Niels Gade

(geb. Kopenhagen, 22. Februar 1817 – gest. Kopenhagen, 21.Dezember 1890)

Comala

Dramatisches Gedicht nach Ossian, op. 12

Vorwort

Mit seiner Ballade Comala für Soli, Chor und Orchester (1845/46) versuchte Gade an seine grossen Erfolge anzuknüpfen. Nur wenige Jahre zuvor hatte der Däne nämlich in Leipzig mit der Ossian-Ouvertüre und der Ersten Sinfonie einen unvergleichlichen Triumph errungen, die Kritiker, darunter auch Robert Schumann, waren begeistert von dem „nordischen Charakter“, der diesen eigentümlichen Werken innewohne. So erstaunt es wenig, wenn Gade in seinem neuesten Unterfangen nochmals auf den Themenkreis des fiktiven altgälischen Barden Ossian zurückgriff. Als kleine Selbstreferenz flocht er gar Zitate und Anspielungen an seine Ossian-Ouvertüre ein.

Die Chorballade Comala weist einige Parallelen zu Schumamms Oratorium Das Paradies und die Peri auf, das vermutlich als Vorbild gedient hat. Beide Werke weichen vom traditionellen Konzept des Oratoriums ab, einerseits aufgrund der ungewöhnlichen Stoffwahl, andererseits wegen des vorwiegend deklamatorischen Stils. Bei Gade sind die Melismen praktisch inexistent, der Text ist weitgehend syllabisch vertont, ausserdem ist die herkömmliche Gliederung in drei Teile aufgegeben, Comala präsentiert sich von Anfang bis Ende als ein durchkomponiertes Stück. Die textliche Aufbereitung übernahm der Leipziger Literat Julius Klengel. Der Aufbau der Komposition gliedert sich in zwölf Nummern, vor die Gade eine kurze Orchestereinleitung gesetzt hat.

Einleitung Molto moderato a - Moll

Nr. 1 Chor der Krieger und Barden Allegro non troppo a - Moll

No. 2 Duett Fingal / Comala Andante E - Dur /F - Dur

No. 3 Chor der Krieger Allegro non troppo a - Moll

No. 4 Comala / Chor der Jungfrauen Andantino a - Moll /E - Dur / F - Dur

No. 5 Ballade Dersagrena / Chor der Jungfrauen Andante D - Dur

No. 6 Comala / Melicoma / Dersagrena / Chor der Jungfrauen Moderato/Allegro non D - Dur / B - Dur / g - Moll troppo/ Più allegro

No. 7 Chor der Geister Allegro moderato c - Moll

No. 8 Solo Comala Andante c - Moll / C - Dur

No. 9 Chor der Krieger Allegro non troppo E - Dur

No. 10 Fingal / Chor der Jungfrauen Andante con moto c# - Moll

Nr. 11 Fingal / Chor der Jungfrauen und Barden Andantino/Allegro maestoso e - Moll / E - Dur

No. 12 Chor der Barden und Jungfrauen Allegro moderato maestoso C - Dur

Dramaturgisch unterteilt sich die Textvorlage in drei Abschnitte: Der losziehende Kriegerchor versetzt den Zuhörer gleich mitten in die Geschehnisse („Auf in die Schlacht“), während sich Fingal und Comala in einem Liebesduett voneinander verabschieden. Im Schlussabschnitt (Nr. 9-12) kehren die Krieger den Sieg bejubelnd zurück, doch Fingal erfährt vom Tod seiner Geliebten und ordnet den Barden und Jungfrauen die Lobpreisung Comalas an, um ihre Seele zu den Ahnen zu geleiten. Dagegen vollzieht sich im mittleren Abschnitt (Nr. 4-8) das tragische Schicksal der zurückgelassenen Comala, die, um ihren Geliebten bangend, allmählich dem Wahnsinn verfällt und schliesslich vor lauter Kummer stirbt.

