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Siegfried Wagner

(geb. Tribschen, 6. Juni 1869 – gest. Bayreuth, 4. August 1930)

Vorspiel zu

„Der Friedensengel“

(1914)

Vorwort

Siegfried Helferich Richard Wagner wurde als einziger Sohn Richard und Cosima Wagners in Tribschen bei Luzern am 6. Juni 1869 geboren. Richard Wagner verarbeitete sein Glück über die Geburt seines Sohnes mit der Komposition seines „Siegfried Idylls“. Siegfried hatte zunächst den Wunsch, Architektur zu studieren, begann dann aber 1889 bei Engelbert Humperdinck Harmonielehre und Kontrapunkt zu erlernen. Nach einem Jahr war Humperdinck bereits der Meinung, er könne ihm nichts mehr beibringen und er solle nun schon auf eigenen Füssen stehen.

Im Bayreuther Markgräflichen Opernhaus debütierte er 1893 als Orchesterleiter und leitete in den folgenden Jahren zahlreiche Konzerte in Rom, London, Budapest, Leipzig und Wien. Als Dirigent des „Ring des Nibelungen“ 1896 in Bayreuth wurde er von Gustav Mahler in höchsten Tönen gelobt. 1899 wurde seine erste Oper „Der Bärenhäuter“ mit sensationellem Erfolg uraufgeführt. In den folgenden Jahren komponierte und dichtete der rastlose Siegfried mehrere Opern (Herzog Wildfang 1900, Der Kobold 1903, Bruder Lustig 1904, Sternengebot 1905, Banadietrich 1909), die auch mehrfach aufgeführt wurden. Dennoch nahm die Öffentlichkeit ihn zumeist als Sohn Richard Wagners und Enkel von Franz Liszt wahr, insbesondere als er 1908 schließlich die alleinverantwortliche Leitung der Bayreuther Festspiele übernahm und dort sowohl Aufführungen dirigierte als auch inszenierte. So äußerte Arnold Schönberg sich 1912 über ihn: „Der Sohn dieses Vaters, der übrigens als Künstler zweifellos das Opfer einer pedantischen Theorie ist, der nicht nach seinem Eigenwert geschätzt, sondern nach einem vermeintlichen Naturgesetz, demzufolge ein bedeutender Mann keinen bedeutenden Sohn haben darf, obwohl Johann Sebastian Bach zwei sehr bedeutende Söhne hatte und obwohl Siegfried Wagner ein tieferer Künstler ist, als viele, die heute sehr berühmt sind“. Dieses Phänomen zeigt sich auch darin, dass Siegfried 1913 zum Bayreuther Ehrenbürger ernannt wurde, allerdings als Sohn Richard Wagners.

Während des 1. Weltkrieges fanden in Bayreuth keine Aufführungen statt. 1915 heiratete Siegfried Wagner die 28 Jahre jüngere Winifred Williams. Aus dieser Ehe stammen vier Kinder (Wieland, Friedelind, Wolfgang und Verena). Zwei Jahre später konnte er noch einmal mit seiner neuen Märchenoper „An allem ist Hüttchen schuld“ an seinen Erfolg des Bärenhäuters anknüpfen. Davor entstanden weitere Opern (Schwarzschwanenreich 1910, Sonnenflammen 1912, Der Heidenkönig 1913, Der Friedensengel 1914), diese wurden allerdings erst nach dem Krieg uraufgeführt.

Die Festspiele wurden 1924 mit den „Meistersingern von Nürnberg“ wiedereröffnet, nachdem Siegfried Wagner mit viel Engagement (u.a. zahlreiche Konzerte) das Geld dazu aufgebracht hatte. Den deutschnationalen Kreisen, die immer mehr Einfluss in Deutschland gewannen, stand er ablehnend gegenüber. So verbot er nach Aufführungen der Meistersinger das Deutschlandlied zu singen. Der Aufforderung, keine Juden in Bayreuth als Künstler oder Zuschauer zuzulassen, tritt er entgegen: „Sie wollen, daß´ wir alle diesen Menschen die Türen verschließen, sie nur aus dem Grund, daß sie Juden sind zurückweisen. Ist das menschlich? Ist das christlich? Ist das deutsch? Nein!“ Auch gegenüber Adolf Hitler, den Siegfried 1923 kennenlernte, verhielt er sich ablehnend. Durch seine aufopferungsvolle Arbeit für die Werke seines Vaters findet er nicht mehr so viel Zeit zum Komponieren. Es enstanden noch fünf weitere Opern (Der Schmied von Marienburg 1920, Rainulf und Adelasia 1922, Die heilige Linde 1927, Wahnopfer 1927 und Das Flüchlein, das jeder mitbekam 1929), zum Teil wurden diese Werke allerdings erst viele Jahre nach Siegfrieds Tod uraufgeführt (Die heilige Linde erst 2001). Ein Grund war sicherlich die Intervention von Siegfrieds Frau Winifred, die 1931 die Gründung einer „Siegfried-Wagner-Gesellschaft“ verbot und sich gegen Aufführungen von Werken ihres verstorbenen Mannes vehement wehrte.

