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Felix Weingartner

(geb. Zara/Zadar, Dalmatien 2. Juni 1863, gest. Winterthur 7. Mai 1942)

Konzert für Violine mit Begleitung des Orchesters, op. 52

Vorwort

„Felix Weingartner: Dirigent, Komponist, Pianist, Autor“ - diese Angaben findet der Musikinteressierte in allen Fachpublikationen gedruckter oder digitaler Art, wenn er sich über den Musiker Weingartner informieren will. Ist schon die Vielseitigkeit bemerkenswert, so ist jedoch die genannte Reihenfolge der Tätigkeitsbereiche aufschlussreicher: Weingartner wird auch heute noch in erster Linie als Dirigent wahrgenommen. Erst in letzter Zeit, dank vermehrter Veröffentlichungen von CD-Aufnahmen seiner Werke, und nicht zuletzt durch die Nachdrucke seiner Partituren wird auch die Musik Weingartners einer breiteren Zuhörerschaft zugänglich.

Die erste musikalische Ausbildung erfährt Weingartner mit etwa fünf Jahren. Nach dem Wegzug aus der Geburtsstadt nach Graz erteilt die alleinerziehende Mutter - der Vater war verstorben - ihrem Sohn erste Klavierstunden. Mit dem Eintritt in das Gymnasium erhält der Schüler dann Unterricht in Klavier und Kompositionskunde bei Wilhelm Mayer (auch bekannt unter seinem Pseudonym W.A. Rémy). Weingartner erweist sich als gelehrig, erste eigene Klavierstücke entstehen und werden für die Bewerbung um ein Staatsstipendium eingereicht. Nach Begutachtung der Werke - in der Jury saßen u.a. Brahms, Goldmark und Hanslick - kann der Schüler die Früchte seiner Arbeit ernten: ein dreijähriges Stipendium wird ihm zugesprochen, das Weingartner nach dem Abitur die Aufnahme eines Studiums in Leipzig (1881-83) ermöglicht. Zunächst sind die Weichen noch nicht eindeutig in Richtung „Berufsmusiker“ gestellt. Neben seinen Unterrichtsstunden am Leipziger Konservatorium, wo er u.a. Kompositionslehre bei Carl Reinecke erhält, belegt er auch Kurse in Philosophie an der Universität. Die Begegnungen mit Wagner, vor allem aber mit Liszt, bei dem er auch in die Lehre geht, beflügeln ihn ungemein und finden ihren Niederschlag in mehreren größeren Kompositionen, darunter seine erste Oper Sakuntala.

Nach Abschluss seiner Ausbildung beginnt Weingartner 1884 seine Kapellmeisterlaufbahn, die ihn zunächst etwa alle zwei Jahre an einen anderen Ort verschlägt (Königsberg, Danzig, Hamburg, Mannheim) und schließlich 1891 nach Berlin, wo er bis 1898 Hofkapellmeister an der Oper ist. Gleichzeitig ist er für die Konzerte der Königlichen Kapelle verantwortlich, eine Arbeit, die er vor allem bezüglich der Repertoireauswahl und seiner Interpretationen mit viel Einfühlungsvermögen und Geschick ausführt, und die ihm trotz einiger Kontroversen langfristig Erfolge beschert. Darüber hinaus ist Weingartner auch anderweitig kreativ: es entstehen mehrere größere Kompositionen, aber auch philosophische Essays und Texte über die Dirigiertätigkeit.

1897/98 verlässt Weingartner den Opernbetrieb in Berlin und übernimmt die Leitung des Münchener Kaim-Orchesters (aus denen die Münchener Philharmoniker hervorgehen), weiterhin ist er aber in Berlin für die Konzerte der Königlichen Kapelle zuständig (bis 1906).

Ab 1900 steht Weingartner auf der Höhe seines Erfolges, sein Dirigierstil wird nahezu uneingeschränkt anerkannt, er avanciert zum anerkannten Beethoven-Experten durch Aufführungen aller neun Symphonien und ist nach wie vor auch publizistisch aktiv.

