Ernst Krenek
(geb. Wien, 23. August 1900 — gest. Palm Springs, California, 22. Dezember 1991)

II. Symphonie op. 12 (1922)

I Andante sostenuto - (accelerando al) Allegro agitato - Quasi tempo primo -
(accelerando al) Allegro agitato - Doppio più lento - Ancora doppio più lento p. 3
II Allegro deciso, ma non troppo - Andante sostenuto - Tempo primo - Poco meno p. 74
III Adagio - Poco agitato (andante) - Poco più agitato - Allegro - Tempo primo p. 111

Vorwort
Als 1920 Franz Schreker zum Direktor der Berliner Musikhochschule berufen wurde, kamen seine engeren Schüler aus Wien mit ihm nach Berlin. Einer von ihnen war Ernst Krenek, der 1921 mit der Serenade op. 4 sein öffentliches Debüt als Komponist gab. Im selben Jahr fand in Nürnberg auf dem Tonkünstlerfest des ADMV die Uraufführung seines Ersten Streichquartetts op. 6 statt, die zu einem sensationellen Erfolg wurde und ihn mit einem Mal in die erste Reihe fortschrittlichen Musikschaffens katapultierte. Gleich nach dem Quartett, ebenfalls 1921, schrieb er seine extrem kontrastreiche, dissonant kontrapunktische, einsätzige Erste Symphonie op. 7, die am 12. März 1922 in Berlin durch die Berliner Philharmoniker unter Hermann Scherchen mit wiederum sensationellem Erfolg uraufgeführt wurde. (Krenek, der sich mittlerweile von Schreker entfernt hatte, zeigte seinem Lehrer weder das Erste Streichquartett noch die Erste Symphonie.) Von diesem Erfolg angeregt, entstanden in jenem Jahr in gedrängtester Folge die Symphonien Nr. 2 und 3 sowie die szenische Kantate »Die Zwingburg«. Die Zweite Symphonie, sein gewaltigstes symphonisches Werk, begann Krenek am 27. März 1922 und vollendete die Partitur nach acht Wochen am 23. Mai in Berlin. Die Orchestration beendete er im Juni. Dieses Werk ist das vollgültige Dokument seines damaligen Bestrebens, "auf dem Gebiete der Symphonie der Nachfolger Gustav Mahlers zu werden. Zunächst schrieb ich nicht weniger als drei Symphonien; und jede davon hat, meiner Meinung nach, bis zum heutigen Tage einige Elemente von Vitalität bewahrt. Die Tatsache, daß ich mich die nächsten zwanzig Jahre nicht mit dem Problem der Symphonie befaßte, mag immerhin andeuten, daß ich von den Aussichten eines solchen Projekts nicht überzeugt war." Stattdessen schrieb er seine vierte Oper »Jonny spielt auf«, die 1927 in Leipzig zur Uraufführung kam und als phänomenaler Erfolg die musikalische Welt eroberte. 1932 schrieb er als sein erstes zwölftöniges Werk die Oper »Karl V«, die erste abendfüllende Oper im zwölftönigen Verfahren, das er in der Folge in vielen seiner Werke benutzen und entwickeln sollte. Den Höhepunkt seiner seriellen Zielsetzungen erreichte er 1957 in Sestina für Stimme und Klavier. Von den sechziger Jahren bis in die achtziger Jahre schrieb er, was man gemeinhin als seine "Spätwerke" bezeichnet; in den letzten Schaffensjahren machte er sich alle Techniken, die er über ein halbes Jahrhundert wechselweise benutzt und entwickelt hatte, in freier und einander ergänzender Weise gefügig, wodurch jedes dieser Werke seinen sehr spezifischen und vollkommen persönlichen Charakter hat.

