Max Bruch
Serenade für Violine und Orchester in a-Moll op. 75
(geb. am 6. Januar 1838 in Köln, gest. am 2. Oktober 1920 in Friedenau b. Berlin)
1. Andante con moto p.3
2. Allegro moderato, alla marcia p.30
3. Notturno p.74
4. Allegro energico e vivace p.92
Vorwort
Neben der noch in Studienjahren geäußerten Präferenz für die Vokalmusik, die einen beträchtlichen Anteil seines Gesamtschaffens ausmacht, lässt sich bei Max Bruch ebenso eine ausgesprochene Vorliebe für die Violine erkennen. Sein Oeuvre umfasst nicht weniger als neun ein- und mehrsätzige Werke für Solovioline und Orchester, darunter drei ausdrücklich als solche bezeichnete Konzerte.
Bruchs eigenen Äußerungen zufolge schätzte er an diesem Instrument seine Nähe zur menschlichen Stimme und die damit verbundene Affinität zur Melodie – eine grundlegende ästhetische Position des Meisters, der die Melodie einmal als „die Seele der Musik“1 bezeichnet hat.
Sein Violinkonzert Nr. 1 in g-Moll op. 26 gilt bis heute weltweit als Standardwerk im Repertoire berühmter Violinvirtuosen und ist regelmäßig in Konzertprogrammen vertreten. Die weiteren Werke hingegen standen stets im Schatten des g-Moll-Konzerts und gerieten nach dem Ableben des Komponisten zunehmend in Vergessenheit.
So auch die Serenade für Violine und Orchester in a-Moll op. 75. Das Werk entstand im Sommer 1899 unter anderem auf dem Igeler Hof bei Bergisch Gladbach2 - ein Ort, dem sich der Komponist zeitlebens verbunden fühlte und an dem er sich immer wieder zur Erholung aufhielt.
Die Ecksätze umrahmen einen marschartigen sowie einen als Notturno bezeichneten, melancholisch anmutenden Mittelsatz. Wesentlicher Bestandteil des Kopfsatzes ist eine frei adaptierte nordische Melodie,3 die im Finalsatz wieder aufgegriffen wird. In allen Sätzen besticht der Solopart durch seinen Reichtum an Eleganz und wirkt mit seinem in weiten Teilen graziös‑gesanglichen Charakter wie für die Violine geschaffen. Dies gilt allem voran für den Kopfsatz und das Notturno, wo in den lyrischen Passagen Bruchs Personalstil mit seiner Nähe zur Vokalmusik besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Auch der warme Orchesterklang – ein typisches Merkmal für Bruchs Instrumentation - spiegelt sich im gesamten Werk wider.
Wie bei seinen früheren Werken für Violine und Orchester bediente sich Max Bruch auch bei der Serenade dem fachkundigen Rat eines Violinisten. So wirkte Joseph Joachim bei der Einrichtung des Soloparts mit, der Bruch bereits bei seinen Violinkonzerten Nr. 1 op. 26 und Nr. 3 op. 58 beraten hatte. Joachims Mitwirkung verwundert insoweit, als dass der Komponist das Werk eigentlich für den spanischen Violinvirtuosen Pablo de Sarasate geschrieben hatte.4 Zur Enttäuschung Bruchs zeigte Sarasate nach anfänglicher Begeisterung jedoch kein Interesse an der Serenade, was zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis zwischen den beiden Künstlern geführt hat.5
Mit der viersätzigen Anlage ergibt sich eine interessante Ähnlichkeit zu der rund 20 Jahre zuvor entstandenen Schottischen Fantasie für Violine und Orchester in Es-Dur op. 46. Und wie in der Schottischen Fantasie tritt auch in der Serenade eine Problematik zutage, mit der sich der zeitlebens in der klassisch-romantischen Tradition verhaftete Komponist bei der Findung des Werktitels konfrontiert sah: Die viersätzige Anlage bedeutete eine Abweichung von der im 18. Jahrhundert etablierten Dreisätzigkeit für die äußere Form des Solokonzerts, der auch die überwiegende Zahl der Konzerte im 19. Jahrhundert folgten. Betrachtet man Bruchs übrigen konzertanten Stücke für Violine und Orchester, so fällt auf, dass ausschließlich die traditionell dreisätzig angelegten Werke opp. 26, 44 und 58 den Titel Konzert tragen, was für einen zurückhaltenden Umgang des Komponisten mit dem Konzertbegriff spricht.