1907/08 wird er Nachfolger von Gustav Mahler an der Wiener Hofoper, zugleich steht er den Wiener Philharmonikern vor. Doch wie schon zuvor in Berlin, sagt ihm auch in Wien das Konzertleben mehr zu als der Opernbetrieb. 1911 gibt er den Posten an der Hofoper auf, den Philharmonikern bleibt er indes bis 1927 treu. Daneben führen ihn Gastdirigate in die ganze Welt, darunter sogar mehrere Male nach Südamerika. Ab 1927 wird Weingartners Lebenswandel, der durch häufigen Stellen-, Wohnort-, und - wie manche Biografen bei fünf Ehen fast despektierlich feststellen - Partnerwechsel geprägt war, mit der Übersiedlung nach Basel etwas ruhiger. Neben der Konzerttätigkeit - er wird in Basel Leiter der Basler Orchestergesellschaft und zugleich Leiter des Konservatoriums - rückt nun zunehmend auch die Lehrtätigkeit in den Fokus seiner Arbeit. 1936 und 1938 wechselt er noch zweimal seinen Wohnort innerhalb der Schweiz (Interlaken, Lausanne). Ausgedehnte Reisen mit seiner letzten Ehefrau Carmen Studer, u.a. nach Japan, bereichern seinen letzten Lebensabschnitt. Im März 1942 gibt er in Lausanne sein letztes Konzert. Am 7. Mai 1942 verstirbt er in Winterthur, wo er auch seine letzte Ruhestätte findet.

Wer Weingartner auf Tonträgern sucht, wird ihn in erster Linie als Interpreten finden, insbesondere seine Beethoveneinspielungen (die frühesten entstanden 1924) genießen unter Fachleuten große Wertschätzung. Weingartners Sprache ist die des Orchesters, und so überrascht es nicht, dass er auch als Bearbeiter zahlreiche Werke orchestriert hat. Als Schubertliebhaber lag ihm besonders dessen weitgehend nur in Klavierskizze überlieferte E-Dur Symphonie (D 729) am Herzen, die er instrumentierte und so erstmalig einer breiteren Öffentlichkeit näherbrachte. Sein eigenes Schaffen erobert erst allmählich den Tonträgermarkt, obwohl es vergleichsweise recht umfangreich ist. Weingartner bediente fast alle Werkgattungen, er hinterließ Opern, Lieder, Kammermusikwerke und mehrere großbesetzte Orchesterwerke, darunter sieben Symphonien und zwei Konzerte, und einige wenige reine Klavierstücke. Seine Tonsprache ist zum Teil geprägt durch Anklänge an die Musik von Franz Liszt, andererseits zeichnet sie sich auch durch klassizistische Elemente aus. Sie ist gewiss weniger innovativ als die Musik seiner Zeitgenossen wie z.B. Gustav Mahler, aber keineswegs uninspiriert. Der Vorwurf der „Kapellmeistermusik“ – den sich auch Mahler seinerzeit gefallen lassen musste – ist unangebracht.

Vergleichsweise wenig Informationen findet man zum einzigen Violinkonzert Weingartners. Weder in den persönlichen Aufzeichnungen, noch in anderen zeitgenössischen Quellen wird dem Werk viel Aufmerksamkeit eingeräumt. Das Konzert entsteht 1911 in St. Sulpice am Genfersee, sein Entstehungsanlass darf wohl mit dem Widmungsträger und Solisten der Uraufführung, dem Geiger Fritz Kreisler, in Verbindung gebracht werden. Am 28. Oktober 1912 wird das Konzert in Wien aus der Taufe gehoben, am Dirigentenpult steht der Komponist. Wenige Tage später erscheint in der „Neuen Freien Presse“ eine Rezension. Julius Korngold, in der Nachfolge und Tradition Eduard Hanslicks stehend, und somit eher ein „Hardliner“ unter den Kritikern, überrascht durch eine ausnahmslos positive Besprechung von Komposition und auch Interpretation. Dessen ungeachtet kommt es in der Folgezeit aber nur zu wenigen weiteren Aufführungen, so z.B. kurze Zeit später in den Niederlanden und 1913 in London (beide Male mit Kreisler als Solisten), und 1918 erneut in Wien, diesmal bewältigt der Violinpädagoge Carl Flesch den schwierigen Solopart. Wie manch anderes Violinkonzert der Spätromantik verfällt Weingartners Werk in einen „Dornröschenschlaf“, aus dem es erst durch eine aktuelle CD-Einspielung ( cpo 999 424-2, mit Laurent Albrecht Breuninger als Solisten) langsam wieder erwacht.

In dem beigleitenden Booklet zu dieser Aufnahme beschreibt Eckhardt van den Hoogen amüsant, launig und die wenigen Informationen gleichsam beklagend wie ergiebig nutzend die Rezeptionsgeschichte von op. 52. Zugleich macht er einen Streit zwischen den beiden Musikagenten Weingartners und Kreislers für das Ausbleiben weiterer Aufführungen nach 1912 mitverantwortlich.

