Robert Schumann

(geb. Zwickau, 8. Juni 1810 - gest. Endenich, 29. Juli 1856)

Märchenbilder, op. 113

Orchestriert von Max Erdmannsdörfer (1877)

erschienen bei Leuckart, Leipzig

Die Märchenbilder für Klavier und Viola op. 113 schrieb Robert Schumann zwischen dem 1. und 4. März 1851. Es handelt sich um eine Folge von vier Charakterstücken in der seltenen Besetzung Viola und Klavier:

1. “Nicht schnell” 3/4-Takt, d-Moll

2. “Lebhaft” 2/4-Takt, F-Dur

3. “Rasch” 2/4-Takt, d-Moll/H-Dur

4. “Langsam, mit melancholischem Ausdruck” 3/8-Takt, D-Dur

Das Werk kam im Juni/Juli 1852 im Kasseler Verlag Carl Luckhardt heraus. Dort waren bereits die Fantasiestücke op. 73 und die Fünf Stücke im Volkston op. 102 erschienen. Uraufgeführt wurden die Märchenbilder in Bonn am 12. November 1853 von Clara Wieck-Schumann und Wilhelm Joseph von Wasielewski, dem Widmungsträger und späteren Biographen Schumanns. Schumann selbst bietet alternativ eine Ausführung mit Violine an. Aber natürlich haben sich auch die Cellisten des Werkes bemächtigt.

Der poetische Gehalt des Titels ist verschieden gedeutet worden. Zwar gibt es keine benennbaren Märchentexte, doch zeigt der Titelkupfer des Erstdrucks die Szene einer Märchenerzählung im familiären Kreis, die unverkennbar dem Titelbild der Grimm’schen Märchensammlung nachempfunden ist. In die selbe Richtung zielt eine von Wasielewski überlieferte Bemerkung Schumanns nach einer Aufführung: “Kinderspäße, es ist nicht viel damit”.1

Andere Kommentatoren greifen auf Schumanns jugendliche Selbstpoetisierung als Florestan und Eusebius in einer musikalischen Phantasiewelt zurück. Hiernach wären das erste und vierte Stück dem nachdenklichen Eusebius, das zweite dem stürmischen Florestan zuzuordnen, während im dritten die beiden Personen unmittelbar aufeinandertreffen. Ihre Distanz wird durch die fast unüberwindlich erscheinende Entfernung von d-Moll zu H-Dur fühlbar gemacht.

Schumann hat bald darauf erneut die Sphäre des Märchenhaften betreten, in den Märchenerzählungen op. 132, und schon die Bilder aus Osten op. 66 beziehen sich auf eine arabische, von Rückert übersetzte Märchenwelt. Man kann insofern vermuten, daß Schumann gerne einen literarisch-romantischen Projektionsraum benutzt und auch bescheiden auftretende und biedermeierlich wirkende Kammermusik poetisiert gedacht, d.h. emotional aufgeladen hat.2 Er kultiviert die Leidenschaft des Details.

Einer Orchestrierung steht dies gleichwohl nicht entgegen, sondern diese bietet dem Bearbeiter Gelegenheit, die Details durch farbliche Nuancierung noch besser zur Geltung zu bringen.

Erdmannsdörfer hat den Zyklus recht zeitnah zur Entstehung aus der Nische für seltene Kammermusikbesetzungen geholt und ins helle Licht des Orchesters gestellt. Die Sprödigkeit und Versponnenheit von Schumanns Spätwerk wird hier mühelos transzendiert. Erdmannsdörfer ist so stilsicher vorgegangen, daß kaum ein Unterschied zu Schumanns Orchestrierungspraxis zu bemerken ist. Der Notentext bleibt unverändert. Die Wiederholungspassage in Nr. 2 bei D ist etwas mißverständlich notiert. Prima volta ist vor dem zweiten Wiederholungszeichen statt der Achtelpause jenes überhängende Achtel Es in den Geigen zu spielen, das vor das erste Wiederholungszeichen gesetzt ist.

Die zusätzlichen dynamischen Hinweise Erdmannsdörfers können auch für die Ausführung in der Originalbesetzung von Nutzen sein.

