Albert Lortzing
(geboren am 23. 10. 1801 in Berlin, gestorben am 21. 1. 1851 in Berlin)

„Undine“ Romantische Zauberoper in 4 Akten

Libretto nach Friedrich de la Motte-Fouqué
Uraufführung: Magdeburg, 21. 4. 1845.

Vorwort

Gustav Albert Lortzing wuchs in einer bürgerlichen, theaterbegeisterten Familie auf. Die Eltern hatten sich während der Proben an der Berliner Laienbühne „Urania“ kennengelernt. Zum Freundeskreis der Eltern gehörten auch Musiker, darunter der Leiter der Berliner Singakademie, Karl Friedrich Rungenhagen, der dem jungen Albert ersten Unterricht in Musiktheorie gab und den Eltern empfahl, ihrem Sohn Klavier-, Violin- und Cellounterricht angedeihen zu lassen. Als der Vater seine Lederhandlung aufgeben musste, wagten die Eltern den Schritt zu Berufsschauspielern. Sie wurden 1811/12 nach Breslau engagiert, wo auch der 10 Jahre alte Albert in einer Jugendrolle debütierte. Nach Breslau folgten schwierige Jahre als Wanderschauspieler, man zog von Stadt zu Stadt, zuerst nach Coburg, dann nach Bamberg – wo ein Jahr vor ihrem Engagementsbeginn noch der Dichter, Komponist und Kapellmeister E.T.A. Hoffmann mit der Komposition seiner Undine begonnen hatte und als Librettisten Friedrich Baron de la Motte-Fouqué gewonnen hatte. Dass er sich 32 Jahre später selber diesem Stoff vornehmen sollte, konnte der damals zwölfjährige Albert nicht ahnen. Nach Strassburg ging die Familie nach Freiburg im Breisgau, bis sie sich 1817 den von Theaterdirektor Derossi geleiteten Bühnen anschloss, nach den Spielorten Aachen, Bonn und Cöln kurz das „A-B-C-Theater“ genannt. Der junge Lortzing arbeitete als Notenkopist, erhielt Unterricht von Orchestermusikern, war in den theoretischen Disziplinen aber hauptsächlich Autodidakt. Das Theater lernte er jedoch von Grund auf kennen, wobei er sich im Laufe seines Lebens als Schauspieler, Bariton und Tenor - ohne eigentlich ausgeprägte Stimme, aber mit Musikalität und Ausstrahlung - Cellist, Dirigent, Regisseur, Librettist und Komponist betätigte. Bis zu seiner Heirat mit der Schauspielerin Rosina Regina Ahles im Alter von 25 Jahren ging er mit seinen Eltern auf Tournee. Selbst berichtet er: „In Freiburg im Breisgau wagte ich den ersten öffentlichen Versuch in der Komposition und schrieb einen Chor und Tanz zum Schauspiel Der Schutzgeist, worin ich selbst die Titelrolle spielte... Im Jahr 1824 komponierte ich eine einaktige Oper, Ali, Pascha von Janina, die in meinem nachherigen Engagement bei der fürstlichen Hofbühne in Detmold wie auch in den benachbarten Städten Münster und Osnabrück beifällig aufgenommen wurde.“ 1826 ging er nach Detmold, wo er seine nächsten eher als Singspiele zu bezeichnenden Werke schrieb: Der Pole und sein Kind und Szenen aus Mozarts Leben. 1833 wurde er als Tenorbuffo am Stadttheater in Leipzig verpflichtet, avancierte nach 10 Jahren zum Kapellmeister und verbrachte alles in allem zwölf glückliche Jahre an diesem Haus. Hier schuf er die meisten seiner Opern, in denen er auch selbst als Sänger auftrat. Im Jahr 1837 schrieb er sogar zwei: Die beiden Schützen und Zar und Zimmermann. 1845 kündigte die Leipziger Oper seinen Vertrag „aus Rücksicht an (sic!) seine Gesundheit“, wie es hiess, und erst ein Jahr später wurde er als Kapellmeister an das Theater an der Wien berufen. In Wien hatte er nur mässigen Erfolg, „zu teutsch“ fand man in dieser deutschsprachigen Stadt seine Undine. 1848 musste er wegen der Revolutionsstürme wieder weiterziehen und trat erst 1850 seine letzte Stelle als Kapellmeister am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in Berlin an. Zutiefst unzufrieden mit dieser letzten, unspektakulären Station seines Lebens, das auch den finanziellen Tiefpunkt erreicht hatte, erlag er mit 49 Jahren einem Schlaganfall. Er starb am Morgen nach der Uraufführung seiner letzten Oper, der Einakter Die Opernprobe, die weit enfernt in Frankfurt am Main stattfand.
Lortzing ging durch viele Höhen und Tiefen. Er hatte als Komponist Erfolg und genoss als Sängerschauspieler grosse Beliebtheit; seine Ehe war sehr glücklich. Er kämpfte jedoch immer um die Existenz, um seine Gesundheit und die Versorgung seiner elf Kinder, hatte kein Talent für die praktischen Seiten des Lebens. Er wurde von den berühmten zeitgenössischen Komponisten übersehen, war aber, wie man aus seinen Briefen herauslesen kann, stets positiv und humorvoll, ein helles Gemüt und eine der liebenswürdigsten Persönlichkeiten des deutschen Musiklebens.
Von seinen dreizehn Opern gingen nur vier in die Musikgeschichte ein: Zar und Zimmermann (1837), Der Wildschütz (1842), Undine (1845) und Der Waffenschmied (1846).

