Luigi Boccherini

(geb. Lucca, 19. Februar 1743 – gest. Madrid, 28 Mai 1805)

Symphonie in A-Dur op. 37 (G518)

Vorwort

Unter den instrumentalen Stücken von Luigi Boccherini wird insbesondere seine Kammermusik als Meilenstein des späten 18. Jahrhunderts hoch geschätzt. Seine Symphonien werden indes - aufgrund einer vermeintlichen Inferiorität gegenüber den »Wiener Klassikern« - ziemlich vernachlässigt. 1743 in Lucca geboren, erhielt Luigi Boccherini Musikunterricht zunächst von seinem Vater, dem Sänger und Kontrabassisten Leopoldo, später lernte er bei den Cellisten Domenico Francesco Vannucci in Lucca und Giovanni Battista Costanzi in Rom. 1758 soll er den Vater und die Geschwister auf Konzertreisen in die Republik Venedig und nach Österreich begleitet haben. Ungeachtet einer mehrjährigen Anstellung beim Kärtnertortheater in Wien gelang es dem jungen Cellisten Boccherini angesichts der starken Wiener Konkurrenz nicht, zu reüssieren, während er sich mit seinen Qualitäten in Italien erfolgreicher profilieren konnte. Nach dem Tode des Vaters (1766) verließ er seine Heimatstadt - wo er mittlerweile in der Cappella Palatina angestellt war - und unternahm weitere Tourneen nach Genua und Paris; dort blieb er nur für ein Jahr, und sollte danach nicht mehr in seine Heimat zurückkehren. Als Mitglied einer Operntruppe des spanischen Königshauses landete Boccherini 1768 schliesslich im südlich von Madrid gelegenen Lustschloss Aranjuez. Infolge der Berufung zum »Komponisten und Kammervirtuosen« im Jahre 1770 an den Hof des Infanten Don Luis Borbone verbesserten sich die Arbeitsbedingenungen Boccherinis deutlich. Kein Zufall, dass aus dieser Zeit zahlreiche Kammermusikstücke stammen, die eine bemerkenswerte Vielfalt an Besetzungen zeigen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass manche Entscheidungen von den Auftragsbedingungen diktiert wurden: so zum Beispiel die Erfindung des Quintetts für zwei Celli, die sich aus der Tatsache ergab, dass Boccherini sich als weiterer Cellist zu einem bereits existierenden Quartett gesellte. Zwischen 1777 und 1785 (Todesjahr des Infanten) arbeitete Boccherini in Las Arenas, einer abgelegenen Ortschaft, in welche der Infant „verbannt“ worden war. Dennoch gelang es Boccherini, Kontakte mit der außermusikalischen Welt aufzunehmen. Dies belegt nicht nur der Briefwechsel mit dem Verleger Artaria und mit Franz Joseph Haydn, sondern auch die zahlreichen Auftragskompositionen für König Friedrich Wilhelm II. von Preußen. Ungeachtet völlig unterschiedlicher politischer Ausrichtungen teilte der Monarch mit seinem Onkel Friedrich der Große eine echte Leidenschaft für Musik (letzterer als Komponist und Querflötist, sein Neffe als Cellist). Friedrich Wilhelm II. drückte in einem Brief aus dem Jahre 1773 seine Begeisterung für die ihm zugesandten Musikstücke aus (hier übersetzt aus einem fehlerhaften Italienischen): „Nichts Anderes hätte mir besser gefallen können, Herr Boccherini, als einige Kompositionen von Ihren eigenen Händen zu bekommen, und seitdem ich Ihre Instrumentalstücke angefangen habe zu spielen, geben allein sie mir eine vollkommene Befriedigung, und darüber freue ich mich jeden Tag. Ich möchte glauben, [
] dass wir hoffen dürfen, noch etwas Neues sehen zu können [
]. Inzwischen nehmen Sie, Herr Boccherini, diese goldene Büchse als Erinnerung meinerseits und als Zeichen der Hochachtung.“
