Emil Nikolaus von Rezniček
Thema und Variationen nach dem Gedicht
„Tragische Geschichte“ von Adalbert von Chamisso
for grand orchestra and bass (-baritone) Solo (1921)
(b. Vienna, 4. May 1860 – d. Berlin, 2. August 1945)
Preface
Emil Nikolaus von Reznicek is represented in the orchestral repertoire by a single work, the overture to his 1894 comic opera Donna Diana. Not only does this fail to represent Reznicek’s large output (including five symphonies and a dozen operas) but it also misrepresents the Austrian composer’s peculiar gifts. Chief among these was a sense of humor that expressed itself in musical irony, satire, and parody. These traits were apt to be turned even upon Reznicek’s friends – particularly when the friendship was rather ambivalent. This was the case with the relationship between Reznicek and Richard Strauss (1864 – 1949). The two were close contemporaries with only four years separating both their birth and death. Yet they were less close personally. Strauss took at least one occasion to reject a work of Reznicek’s for performance, chiding him condescendingly for writing music that was not in the “charming” mode of Donna Diana – “You’re now becoming so terribly modern.”
Rather than respond in kind to the man who had made an early career out of shocking his audiences with Salome and Elektra, Reznicek took his bitterness into music. Three compositions in his large oeuvre reflect this mood quite explicitly – the tone poems Schlemihl (1911-12), Der Sieger (1913), and the Theme and Variations after the Poem “Tragische Geschichte” of Adalbert von Chamisso (1921).
All three works deal with a particular character – the forever unlucky man of Jewish folklore, a hyper-heroic “victor” who dances around a golden calf, and the tragicomic subject of Chamisso’s poem – and each mocks Strauss’ pretentions. Reznicek achieves this through stylistic allusion and almost-quotation taken to a high level of absurdity. Interspersed between these moments are biting dissonances and interruptions of the musical narrative that have the effect of ironic commentaries by the composer. Each piece also features a vocal soloist. In the Chamisso Variations this a bass-baritone who sings – at the very end of the piece – the “Tragic Tale” of the title to the theme introduced at the very beginning. The most “tragic” element in Chamisso’s poem, however, is the ignorance of its subject, a man who cannot rid himself of his aristocratic pigtail hanging down behind him no matter how many times he spins around in place.
Adelbert von Chamisso (1781 – 1838) was a French-born naturalized German poet who most famously wrote Frauenliebe und -leben and the tale of Peter Schlemihl, the man who sold his shadow. His attraction to irony and satire mirrored Reznicek’s own. In his Chamisso Variations Reznicek takes the simple melody of the theme through a series of variations with a programmatic twist. The “Tempo di minuetto” theme is marked “zopfig”; the term refers to both “old-fashioned” and “pigtail” – a striking but subtle reference to the protagonist of Strauss’ “old rogue’s tale,” Till Eulenspiegel. Reznicek leads his own thematic protagonist on a strange journey, including a horn-filled Allegro a la chasse, an Andante quasi Allegretto in 5/8 time, a peaceful Nocturne, a pungently dissonant Allegro, and a funeral march – immediately followed by a return to life so strongly reminiscent of Strauss’ Till theme it well earns its designation of Allegretto giocoso. The work is capped by the bass-baritone’s solo, accompanied by piercingly scored ironic commentary in the orchestra.
The Variations were premiered on 7 December 1921 at the Fourth Symphony Concert of the Orchestra of the State Opera conducted by Wilhelm Fürtwangler. Simrock published the score the same year. The piece was well received, but critics unsurprisingly missed much of the work’s scathing private humor.
Christopher Little, 2015
For performance materials please contact Boosey & Hawkes, Berlin.
