Hermann Bischoff
(b. Duisburg, 7 January 1868 – d. Berlin, 25 January 1936 in Berlin)
Sinfonie Nr. 2 in d-Moll
(1910)
Vorwort
Es wäre unangemessen, würde man Hermann Bischoff vor allem als einzigen Schüler Richard Strauss definieren (auch wenn dies den Tatsachen entspricht). Auch wenn die Freundschaft zu Strauss (der ihm nach der Weltwirtschaftskrise eine sichere Stelle bei der Berliner Urheberrechtsgesellschaft vermittelte) auch die Aufführung der einen oder anderen Komposition förderte (zum Dank widmete ihm der Jüngere seine erste Sinfonie), Hermann Bischoffs Karriere war nicht primär oder ausschließlich die eines Musikers. Er entstammte einer wohlhabenden Duisburger Industriellenfamilie, studierte zunächst am Leipziger Konservatorium und ließ sich 1888 in München nieder. Nach und nach machte er mit Kompositionen unterschiedlicher Gattungen von sich reden, war aber vor allem Privatier und verkehrte als solcher in den Münchner Künstler- und Literatenkreisen. 1898 heiratete er die Malerin Marie Himmighoffen. Mit fast allen Vertretern der Münchner Komponisten-Schule um Ludwig Thuille und Max Schillings stand Bischoff in freundschaftlich-kollegialem Verhältnis, Strauss war er ein regelmäßiger Skatpartner.
Anfang 1911 fand, wohl nicht zuletzt abermals dank der Vermittlung Strauss‘, in Hamburg unter Siegmund von Hausegger die Uraufführung von Bischoffs im Vorjahr vollendeter zweiter Sinfonie in d-Moll statt (Eckhart van den Hoogen hat in seinem CD-Booklet ausführlich die erhaltenen Dokumente zu dem Werk zitiert). Heinrich Chevalley, sonst durchaus auch ein kritischer Hörer, äußert sich in seiner ausführlichen Besprechung in der Musik rundum wohlwollend: „Nach der 1. Sinfonie Bischoffs, die in starker Abhängigkeit von Richard Strauss entstanden war, als Musik aus einem zwar nicht angegebenen, aber doch sicherlich vorhandenen bestimmten Programm, nach dieser lauten, aufgeregten Musik, die uns von großen inneren Erlebnissen zu künden trachtet, wirkt diese neue d-moll-Sinfonie fast wie ein Idyll. Musik aus dem Geiste des absolut Musikalischen. Daher ein viel bedeutenderes Ebenmaß in der Form, daher der Verzicht auf die letzten und sublimsten Differenzierungen des Ausdrucks. Von den Schauern künstlerischer Geburtswehen erzählt uns dies Werk, das ganz auf der Sonnenseite emporgeschossen scheint, nichts oder nur wenig; zu den gewaltigen Höhepunkten, von denen aus man sich in erhebender Einsamkeit von der Erdenlast erlöst fühlt, dem Ewigen nähergerückt – von all diesem Größten und Letzten will Bischoff uns diesmal nichts sagen. Er durchmißt den kleinen Kreis beruhigter Gefühle, das Krampfartige ist gewichen, alle Wogen haben sich geglättet. Fast wäre man versucht, diese Sinfonie auf Grund ihres Gedankeninhaltes als Sinfonietta oder als Suite größeren Stils zu charakterisieren. Man könnte das umso leichter wagen, als diejenigen Sätze, in denen die sinfonischen Entscheidungskämpfe ausgerungen zu werden pflegen: der erste und der letzte Satz, ihrem inneren Wesen und ihrem äußeren Aufbau nach, kaum als vollwertige Sinfoniesätze gelten können. Der letzte Satz insbesondere bietet weder in seiner leicht gewogenen Thematik, noch in seiner rhythmischen Bewegung die Basis, die den krönenden stolzen Aufbau einer Sinfonie zu tragen vermag. Und auch der erste Satz, der einen balladesken Gedanken spinnt, ohne dabei die zunächst liegenden Versuche zu machen, unsere musikalische Spannung straffer anzuziehen, der sicherlich nicht aus Mangel an Wissen, sondern in irgendeiner poetisierenden Absicht auf Anreize tonaler Gegensätzlichkeit verzichtet, auch dieser Satz übersteigt eigentlich nicht das Niveau der Suite. Von den Mittelsätzen des ungeniert und flüssig gearbeiteten Werkes, das sich aus den Umklammerungen der Strauss‘schen Polypenarme erfreulich freigemacht hat, überragt der Intermezzoteil bei weitem den Andantesatz. Denn während in diesem bedenklichen Abstiege in das Tiefland geschwollener Opernpathetik keine rechte einheitliche Stimmung aufkommen will, entwickelt sich das Intermezzo in reizender Grazie zu einem pikanten, geistvoll harmonisierten und geistvoll instrumentierten Zwischenspiel von sehr charakteristischen Profillinien. Dieser Satz, bei dem man wohl an die Galanterie der Rokokozeit denken möchte, an Pierrot Lunaire, entschied den äußeren Erfolg der Sinfonie, der die Zuhörerschaft bis dahin mit abwartender Skepsis gefolgt war.“
In der Folge überarbeitete Bischoff die Partitur nochmals grundlegend – eine letzte Erwähnung in der Korrespondenz mit Richard Strauss erfolgt im Juni 1918. Die Partitur erschien bei F. E. C. Leuckart – mit einer Widmung an den verdienstvollen Uraufführungsdirigenten, der das Werk auch in Berlin wiederholt hatte.