1844 ging Lortzing mit Elan an den Undine-Stoff heran. Wie fast immer schrieb er das Libretto selbst. Die Novelle von de la Motte-Fouqué, der im Jahr zuvor gestorben war, fesselte ihn, vor allem die Lebenssehnsucht der seelenlosen Nixe. Aber Lortzing gestaltete seine Auffassung des Dramas weit realistischer als de la Motte-Fouqué und auch E.T.A. Hoffmann. Bei Lortzing werden die dämonischen Kräfte und Naturgeister zur symbolhaften Verkörperung ethischer, humaner Werte. Lortzing betonte immer wieder, ein realistisches Märchen schaffen zu wollen. In seinem Libretto sind zwei Rollen der Personengalerie Fouqués hinzugefügt, der Knappe Veit und der Kellermeister Hans, zwei Buffopartien, die zur „Entzauberung“ des Geshehens dienen und dramaturgisch klug eingesetzt werden, auch für schnelle Berichterstattung komplizierter Zustände. Und wo Bertalda bei Fouqué ein „anmutiges Mädchen“ ist, zeichnet Lortzing eine herrschsüchtige, kalte Möchtegern-Aristokratin, rücksichtslos zu allem bereit. Auch die romantische Lösung eines Liebestods wollte Lortzing nicht. Zwar sollte sein Ritter ursprünglich einen sehr irdischen Tod erleiden, aber aus Hamburg, wo die Erstauffühung stattfinden sollte, kamen Einwände. Seinem Freund Philipp Reger schrieb er im Dezember 1844: „ ...aus theatralischem Gesichtspunkte betrachtet (haben sie) recht, wenngleich gegen die poetische Gerechtigkeit arg verstossen wird!“ Der reuige Ritter überlebt also, obwohl nicht in seiner bis dahin geltenden Welt, und er muss auf seine Undine nicht verzichten.
Lortzing hoffte zunächst seine Undine am Leipziger Theater uraufführen zu können, doch der neue Direktor war nicht interessiert. Dann wurde Hamburg festgelegt, aber die Aufführungsvorbereitungen zogen sich so lange hin, dass die Urpremière etwas unbeabsichtigt in Magdeburg stattfand, wo erst spätere Aufführungen geplant war. Die „Magdeburgische Zeitung“ schrieb: „Mit Recht können wir stolz darauf sein, das neueste Werk unserer beliebtesten deutschen Componisten früher noch als alle anderen Bühnen über unsere Bretter schreiten zu sehen... Lortzings neuestes Werk verdient unter allen im Zeitraum von mehreren Jahren entstandenen Opern die meiste Beachtung und Anerkennung.“
Die Kritik war aber im grossen und ganzen eher skeptisch oder gar ablehnend. Besonders die Fachkollegen trauten ihm das Streben nach den „erhabenen Höhen der Romantik“ nicht zu, ausserdem hätten sie ihm, dem König der Spieloper, die „Erhabenheit“ nicht gegönnt. Es gab aber auch einige positive Rezensionen wie etwa von dem Musikkritiker und Komponisten Carl Gollmick in der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“: „Viel wird wieder über den Wert der Musik gestritten. Doch sind die Sachverständigen darüber einig, dass sich Lortzings reiches Talent aufs Neue bekundet, und er in diesem Werk wahre Schätze der Harmonie niedergelegt hat. ... Die Zukunft, die Schlichterin alles Reellen, wird entscheiden.“
Lortzing selbst schreibt nach der verspäten Hamburger Première seiner Oper am 25. 4. 1845 an Reger: „Wenn Du... liesest, dass die Aufnahme der Oper eine glänzende gewesen sei, so ist das wohl zuviel gesagt; (sie) war eine für mich höchst ehrenvolle und muss glänzend werden, wenn eine bessere Besetzung erfolgt. ...Es traf wieder alles zusammen, um der Oper den Hals zu brechen. ...Die Darstellerin der Bertalda (Mad. Fehringer) wird drei Tage vor der Vorstellung krank und Mad. Cornet übernimmt die Partie. Undine ist ein junges, halberwachsenes Mädchen... kaum sechsmal auf der Bühne gewesen; der Tenorist ist höchst unbeliebt beim Publikum. Unter solchen Umständen sollte eine neue Oper gegeben werden und gefallen!“
Die Hamburgischen Orchestermusiker empfingen Lortzing jedoch „rauschend“. Das lag an seine Orchesterarbeit, an der Harmonik, den für ihn ungewöhnlichen Farbenwirkungen im Orchester und an die einheitliche motivische Arbeit, die in der Undine erstmals zum Prinzip wird. Die Ouverture hebt mit dem Kühleborn-Motiv an, das an bezeichnenden Stellen immer wieder eingesetzt wird. Undines wiederkehrendes Thema ist so schön wie ihr Wesen und ihre Musik überhaupt die eindringlichste der Oper. Hier kommt Lortzing der romantischen Musik am nächsten. Der zum Teil beabsichtigte, krasse Gegensatz stellt Bertalda in ihrer Steifheit und ihrem Pathos dar. Die eingängigsten Melodien haben Veit und Hans bekommen, im Komischen und Naivem zeigt sich wieder die Meisterschaft Lortzings, und es ist bezeichnend, dass das bekannteste Stück der Oper dem Knappen Veit in den Mund gelegt wurde: „Vater, Mutter, Schwestern, Brüder“, schön und schlicht wie ein deutsches Volkslied.
Lortzings Schaffen fällt zwar in die Zeit der deutschen Romantik, er befand sich „seelenverwandschaftlich in dieser Nachbarschaft“, wie Oskar Bie sagt, aber er seine Genialität lag woanders. Seine Gattung war die Spieloper in ihrer bühnenwirksamsten Form, leicht und spritzig, zärtlich und gefühlsbetont, komponiert um dem Publikum zu gefallen, um die Freude am reinen Theater auszuleben. Und obwohl Undine als die beste Oper gilt, die diesem Stoff zugrunde liegt, gelangt Lortzing mit ihr an den Grenzen seines Talents.