Weingartners Violinkonzert ist klassisch dreisätzig angelegt. Der Kopfsatz Allegro placido in Sonatenform und der zweite Satz Andantino quasi allegretto als Variationssatz sind bezüglich ihrer musikalischen Struktur eher konventionell, sieht man vielleicht von einigen harmonischen Verkettungen einmal ab. Das Finale, Caprice savoyard: Allegro molto deciso überschrieben, wirkt aber nicht zuletzt dank seiner rhythmischen Raffinessen schon etwas kühner und moderner. In seinen „Lebenserinnerungen“ beschreibt Weingartner, zum Finale hätten ihn bei einer Dampferfahrt nach Genf Kinder, die sich zu einem Tanzlied bewegten, inspiriert. Die wilden Läufe der Solostimme, die Taktwechsel und die mit „Chanson populaire“ überschriebene Passage (vgl. Seite 56 der Partitur) haben tatsächlich etwas von „alpinem Übermut“ (Caprice savoyard) und von kindlicher Unbekümmertheit und Fröhlichkeit.

Die gedruckte Partitur und der Klavierauszug des Violinkonzerts erscheinen 1912 bei Breitkopf und Härtel. Auffällig ist die „klingende Notation“ der traditionell transponierenden Instrumente in der Partitur. Am 24. März 1927 nimmt sich Weingartner ein Druckexemplar vor, um das Werk für eine geplante (aber nicht erfolgte) Neuauflage zu revidieren. Doch abgesehen von Tempodifferenzierungen unter Hinzufügung von Metronomangaben und dem Hinweis, man möge die Stimmung der transponierenden Instrumente der Partitur hinzufügen, finden sich keine Veränderung am Notentext. (Für die Auskunft sei Dr. Simon Obert aus Basel herzlich gedankt).

Die vorliegende Partitur, die somit den Text der Erstausgabe wiedergibt, mag neben der genannten CD-Einspielung einer Wiederbelebung weiteren Auftrieb geben.

Wolfgang Eggerking, 2013

Wegen Aufführungsmaterial wenden Sie sich bitte an Breitkopf und Härtel, Wiesbaden.

Felix Weingartner

(b. Zara/Zadar, Dalmatia, 2 June 1863 - d. Winterthur, 7 May 1942)

Concerto for Violin with Orchestral Accompaniment, op. 52

Preface

“Felix Weingartner: conductor, composer, pianist, writer”: thus the information that music lovers find in every scholarly publication, whether printed or digital, when they seek facts on Weingartner. If his versatility is already remarkable, the order of his professional designations is even more revealing: today, too, Weingartner is mainly perceived as a conductor. Only recently, thanks to the increasing number of CD releases of his works and the reissuing of his scores, is his music becoming available to a broader listenership.

Weingartner’s musical training began roughly at the age of five. After moving away from his native city of Graz, his mother, now a single parent after his father’s death, gave her son his first piano lessons. When he entered high school he received instruction in piano and composition from Wilhelm Mayer (also known by his nom de plume, W.A. Rémy). The boy proved an eager learner; his earliest piano pieces date from this period and were submitted with his application for a state scholarship. After assessing the works, the jury (including Brahms, Goldmark, and Hanslick) awarded the pupil a three-year scholarship for his labors. After graduating from high school, Weingartner used the scholarship to study in Leipzig (1881-83). For the moment, however, his sights were not set on becoming a professional musician: besides his instruction at Leipzig Conservatory, where his studies included composition with Carl Reinecke, he took courses in philosophy at the university. His meetings with Wagner, and especially with Liszt, who also became his teacher, inspired him fundamentally and left a mark on most of his large-scale compositions, including his first opera, Sakuntala.

In 1884, having completed his education, Weingartner began a career as a conductor. At first this caused him to move from place to place at roughly two-year intervals (Königsberg, Danzig, Hamburg, Mannheim). Finally, in 1891, he arrived in Berlin, where he was court conductor at the Opera until 1898. He was also in charge of the concerts of the Royal Orchestra, which he directed with much sensitivity and skill, especially as regards repertoire and performers, and which, despite a few mishaps, granted him long-term success. He was also creative in other fields, producing several large-scale musical compositions as well as philosophical essays and publications on the art of conducting.

In 1897-98 Weingartner left the Berlin opera world to become head of the Kaim Orchestra in Munich (the predecessor of the present Munich Philharmonic). Yet he remained in charge of the concerts of the Royal Orchestra until 1906.