Jürgen Schaarwächter, 2015
Aufführungsmaterial ist von Leuckart, München zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.
Hermann Bischoff
(b. Duisburg, 7 January 1868 – d. Berlin, 25 January 1936 in Berlin)
Symphony No. 2 in D minor
(1910)
Preface
It would be wrong, if true to the facts, to view Hermann Bischoff mainly as Richard Strauss’s sole pupil. True, his friendship with Strauss helped one or another of his works to reach performance (he dedicated his First Symphony to the elder composer in gratitude), and it was Strauss who arranged for him to receive a secure position with the Berlin Copyright Society after the onset of the Great Depression. But Bischoff was not primarily, much less exclusively, a professional musician. Born into an affluent family of Duisburg industrialists, he first studied at Leipzig Conservatory before settling in Munich in 1888. Though he gradually drew attention with pieces in various genres, he was mainly a man of independent means and frequented Munich’s literary and artistic circles in this capacity. In 1898 he married the painter Marie Himmighoffen. He was on friendly professional terms with virtually every member of the Munich school of composers associated with Ludwig Thuille and Max Schillings, and was Strauss’s regular partner in the favorite German card game known as Skat.
In early 1911 Bischoff’s Symphony No. 2 in D minor, completed the previous year, received its première in Hamburg under the baton of Siegmund von Hausegger – an event probably resulting not least from Strauss’s intercession. (Eckhart van den Hoogen, in his CD booklet, quotes extensively from the surviving documents on this work.) The otherwise quite critical Heinrich Chevalley gave the work a thoroughly warm reception in a detailed review published in Die Musik:
“Bischoff’s First Symphony was a work deeply indebted to Richard Strauss, being written to an unstated but surely extant and well-defined program. Compared to this loud and agitated music, which sought to tell us of grand inner experiences, his new D-minor Symphony seems almost like an idyll. It is a piece composed in the spirit of absolute music, and thus evinces a far greater emphasis on formal proportions and an avoidance of ultimate and sublime refinements of expression. It has little or nothing to tell us about the horrors and pangs of artistic creation and seems to have sprung into existence entirely on the bright side of life. This time the mighty pinnacles which make us feel released in exalted solitude from earthly burdens and leave us closer to Eternity – all those great and ultimate things – are not Bischoff’s theme. He traverses the small purlieus of tranquil feelings, eschewing convulsions and paroxysms and becalming the surface of the waters. On the basis of its ideas, one is almost tempted to call this piece a sinfonietta or a suite in the grander style, all the more so as the movements which usually witness the decisive struggles in a symphony – the first movement and the finale – hardly deserve being considered fully symphonic in their essence and structure. The finale in particular, with its gently lilting themes and rhythmic motion, provides no basis for sustaining the proud and crowning edifice of a symphony. Nor does the opening movement actually transcend the level of a suite, preferring instead to spin a ballad-like idea without making the least attempt to tighten the musical tension, and dispensing with the attractions of tonal contrast, not from a want of skill, but from some sort of poetic intent. Of the middle movements of this blithely and fluently fashioned piece, which has gratifyingly freed itself from the clutches of the octopoidal Straussian embrace, the intermezzo movement towers far above the andante. Whereas the latter, descending alarmingly deep into the lowlands of bloated operatic pathos, fails to generate a unifying mood, the intermezzo charmingly and gracefully evolves into a savory interplay of highly characteristic profile-lines ingeniously harmonized and orchestrated. This movement, reminiscent of the galanterie of the rococo era, of Pierrot Lunaire, was sufficient to ensure the success of a work which the listeners had until then followed with cautious skepticism.”
Bischoff fundamentally reworked the symphony in the years that followed. The last mention of it in his correspondence with Strauss occurred in July 1918. The score was published by F. E. C. Leuckart with a dedication to the meritorious conductor of the première, who had later given the work a repeat performance in Berlin.
Translation: Bradford Robinson
For performance material please contact Leuckart, Munich. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, Munich.