Die Zweite Symphonie entstand anschließend an die Symphonische Musik für neun Instrumente op 11. Sie ist Anna Mahler (1904-88), der Tochter Gustav und Alma Mahlers, gewidmet, mit welcher Krenek zu jener Zeit ein Verhältnis begann, welches 1924 nach Almas Scheidung zur Heirat führte. In seinen Lebenserinnerungen schrieb Krenek gut zwanzig Jahre später in der amerikanischen Emigration, "daß ich die Symphonie, die nahezu eine Stunde dauert, in einem unheimlichen Tempo geschrieben habe, vermutlich in einer Art Fieberhaftigkeit, so daß ich mich nicht einmal erinnere, in jenen Frühlingsmonaten besonders oder außergewöhnlich beschäftigt gewesen zu sein. Ich erinnere mich nur, daß ich den zweiten Satz am Morgen nach meiner ersten Nacht mit Anna begann, in einem Gasthof am Ufer eines kleinen Sees östlich von Berlin, wohin wir uns begeben hatten, um unser Verlangen zu befriedigen."
Zur Uraufführung kam die Zweite Symphonie beim Zweiten Orchesterkonzert des Tonkünstlerfests des ADMV (Allgemeiner Deutscher Musik-Verein) zu Kassel am 11. Juni 1923 unter Leitung von Robert Laugs, laut Krenek "ein älterer Durchschnittsmusiker, hatte nicht die geringste Ahnung, auf was er sich eingelassen hatte. Bei der ersten Probe hielt er eine kleine Ansprache, völlig ernst und ohne jede Bosheit: ‘Meine Herren, wir werden jetzt etwas spielen, das keiner jemals verstehen wird. Trotzdem werden wir unser Bestes tun. Wenn jemand meint, ein Thema zu haben, möge er bitte laut spielen.' Das waren seine ersten und letzten Anweisungen, und danach wurde das Stück gespielt. […]
Meine Symphonie war erwartungsgemäß ein Riesenereignis. Lange Zeit erschien sie mir als die lauteste Musik, die ich je gehört habe, vielleicht mit Ausnahme des Finales von Milhauds Orestie, das allerdings einen riesigen Chor enthält. Als ich die Symphonie kürzlich wieder hörte, schien sie mir nicht mehr so überwältigend laut zu sein, was nicht ausschließlich daran liegen kann, daß in der Aufführung in Minneapolis zwei klanggewaltige Instrumente fortgelassen werden mußten, nämlich das sechste Horn und die Kontrabaßposaune. Ich glaube, es ist eher das eigenartige Gefühl, das man hat, wenn man nach vielen Jahren in sein Elternhaus zurückkommt und plötzlich alles viel kleiner erscheint, als man es in Erinnerung hatte. Nichtsdestoweniger befällt mich beim Herannahen des letzten Höhepunktes auch heute noch jedesmal, wenn ich das Stück höre, eine sonderbare Erregung, selbst wenn ich mir wiederholt die Schallplattenaufnahme vorspiele, die von dem Konzert in Minneapolis gemacht wurde. Ich nehme an, daß das nichts mit der meßbaren Dynamik dieser Stelle zu tun hat, sondern vielmehr einer der Musik innewohnenden Eigenschaft zuzuschreiben ist… […] Das Stück machte jedenfalls einen gewaltigen Eindruck und löste beim Publikum wildes Geschrei und leidenschaftliche Äußerungen verschiedener Art aus. Die Reaktion war so heftig, daß ich zu der Annahme neige, dem allgemeinen Eindruck sei ein Element primitiver Furcht beigemischt gewesen, womit ich die Tatsache zu erklären suche, daß niemand das Stück wieder in Angriff nehmen wollte, bis 1938, als Scherchen es in der Schweiz zu Gehör brachte, worüber ich sonst nichts weiß, und 1943, als Mitropoulos die Partitur in einem New Yorker Antiquariat entdeckte und sich entschloß, es aufzuführen. Charakteristischerweise hat auch diese verspätete Wiederaufnahme Erschütterungen hervorgerufen, die rational kaum zu erklären sind. Es ist, als hätte wiederum eine in dieser Musik verborgene Sprengkraft ihre verwirrende Macht gezeigt."
(zitiert aus: Ernst Krenek, »Im Atem der Zeit«, Memoiren 1942-52, deutsche Übersetzung von F. Saathen und S. Schulte, Hamburg 1998)