Siegfried Wagner starb am 4. August 1930, nachdem er am 17. Juni bei einer Probe zum 2. Aufzug der „Götterdämmerung“ einen Herzinfarkt erlitten hatte.

Siegfried Wagner übernahm zwar manche kompositorische Aspekte seines Vaters, z.B. die Leitmotivtechnik, wie auch viele weitere Komponisten seiner Zeit, fand aber zu seiner eigenen musikalischen Sprache. Neben seinen Opern schuf Siegfried Wagner eine Sinfonie, drei Sinfonische Dichtungen, ein Concertino für Flöte und Orchester, ein Violinkonzert, eine Ballade für Bariton und Orchester sowie Lieder.

*

Die Oper „Der Friedensengel“ entstand in den Jahren 1913/1914, und 1916 erschien sie im Druck. Die erste Aufführung des Werkes fand jedoch erst 1926 in Karlsruhe statt.

Siegfried Wagner trug sich häufiger mit Selbstmordgedanken, da er seinen homosexuellen Neigungen nur im Verborgenen nachgehen konnte und zudem sein Leben lang damit erpresst wurde. Diese Problematik verarbeitete er in seiner Oper „Der Friedensengel“, zu der er, wie stets, auch den Text dichtete. Da die Handlung die Themen freie Liebe und den Freitod aufgreift, verlegte er sie in das 16. Jahrhundert, da diese Thematik in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg noch sehr brisant war, außerdem weist der Text antiklerikale Tendenzen auf.

Im Zentrum der Handlung steht die Verweigerung der kirchlichen Bestattung für den durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Willfried. Seine Gattin gab ihn nicht frei für seine Liebe zu Mita. Siegfried Wagner umreißt selber die Handlung wie folgt: „Haß allwärts, unselger Wahn´ erfüllt die Welt, und bis über den Tod hinaus verfolgt er die Menschen, nicht achtend der heiligen Ruhe der Erde. Willfried, Erunas Gatte, den die Liebe zu der lebenssprühenden Mita vom überbrachten Sittengesetz entfernt, sieht, da ihn seine angetraute Frau nicht freigeben will, als Ausweg nur den Tod von eigener Hand, der einzig ihm den Frieden geben kann. So glaubt er den bitteren Kelch irdischer Leiden, der ihm und den beiden Frauen, die ihn liebten, bereitet ist, zu überwinden. Durch des Todes Pforte drängt es ihn zu einer anderen Welt, dem Paradies der Liebe, der Erlösung vom Haß der Menschen. Aber bis über sein Ende hinaus verfällt auch er dem dunkeln Wahn der Kirche und des aufgestachelten Volkes, die dem Weltflüchtigen keine Ruhe in geweihter Erde lassen wollen. Da nahen Gottes Engel mit der Botschaft, daß himmlische Liebe den Irrtum des Wahnbefangenen vergibt und ihm hehren Frieden schenkt. Anbetend sinkt die Menge vor dem wahren Friedensengel nieder und benedeit Gottes Sohn, der durch seinen Liebestod menschliches Irren und Wähnen zu himmlischen Frieden führt“.

Die Ouvertüren und Vorspiele zu seinen Opern sind im Vergleich zu denen seiner Zeitgenossen ungewöhnlich umfangreich. In ihnen zeigt sich besonders Siegfried Wagners Neigung zum Symphonischen. So haben die Vorspiele zu seinen letzten vier Opern alle eine Spieldauer von über 15 Minuten! „Vielleicht kann man es auch den verschiedenen Vorspielen zu meinen Opern, ja selbst meinen Dichtungen anmerken, daß dem Verfasser Sinn für Architektonik innewohnt“ so Wagner in seinen 1923 erschienenen Erinnerungen.