From 1900 on Weingartner stood at the zenith of his fame. His conducting style received almost universal acclaim; he advanced to become a recognized authority on Beethoven with his performances of all nine symphonies; and he continued his activities as a writer. In the 1907-08 season he succeeded Gustav Mahler as head of the Vienna Court Opera and took charge of the Vienna Philharmonic. But as before in Berlin, the concert hall proved more to his liking than the opera house; he retired from his position at the Court Opera in 1911 while remaining true to the Vienna Phil until 1927. He also made guest appearances all over the world, including several trips to South America. His life style, noteworthy for his frequent changes of position, places of residence, and, as some biographers disparagingly note, wives (he married five times), entered more tranquil waters in 1927 when he moved to Basel. There he continued to conduct as head of the Basel Orchestra Society and became director of the Conservatory. Now teaching became a main focus of his work. He changed residence twice within Switzerland, moving to Interlaken (1936) and Lausanne (1938). Extended trips with his last wife, Carmen Studer, took him as far as Japan, enriching the final chapter of his life. In March 1942 he gave his final concert in Lausanne, and on 7 May 1942 he died in Winterthur, where his grave is located today.

Those searching for Weingartner on sound recordings will primarily discover him as a performer, particularly of Beethoven (the earliest was made in 1924), where his readings are highly prized by the experts. As Weingartner’s language is that of the orchestra, it comes as no surprise to find that he also made a great many orchestral arrangements. Being an admirer of Schubert, he was particularly concerned with the Symphony in E major (D 729), which was left behind mainly in the form of sketches, and which he orchestrated and presented for the first time to a broader public. His own music, though fairly voluminous, has only gradually taken hold in the record market. Weingartner wrote in practically every genre, leaving behind operas, songs, chamber music, several works for large orchestra (including seven symphonies and two concertos), and a few piano pieces. His idiom, noteworthy for its echoes of Franz Liszt, is also marked by elements of classicism. Though less innovative than the music of such contemporaries as Gustav Mahler, it is by no means uninspired. The accusation of Kapellmeistermusik that Mahler, too, had to suffer in his day, is completely inapplicable.

Relatively little is known about Weingartner’s only violin concerto. Neither his personal notes nor any other contemporary source devotes much attention to it. It was composed in St. Sulpice on Lake Geneva in 1911, probably at the behest of its dedicatee, Fritz Kreisler. It was also Kreisler who played the piece at its première, given in Vienna on 28 October 1912 under the composer’s baton. A few days later a review appeared in the Neue Freie Presse. Julius Korngold, heir to the tradition of Eduard Hanslick and thus a “hardliner” among critics, created a stir by publishing an unreservedly positive review of both the piece and the performance. Nonetheless, the concerto was rarely performed in the years that followed: it was heard in the Netherlands a short while later and in London in 1913 (both times with Kreisler as soloist), and again in Vienna in 1918, this time with the violin teacher Carl Flesch playing the difficult solo part. Like many other late-romantic violin concertos, Weingartner’s work then fell into a deep slumber from which it is gradually awakening, thanks to a recent CD recording by Laurent Albrecht Breuninger (cpo 999 424-2). In the accompanying booklet, Eckhardt van den Hoogen describes the reception history of Weingartner’s op. 52 in tones at once amusing and whimsical, both lamenting and exploiting the scant information available. At the same time, he blames the paucity of post-1912 performances partly on a quarrel between Weingartner’s and Kreisler’s agents.

Weingartner’s Violin Concerto is laid out in the classical three movements. The opening movement, marked Allegro placido, is in sonata form; the second, Andantino quasi allegretto, is a set of variations. Both are fairly conventional in their musical structure, apart perhaps from a few harmonic progressions. The finale, headed Caprice savoyard: Allegro molto deciso, sounds somewhat bolder and more modern, not least because of its rhythmic sophistication. In his memoirs, Weingartner states that the finale was inspired by children moving to a dance tune on a steamship journey to Geneva. The wild runs in the solo part, the changes of meter, and the passages headed Chanson populaire (p. 56 in the score) indeed smack of “Alpine high-spirits” (Caprice savoyard) and the carefree merriment of childhood.

The Violin Concerto appeared in full score and piano reduction from Breitkopf & Härtel in 1912. Strikingly, the traditional transposing instruments are notated at concert pitch in the score. On 24 March 1927, Weingartner took a copy of the print in hand to revise it for a planned new edition that never materialized. But apart from supplying metronome marks for the tempo indications and suggesting that the keys of the transposing instruments be added to the score, he left the musical text unchanged (information kindly supplied by Dr. Simon Obert of Basle).

The present study score thus reproduces the text of the first edition. It is our hope that it will, along with the above-mentioned CD, add further momentum to the concerto’s revival.

Translation: Bradford Robinson

For performance material please contact Breitkopf und Härtel, Wiesbaden.