Diese Zurückhaltung äußert sich besonders offensichtlich in dem Umstand, dass Bruch sowohl für die Schottische Fantasie als auch für die Serenade den Titel Konzert zeitweilig sogar angedacht hatte, diese Überlegungen jedoch jeweils wieder verworfen hat.6 In einem Brief an den Verleger Fritz Simrock vom 17. Februar 1911 spricht der Komponist im Zusammenhang mit seinem nur zwei Sätze umfassenden Konzertstück für Violine und Orchester in fis-Moll op. 84 die Problematik der äußeren Form direkt an, was rückblickend auch auf die Serenade und die Schottische Fantasie bezogen seinen zurückhaltenden Umgang mit dem Begriff des Solokonzerts zu erklären vermag: „Mit gutem Gewissen kann ich diese Bezeichnung [Konzert] nicht wählen, weil sie 1) für ein Stück von nur 2 (wenn auch großen) Sätzen nicht zutrifft; 2) weil sie von vorn herein zu Mißverständnissen Anlaß geben und Erwartungen erregen würde [...], die das Werk in dieser Form nicht erfüllen kann – und auch nicht erfüllen soll.“7
Durch die Wahl der Titel Serenade und Fantasie als freiere Formen entschärfte Bruch somit einerseits den möglichen Konflikt mit der Gattungstradition und manifestierte andererseits seine eigenen, in der klassisch-romantischen Tradition verwurzelten formästhetischen Ansprüche. Nichtsdestotrotz wurden sowohl die Schottische Fantasie, als auch die Serenade von zeitgenössischen Musikforschern als Violinkonzerte aufgefasst.8
Das Werk erklang unter der Leitung des Komponisten und mit Joachim als Solist erstmals im Dezember 1899 in einer Orchesterstunde an der Berliner Hochschule für Musik.9 Nachdem die Komposition rund zwei Monate später zum Stich fertig war,10 erschien diese im Jahre 1900 bei Simrock in Berlin. Diese Erstausgabe liegt als Nachdruck der folgenden Studienpartitur zugrunde.
Die offizielle Uraufführung erfolgte am 15. Mai 1901 in Paris mit dem Belgier Joseph Débroux als Solist und dem Orchestre Lamoureux unter der Leitung von Camille Chevillard.11 Weitere Aufführungen in Köln und Berlin, sowie Anfragen aus England und Aufführungen in den USA zeugen zunächst von einer durchaus erfolgreichen Resonanz.12
Letztendlich aber sollte die Serenade das Schicksal der meisten Werke Bruchs teilen und unter der Beliebtheit seines Violinkonzert Nr. 1 op. 26 „leiden“. Waren bereits in den Kritiken die Reaktionen eher durchwachsen, wurde die Serenade stets an seinem g‑Moll‑Violinkonzert gemessen und in der Folge abgewertet13 – eine Tatsache, die bei dem Komponisten zu tiefer Kränkung und Verbitterung führte. Hinzu kam, dass Bruchs romantische Tonsprache gegenüber den sich um die Jahrhundertwende formierenden Strömungen wie Moderne und Avantgarde reaktionär erschien und zum Ziel heftiger Anfeindungen wurde. Dass ein Großteil seiner Werke der Vergessenheit anheim fielen, ist eine mittelbare Folge dieser Tendenzen.
Mag der Anlass für die damalige Ablehnung von Max Bruchs Werken sein Festhalten an überholten ästhetischen Anschauungen gewesen sein, so bietet die Betrachtung aus der zeitlichen Distanz des 21. Jahrhunderts uns heute die Chance zu einer Wiederentdeckung und Neubewertung. Die vorliegende Partiturausgabe soll hierzu ihren Beitrag leisten.
