Niels Wilhelm Gade

(geb. Kopenhagen, 22. 2. 1817 - gest. Kopenhagen, 21. 12. 1890)

Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 25

Julius Rietz gewidmet

Besetzung: 3 Fl. – 2 Ob. – 2 Klar. – 2 Fg. – 4 Hr. - 2 Trp. – 3 Pos.

Klavier – Pauke – Streicher

I. Allegro con fuoco p.1

II. Andante sostenuto p.59

III. Scherzo. Allegro molto vivace p.87

IV. Finale. Andante con moto. Allegro vivace p.144

Aufführungsdauer: ca. 28 Minuten

Niels Wilhelm Gade komponierte Ende 1852 seine fünfte Sinfonie als Überraschung für Sophie Hartmann, der Tochter des einflussreichen dänischen Komponisten Johann Peter Emilius Hartmann, die Gade im April geheiratet hatte. Am 11. Dezember 1852 fand die Uraufführung der d-Moll-Sinfonie in Kopenhagen im Musikverein unter Gades eigener Leitung statt. Kurz darauf verließen der Komponist und seine Ehefrau Dänemark zu einer längeren Hochzeitsreise mit Ziel Deutschland und besonders Leipzigs, Gades alter Wirkungsstätte. Dieser Zusammenhang wird auch durch den Widmungsträger der Sinfonie hergestellt: der mit Gade befreundete Julius Rietz war als Nachfolger des Dänen 1848 nach Leipzig berufen worden, um dort die Gewandhauskonzerte zu leiten. Mit ihm war Gade übereingekommen, die letzten Konzerte in der Saison 1852/1853 zu dirigieren. Mit der nachfolgenden Sinfonie Nr. 6 g-Moll hängt die d-Moll-Sinfonie in Gades Biographie und Schaffen schicksalhaft zusammen. Während letzteres Werk sein Lebensglück nach der Hochzeit mit Sophie Hartmann ausdrückte, brachte ihr überraschender Tod im Jahr 1855 nach der Geburt von Zwillingen das Versiegen des sinfonischen Schaffen des Dänen für mehrere Jahre mit sich. Dieser Zustand löste sich erst 1857 mit der Komposition der im Charakter zerrissen wirkenden sechsten Sinfonie auf.

Die Besonderheit der Sinfonie Nr. 5 zeigt sich in der Nutzung eines Klaviers. Die Stimme ist allerdings nicht solistisch angelegt, so dass es sich nicht um einen konzertanten Part handelt. Vielmehr wirkt das das Klavier als zusätzliche Klangfarbe im sinfonischen Orchester. Vermutlich gilt Gades Werk als erste Sinfonie oder eine der ersten Sinfonien in der Musikgeschichte, in der das Klavier als Orchesterinstrument genutzt wurde. Gleichwohl hatte Gade bereits in der kurz zuvor entstandenen Frühlingsphantasie op. 23 für Soli und Orchester – ebenfalls ein Geschenk an seine frisch Verheiratete – das Klavier in den Orchesterapparat eingebettet.

Die für die damalige Zeit als Kuriosität zu bezeichnende Tatsache, dass ein Klavier als Orche-sterinstrument dienen sollte, liefert sicherlich eine Erklärung dafür, dass die Sinfonie mit relativ gespaltener Meinung aufgenommen wurde. Bereits bei der Aufführung im Leipziger Ge-wandhaus 1853 reagierte das Publikum irritiert und überfordert, wie Sophie Gade sich in einem Brief an Gades Vater erinnerte: „Du kannst mir glauben, dass die Leute große Augen machten, es stand auf dem Plakat nämlich nichts von dem Klavier. Im ersten Satz waren sie deshalb im Kopf etwas durcheinander, der zweite dagegen entfaltete seine volle Wirkung und so öffneten sich ihnen die Augen, dass doch so etwas möglich und auch vergnüglich sein könne.“