Kreneks Auskünfte sind nicht vollständig. Im Jahr nach der Uraufführung kam es zur Veröffentlichung der gedruckten Partitur bei der Universal Edition und, so Heinz Tiessen in »Das erste Drittel des 20. Jahrhunderts als Erlebnis des Komponisten« (veröffentlicht in »Für Heinz Tiessen«, Akademie der Künste Berlin, 1979), zu einem "Hauptereignis des Herbstes 1924: am 21. Oktober ein Krenek-Abend der Staatsoper [Berlin] unter Erich Kleiber mit der vom ADMV 1923 uraufgeführten großartig-kühnen Zweiten Symphonie und der 'Szenischen Kantate' Zwingburg." An anderer Stelle, in seinem Bericht über die Geschichte der IGNM, urteilte Tiessen: "Der größte Erfolg in seiner Einheit, ein Höhepunkt seines Schaffens an Kühnheit des Baues und Konsequenz der Steigerung in dem dissonanten Schlußgipfel." Und in der Gedenkschrift »Eduard Erdmann in seiner Zeit« (aus »Begegnungen mit Eduard Erdmann«, Darmstadt 1968) führte Tiessen weiter aus: "Auf das Erlebnis der Musik Schönbergs hat jeder reagieren müssen — 'und in dem Wie, da liegt der ganze Unterschied'. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Emanzipation der Dissonanz auch einen extremen Absolutismus herbeiführen würde, analog dem Absolutismus der Konsonanz in der strengen Kirchenmusik. Diesem Polaritätsgesetz folgend, hatte Krenek schon vor dem radikalen Klavierwerk [Toccata und Chaconne op. 13] einen noch kühneren, gigantischeren Bau errichtet: seine II. Symphonie op. 12. […] Im Finale empfing ich von den immer schärferen, immer böseren Dissonanzen einen zuvor nie erlebten Eindruck von Grausamkeit, der an die Desastres von Goya denken läßt. Mir drängte sich die Vorstellung auf von einer Operation ohne Betäubung: die Schmerzen, anfangs vielleicht halbwegs erträglich, wachsen unaufhaltsam, unbarmherzig, immer bohrender und furchtbarer bis zu einer Hölle unüberbietbarer Folterqualen, unter denen es für den Leidenden nur noch ein verzweifeltes Brüllen gibt. Trotzdem mußte ich den Komponisten spontan umarmen — ich empfand etwas Großes in seiner Schöpfung."

Später räsonierte Krenek darüber in seinen Memoiren: "Der gewaltige Höhepunkt am Schluß mit seiner Kombination von thematischem Material ist, wie ich es jetzt empfinde, eher von erhebendem als von niederschmetterndem Ausdruck, aber er fungiert nicht als Lösung des Konflikts, sondern klingt vielmehr wie ein rasender Versuch, die Widersprüche als von einer höheren Macht gewollt anzunehmen und die im Widerstreit liegenden Elemente in einer Art kosmischen Pandämoniums zu integrieren.
Deutet diese Analyse von Ausdrucksqualitäten darauf hin, daß das Liebeserlebnis, welches seinen Anfang nahm, als ich dieses Werk schrieb, letztendlich ein unglückliches werden sollte? […] Von einem rein musikalischen Standpunkt aus könnte man, meine ich, behaupten, daß die Ausdrucksqualität von schmerzlicher Spannung, welche die ganze Symphonie, besonders aber den letzten Satz, kennzeichnet, einem stilistischen Dualismus zuzuschreiben ist, weil nämlich die atonale Landschaft, in der das Stück angesiedelt ist, regellos mit Relikten des tonalen Idioms durchsetzt ist. Der Eindruck, der von diesen isolierten Elementen ausgeht, ist oft sehr kläglich und ruft eine melancholische Empfindung von Nostalgie wach, wie man sie beim Besichtigen von Ruinen verspüren würde, die inmitten mächtiger, aber strenger und bedrohlicher moderner Bauten an eine glücklichere Vergangenheit erinnern. Ich bin sicher, daß ich derartige Effekte keineswegs vorsätzlich geplant hatte, denn ich war mir der Dualität des Idioms gar nicht bewußt."
Zuvor schrieb er bei dieser Gelegenheit, "daß die ersten beiden Sätze das Bild eines Riesen heraufbeschwören, der in einem Käfig oder in einer Höhle herumtobt. Der erste Satz ist voller gewaltiger Anstrengungen, die Wände der Höhle oder die Gitterstäbe des Käfigs zu zertrümmern, trotziges Hämmern und Stampfen scheinen die vorherrschenden Ausdrucksqualitäten der Musik zu sein; das einzige lyrische Detail, das in den Vordergrund tritt, ist Resignation. An einer Stelle werden die kleinen Intervalle, die den Satz im Pianissimo von Celesta und Geigen einleiten und eine diesige, neblige Atmosphäre andeuten, im Fortissimo von Streichern und Blechbläsern wiederholt: Das klang in meinen Ohren wie die Schreie der armen Seelen im Fegefeuer. Der zweite Satz hört sich wie ein Ergebnis solcher Resignation an: ein Dulden der Enge, in die der Riese eingesperrt ist, eine Art verzweifelten Tanzes, in welchem er aus der Not eine Tugend macht und wild in der Höhle oder dem Käfig herumspringt. Wieder sind, wie im ersten Satz, einige melancholische Lyrismen zu hören, gleichsam ein schwacher Widerhall der Freuden in der freien Welt außerhalb des Gefängnisses. Der dritte, langsame Satz ist ganz anders, denn er basiert auf sehr expressiven, ausgedehnten Klanggruppen. Er klingt jedoch nicht nach eroberter Freiheit wie vielleicht das Finale von Beethovens Fünfter, sondern eher wie das leidenschaftliche Gebet um Freiheit, das jemand hervorbringt, der endlich die Hemmungen überwunden hat, die ihn bislang davon abhielten, ein solches Gebet auszustoßen. Und es hört sich eindeutig so an, als wüßte er, daß der Gegenstand seines Gebets nahezu unerreichbar ist."