Gerhard Bachleitner, 2012

1 W. J. v. Wasielewski, Robert Schumann, (Leipzig 1906, S.417).

2 Man mag hier als Schaffensimpuls zugleich Selbstdarstellung und Verständigung in einer (mit)geteilten fiktionalen Welt erkennen, wodurch “erklärbar wird, warum in ein und demselben Werk, eben den Märchenbildern, überhaupt etwas als Befindlichkeits- und Stimmungsraum musikalisch zugelassen und typologisch realisiert wird, was die gesellschaftliche Realität ansonsten entweder als krank etikettiert oder als kuriose häusliche Betulichkeit abtut.” Volker Kalisch, In: Helmut Loos (Hg.): Robert Schumann- Interpretationen seiner Werke Bd. 2, Laaber 2005, S.213

(b. Zwickau, 8 June 1810 - d. Endenich, 29 July 1856)

Märchenbilder, op. 113

Orchestrated by Max Erdmannsdörfer (1877)

published by Leuckart, Leipzig

Robert Schumann composed his Märchenbilder, op. 113, between 1 and 4 March 1851. It is a set of four character pieces for the unusual combination of viola and piano:

1. “Nicht schnell” (Not fast), 3/4 meter, D minor

2. “Lebhaft” (Lively), 2/4 meter, F major

3. “Rasch” (Quickly), 2/4 meter, D minor/B major

4. “Langsam, mit melancholischem Ausdruck”

(Slow, with melancholy expression), 3/8 meter, D major

The work was published in June or July 1852 by the Kassel firm of Carl Leuckhart, which had already issued Schumann’s Fantasy Pieces (op. 73) and Five Pieces in Folk Style (op. 102). It received its première in Bonn on 12 November 1853, when it was played by Clara Wieck-Schumann and the dedicatee, Schumann’s later biographer Wilhelm Joseph von Wasielewski. Schumann himself provided an alternative version for violin, and it goes without saying that cellists have also made the work their own.

The poetic import of the title, “Fairy-Tale Pictures,” has been variously interpreted. No particular fairy-tales are mentioned, but the title-page engraving of the first edition shows a family circle reading a fairy-tale – an image undoubtedly patterned after the title illustration of Grimm’s Fairy-Tales. The same general drift is found in a comment that Schumann, according to Wasielewski, made after a performance: “Children’s jokes; there’s not much to them.”1

Other commentators refer to Schumann’s youthful self-depiction of himself as Florestan and Eusebius in an imaginary world of music. In this reading, the first and fourth pieces should be assigned to the contemplative Eusebius and the second to the impetuous Florestan, while both figures join forces in the third. The distance between them is perceptible in the almost insurmountable remoteness of D minor from B major.

A short while later Schumann returned to the realm of fairy-tale in Märchenerzählungen (op. 132). Even Bilder aus Osten (op. 66) relates to a world of Arabian fairy-tales translated by Rückert. It is thus safe to say that Schumann had a fondness for using a romantic literary foil, and conceived even unassuming petty-bourgeois chamber music in poetic terms with an emotional gravitas.2 He cultivated a passion for detail.

None of this poses an obstacle to the work’s orchestration; indeed, it gives the orchestrator an opportunity to highlight details further through nuances of color.

Shortly after the work’s publication, Erdmannsdörfer rescued it from its niche among rare chamber formats and placed in the bright glare of the orchestra, effortlessly transcending the angularity and whimsy of Schumann’s late music. He proceeded with such a sure sense of style that the results hardly differ from Schumann’s own orchestral writing. The musical fabric was left unchanged. The repeat at D in No. 2 is ambiguously notated. The first time through, the dangling eighth-note in the violins before the first repeat sign should by played before the second repeat sign instead of the eighth-note rest. Erdmannsdörfer’s additional dynamic marks may also be helpful for a performance of the original version.

Gerhard Bachleitner, 2012

1 W. J. von Wasielewski: Robert Schumann (Leipzig, 1906), p. 417.

2 The creative impulse may have been self-display and communication within a shared fictional universe. This would “explain why one and the same piece, the Märchenbilder, permit and typologically implement something as a world of mood and feeling that would otherwise, in social reality, either be labeled sickly or dismissed as curious domestic fussiness.” Volker Kalisch, in Helmut Loos, ed.: Robert Schumann: Interpretationen seiner Werke 2 (Laaber, 2005), p. 213.