Die Irritation des Publikums erklärt sich durchaus aus dem eigentlichen Stellenwert des Klaviers im 19. Jahrhundert heraus. Das so eng mit der bürgerlichen Kultur verbundene Instrument, Symbol einer höheren Bildung und insbesondere durch Franz Liszt zum virtuosen „Teufelswerkzeug“ erkorene Klavier wurde bei Gade zur bloßen Klangfarbe degradiert. Dementsprechend kritisch waren auch die Stimmen in der Presse nach der Aufführung im Leipziger Gewandhaus. In den einschlägigen Fachzeitschriften wurde der beabsichtigte Sinn oder Fortschritt, den Gade mit der Integration des Klavier verfolgen wollte, nicht erkannt oder in Zweifel gezogen. Ein „eigener Effekt“, den nur das Klavier hätte beitragen können, wurde nicht vernommen, wie die Signale für die musikalische Welt kritisierten. Die Neue Zeitschrift für Musik hob dagegen mehr auf die neuen Wege ab, die der Däne offensichtlich mit seiner ungewöhnlichen Besetzung begehen wollte, da sich sein Schaffen in den letzten Werken ohnehin an einem Wendepunkt befände. Schnell wurde der häufig angestrengte Vergleich mit dem Beginn seiner Komponistenkarriere, die durch den Nordischen Ton geprägt und befördert worden war, herangezogen und vermutet, dass die späteren Werke weder Antwort noch Fortsetzung dieser Ästhetik bieten konnte. So wurde auch die Idee des Klaviers in einer Sinfonie als weiteres Indiz der Suche Gades nach seinem eigentlichen Stil ausgelegt.

Möglicherweise auch aufgrund der indifferenten Rezeption erfuhr die d-Moll-Sinfonie nur wenige Aufführungen in Europa. Sie wurden meist durch mit Gade befreundete Dirigenten oder ehemalige Schüler organisiert, wie Adolph Jensen in Königsberg oder Johan Verhulst in Amsterdam, dazu kamen Aufführungen in Eisleben und im englischen Sydenham. Und dennoch lohnt es sich, dieser ungewöhnlichen sinfonischen Konstitution auf die Spur zu kommen. Trotz des vermeintlich düsteren Charakters der vorgezeichneten Moll-Tonart sprüht die Sinfonie durch Frische und Lebhaftigkeit wie sie vor dem Hintergrund einer bevorstehenden Hochzeit zu erwarten sind. Der erste Satz spielt mit klaren Kontrasten zwischen dem rhythmisch akzentuierten Hauptthema und dem kantilenenhaften Seitenthema, wodurch sich dramatische Spannungen aufbauen. Der nachfolgende langsame Satz setzt dagegen einen deutlichen Kontrapunkt durch die Sanftheit des Klangs in den gedämpften Streichern und die perlende Klavierbegleitung, die durch einen belebten Mittelteil unterbrochen wird. Nach dem elfenartigen Scherzo setzt das Finale mit einer ungewöhnlichen, langsamen Einleitung ein, die an eines jener versteckten Programme hindeutet, wie sie auch der ersten Sinfonie c-Moll unterstellt wurden. Das heranbrechende Allegro wiederum besticht durch die Kontraste der Themen zwischen figurativen Motiven im Haupt- und weiten melodischen Passagen im Seitenthema. Der Schluss schließlich weist in seinem jubelhaften Charakter noch einmal auf die glückliche Zeit Gades während der Entstehung hin.

Gades pionierhafte Tat, das Klavier in das Orchester zu integrieren, weist letztendlich auf eine Entwicklung hin, die in ihrer Massivität die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte. Es ging einerseits um die Bestrebungen und den Wunsch, die Dimensionen des Orchesters und seines Klanges zu erweitern und seine Farben zu differenzieren und potenzieren. Andererseits waren Komponisten auf der Suche nach der Erweiterung der Klangintensität und der Lautstärke des sinfonischen Orchesters. All dies waren Strömungen, die auf das Zeitalter der Monumentalität vorausdeuten, die sich in den gewaltigen Besetzungen eines Richard Wagners genauso widerspiegeln wie in den Prachtbauten der Gründerzeit. Gade hatte, ohne solche Entwicklungen Anfang der 1850er Jahre überhaupt ahnen zu können, einen ersten Schritt auf diesem Weg getan, als er den Orchesterapparat um das „häusliche Orchester“ des Bürgers erweiterte. Dass der Däne dabei auf Unverständnis stieß zeigt, dass er eher dazu bereit war als seine Zeit.