Das Vorspiel zu „Der Friedensengel“ ist an die Sonatenhauptsatzform angelehnt. Es beginnt sofort mit dem Hauptthema in a-Moll. In der Oper ist es das Thema der Friedensmahnung. Im weiteren Verlauf wird dieses fugiert. Bei Ziffer 3 erklingt das achttaktige Seitenthema in A-Dur. Es ist das Thema des Friedensengels. Direkt im Anschluss erstreckt sich ein durchführungsartiger Abschnitt. Die Reprise, mit dem Aufgreifen des Hauptthemas in der Grundtonart, wird dann bei Ziffer 8 erreicht. Die kurze Coda beginnt in Ziffer 11 und wird harmonisch durch chromatische Rückungen bestimmt, die schließlich zu einem C-Dur Schlussakkord führen.

Das Vorspiel verwendete Wagner noch einmal als zweiten Satz seiner 1925 komponierten Symphonie. Doch Siegfrieds Frau Winifred überwarf sich mit seinem Freund Carl Giessel, dem Verleger aus Bayreuth, der die meisten Werke Siegfried Wagners druckte. Dieser beharrte auf seinen Rechten zu „Der Friedensengel“. Da die Symphonie bei Hanfstengl in München erscheinen sollte, musste Siegfried Wagner einen völlig neuen zweiten Satz komponieren.

Spieldauer: ca. 12. Minuten

Marcus Prieser, 2013

Wegen Aufführungsmaterial wenden sie sich bitte an Brockhaus, Remagen

Siegfried Wagner

(born Tribschen, 6 June 1869 – died Bayreuth 4 August 1930)

Prelude to

“Der Friedensengel”

(1914)

Preface

Siegfried Helferich Richard Wagner was born in Tribschen near Luzern on the 6th of June 1869 as the only son of Richard and Cosima Wagner. Richard Wagner expressed his joy about the birth of his son with the composition of his “Siegfried Idyll”. Siegfried initially wished to study architecture, but then began in 1889 to study harmony and counterpoint with Engelbert Humperdinck. After just one year Humperdinck felt he could not teach him any more, and he should now manage on his own.

His first appearance was in the Markgräfliches Opernhaus in Bayreuth in 1893 as a conductor and he conducted in the following years numerous concerts in Rome, London, Budapest, Leipzig and Vienna. Gustav Mahler highly praised him for conducting the “Ring des Nibelungen” 1896 in Bayreuth. In 1899 his first opera “Der Bärenhäuter” had a sensational first production. In the following years the tireless Siegfried composed and wrote several operas (Herzog Wildfang 1900, Der Kobold 1903, Bruder Lustig 1904, Sternengebot 1905, Banadietrich 1909) that were also performed several times. However, the public perceived him mostly as the son of Richard Wagner and the grandson of Franz Liszt, particularly as he took over the sole directorship of the Bayreuth Festspiele in 1908 and there conducted and produced the performances. Thus Arnold Schönberg said of him in 1912: “The son of this father, who by the way as an artist is certainly the victim of a pedantic theory, who is not valued for his own worth, but following a presumptive law of nature, according to which, a famous man may not have a famous son, although Johann Sebastian Bach had two very significant sons, and although Siegfried Wagner is a more profound artist, than many who are very famous today.” This phenomena is also apparent in that Siegfried was made an honorary citizen of Bayreuth in 1913, as the son, however, of Richard Wagner.

During the First World War no performances took place in Bayreuth. 1915 Siegfried Wagner married Winifred Williams, who was 28 years his junior. They had four children (Wieland, Friedelind, Wolfgang and Verena). Two years later, with his new fairytale opera “An allem ist Hüttchen schuld”, he was able to repeat his success of the Bärenhäuter. Before that, there were other operas (Schwarzschwanenreich 1910, Sonnenflammen 1912, Der Heidenkönig 1913, Der Friedensengel 1914), these were however first performed after the war.