Mit seinem musikalischen Geschenk verfolgte Boccherini vermutlich das Ziel, eine Anstellung am preußischen Hof zu befördern, was in der Tat drei Jahre später - kurz nach dem Tode des Infanten Luis – Früchte trug. Boccherini wurde zum Hofkomponist berufen, dennoch hatte er höchstwahrscheinlich Spanien nie verlassen. Wasserzeichen und Format des Notenpapiers, auf dem seine Auftragskompositionen überliefert sind, zeigen, dass die Werke eigentlich in Spanien und nicht vor Ort in Preußen geschrieben wurden, und dann per Post gesandt wurden. Boccherinis Dienstjahre dauerten bis zum Tode Friedrichs im Jahre 1787, in dem dessen
»amusikalischer« Thronnachfolger, Friedrich Wilhelm III., dem Musiker kündigte. Somit musste Boccherini seine Beziehungen zu Frankreich wieder aufbauen, vor allem mit den Brüdern von Napoleon Bonaparte (Lucien und Joseph, der Boccherini eine Pension von jährlich 3000 Francs gewährte) und mit dem Pariser Conservatoire. 1805 starb Boccherini an Tuberkulose in Madrid.
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Die Symphonie op. 37 in A-Dur (G518), wie die anderen mit derselben Opusnummer, wurde »Sinfonia a grande
orchestra« (Symphonie für großes Orchester) benannt. Die Besetzung umfasst nicht nur Streicher, sondern auch Querflöte, Oboen, Fagotte und Hörner. Der unkonventionelle Wechsel zwischen Bläsern und Streichern trägt zu einem besonderen klanglichen Charakter bei, der als Merkmal des Stils von Boccherini gilt. Der erste Satz, ein Allegro spiritoso, hat kaum etwas mit der Haydnschen Sonatensatzform zu teilen. Quintfallsequenzen und gewagte Tonabweichungen verraten zwar eine Art Durchführung, aber keine reine motivisch-thematische Arbeit im traditionellen Sinne ist innerhalb des Satzes zu finden. Die Exposition folgt eher dem Prinzip der Nebeneinanderstellung unterschiedlicher Sektionen, deren schillerndes musikalisches Gewebe die Aufmerksamkeit der Zuhörer fesselt. Das Menuett kommt an zweiter Stelle und stellt ein typisches Beispiel für die vom Autor bevorzugten Terzverwandschaften dar, welche für zeitgenössische Publikum noch ungewöhnlich klangen. Der ersten Phrase in D-Dur folgt eine Sektion in F-Dur für Oboen und Fagott ohne vorbereitende Modulation; in einem ungewöhnlich langen Trio in h-Moll kommt die Querflöte mit einer virtuosen Partie in Triolen hinzu. Das folgende Andante fällt wegen seiner schlichten, dennoch originellen Struktur auf, vor allem innerhalb der sich wiederholenden A-Sektion. Auf einer auf- und absteigenden Zwei-Oktaven-Tonleiter der Celli in A-Dur bauen die jeweiligen Solisten die melodische Linie auf, die zugleich von den rhythmisch vielfältigen Arpeggien der Tutti verziert werden. Das Klangergebnis beschwört eine Art „statisches“ Schwanken herauf; ein besonderes Hörerlebnis, das auch bei anderen Werken Boccherinis spürbar ist. Dazu kontrastierend klingen homophone Motive der Tutti, die in der B-Sektion in a-Moll die Auseinandersetzung mit dem leichteren musikalischen Gewebe verschärfen. Ein hüpfendes Allegro ma non presto im »Haydnischen« Stil beschliesst die Symphonie, in dem schwungvolle Figurationen und dynamische Kontraste (mit etlichen Sforzandi) das geistvolle Stück verlebendigen; dabei klingen ein paar orientalisierende übermäßige Sekunden, die die tonal abweichenden Stellen charakterisieren, besonders pikant.

