Frank Martin
Suite aus der Oper ‚Der Sturm’ für Bariton (Prospero) und Orchester (1952-54)
(geb. Eaux-Vives [Genf], 15. September 1890 – gest. Naarden [Niederlande], 21. November 1974)
I Ouvertüre. Adagio molto tranquillo (p. 1) – Più lento (p. 11) –
Con moto (p. 12) – Poco a poco rallentando (p. 33) –
Tempo primo (p. 34) – Un poco meno lento (p. 36) –
II ‚Mein Ariel, hast du, der Luft nur ist…’. Viertel = 84 (p. 40) –
Un poco meno mosso (p. 42) – Allegro moderato (p. 44) –
Un poco più mosso (p. 49) – Poco a poco meno mosso (p. 61) –
III ‚Ein feierliches Lied’. Allegretto alla Marcia (p. 71) – Più mosso (p. 80) –
Un poco meno mosso (p. 85) –
IV Epilog. ‚Hin sind meine Zauberei’n’. Larghetto (p. 91) – Più animato (p. 97) – Con moto (p. 99) – Tempo primo (p. 102) – Allargando molto (p. 107)
Vorwort
Die ersten Musiktheaterwerke Frank Martins waren Schauspielmusiken: zunächst 1922 zu Sophokles’ ‚Œdipe-Roi’ in der Übertragung von Jules Lacroix (1809-87) (Uraufführung in Genf am 21. November 1922) und 1923 zu Sophokles’ ‚Œdipe à Colone’ in der Übertragung von André Secretan (1896-1940) (Uraufführung 1923 in Genf), dann 1928 zu ‚Le Divorce’ von Jean-François Regnard (1655-1709) (Uraufführung in Genf im April 1928) und 1929 zu Shakespeares ‚Roméo et Juliette’ in der Übertragung von René Morax (1873-1963) (Uraufführung in Mézières am 1. Juni 1929). 1930-31 folgte das dreistündige Spectacle populaire ‚La Nique à Satan’ auf Text von Albert Rudhardt (1894-1944), das in Genf am 25. Februar 1933 unter der Leitung des Komponisten aus der Taufe gehoben wurde. 1935 schrieb Martin die Musik zu dem Ballett ‚Die blaue Blume’, die er jedoch nicht orchestrierte – lediglich die ‚Danse de la peur’ daraus vollendete er für 2 Klaviere und Orchester, und sie kam erst am 28. Juni 1944 in Genf mit Madeleine Cantacuzino-Lipatti und Dinu Lipatti (1917-50) unter der Leitung von Edmond Appia (1894-1961) zur Uraufführung. Mittlerweile hatte Martin 1938 den ersten Teil des weltlichen Oratoriums ‚Le Vin herbé’ nach dem 4. Kapitel des ‚Roman de Tristan et Iseut’ von Joseph Bédier (1864-1938) komponiert, das er nach der Züricher Uraufführung am 16. April 1940 mit dem Zürcher Madrigalchor unter Robert Blum (1900-94) 1940-41 um den 2. und 3. Teil ergänzte; nach der Züricher Uraufführung des gesamten Werks am 28. März 1942 (wieder mit dem Zürcher Madrigalchor unter Robert Blum) und mit der szenischen Erstaufführung unter dem Titel ‚Der Zaubertrank’ bei den Salzburger Festspielen am 15. August 1948 unter Ferenc Fricsay (1914-63) avancierte ‚Le Vin herbé’ bald zu einem der erfolgreichsten Werke Martins. 1941 entstand auch die Musik zum Gebrüder Grimm-Ballett ‚Das Märchen vom Aschenbrödel’, die erstmals am 12. März 1942 in Basel erklang, und 1942 anlässlich der Zweitausendjahrfeier der Stadt Genf von der Bühnenmusik zu ‚La Voix des siècles’, uraufgeführt am 4. Juli 1942 ebendort unter Roger Vuataz (1898-1988), gefolgt wurde. 1943 schrieb Martin die Musik zu ‚Ein Totentanz zu Basel im Jahre 1943’, einem ‚getanzten Freilufttheater’ für Knabenchor, Streichorchester, Jazzband und Basler Trommel auf ein Szenario seiner Nichte Mariette de Meyenbourg (1900-86) (UA Basel, 27. Mai 1943). 1946 schuf er die Bühnenmusik zu Athalie von Jean Racine (1639-99), die zum ersten Mal am 7. Mai 1947 in Genf unter Albert Paychère (1889-1970) gespielt wurde, und aus welcher die später bekannter gewordene ‚Ouverture pour Athalie’ stammt.