The Festspiele were reopened in 1924 with the “Meistersinger von Nürnberg”, after Siegfried Wagner with much commitment (for example many concerts) had provided the necessary funds. He was critical of the German national circles which gained ever more influence in Germany. He thus forbade the singing of the Deutschlandlied after the performance of the Meistersinger. He opposed the request to refuse Jews acess in Bayreuth as artists or audience: “They wish that we shut the door to all these people, to reject them, just because they are Jews. Is that human? Is that Christian? Is that German? No!” He was also reserved in respect to Adolf Hitler, whom Siegfried met in 1923. Because of his extensive work for the works of his father he did not find so much time to compose. Five more operas appeared (Der Schmied von Marienburg 1920, Rainulf und Adelasia 1922, Die heilige Linde 1927, Wahnopfer 1927 and Das Flüchlein, das jeder mitbekam 1929), some of these works were however first performed only many years after Siegfried’s death (Die heilige Linde first in 2001). One reason was certainly the intervention of Siegfried’s wife Winifred, who forbade in 1931 the formation of a “Siegfried-Wagner-Society” and fiercely resisted the performance of the works of her deceased husband.

Siegfried Wagner died on the 4th of August 1930, after he had suffered a heart attack on the 17th of June during a rehearsal for the second act of the Götterdämmerung.

Siegfried Wagner used many aspects of his father’s style of composition, for example the technique of Leitmotiv, as many other composers of his time, but found his own musical language. In addition to his operas Siegfried Wagner composed a symphony, three symphonic poems, a concertino for flute and orchestra, a violin concerto, a ballade for Baritone and orchestra as well as songs.

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The opera “Der Friedensengel” was written in the years 1913 / 1914 and was printed in 1916. The first performance, however, of the work took place in Karlsruhe only in 1926.

Siegfried Wagner often thought of suicide, as he could only pursue his homosexual tendencies in secret and as a result was all his life blackmailed. He explored this theme in his opera “Der Friedensengel”, for which, as always, he also wrote the text. As the plot takes up the themes of free love and suicide, he places it in the 16th century, as these subjects were very delicate in the period before the Great War. In addition the text has anti clerical tendencies.

In the centre of the plot is the refusal of a church burial for Willfried, who had committed suicide. His wife had not released him for his love for Mita. Siegfried Wagner describes the plot as follows: “Hate everywhere, unholy madness fills the world, and it pursues mankind beyond death not respecting the holy peace of the earth. Willfried, husband of Eruna, who’s love for the lively Mita distances him from the traditional moral laws, and who’s wife does not let him go, sees suicide as the only way to gain peace. Thus he believes that he can overcome the bitter chalice of worldly suffering, that is inflicted on him and the two women who love him. He aspires to pass through the gate of death to another world, the paradise of love, deliverance from human hate. But beyond his death he is a victim of the dark mania of the church and the manipulated people, who do not want to give the peace of consecrated earth to him, who has fled the world. God’s angels approach with the message that heavenly love forgives the error of the one caught in madness and gives him pure peace. The mass kneels and prays before the true angel of peace and praises the son of God, who through his death of love leads from human error and delusions to heavenly peace.”

The overtures and introductions to his operas in comparison to his contemporaries are unusually extensive. In them Siegfried Wagner shows his particular affinity to the symphonic. Thus the introduction to his last four operas all have a duration of over 15 minutes! “Perhaps one can recognise from the various introductions to my operas and even from my poems that the composer possesses a faible for architecture”, thus wrote Wagner in his memoires from 1923.

The introduction to “Der Friedensengel” is similar to the principal sonata theme form. It starts immediately with the main theme in a-minor. In the opera it is the theme of the admonition for peace. Subsequently this forms a fugue. At number 3 the eight bar side theme in A-major appears. It is the theme of the angel of peace. Directly afterwards there is a transitional section. The reprise, with the return of the main theme in the original key, is then reached at number 8. The short coda starts at number 11 and is harmonically characterized by chromatic steps, which finally leads to a C-major final cord.

The introduction was used by Wagner as the second movement of his symphony composed in 1925. However Siegfried’s wife Winifred fell out with his friend Carl Gissel, the publisher from Bayreuth, who published most of Siegfried Wagner’s works. He insisted on his rights to “Der Friedensengel”. As the symphony was to be published by Hanfstengl in Munich, Siegfried Wagner was obliged to compose a completely new second movement.

Duration of performance about 12 minutes.

Translation: John Conrad

For performance material please contact Brockhaus, Remagen.