Emil Nikolaus von Rezniček
Thema und Variationen nach dem Gedicht
„Tragische Geschichte“ von Adalbert von Chamisso für großes Orchester und Bass-(Bariton-) Solo (1921)
(geb. Wien, 4. Mai 1860 – gest. Berlin, 2. August 1945)
Vorwort
Im Orchesterrepertoire wird Emil Nikolaus von Rezniček durch ein einziges Werk vertreten, und zwar durch die Ouvertüre zu seiner komischen Oper Donna Diana aus dem Jahr 1894. Dabei wird nicht nur seinem umfangreichen Oeuvre – darunter fünf Symphonien sowie ein Dutzend Opern – Unrecht getan, sondern die ureigenen Begabungen dieses österreichischen Komponisten missachtet, vor allem seinen Humor, der darin in musikalischer Ironie, Satire und Parodie allenthalben zum Ausdruck kommt. Oft genug wurden diese Charakterzüge auch gegen die eigenen Freunde gerichtet, vor allem dann, wenn die Freundschaft eher zwielichtig erschien, wie beispielsweise im Falle seiner Beziehung zum Komponistenkollegen Richard Strauss (1864-1949). Obwohl die beiden Künstler beinahe gleichaltrig waren (Strauss wurde vier Jahre früher geboren und hat Rezniček um vier Jahre überlebt), waren ihre persönlichen Beziehungen eher weniger herzlich. Mindestens einmal sah sich Strauss genötigt, ein Werk Rezničeks abzulehnen, wobei er den Kollegen herablassend dafür tadelte, dass dieser den „reizenden“ Ton der Donna Diana nicht mehr kompositorisch pflege („Sie werden nun so schrecklich modern“). Statt aber Strauss mit gleichen Mitteln zu erwidern, der ja schließlich in jüngeren Jahren das Publikum mit reißerischer Opernkost wie Salome oder Elektra in Angst und Schrecken versetzt hatte, legte Rezniček seine Bitterkeit in die Musik. Seine Missmut kommt in gleich drei Kompositionen aus seinem großen Werkkatalog deutlich zum Vorschein: in den Tondichtungen Schlemihl (1911-12) und Der Sieger (1913) sowie im vorliegenden Werk Thema und Variationen nach dem Gedicht „Tragische Geschichte“ von Adalbert von Chamisso (1921).
Alle drei Werke haben diesen bestimmten Charakterzug gemeinsam, ob es sich um den ewigen Unglücksraben der jüdischen Folklore handelt, den ultraheroischen, um das Goldene Kalb tanzenden „Sieger“ oder den tragikomischen Protagonisten des Chamisso-Gedichts. Mehr noch: Alle drei verspotten die Anmaßungen Richard Strauss’ mit Hilfe von stilistischen Anspielungen und Beinahe-Zitaten, die mitunter einen hohen Grad an Absurdität erreichen. Zwischen diesen Augenblicken finden sich beißende Dissonanzen und Unterbrechungen im musikalischen Diskurs, die wie ein ironisierender Kommentar seitens des Komponisten wirken. Auch wartet ein jedes dieser drei Werke mit einem Solosänger auf: Bei den Chamisso-Variationen handelt es sich um einen Bass-Bariton, der am Ende des Werks zum anfänglichen Variationsthema die „Tragische Geschichte“ des Titels vorträgt. Das „tragischste“ Moment des Chamisso-Gedichts ist jedoch die Tölpelhaftigkeit des Protagonisten, der seinen hinter ihm hinunterbaumelnden Aristokratenzopf nicht loswerden kann, egal wie oft er sich um die eigenen Achse dreht.
Obwohl der im Frankreich geborene deutsche Dichter Adelbert von Chamisso (1781-1838) seine heutige Berühmtheit vorwiegend dem Gedichtzyklus Frauenliebe und -leben sowie der Erzählung um Peter Schlemihl – den Mann, der den eigenen Schatten stiehlt – verdankt, besaß er auch einen Hang zu Ironie und Satire, der dem Rezničeks gleichkommt. In den Chamisso-Variationen führt der Komponist eine schlichte Melodie durch eine Reihe von Variationen mit einer programmatischen Wendung. Im „Tempo di minuetto“ wird beispielsweise das Thema als „zopfig“ bezeichnet, was nicht nur auf das Altmodisch-Unzeitgemäße hinweist, sondern auch einen deutlichen, wenn auch unterschwelligen Bezug zur Titelfigur der Strauss’schen „Schelmengeschichte“ Till Eulenspiegel herstellt. Hier schickt Rezniček den eigenen thematischen Protagonisten auf eine seltsame Reise über ein von Waldhörnern durchtränktes Allegro a la chasse, ein im 5/8-Takt gehaltenes Andante quasi Allegretto, eine friedliche Nocturne, ein stechend dissonantes Allegro und einen Trauermarsch bis zu einer Rückkehr ins Leben, die eine so starke Ähnlichkeit mit dem Strauss’schen Till-Thema aufweist, dass die Satzbezeichnung Allegretto giocoso alles andere als unangebracht erscheint. Abschließend wird das Werk durch das Solo des Bass-Baritons mit beißend ironischem Kommentar seitens des Orchesters gekrönt.
Die Chamisso-Variationen erlebten ihre Uraufführung am 7. Dezember 1921 im 4. Symphoniekonzert des Orchesters der Staatsoper unter der Leitung von Wilhelm Fürtwangler. Im gleichen Jahr erschien bei Simrock eine Partiturausgabe. Obwohl das Werk herzlich aufgenommen wurde, nimmt es nicht wunder, dass die Kritiker den bissigen privaten Humor größtenteils überhörten.
Aufführungsmaterial ist vom Verlag Boosey & Hawkes, Berlin zu beziehen.