Bernd Wladika, 2016
1 Arthur M. Abell: Gespräche mit berühmten Komponisten. Haslach: Artha, 7. Auflage o.J., S. 160.
2 Vgl. Christopher Fifield: Max Bruch. Biographie eines Komponisten. Zürich: Schweizer Verlagshaus 1990, S. 94.
3 Vgl. ebd., S. 270.
4 Vgl. Karl Gustav Fellerer: Max Bruch. Köln: Volk 1974, S. 138.
5 Vgl. ebd.
6 Vgl. Wilhelm Lauth: Max Bruchs Instrumentalmusik. Köln: Volk 1967, S. 93 und 98.
7 Brief an Simrock vom 17.2.1911; zit. nach Wilhelm Altmann: Max Bruch‘s Beziehungen zu dem Verlag N. Simrock. In: Erich H. Müller (Hg.): Simrock-Jahrbuch I. Berlin: Simrock 1928, S. 105.
8 Vgl. Wilhelm Altmann: Max Bruch‘s Beziehungen zu dem Verlag N. Simrock. In: Erich H. Müller (Hg.): Simrock-Jahrbuch I. Berlin: Simrock 1928, S. 96 – 97, sowie 105.
9 Vgl. Brief an Simrock vom 5.11.1899; zit. bei Fifield 1990, S. 270.
10 Vgl. Fellerer 1974, S. 138.
11 Vgl. Fifield 1990, S. 272.
12 Vgl. ebd.
13 Vgl. ebd.
Aufführungsmaterial ist von Simrock, Berlin, zu beziehen.
Max Bruch
Serenade in A minor for Violin and Orchestra, op. 75
(b. Cologne, 6 January 1838 – d. Friedenau near Berlin, 2 October 1920)
1. Andante con moto p.3
2. Allegro moderato, alla marcia p.30
3. Notturno p.74
4. Allegro energico e vivace p.92
Preface
Besides vocal music, for which he expressed a preference during his student years, and which makes up a large part of his oeuvre, Max Bruch also had a strong predilection for the violin. His catalogue contains no fewer than nine single- or multi-movement works for solo violin and orchestra, including three concertos expressly labeled as such. Judging from his own statements, what attracted him to the instrument was its closeness to the human voice and its resultant affinity for melody – a fundamental aesthetic precept from a man who once referred to melody as “the soul of music.”1 His Violin Concerto No. 1 in G minor, op. 26, has remained in the standard repertoire of violinists the world over and is regularly heard in concert. In contrast, his other works have always stood in the shadow of the First Concerto and gradually fell into oblivion after his death.
This was the fate that befell the Serenade in A minor for Violin and Orchestra, op. 75. It was composed in summer 1899, partly at the Igel farmstead near Bergisch Gladbach2 – a place to which the composer felt a lifelong attachment and where he often fled for rest and relaxation. The outside movements frame a march-like second movement and a melancholy slow movement called a Notturno. An essential component of the opening movement is a freely adapted Nordic melody3 that recurs in the finale. In every movement the solo part captivates with its vein of elegance, and for large sections at a time its graceful and melodious character seems tailor-made for the violin. This is especially true of the opening movement and the Notturno, where Bruch’s distinctive voice, with its proximity to vocal music, comes especially to the fore in the lyrical passages. Similarly, the warm orchestral sound – a typical feature of Bruch’s orchestration – is reflected throughout the piece.