Welches Versprechen der junge Krenek der Musikwelt Anfang der zwanziger Jahre gegeben hat, kann man unter anderem aus Walter Schrenks Buch »Richard Strauss und die neue Musik« (Berlin 1924) erfahren, wo es heißt: "Die produktive Kraft dieses noch nicht Fünfundzwanzigjährigen ist unfaßbar und in der Musikgeschichte — wenn man von Mozart absieht — eigentlich beispiellos. […] Was hier [in der 2. Symphonie] an Kühnheiten und Rücksichtslosigkeiten im Klanglichen gewagt wird, das überschreitet bei weitem das Maß des — auch bisher von Krenek — Gehörten. […] Es muß ganz aussichtslos erscheinen, mit Worten einen Begriff von der Großartigkeit dieser wie gemeißelt dastehenden Thematik zu geben. […] Wer den Schluß dieser Symphonie hört, der sich in immer verbisseneren harmonischen und dynamischen Steigerungen zyklopisch auftürmt, der wird eine Ahnung von der ungeheuren Ausdrucks- und Baukraft Kreneks bekommen, die schier grenzenlos zu sein scheint. […] Daß Krenek seinen Weg schon zu Ende gegangen ist, wollen wir in seinem Interesse nicht hoffen. Es besteht für ihn sicherlich die Gefahr, daß er — gerade weil er unbeirrt und unbeeinflußbar voranschreitet — sich in ein Komponierprinzip verrennt."