Zur Handlung

Ort und Zeit: Ein Fischerdorf, ein herzogliches Schloss, Burg Ringstetten, um 1450

Personen:

Bertalda, Tochter Herzog Heinrichs....................................Sopran
Ritter Hugo von Ringstetten..................................................Tenor
Kühleborn, Fürst der Wassergeister....................................Bariton
Tobias, ein alter Fischer...........................................................Bass
Marthe, sein Weib......................................................................Alt
Undine, ihre Pflegetochter...................................................Sopran
Pater Heilmann, ein Ordensgeistlicher....................................Bass
Veit, Hugos Schildknappe......................................................Tenor
Hans, Kellermeister................................................................. Bass

Hofstat des Herzogs, Ritter und Frauen, Herolde, Pagen, Fischer und Landleute

Akt I: Ritter Hugo von Ringstetten, dem bei einem Turnier der erste Preis durch die Tochter des Herzogs, Bertalda, überreicht wurde, ist ausgezogen, um den Zauberwald zu erforschen und damit das Herz der hohen Tochter zu gewinnen. Widriges Wetter und Sturmflut haben ihn und seinen Knappen Veit jedoch gezwungen, in einem Fischerdorf Zuflucht zu suchen. Während des monatelangen Aufenthalts hat sich Hugo in Undine, Pflegetochter des Fischers Tobias, verliebt. Tobias und seine Frau Marthe haben das Mädchen an eigener Tochter statt aufgenommen, als Undine am Tag nach dem angeblichen Ertrinken ihres Kindes einfach vor ihrer Tür stand. Pater Heilmann soll nun die Liebenden ehelichen. Undine freut sich und erzählt unbefangen, dass sie keine Seele habe. Die erste Aufregung nach diesen Worten wird zerstreut und das Paar wird von den Dorfleuten abgeholt und zur Kirche begleitet. Veit bleibt zurück und holt ein Fass Wein für die anschliessende Feier. Da erscheint in Verkleidung der Wasserfürst Kühleborn, Undines Vater, und beim Probieren des Weins mutmasst Veit, das die Heirat seines Herrn wohl wieder nur eines seiner vielen Abenteuer sei. Der Wasserfürst ist erregt, denn er war es, der vor fünfzehn Jahren die Fischerstochter Bertalda entführt und dem Herzogspaar überlassen hat, während er den Fischersleuten seine eigene Tochter anvertraute. Er wollte prüfen, ob die Menschen durch ihre Seele bessere Wesen als die seelenlosen Wassergeister seien. Zum Schutze seiner Undine nimmt Kühleborn die Gestalt des Paters an und begleitet den zurückgekehrten Hochzeitszug in die Reichsstadt.