1952-55 komponierte Martin dann seine erste Oper, ‚Der Sturm’ in drei Akten nach William Shakespeare in der deutschen Übertragung von August Wilhelm von Schlegel (1767-1845) für 10 Sänger, 1 Tänzer oder Tänzerin (Ariel), Ballett, Männerchor, kleinen gemischten Chor, großes Orchester und kleines Bühnenorchester, die zur Eröffnung der wiederaufgebauten Staatsoper in Wien am 17. Juni 1956 unter Ernest Ansermet (1883-1969), dem großen Vorkämpfer von Martins Musik, uraufgeführt wurde. 1960-62 vertonte Martin dann noch Molières ‚Monsieur de Pourceaugnac’ als ‚Comédie mise en musique en 3 actes’ für 16 (oder 10) Solostimmen, Ballett und Orchester, sozusagen seine zweite Oper, die ihre Uraufführung am 23. April 1963 in Genf wiederum unter Ansermet erfuhr.
Frank Martin war lange bevor er mit der Arbeit an der Oper ‚Der Sturm’ begann schon im Bann der Faszination von Shakespeares ‚The Tempest’. Seine 1936-37 komponierte einzige ‚Symphonie pour grand orchestre’ (uraufgeführt am 7. März 1938 in Lausanne durch das Orchestre de la Suisse Romande unter Ansermet) ist inspiriert vom ‚Sturm’, hat jedoch musikalisch keine direkte Verwandtschaft mit der 15 Jahre später begonnenen Oper. Anders die 5 ‚Songs of Ariel’ für gemischten Chor a cappella, 1950 als ‚Cinq Chansons d’Ariel’ zu Papier gebracht, uraufgeführt am 7. März 1953 in Amsterdam durch den Nederlands Kamerkoor unter Felix de Nobel (1907-81) und erst 1968 bei der Universal Edition im Druck erschienen: Hier ist bereits die in der Oper ausgeführte Idee verwirklicht, dass Ariel ausschließlich in Gestalt des Chores auftritt, und die Gesänge wurden entsprechend in die Oper übernommen. Nach langem Hin und Her wurde es schließlich nach dem Erfolg des ‚Vin herbé’ bei den Salzburger Festspielen dem Verlag Universal Edition leicht gemacht, den geeigneten Ort für eine Uraufführung von Martins ‚Sturm’-Oper zu finden, indem die Wiener Staatsoper das Werk zum repräsentativsten Anlass in Auftrag gab: zur Wiedereröffnung des Hauses nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg am 17. Juni 1956. Im selben Jahr erschienen auch Klavierauszug und Stimmen des ‚Sturm’ im Druck. Das Arrangement von ausgewählten Teilen der Oper als ‚Sturm-Suite’ bringt neben der Ouvertüre nur Gesänge Prosperos, die unverändert, nur durch direkte Überleitungen verbunden, aus der Opernpartitur übernommen sind (bis dahin, dass Martin nach der Ouvertüre für die erste übernommene Szene als Tempoangabe versehentlich das ‚Tempo primo’ stehen ließ, wobei sich diese Bezeichnung auf das in der Oper unmittelbar vorangehende Haupttempo bezieht und nichts mit den Tempoangaben der in der Suite vorangehenden Ouvertüre zu tun hat. Die hier auf die Ouvertüre folgenden beiden Monologe Prosperos stammen beide aus dem 5. Akt des Shakespeare’schen Dramas. Den Abschluss bildet der Schlussmonolog, den Prospero in der Oper vor dem geschlossenen Vorhang singt. Ob bei der Uraufführung der ‚Sturm-Suite’ am 6. März 1961 in Lausanne durch das Orchestre de la Suisse Romande unter Ernest Ansermet mit dem Solisten Dietrich Fischer-Dieskau (1925-2012) wirklich die komplette Suite erklungen ist, kann angezweifelt werden, war doch der offizielle Titel damals «Trois fragments tirés de l’opéra ‚Der Sturm’» (Ouvertüre und 2 Arien des Prospero). In der vorliegenden Form handelt es sich bei der ‚Sturm-Suite’ um eines von Martins konzisesten, in der dunkel-kompakten Gestimmtheit als Ganzes fesselndsten Werke. Seine Oper ‚Der Sturm’ ist bei aller Wertschätzung der Fachwelt nicht ins Repertoire eingegangen, doch die Suite daraus wäre geeignet, regelmäßig in Konzerten vorgetragen zu werden.