Für die amerikanische Erstaufführung durch das Minneapolis Symphony Orchestra unter Dimitri Mitropoulos am 23. Dezember 1943 verfaßte Krenek eine Werkeinführung:
"Falls ein Musikhistoriker je meinem Werk ein Attribut beigeben sollte, gefiele mir die Vorstellung, daß er diese Komposition meine 'Tragische Symphonie' nennen würde, gesetzt den Fall, daß wir unter 'tragisch' den schicksalhaften Konflikt gegensätzlicher Prinzipien verstehen.
Die Symphonie ist dreisätzig. Die beiden ersten Sätze werden weitgehend von einer musikalischen Gestalthaftigkeit beherrscht, deren Kennzeichen die der elementaren, objektiven Gewalten der Natur sind. Die Eröffnung des ersten Satzes mit ihrer langsam wogenden, schwankenden Linienführung in kleinen melodischen Schritten von Celesta und Streichern erinnert mich an aufziehenden Nebel in der Morgendämmerung, hoch im Gebirge, wenn die gezackten Formen der Felsspitzen allmählich aus dem Dunst hervortreten. Verschiedene Themen mit weiten melodischen Sprüngen bilden das Material einer ausgedehnten langsamen Einleitung. Das menschliche Element wird nur kurz in einer sonoren, einfachen und liedhaften Phrase von Hörnern und Streichern angedeutet. Weitausgreifende Steigerungen suggerieren ein zeitloses, unbeeinflußbares Anwachsen elementarer Kraftströme.
Indem die Pauken ein charakteristisches Motiv zweier abwärts gerichteter Sprünge aufgreifen, wird der hauptsächliche Allegro-Teil des Satzes erreicht, und ein Reigen verschiedener kraftgeladenen Themen, allesamt rhythmisch sehr lebhaft artikuliert, geht daraus hervor. Technisch gesprochen hat dieser Abschnitt Züge sowohl einer Exposition als auch einer Durchführung, wobei alles zuvor eingeführte Material in vielen Variationen, in Vergrößerung, Verkleinerung, Umkehrung verarbeitet und in einander abwechselnde Zusammenhänge gebracht wird.
Ein gewaltiges Unisono des ganzen Orchesters kündigt mit drei heftigen, erbarmungslosen Schlägen die Coda dieses Satzteils an, einen klagenden Epilog über einem langen Orgelpunkt auf E. Das 'menschliche' Motiv erklingt zaghaft in den gestopften Hörnern, aber die sich anschließende Durchführung bringt zwei neue Wellen der überwältigenden elementaren Kräfte hervor, wobei die zweite Welle zu einer triumphalen Wiederkehr des Themas des Allegro-Hauptsatzes, in Vergrößerung und Unisono, führt. Nach dieser Verausgabung scheinen die Kräfte zu schwinden, doch setzen sie sich noch ein weiteres Mal mit jenen drei schweren Schlägen durch und lassen keinen Zweifel an der Endgültigkeit ihres Siegs. Die Coda des Satzes ist eine Wiederholung der Elegie, und die Landschaft fällt zurück in die nebligen Undeutlichkeit des Anfangs. Die 'menschliche' Stimme murmelt eine aussichtslose Klage der ersten Geigen.
Der zweite Satz ist ein Scherzo im 3/2-Takt und zeigt die Elemente in selbstbezogenem Wechselspiel, mal graziös herumwirbelnd, mal wild aufstampfend wie täppische Riesen, oder auf groteske Art um Anmut bemüht wie im Trio-Abschnitt. Am Ende dieses Abschnitts scheint das menschliche Element einen verzweifelten Versuch anzustellen, in einer langen Kette expressiv nachklingender Streicherakkorde gegenüber einem höhnisch beharrenden, wiederholten hohen Ton der Holzbläser zu sich selbst zu finden. Aber die Sprache der Seele ist noch undeutlich; noch kann sich keine melodische Gestalt herausbilden. Das kleine liedhafte Motiv der gestopften Hörner kehrt wieder, eine melancholische Stimme aus der Ferne, bevor ein wirbelnder Tanz seinen Lauf wieder aufnimmt und das wunderliche Ende herbeiführt. Technisch betrachtet ist das Scherzo auf drei neuen Themen aufgebaut, die mit dem motivischen Material des ersten Satzes verwoben werden.
Das Finale, Adagio, ist den emotional ausdrucksvollen Charakteren des Dramas überantwortet. Die deklamatorische Ausdrucksweise der Celli, die den Satz eröffnet, wird mit einer langsam aufsteigenden Kantilene der Bratschen kombiniert, die später auch die Geigen aufnehmen. Kontemplative Ruhe und melodischere Züge, die nach und nach die höheren Regionen des Orchesters erobern, führen über in das zweite Thema, welches sich im vollen Wohlklang der Streicher ausspricht. Dem Höhepunkt folgt eine ziemlich einzigartige Angelegenheit: ein ekstatisches Selbstgespräch der ersten und zweiten Geigen im Unisono, das über nicht weniger als 53 Takten anhält.
Danach wird der Duktus des Beginns wieder aufgenommen, mit größerer Eindringlichkeit. Ein plötzlicher Abbruch indiziert eine Wiederkehr der starren, unerbittlichen Elementen aus den vorhergehenden Sätzen; aber bald schon sind sie integriert in die neue Umgebung. Das zweite Adagiothema führt zu dem gewaltigen finalen Höhepunkt, auf welchem alle Hauptthemen der Symphonie in Harmonikkombinationen, die an traditionellen Maßstäben gemessen äußerst mißklingend sind, vereinigt werden. Jedoch klingt dieser 'Mißklang' für mich, als Ergebnis der vorangegangenen psychologischen und technischen Prozesse, wie eine Art alles umschließender Harmonie, innerhalb welcher die Trennung von Konsonanz und Dissonanz einer umfassenderen Synthese gewichen ist."

Gute zwanzig Jahre nach dem Konzert in Minneapolis dirigierte Ernst Krenek selbst das Symphonie-Orchester des Hessischen Rundfunks (HR) in einer Produktion seiner Zweiten Symphonie, die am 29. und 30. Mai 1964 in Frankfurt stattfand.
Christoph Schlüren & Gladys N. Krenek

Aufführungsmaterial ist vom Verlag Universal Edition, Wien (www.universaledition.com) zu beziehen.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Universal Edition AG, Wien, 2002.