Auf der einen Seite verwendet Gade traditionelle Liedformen, daneben finden sich aber auch dramatischere, szenenhafte Einlagen, wie etwa das Liebesduett zwischen Fingal und Comala, wo nach einem einleitenden Rezitativ die zuerst alternierende und dann simultane Stimmführung der Solisten spürbar auf Opernkonventionen zurückgreift. Eine eminente Rolle spielen in Comala die Chöre, gerade einmal zwei Nummern kommen ohne einen solchen aus; die Krieger, Barden und Jungfrauen sind entscheidende Handlungsträger. Daraus stechen besonders der Geisterchor und der Bardenchor hervor.

Der Geisterchor ist im Gegensatz zu den anderen Chören weniger Handlungsträger denn Erscheinung und bringt ein spukhaftes Element in den dramatischen Ablauf. Gade behandelt diesen Chor interessanterweise nicht als blosse Gesangsgruppe mit Textgrundlage, vielmehr weitet er ihn zu einem klanglichen Instrument aus und bezieht ihn in die dramatische Klangkulisse ein. Der Vortragstil ist nicht deklamatorisch, sondern lautmalerisch, teilweise an Vokalisen grenzend. Vor dem Hintergrund eines schleierhaften Gewebes in den Violinen und der Harfe setzt zuerst die Bassstimme im piano ein – später verdoppelt durch den Tenor – und imitiert in punktierten Melismen das stürmische Wogen und wohl auch die eigene gespenstische Wesenhaftigkeit. Die weiblichen Oberstimmen verharren unterdessen als harmonischer Klangteppich auf langen Liegenoten. Zur reinen, fast geräuschhaften Klangerzeugung reduziert, scheint der Geisterchor besonders dann, wenn er jeweils – meistens auf ein und derselben Silbe – unvermittelt dynamisch zu einem forte anschwillt und in langen Noten allmählich verhallt.

Der Chor der Barden repräsentiert dagegen gewissermassen eine Spezialität Gades, eine kompositorische Signatur. In mehreren Frühwerken tritt dieses stilistische Modell in rein instrumentaler Form auf: Ein feierlicher Hymnus im unisono wird begleitet von markanten, arpeggierten Akkordschlägen, die zwischen Dur und Moll vagieren.

Image256.PNGEin ähnlicher Erfolg wie zu Beginn seiner Karriere blieb Gade verwehrt, doch anfänglich stiess Comala auf enthusiastische Kritik. Schumann verstieg sich sogar zu der Behauptung, es sei „gewiss das bedeutendste [Stück] der Neuzeit, das einzige, was einmal wieder einen Lorbeerkranz verdient“.1 Andere erhofften sich von dem neuen Werk „Ausgezeichnetes von [Gade] in Zukunft für die Oper“2. Ausserdem nahmen manche auch hier ein nordisches Idiom wahr, man zeigte sich fasziniert von der „nationalen Behandlungsweise“3 und glaubte „wirkliche Nationalmelodien“4 zu erkennen.

Michael Matter, 2013

1 Brief Schumanns an Brendel, Dresden 3. [5.] Juli 1848, in: F. Gustav Jansen (Hrsg.), Robert Schumanns Briefe, 1904, S. 285f.

2 NZfM, Bd. 24, Nr. 30, 12. April 1846, S. 120.

3 Die Grenzboten, Jg. 9, Semester 2, Bd. 2, Nr. 47, 1850, S. 814.

4 RhMZ, Jg. 1, Nr. 23, 7. Dezember 1850, S. 181.

Comala reveals several parallels to Schumann’s oratorio Das Paradies und die Peri, which Gade probably took as his model. Both works depart from the traditional cokncept of an oratorio, first in their unusual choice of subject-matter, second in their predominantly declamatory style. In Gade’s case, melismas are practically nonexistent; the text is set largely syllable by syllable, and the conventional tripartite subdivision is abandoned, turning Comala into a through-composed piece from beginning to end. The libretto was prepared by the Leipzig littérateur Julius Klengel. The composition falls into twelve numbers preceded by a brief instrumental introduction:

Introduction Molto moderato A mi.

No. 1 Chorus of Warriors and Bards Allegro non troppo A mi.

