Guillaume Lekeu
(b. Heusy near Verviers, 20 January 1870 — d. Angers, 21 January 1894)
Fantaisie contrapuntique sur un Cramignon Liégeois
Preface
The Belgian composer Guillaume Lekeu died in 1894 one day after his twenty-fourth birthday, having composed a remarkable body of music for piano, for orchestra, for voice, and some fine chamber music. He was driven by an intense emotional inner life, and he was obsessed, ironically, with the transience of life and with death itself. He found himself exploring the darker corners of his soul in one piece after another.
He played the violin and the piano and was early drawn to the music of Beethoven, especially to the slow movements of Beethoven‘s late period. He was also fascinated by Beethoven‘s use of fugue in his late works. His harmonic language was based on that of Wagner and Chausson, and he attended the Bayreuth Festival in 1890. He studied with César Franck for a year before the latter‘s death. The influence of Franck is clearly heard in Lekeu‘s Violin Sonata, dedicated to the Belgian violinist Eugène Ysaye, perhaps his finest work, with a haunting slow movement. Another fine piece is the Adagio for Strings of 1891.
Lekeu found it hard to write fast music; much of it is slow or very slow, often marked „doloroso“. At the same time he could be witty and sociable, a side of his character perfectly illustrated by the Fantaisie contrapuntique sur un Cramignon Liégeois. (The cramignon is a dance popular in the region of Liége). Dated 16 March 1890 it was composed for the „Cercle Musical d‘Amateurs“ of his home town Verviers. Lekeu was at that time living in Paris, but he kept in touch with his Belgian friends for whom this was as much an amusement as a serious study in counterpoint. He described the work, which he devised with his friend the cellist Alfred Massau, in a letter to his mother: „At Massau‘s next concert there will be played a work by ‚voss t‘éfant‘ [‚your child‘]. This little piece is a joke dreamed up by Massau and me. It starts with a violin and a cello coming alone on stage and taking their places. They wait a while for the others and play a ‚cramignon‘ tune while they are waiting. A viola comes in, sits down and takes his turn with the tune. It‘s a little fugue worked out without interruption while all the rest of the strings come in one by one. Then an oboe arrives. He tries to take up the theme but some bizarre chords twice silence him. Meanwhile a clarinet has come in and he plays a very calm melody expresssing the joy one feels when making music with friends. This melody is heard as a short adagio; a bassoon and a horn join in the entertainment, getting louder. Finally the violins spell out the clarinet‘s theme while the double basses and the bassoon reprise the cramignon which was the original fugue subject (as in the [overture to] Die Meistersinger). You see, dear mother, one can make jokes in music just as you can in literature.“
The early death of such a composer, whose music could be both witty and profound, is greatly to be regretted.
Hugh Macdonald, 2017
For performance material please contact Salabert, Paris.
Guillaume Lekeu
(geb. Heusy bei Verviers, 20. Januar 1870 — gest. Angers, 21. Januar 1894)
Fantaisie contrapuntique sur un Cramignon Liégeois
Vorwort
Der belgische Komponist Guillaume Lekeu starb im Jahre 1894, nur einen Tag nach seinem 24. Geburtstag. Er hinterliess ein bemerkenswertes Oeuvre an Musik für Klavier, Orchester und einige ausgezeichnete Werke für Kammerensembles. Ein intensives inneres Leben war seine Triebkraft, und ironischerweise war er besessen von Gedanken über die Vergänglichkeit des Lebens und über den Tod. Er erlebte sich selbst als einen Forscher, der die dunklen Winkel seiner Seele Stück für Stück durchdrang.
Lekeu spielte Violine und Klavier. Früh fühlte er sich von der Musik Beethovens angezogen, insbesondere von den langsamen Sätzen aus dessen später Periode. Ebenfalls faszinierte ihn Beethovens Umgang mit der Fuge in seinen letzten Werken. Seine harmonische Sprache basierte auf Wagner und Chausson, und er besuchte die Bayreuther Festspiele im Jahre 1890. Ausserdem studierte Lekeu bei César Franck ein Jahr vor dessen Tod. Francks Einfluss ist deutlich zu hören in Lekeus Violinsonate, die er dem belgischen Geiger Eugène Ysaye widmete, vielleicht sein feinstes Werk, mit einem tief bewegenden langsamen Satz. Eine weitere herausragende Komposition ist sein Adagio für Streicher aus dem Jahr 1891.
Lekeu empfand es als schwierig, Musik in schnellen Tempi zu schreiben; viele seiner Werke sind langsam oder sehr langsam, oft bezeichnet als „doloroso“. Gleichzeitig aber konnte er witzig und gesellig sein, eine Seite seines Charakters, die perfekt in seiner Fantaisie contrapuntique sur un Cramignon Liégeois zum Ausdruck kommt. (Der Cramignon ist ein populärer Tanz aus der Region von Lüttich). Auf den 16. März 1890 datiert, wurde das Werk für den „Cercle Musical d‘Amateurs“ seiner Heimatstadt Lüttich geschrieben. Zu jener Zeit lebte Lekeu in Paris, aber er pflegte den Kontakt zu seinen belgischen Freunden, und so war das Werk für sie sowohl ein Amüsement wie auch eine ernsthafte Studie in Kontrapunkt. In einem Brief an seine Mutter beschrieb Lekeu sein Stück, dass er mit seinem Freund, dem Cellisten Alfred Massau entwickelte: „Bei Massaus nächstem Konzert kannst du ein Stück von deinem Kind (‚voss t‘éfant‘) hören. Ein kleiner Scherz, den Massau und ich träumten. Es beginnt mit einer Violine und einem Cello, die alleine die Bühne betreten und ihren Platz einnehmen. Sie warten eine Weile auf die anderen und spielen währenddessen eine Cramignon- Melodie. Eine Bratsche tritt hinzu, setzt sich nieder und steigt in die Melodie ein. Es handelt sich um eine kleine Fuge ohne Unterbrechungen, während die anderen nach und nach hinzu kommen. Nun tritt die Oboe auf, sie versucht, das Thema aufzunehmen, aber bizarre Akkorde bringen sie zweimal zum Verstummen. Währenddessen ist die Klarinette hinzugekommen, sie spielt eine ruhige Melodie, ein Ausdruck jener Freude, die man empfindet, wenn man mit Freunden zusammenspielt. Dieses Thema erklingt als ein kurzes Adagio; ein Fagott und ein Horn mischen sich in die Unterhaltung ein und werden lauter. Schliesslich buchstabieren die Geigen das Thema der Klarinette, während die Kontrabässe und Fagotte den Cramignion wiederholen, der das Thema der Originalfuge war (wie in der Ouvertüre der Meistersinger). Liebe Mutter, du siehst, das man in der Musik scherzen kann wie in der Literatur.“
Der frühe Tod eines solchen Komponisten, dessen Musik gleichermassen witzig und profund sein konnte, hinterlässt ein tiefes Bedauern.
Hugh Macdonald, 2017
Aufführungsmaterial ist von Salabert, Paris, zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikabteilung der Leipziger Städtischen Bibliotheken, Leipzig.