Ernst Krenek
(b. Vienna, 24 August 1900 — d. Palm Springs, California, 22 December 1991)

Symphony No. 2 Op. 12 (1922)

I Andante sostenuto - (accelerando al) Allegro agitato - Quasi tempo primo -
(accelerando al) Allegro agitato - Doppio più lento - Ancora doppio più lento p. 3
II Allegro deciso, ma non troppo - Andante sostenuto - Tempo primo - Poco meno p. 74
III Adagio - Poco agitato (andante) - Poco più agitato - Allegro - Tempo primo p. 111

Preface
When Franz Schreker was appointed director of the Berlin Conservatory in 1920 some of his close pupils accompanied him from Vienna to Berlin. One of them was Ernst Krenek, who made his debut as a composer in 1921 with his Serenade, Op.4. That same year the premiere performance of his First String Quartet, Op. 6 took place at the Tonkünstlerfest of the ADMV in Nuremberg; it was a sensational success which put him immediately into the forefront of contemporary music. The one-movement First Symphony Op. 7 was written right after the Quartet, also in 1921. This extremely diverse and contrapuntally dissonant composition proved also to be a resounding success at its first performance in Berlin on 12 March 1922 by the Berlin Philharmonic under Hermann Scherchen. (Krenek, who had distanced himself from Schreker, did not show him his First Quartet nor his First Symphony.) Inspired by this public acclaim, he followed up with Symphonies nos. 2 and 3 written one after the other in the same year and also the scenic cantata Die Zwingburg. Krenek began work on the Second Symphony - his most ambitious composition in this form - on March 27, 1922, and completed it in Berlin eight weeks later on May 23. The orchestration of the work was finished in June, 1922. The work is a faithful reflection of his ambition at that time, as he wrote, ”to be Gustav Mahler’s successor as a symphonic composer. I set out to write no fewer than three symphonies; neither, as I see it, has lost much of its original vitality. The fact that I did not face the problem of the symphony for the next twenty years simply proves that I was not convinced by the prospects of such a project”. Instead he wrote his fourth opera, Jonny spielt auf (’Jonny plays on‘). This opera, premiered in Leipzig in 1927, became phenomenally successful. In 1932 he wrote his first 12-tone work, his opera Karl V, the first full-length opera written in the 12-tone technique. He used and developed this technique in many of his works. The high point of these serial endeavours was reached in 1957 in his work, Sestina for voice and piano. From the sixties through the eighties he wrote his so-called ”late works”; late in that all the techniques he had used over the years in a more individually circumscribed manner became available at his fingertips so that he used them freely and collectively, so that each work had a very special and entirely personal character.

The Second Symphony was composed after the Symphonische Musik für neun Instrumente (Symphonic Music for Nine Instruments), Op 11. It was dedicated to Anna Mahler, Gustav and Alma’s daughter, with whom Krenek had then started a love affair that was to lead to their marriage following Anna’s divorce. In his memoirs Krenek wrote, some twenty years later, as an émigré to the United States: ”I have to conclude from factual evidence that I wrote the Symphony, which lasts almost an hour, at a terrific pace, probably in a sort of feverish mental condition, so that I do not remember even having been particularly busy during those spring months. I only remember that I started composing the second movement on the morning after I had spent my first night with Anna, at an inn on the shore of a little lake east of Berlin, where we had gone to consummate our desires.”
The Second Symphony was first performed at the second concert of the Tonkünstlerfest of the Allgemeiner Deutscher Musik-Verein (ADMV) in Kassel on June 11, 1923, conducted by Robert Laugs — according to Krenek ”an elderly, run-of-the mill musician, who had not the slightest idea what he was in for. At the first rehearsal he made a little speech, very sincere and without any malice: ’Gentlemen, we are now going to play something no one will ever understand. Anyway we shall do our best. If anyone thinks he has the theme, will he please play loudly!‘ Those were his first and last instructions; then the work was performed. […]
As expected, my symphony went off with a bang. For a long time I have thought this must be the loudest piece of music I have ever heard, with the exception, possibly, of Milhaud’s Orestie. That work, however, includes a huge choir. When I heard it again recently, it did not seem so overwhelmingly loud any longer. This cannot be solely due to the fact that two powerful instruments had to be omitted from the Minneapolis performance — the sixth French horn and the bass trombone. I rather think it is that special feeling you have when you return to your family home after so many years, when suddenly everything appears to be so much smaller than you remembered it. Nevertheless, even now the approach of the final climax of the piece fills me with strange excitement every time I hear it, even if played repeatedly on the records made during the Minneapolis concert. I assume that it has nothing to do with the objectively measurable dynamic range of that section, but with some intrinsic quality of the music. […] Anyway, the piece made a tremendous impression, wild screams and violent shouts of one sort or another from among the audience. The reaction was so strong that I tend to think the general impression included some element of primitive fear, by which I am trying to explain why no one wanted to tackle this piece again until 1938, when Scherchen played it in Switzerland — which I know nothing about — and 1943, when Mitropoulos discovered the score in a second-hand store in New York and decided to perform it. Typically, this belated revival has once more generated repercussions that can hardly be explained by rational means. It is as if some explosive power hidden within the music had proved once again that it can throw the listener into a state of confusion.” (Quoted from Ernst Krenek’s Memoirs, originally written in English [1942-1952] and still unpublished in 2002. The German publication was in 1998. Permission for the quotations was generously given by Krenek’s widow, Gladys N. Krenek.)