As in his earlier works for violin and orchestra, Bruch drew upon the expertise of a violinist for the Serenade. Joseph Joachim, who had already advised Bruch in his First and Third Violin Concertos (opp. 26 and 58, respectively), had a hand in marking up the solo part. Joachim’s involvement is surprising in that the composer actually wrote the piece for the Spanish virtuoso Pablo de Sarasate.4 However, to his disappointment, Sarasate lost interest in the Serenade after his initial enthusiasm, which led to a profound breach between the two artists.5
Owing to its four-movement design, the Serenade bears an interesting resemblance to the Scottish Fantasy in E-flat major for violin and orchestra, composed twenty years earlier (op. 46). And as in the Fantasy, it harbors a problem which the composer, a man beholden to the classical-romantic tradition to the end of his days, faced when it came to choosing a title: the four-movement design departed from the three-movement pattern established for the concerto in the eighteenth century and followed by the vast majority of concertos in the nineteenth. Considering his other pieces for violin and orchestra, we immediately notice that works laid out in the traditional three movements (opp. 26, 44, and 58) are invariably called “concertos,” suggesting that Bruch had a conservative approach to this generic term. This conservatism is particularly noticeable in the fact that for a while he considered applying the “concerto” tag to both the Scottish Fantasy and the Serenade only to reject it in the end.6 In a letter of 17 February 1911 to his publisher Fritz Simrock, he directly addresses the problem of formal design in connection with his two-movement Concert Piece in F-sharp minor for violin and orchestra (op. 84), which may retrospectively explain his reluctance to apply the term to the Serenade and the Scottish Fantasy:
“I cannot choose this title [concerto] with a clear conscience because 1) it does not apply to a piece with only two movements (no matter how long), and 2) it would from the very outset provoke misunderstandings and expectations [...] which the work cannot, and is not intended to, fulfill in this form.”7
By choosing the titles Serenade and Fantasy as free forms, Bruch thus avoided the conflict with the genre’s tradition and manifested his own formal aesthetic standards, rooted in the classical-romantic ethos. Even so, contemporary writers regarded both the Scottish Fantasy and the Serenade as violin concertos.8
The Serenade received its first hearing during an orchestra class at the Berlin Musikhochschule in December 1899, with the composer conducting and Joachim taking the solo part.9 Two months later the piece was ready to be engraved,10 and it was duly published by Simrock of Berlin in 1900. This first edition has served as the basis of the present reprint.
The official première was given in Paris by Belgian violinist Joseph Débroux on 15 May 1901, with Camille Chevillard conducting the Orchestre Lamoureux.11 Other performances followed in Cologne and Berlin; inquiries from England and performances in the USA bear witness to a thoroughly successful initial reception.12 In the end, however, the Serenade shared the fate of most of Bruch’s works and “suffered” from the fame of his First Violin Concerto. If the critics’ response already tended to be mixed, the Serenade was invariably measured against the G-minor Concerto and found wanting13 – a fact that left the composer deeply offended and embittered. Moreover, compared to the modernist and avant-garde currents of the fin de siècle, Bruch’s romantic idiom seemed reactionary and became the target of violent vitriol. That the bulk of his music has fallen by the wayside is an indirect consequence of these trends.
If the rejection of Bruch’s works in his own day may have been caused by his adherence to outdated aesthetic views, our detached twenty-first-century vantage point gives us an opportunity to rediscover and revaluate his music. The present edition in full score is intended help this endeavor.
Translation: Bradford Robinson
1 Arthur M. Abell: Gespräche mit berühmten Komponisten, 7th edn. (Haslach: Artha, n.d.), p. 160.
2 Christopher Fifield: Max Bruch: Biographie eines Komponisten (Zurich: Schweizer Verlagshaus, 1990), p. 94.
3 Ibid., p. 270.
4 Karl Gustav Fellerer: Max Bruch (Cologne: Volk, 1974), p. 138.
5 Ibid.
6 Wilhelm Lauth: Max Bruchs Instrumentalmusik (Cologne: Volk, 1967), pp. 93 and 98.
7 Letter to Simrock, dated 17 February 1911, quoted from Wilhelm Altmann: “Max Bruch’s Beziehungen zu dem Verlag N. Simrock,” Erich H. Müller, ed.: Simrock-Jahrbuch I (Berlin: Simrock, 1928), p. 105.
8 Ibid., pp. 96f. and 105.
9 Letter to Simrock, dated 5 November 1899, quoted from Fifield, Bruch (see note 2), p. 270.
10 Fellerer, Bruch (see note 3), p. 138.
11 Fifield, Bruch (see note 2), p. 272.
12 Ibid.
13 Ibid.
For performance material please contact Simrock, Berlin.