Vorliegende Partitur der ‚Sturm-Suite’ ist ein unveränderter Nachdruck der 1977 bei der Universal Edition erstmals veröffentlichten Manuskript-Partitur des Komponisten, nunmehr erstmals im Studienformat.
Christoph Schlüren, Mai 2016
Aufführungsmaterial ist erhältlich vom Verlag Universal Edition, Wien. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Originalverlags Universal Edition, Wien, 2016.
Frank Martin
Suite from the Opera Der Sturm (The Tempest) (1952-54)
for Baritone (Prospero) and Orchestra
(b. Eaux-Vives, Geneva, 15 September 1890 –
d. Naarden, Netherlands, 21 November 1974)
I Ouvertüre. Adagio molto tranquillo (p. 1) – Più lento (p. 11) –
Con moto (p. 12) – Poco a poco rallentando (p. 33) –
Tempo primo (p. 34) – Un poco meno lento (p. 36) –
II ‚Mein Ariel, hast du, der Luft nur ist…’. Viertel = 84 (p. 40) –
Un poco meno mosso (p. 42) – Allegro moderato (p. 44) –
Un poco più mosso (p. 49) – Poco a poco meno mosso (p. 61) –
III ‚Ein feierliches Lied’. Allegretto alla Marcia (p. 71) – Più mosso (p. 80) –
Un poco meno mosso (p. 85) –
IV Epilog. ‚Hin sind meine Zauberei’n’. Larghetto (p. 91) – Più animato (p. 97) – Con moto (p. 99) – Tempo primo (p. 102) – Allargando molto (p. 107)
Preface
Frank Martin’s first stage works consisted of incidental music. They begin with Sophocles’ Oedipus Rex (1922) in the French translation by Jules Lacroix (1809-1887), premièred in Geneva on 21 November 1922, and with Sophocles’ Oedipus at Colonus (1923) in the French translation by André Secretan (1896-1940), premièred in Geneva in 1923. These were followed in 1928 by Le Divorce by Jean-François Regnard (1655-1709), premièred in Geneva in April 1928, and in 1929 by Shakespeare’s Romeo and Juliet in the translation by René Morax (1873-1963), premièred in Mézières on 1 June 1929. Then came a three-hour “popular spectacle” La Nique à Satan (1930-31), based on a text by Albert Rudhardt (1894-1944) and premièred in Geneva under the composer’s baton on 25 February 1933. In 1935 Martin wrote a score for the ballet Die blaue Blume, which, however, he never orchestrated; the only piece he completed from it was Danse de la peur in a version for two pianos and orchestra, premièred in Geneva on 28 June 1944 by Madeleine Cantacuzino-Lipatti and Dinu Lipatti (1917-1950) under the baton of Edmond Appia (1894-1961).
By then Martin had composed the first section of his secular oratorio Le Vin herbé (1938), based on chapter 4 of the Roman de Tristan et Iseut by Joseph Bédier (1864-1938). After the première of its first section, given in Zurich on 16 April 1940 by the Zurich Madrigal Chorus under Robert Blum (1900-1994), he completed sections 2 and 3 in 1940-41. The première of the entire work took place in Zurich on 28 March 1942 (again with the Zurich Madrigal Chorus under Robert Blum), and the first stage production at the Salzburg Festival on 15 August 1948 under Ferenc Fricsay (1914-1963), where it was called Der Zaubertrank (The Magic Potion). Soon Le Vin herbé advanced to become one of Martin’s most successful works. The year 1941 also witnessed his ballet score for Das Märchen vom Aschenbrödel (the Cinderella story as told by the Brothers Grimm), which premièred in Basel on 12 March 1942. In 1942 there followed the incidental music to La Voix des siècles, premièred in Geneva on 4 July 1942 under Roger Vuataz (1898-1988) to celebrate the city’s two-thousandth anniversary. One year later Martin wrote a score for Ein Totentanz zu Basel im Jahre 1943, a “danced open-air theater piece” for boys’ choir, string orchestra, jazz band, and Basler drum that was based on a scenario by his niece Mariette de Meyenbourg (1900-1986) and premièred in Basel on 27 May 1943. It was followed in 1946 by incidental music to Athalie by Jean Racine (1639-1699), which was first heard in Geneva on 7 May 1947 under Albert Paychère (1889-1970) and contains the subsequently famous Ouverture pour Athalie.