Krenek’s account is incomplete. The published score was printed by Universal Edition in the year after the premiere and, according to Heinz Tiessen in ”Das erste Drittel des 20. Jahrhunderts als Erlebnis des Komponisten”, published in ”Für Heinz Tiessen”, Akademie der Künste Berlin, 1979, on the occasion of the ”Main event of Autumn 1924 — a Krenek evening on 21 October with the [Berlin Staatsoper] conducted by Erich Kleiber with the phenomenal, daring Second Symphony, first performed by the ADMV in 1923, and the scenic cantata Zwingburg.” Tiessen, in another context — namely, his [review of the] history of the ISCM (International Society for Contemporary Music) — reports on ”its remarkable success, its unity, in the boldness of its construction a peak of creative activity and in the build-up of its climaxes, with their dissonant conclusion.” Also, in the collected memoirs ”Eduard Erdmann in seiner Zeit” — from ”Begegnungen mit Eduard Erdmann”, Darmstadt 1968 — Tiessen went further: ”Everyone had to react to Schönberg’s music ’but the question was how — that is where the differences were‘. One could not exclude the possibility that the emancipation of dissonance would lead to extreme absolutism, similar to the extreme absolutism of consonance in strict ecclesiastical music. In adherence to this law of opposites, Krenek had composed, well before the unorthodox piano piece, Toccata and Chaconne Op.13, a larger and bolder work — his Symphony No 2. […] During the finale the increasingly acute and angry dissonances aroused in me a powerful impression of horror that I had never felt before. It evoked Goya’s Desastres. I imagined it must be like an operation without an anaesthetic — the pain, almost bearable perhaps to begin with, increased relentlessly and mercilessly, gradually becoming more acute and terrible, and finally leading to the indescribable torture-chamber of Hell, in which the victim can hear only a confused howling sound. Nevertheless I embraced the composer spontaneously — I felt there was an element of greatness in his composition.”

As Krenek later explained in his memoirs: ”The terrifying climax of the finale with its interweaving themes, as I see it now, has more of an uplifting than a depressing quality. It does not resolve the conflict; it sounds like a delirious attempt to accept the confusion created by a Supreme Deity and to integrate those conflicting elements into a sort of cosmic pandemonium. Does this analysis of the work’s expressive features hint at the fact that the experience of love I felt when writing this piece was eventually to become an unhappy one? […]
From a purely musical point of view, I think one could say that the expression of painful tension throughout the symphony, especially in the last movement, is due to its stylistic dualism, since vestiges of tonality are tossed at random into the atonal structure of the work. These isolated features tend to create a rather pathetic impression. They awaken the same sensations of nostalgic melancholy one would feel on visiting ruins evocative of a happier past within the setting of a modern — more powerful and forbidding — building development. I am quite sure I did not premeditate such effects, since I was unconscious of the duality of the musical idiom.”
He had earlier written about this event as follows: ”the first two movements evoke the picture of a giant moving about in a cage, or cave. The first movement is full of gigantic efforts to smash the walls of the cave, or the bars of the cage, boldly characterised by defiant pounding and stamping. The only lyrical expression that comes to the fore is one of resignation. At one point the close intervals leading into the movement pianissimo with celesta and violins in a hazy, misty atmosphere are repeated fortissimo by strings and brass, sounding to me like the cries of the poor souls in Purgatory. The effect of the second movement is one of resignation, as the giant becomes aware of the narrow space where he is confined. He makes a virtue out of necessity, leaping around the cave, or cage, in a sort of desperate frenzied dance. Again, as in the first movement, a few sad lyrical themes are heard — faint echoes of the joys of the free world outside the prison. The slow third movement is quite different, since it is constructed out of long and very expressive sound patterns. It does not evoke freedom regained, like the finale of Beethoven’s Fifth, for example, but sounds more like a passionate prayer for freedom someone might utter if liberated at last from the restraints that had stopped him from bursting into prayer before. And it definitely sounds as if he knows that the object of his prayer is well-nigh unattainable.”