Akt II: Im Schloss des verstorbenen Herzogs berichtet Veit dem Kellermeister Hans von den Abenteuern seines Herrn. Als er Undines ungeklärte Herkunft erwähnt, vertraut ihn Hans an, dass es auch um Bertalda Rätsel gibt, über die man, nach dem letzten Willen des Herzogs, beim heutigen Fest aufgeklärt werden soll. Undine und Hugo treten ein und als sie allein sind, erzählt Undine ihrem Mann zu seinem Entsetzen, wer sie wirklich ist. Sie aber erklärt ihm, dass die Liebe sie beseelt habe: „So wisse, dass in allen Elementen“, worauf er ihr ewige Treue verspricht. Kühleborn ist jetzt als Gesandter des Königs von Neapel maskiert, der um der herzoglichen Tochter werben soll. Bertalda jubelt, als sie von der Rückkehr ihres totgeglaubten Ritters hört, wird aber zutiefst gekränkt, als ihr Undine als Hugos Ehefrau vorgestellt wird. Mit unterdrücktem Hass verordnet sie den Anfang des Fests, bei welchem sie verkündet, dass sie den Antrag des Königs annehmen werde. Kühleborn warnt Undine vor Hugos Unbeständigkeit, aber Undine will jetzt für immer die Geisterwelt entsagen, um nur für Hugo zu leben. Als Bertalda sie voller Spott auffordert, ein Lied „vom Fisch und Wasser“ zum Besten zu geben, nimmt Kühleborn die Zither und verrät in seiner Romanze „Es wohnt am Seegestade“, wo Bertaldas Wiege gestanden hat. Wütend lässt die Hochwohlgeborene den Schrein mit der Urkunde des Herzogs holen, der ihre niedrige Abstammung jedoch zu ihrer Bestürzung bestätigt. Sie sinkt zu Boden, Undine tröstet sie, und alle dringen auf Kühleborn ein, der sich aber zu erkennen gibt und im Wasser eines Bassins versinkt.

Akt III: An einem See unter der Burg Ringstetten sucht Veit die Gesellschaft des Kellermeisters Hans. Rastende Jäger brechen gerade auf. Veit trauert über die Wankelmut seines Herrn, in ihrer grossen Güte hat Undine die selbstmordgefährdete Bertalda aufgenommen, die ihrerseits die Gastfreundschaft missbraucht und Hugo umgarnt. Hans findet das nicht so schlimm, aber beide gehen eilig davon, als sich Hugo mit Bertalda nähert. Als das Paar sich umarmt, überrascht sie Undine. Vergeblich versucht sie ihren Ehemann an seinen Treuschwur zu erinnern, doch der will mit einer Zauberin nicht länger leben. Sie warnt ihn vor Kühleborns Rache, wird aber von Hugo, der Bertalda in seine Burg führt, verstossen. Ohnmächtig sinkt Undine zu Boden und Kühleborn steigt mit seinen Geistern aus dem See. Er bittet die Traurige, die Hugo noch immer liebt, mit ihm ins Wasserreich zurückzukehren und sie versinken im See.

Akt IV: Hugo kann Undine nicht vergessen, von schlimmen Träumen verfolgt befindet er sich draussen vor dem Schloss, während drinnen seine bevorstehende Hochzeit mit Bertalda gefeiert wird. Obwohl er sich vor der Mitternachtsstunde fürchtet, schüttelt er alle bösen Ahnungen von sich ab und geht mitgerissen von den festlichen Tönen der Hochzeitsfeier zu seiner Braut hinein. Veit und Hans haben sich zur Feier der Hochzeit betrunken, müssen an die arme Undine denken und beschliessen der ungeliebten Bertalda einen Streich zu spielen. Trotz des Verbots entfernen sie den Stein, der den Brunnen bedeckt, um Kühleborn fernzuhalten. Bald entsteigt die verschleierte Undine dem Brunnenwasser.
Im Prunksaal der Burg wird rauschend gefeiert. Der von Gewissensbissen geplagte Hugo versucht seine Ängste zu zerstreuen, aber um Mitternacht geht das Licht aus und Undine erscheint. Hugo wirft sich zu ihren Füssen, während Wassermassen die Burg überflutet und zerstört. Im Reich Kühleborns finden Undine und Hugo sich wieder. Sie knien vor dem Wasserfürsten, der Hugo verzeiht, „so rächen sich die Seelenlosen“, aber bedeutet, dass der Ritter nun im Reich der Geister bleiben müsse. Diese feiern die glückliche Vereinigung des Paares.

Irmelin Mai Hoffer, 2005

Aufführungsmaterial: Peters, Frankfurt