Only then, from 1952 to 1955, did Martin compose his first opera: Der Sturm, a three-act version of Shakespeare’s The Tempest in the German translation by August Wilhelm von Schlegel (1767-1845). Written for ten singers, one male or female dancer (Ariel), ballet, men’s chorus, small mixed chorus, large orchestra, and small on-stage orchestra, it was premièred at the reopening of the Vienna State Opera on 17 June 1956 by the great champion of Martin’s music, Ernest Ansermet (1883-1969). In 1960-62 Martin created what was, in a manner of speaking, his second opera by setting Molière’s Monsieur de Pourceaugnac as a comédie mise en musique en 3 actes for sixteen (or ten) solo voices, ballet, and orchestra. It was premièred in Geneva on 23 April 1963, again with Ansermet at the conductor’s desk.
Long before embarking on Der Sturm, Martin had fallen under the spell of Shakespeare’s Tempest. His only Symphonie pour grand orchestre, composed in 1936-37 and premièred in Lausanne by the Orchestre de la Suisse Romande under Ansermet on 7 March 1938, was inspired by The Tempest, though it is unrelated to the opera he began to write fifteen years later. This is not the case with his five Songs of Ariel for mixed a cappella chorus, committed to paper as Cinq Chansons d’Ariel in 1950 and premièred in Amsterdam on 7 March 1953 by the Nederlands Kamerkoor under Felix de Nobel (1907-1981). Their publication had, however, to wait until 1968, when they were issued in print by Universal Edition. These songs already present the idea, carried out later in the opera, of having Ariel appear entirely in the form of a chorus, and the songs were incorporated into the opera accordingly. Following the success of Le Vin herbé at the Salzburg Festival, it was ultimately easy, after much to-ing and fro-ing, for Universal to find a suitable venue for the première of Der Sturm on the most prestigious of occasions: the reopening of the Vienna State Opera on 17 June 1956 after its destruction in the Second World War. The vocal score and parts appeared in print that same year.
In addition to the overture, the arrangement of selected sections of the opera to form the Sturm Suite was limited to Prospero’s songs, which were taken unchanged from the opera score and connected with direct transitions. (Martin even failed to delete the “Tempo primo” for the first scene included after the overture, even though this mark applies to the preceding main tempo in the opera and has nothing to do with the tempo marks of the overture that precedes it in the suite.) Prospero’s two monologues following the overture are both taken from Act V of Shakespeare’s play. The end is formed by Prospero’s final monologue, sung in front of the closed curtain in the opera. The première of the Sturm Suite took place in Lausanne on 6 March 1961, with Ernest Ansermet conducting the Orchestre de la Suisse Romande and the baritone Dietrich Fischer-Dieskau (1925-2012). Whether the complete suite was heard on that occasion is open to doubt, for the official title was given as Trois fragments tirés de l’opéra “Der Sturm” (the overture and two of Prospero’s arias). In the form appearing in our volume, the Sturm Suite is one of Martin’s most concise creations, a riveting work pervaded by a terse dark-hued mood. Despite the praises of the experts, Der Sturm has not entered the opera repertoire, but the suite well merits being heard regularly in the concert hall.
Our volume contains a faithful reproduction of the autograph score of the Sturm Suite, first published by Universal Edition in 1977, and now appearing for the first time in a study format.
Translation: Bradford Robinson
For performance material please contact the publishers Universal Edition, Vienna. Reprinted with the kind permission of the original publisher Universal Edition, Vienna, 2016.