had to stop work between February and June because of other pressing musical engagements. The actual time spent on the symphony therefore was not more than seven months.
Since, as I have mentioned, the symphony is purely classical in form, it needs no verbal introduction, particularly as this is not music with some sort of programme. […] So there is not much more to be said about this piece except that it was written by a composer who has lived in harmony with his own creative art for many years. One would search in vain for any polemical message in this symphony; it is a serious work, written in a clear, understandable style."

Alfredo Casella's Sinfonia per orchestra op. 63, his third symphony, was first performed on March 27, 1941, in Chicago, as envisaged, during the jubilee celebrations of the Chicago Symphony Orchestra under its legendary Principal Conductor, Frederick Stock (1872-1942). The work was an enormous success and the following morning the Chicago Daily Tribune commented on it as "an Alfred Casella Symphony which is certain to pass into the permanent repertoire." The second performance, which was no less successful, took place in Rome on March 30, 1941, played by the Orchestra of the Accademia di Santa Cecilia conducted by the composer himself. The next day, L.F. Lunghi announced in the Giornale d'Italia that the Sinfonia "represents also a victory for the arts in Italy; A.Casella returns to our great tradition of clarity of expression and purity of form but remains loyal to his own natural idiom." When Casella conducted the Dresdner Staatskapelle on November 28, 1941, a critic described Casella, the conductor: "the painstaking direction of the orchestra, his deceptive clarity, the economy of his movements, his superiority and self-confidence". He conducted the Vienna Philharmonic Orchestra on January 18, 1942, at the Musikverein, during the second half of a Furtwängler concert, in which his Sinfonia followed performances of Schubert's Rosamunde Overture and the Unfinished. Although it met with success everywhere, the work never entered into the standard repertoire. It is hoped that this first-ever publication in study format following the Universal Edition publication in 1941 will revive interest in this major work in the Italian neo-classical style.

For performance materials please contact the original publisher, Universal Edition, Vienna (www.universaledition.com).

Reprint with the kind permission of Universal Edition AG, Vienna, 2002.