No. 2 Duet, Fingal and Comala Andante E ma./F ma.

No. 3 Chorus of Warriors Allegro non troppo A mi.

No. 4 Comala/Chorus of Maidens Andantino A mi/E ma./F ma.

No. 5 Ballad Dersagrena/Chorus of Maidens Andante D ma.

No. 6 Comala/Melicoma/Dersagrena/Chorus of Maidens Moderato/Allegro non D ma./Bb ma./G mi.

troppo/ Più allegro

No. 7 Chorus of Ghosts Allegro moderato C mi.

No. 8 Solo, Comala Andante C mi./C ma.

No. 9 Chorus of Warriors Allegro non troppo E ma.

No. 10 Fingal/ Chorus of Maidens Andante con moto C# mi.

No. 11 Fingal/Chorus of Maidens and Bards Andantino/Allegro maestoso E mi./E ma.

No. 12 Chorus of Bards and Maidens Allegro moderato maestoso C ma.

The dramatic structure of the libretto falls into three sections. The departing Chorus of Warriors transports the listener directly into the middle of the action (“On to the fray”), while Fingal and Comala take leave of each other in a love duet. In the final section (nos. 9-12), the Warriors return joyously from their victory, but Fingal, learning that his beloved Comala has died, orders the Bards and Maidens to sing her praises and escort her soul to the ancestors. In contrast, the middle section (nos. 4-8) depicts the tragic fate of the abandoned Comala, who, fearful for her lover, gradually descends into madness and finally dies of sorrow.

Though Gade employs traditional song forms, we also find inserted scenas of a more dramatic nature. One example is the love duet between Fingal and Comala, where, in an obvious nod to operatic convention, an introductory recitative is followed by the two singers, first in alternation and then together. Choruses play a decisive role in Comala; only two numbers dispense with them entirely. The Warriors, Bards, and Maidens are crucial vehicles of the plot, with the Chorus of Ghosts and the Chorus of Bards standing out in particular.

Unlike the other choruses, the Chorus of Ghosts is less a vehicle of the plot than a vision, adding an element of the supernatural to the course of the drama. Interestingly, rather than treating this chorus as a simple group of singers with an underlying text, Gade enlarges it into a sonic instrument and relates it to the backdrop of the drama. The delivery, rather than being declamatory, is onomatopoeic, at times bordering on vocalise. Accompanied by a veiled texture of violins and harp, the bass voice first enters piano (later it is doubled by the tenor), imitating the tempestuous waves and probably its own ghastly existence in dotted melismas. While this is going on, the upper women’s voices sing a harmonic tapestry of long sustained notes. When the Chorus of Ghosts unexpectedly swells to a forte and gradually ebbs away in long notes (usually on a single syllable), it seems reduced to pure sound, almost to noise.

In contrast, the Chorus of Bards is what one might call a Gade specialty, an artistic fingerprint. This stylistic model occurs in several of his early works in purely instrumental form: a solemn unisono hymn accompanied by striking arpeggiated chordal hammerblows vacillating between major and minor:

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Though Gade was not granted the same acclaim as in his early career, Comala at first drew rave reviews from the critics. Schumann even went so far as to assert that it was “surely the most significant piece of recent times, the only one again deserving of a laurel wreath.”1 Others opined that the new work would be followed in the future by “excellent pieces for the operatic stage.”2 Still others detected a Nordic idiom here as well and were enthralled by the “national treatment,”3 claiming to discover “genuine national melodies.”4

Translation: Bradford Robinson

1 Letter from Schumann to Brendel, dated Dresden, 3 [5] July 1848, in F. Gustav Jansen, ed.: Robert Schumanns Briefe (Leipzig, 1904), pp. 285f.

2Neue Zeitschrift für Musik 24, no. 30 (12 April 1846), p. 120.

3 Die Grenzboten 9, Semester 2, vol. 2, no. 47 (1850), p. 814.

4 Rheinische Musik-Zeitung 1, no. 23 (7 December 1850), p. 181.