Livio Marcaletti, 2015

Literaturnachweis:

Marco Mangani, Luigi Boccherini, L’Epos, Palermo, 2005

Cristian Speck und Stanley Sadie, Boccherini, in New Grove 2, Macmillan, London, 2001

Aufführungsmaterial ist von Ricordi, Mailand, zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner

Stadtbibliothek, München.

Luigi Boccherini

(b. Lucca, 19 February 1743 – d. Madrid, 28 May 1805)

Symphony in A major, op. 37 (G518)

Preface

Of Luigi Boccherini’s instrumental works, the chamber music in particular has long been valued as a milestone in late eighteenth-century music. His symphonies, on the other hand, have tended to suffer neglect owing to their purported inferiority to the “Viennese classics.” Born in Lucca in 1743, Boccherini received his first musical instruction from his father Leopoldo, a singer and double bass player, and later from the cellists
Domenico Francesco Vannucci in Lucca and Giovanni Battista Costanzi in Rome. In 1758 he is said to have accompanied his father and siblings on concert tours to the Republic of Venice and Austria. Though he played for years in Vienna’s Kärntnertor Theater, the strong competition prevented the young cellist from making headway in the Austrian capital, whereas his qualities received greater recognition in Italy. After his father’s death (1766) he left his native Lucca, where he had found employment in the Cappella Palatina, and set out on further tours to Genoa and Paris, remaining in the latter city for only a year. He never returned to Italy; instead, in 1768 he eventually arrived at Aranjuez Palace, south of Madrid, as a member of an opera company sponsored by the Spanish royal family. In 1770 he was appointed “composer and chamber virtuoso” at the court of the infante Don Luis Borbone, thereby bringing about a great improvement in his working conditions. It is no accident that many of his chamber works in a remarkable range of scorings date from this period. Yet it should be recalled that many of his choices were dictated by his conditions of employment. One such choice was his invention of the string quintet with two cellos, which resulted from the fact that he joined an existing quartet as second cellist. From 1777 until the infante’s death in 1785 Boccherini worked in Las Arenas, a remote location to which the Don Luis had been “banished.” He nevertheless managed to establish contacts in the outside world of music. We know this not only from his correspondence with the publisher Artaria and Joseph Haydn, but also from his many works commissioned by King Friedrich Wilhelm II of Prussia. Despite their antithetical political convictions, the king shared a genuine passion for music with his uncle Frederick the Great, the latter as a composer and flautist, his nephew as a cellist. In a letter of 1773, Friedrich Wilhelm II expressed his delight in the pieces Boccherini had sent him (translated here from the imperfect Italian of the original):

Nothing could have given me greater pleasure, Signor Boccherini, than to receive several compositions from your pen; and since I have begun to play your instrumental pieces, they alone grant me perfect satisfaction, for which I take new delight every day. It is my wish […] that we may again hope to see something new from you […]. In the meantime, Signor Boccherini, please accept this golden snuffbox in remembrance of me and as a token of my esteem.

Presumably Boccherini, with his musical present, sought promotion to a position at the Prussian court – a plan that in fact came to fruition three years later shortly after the death of the infante. But although he was appointed court composer, he most likely never left Spain. The watermarks and formats of the manuscript paper on which he submitted his commissioned works reveal that they originated in Spain, and not in Prussia, and were then dispatched by mail. Boccherini’s years of service lasted until Friedrich’s death in 1787, after which he was dismissed by his “a-musical” successor Friedrich Wilhelm III. Boccherini was thus required to restore his ties to France, above all to Napoleon Bonaparte’s brothers Lucien and Joseph (the latter granted him an annuity of
3000 francs) and to the Paris Conservatoire. He died in Madrid of tuberculosis in 1805.
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The Symphony in A major, op. 37 (G518), like the other works in this same opus, was called a “sinfonia a grande orchestra,” being scored not only for strings, but also for transverse flute, oboes, bassoons and horns. The unconventional alternation of winds and strings lends the work a particular sound that is considered a defining feature of Boccherini’s style. The opening movement, Allegro spiritoso, has little in common with Haydn’s sonata-allegro form. True, descending sequences along the circle of fifths and daring shifts of tonality betray something akin to development, but there is no motivic-thematic manipulation along traditional lines. Instead, the exposition follows the principle of juxtaposing contrasting sections, whose shimmering textures
capture the listener’s attention. The second movement, a minuet, is a typical example of Boccherini’s favorite device of a “mediant break,” a sound still unfamiliar to contemporary ears. The first phrase, in D major, is followed without preparatory modulation by a section in F major for oboes and bassoon. An unusually long B- minor trio adds a virtuoso part in triplets for the transverse flute. The following Andante is striking for its straightforward yet original design, especially in the repeating A section. An A-major scale in the cellos, ascending and descending over two octaves, provides a foundation on which the soloists construct their melodic lines, embellished by rhythmically varied arpeggios from the tutti. The resultant sound evokes a sort of “static” vacillation, a special auditory effect also found in other works by Boccherini. It contrasts with homophonic motifs from the tutti, heightening the conflict with the lighter musical fabric in the B section (in A minor). The symphony ends in “Haydnesque” fashion with a rollicking Allegro ma non presto that enlivens this ingenious piece with vigorous figures and dynamic contrasts, including a couple of orientalesque augmented seconds that add spice to the tonally contrasting passages.

Translation: Bradford Robinson

Bibliography

Marco Mangani, Luigi Boccherini (Palermo: L’Epos, 2005)

Cristian Speck and Stanley Sadie, “Boccherini, Luigi,” New Grove (London: Macmillan, 22001)

For performance material please contact Ricordi, Milano,. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner

Stadtbibliothek, Munich..