A good example of the early promise shown by Krenek in the world of music during the early Twenties is illustrated in Walter Schrenk’s book ”Richard Strauss und die neue Musik” (Berlin 1924). He writes: ”The creative powers of this young man, not yet twenty-five years old, are unbelievable and certainly without parallel in the history of music, with the single exception of Mozart. […] The daring recklessness of the sounds he achieves [in the Second Symphony] by far exceeds anything ever attempted to date, even by Krenek himself. […] It would be a fruitless exercise to try to describe in mere words the phenomenal — almost sculptured — thematic inventiveness. […] Listening to the finale of the symphony, with its ever more persistent harmonic and dynamic climaxes surging up like a Cyclops, one gets the impression of the vastness and sheer range of Krenek’s powers of expression and composition. […] One would hope, for his own sake, that Krenek has not reached the end of the road. The danger for him surely is that precisely because he is so self-assured and self-sufficient he might completely change course in the direction of a new school of composition.”

For the first American performance by the Minneapolis Symphony Orchestra under Dimitri Mitropoulos on December 23, 1943 Krenek wrote the following introduction:
”If any musician should ever care to attach epithets to works of mine, I like to imagine that he would call this composition my ’Tragic Symphony‘, if by tragic we understand the fateful conflict of opposed principles.
The symphony has three movements. The first two are dominated largely by musical features, the characteristics of which are those of the elemental, objective forces of nature. The opening of the first movement, with its slowly, undulating, wavering lines of close intervals in celesta and strings, reminds me of the brewing mists of dawn, high in the mountains, when the jagged forms of the peaks gradually emerge from the haze. Various themes with wide skips are the material of a long, slow introduction. The human element is only briefly referred to in a sonorous, simple, tune-like phrase on horns and strings. Long-winded climaxes suggest the timeless, indifferent growth of elemental energies.
When the timpani get hold of a characteristic motif of two downward skips, the main Allegro section of the movement is reached, and a sequence of several energetic themes follows, all of them being rhythmically very briskly articulated. Technically speaking, it is expository as well as developmental, all previous materials being used in many variations, augmentation, diminution, inversion, and brought into changing contexts.
A towering unison of the whole orchestra with three heavy merciless blows announces the coda of this section, a plaintive epilogue over a long pedal point on E. The ’human‘ motif is heard faintly in the muted horns, but the ensuing development section brings on two new waves of the overwhelming elemental powers, the second leading to a triumphant restatement of the main Allegro theme in augmentation and unison. After this exertion the powers seem to subside, but they assert themselves once more in the three heavy blows, leaving no doubt as to the finality of their victory. The movement’s coda is a repetition of the elegy, and the landscape relapses into the misty haze of the beginning, the ’human‘ voice murmuring a forlorn complaint through the first violins.
The second movement is a Scherzo in 3/2 time, showing the elements in their self-sufficient interplay, now whirling around gracefully, now stamping wildly like awkward giants or grotesquely trying to be graceful, as in the trio section. At the end of that section the human element seems to make a desperate attempt to come into its own, in a long chain of resounding expressive chords in the strings against a mockingly repeated sharp note in the woodwind. But the discourse of the Soul is still inarticulate; no melodic shape emerges yet. The little tune-like motif is heard again in the muted horns, a melancholy voice from far away, before the whirling dance resumes its course to its whimsical end. Technically, the Scherzo is built on three new themes interwoven with the motif material of the first movement.
The final movement, Adagio, is given over to the emotionally expressive character of the drama. The speech-like phraseology of the cellos, which opens the movement, is combined with a slowly rising cantilena on the violas, joined later by the violins. Peaceful contemplation and more melodic strains, conquering gradually the higher reaches of the orchestra, lead to the second theme, pronounced by the full sonority of the string section. The climax is followed by a rather unique feature: an ecstatic soliloquy of the combined first and second violins to unison, of no less than fifty-three measures.
Thereafter the discourse of the beginning is taken up again insistently. A sudden break indicates a return to the rigid, inexorable elements of the earlier movements; but soon they appear integrated into the new surroundings. The second Adagio theme leads up to the huge final climax, in which all the main themes of the symphony are untied in traditional terms. However, as a result of the preceding psychological and technical processes, this ’discord‘ sounds to me as a sort of all-embracing harmony, in which the distinction of consonance and dissonance has given way to a more inclusive synthesis.”

A good twenty years after the Minneapolis concert Ernst Krenek himself conducted the Symphony Orchestra of Radio Hessen (HR) in a production of his Second Symphony. It took place in Frankfurt on 29 and 30 May 1964.
Translation: Jonathan Price

For performance materials please contact the publisher Universal Edition, Vienna (www.universaledition.com).

Reprint with kind permission of Universal Edition AG, Vienna, 2002.