Yvonne Wasserloos, Oktober 2012

Aufführungsmaterial ist vom Verlag Edition Wilhelm Hansen, Kopenhagen zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars aus der Bibliothek des Conservatoire de musique Genève, Geneva.

Niels Wilhelm Gade

(b. Copenhagen, 22 February 1817 – d. Copenhagen, 21 December 1890)

Symphony No. 5 in D minor, op. 25

Dedicated to Julius Rietz

Instrumentation: 3 fl, 2 ob, 2 cl, 2 bn, 4 hn, 2 tpt, 3 tbn, pf, timp, strs

I. Allegro con fuoco p.1

II. Andante sostenuto p.59

III. Scherzo. Allegro molto vivace p.87

IV. Finale. Andante con moto. Allegro vivace p.144

Duration: ca. 28 mins.

Niels Wilhelm Gade wrote his Fifth Symphony in late 1852 as a surprise for the daughter of the influential Danish composer Peter Emilius Hartmann, Sophie Hartmann, whom he had married that preceding April. The première, conducted by the composer, took place at the Copenhagen Musical Society on 11 December 1852. Shortly thereafter Gade and his wife left Denmark for a long honeymoon in Germany, and especially in Leipzig, his former place of employment. This same connection is expressed in the work’s dedication to his friend Julius Rietz, who was summoned to Leipzig in 1848 to succeed Gade as director of the Gewandhaus concerts, and who agreed to let him conduct the final concerts of the 1852-53 season. Gade’s next symphony, No. 6 in G minor, is fatefully linked in his life and work with the Fifth. If the latter piece expressed his newfound joie de vivre after marrying Sophie Hartmann, her unexpected death in 1855, after giving birth to twins, brought his symphonic output to a standstill. It was not until 1857 that this state of affairs was resolved with the composition of the wild and unruly Sixth Symphony.

The special nature of the Fifth is manifest in its use of a piano. But rather than playing a solo role and functioning as a concertante part, the piano adds an additional hue to the orchestral palette. Gade’s symphony is probably one of the first, if not the very first, in music history to employ the piano as an orchestral instrument. Yet he had already embedded the piano in the orchestra a short while earlier in his Spring Fantasy for solo voices and orchestra, op. 23, likewise written as a present to his newlywed wife.

The fact that a piano was made to serve as an orchestral instrument was a curiosity at the time and surely goes some way to explain the divided opinions with which the work was received. Even the 1853 performance at the Gewandhaus left the audience puzzled and ill at ease, as Sophie Gade reported in a letter to Gade’s father: “You can take my word for it that the people truly gaped, for there was no mention of a piano on the poster. So they were a bit bewildered in the first movement; but its full effect was unveiled in the second, which opened their eyes to the fact that something like this was not only possible but pleasurable.”

The audience’s bewilderment resulted from the piano’s stature in the nineteenth century. An instrument so closely allied with middle-class culture, a symbol of good breeding singled out for virtuosic “devilry” (particularly by Franz Liszt), had been demoted to a mere orchestral tinge. The press responded accordingly after the Gewandhaus concert. The leading trade journals failed to recognize or questioned the meaning or progress Gade intended to achieve by integrating the piano. The Signale für die musikalische Welt found no “distinctive effect” that only the piano could contribute. In contrast, the Neue Zeitschrift für Musik emphasized the new paths that Gade evidently sought to travel with his unusual scoring, given that his recent works already showed him standing at a turning point. Often laborious comparisons were quickly drawn to the beginning of his career, which was dominated and furthered by the “Nordic tone,” and critics felt that his recent music was neither a response to nor a continuation of his earlier aesthetic. In consequence, the idea of incorporating a piano in a symphony was taken as further evidence of Gade’s quest for an individual style.

Perhaps because of this lukewarm reception, the D-minor Symphony was rarely performed in Europe. Such performances as did occur were usually arranged by Gade’s conductor-friends or former pupils, such as Adolph Jensen in Königsberg or Johan Verhulst in Amsterdam. There were also performances in Eisleben and in Sydenham, England. Nevertheless, there is much to be gained from investigating this unusual symphonic construct. Despite the allegedly gloomy character of its minor key, it exudes the freshness and vitality one would expect to find before an approaching wedding. The opening movement toys with sharp contrasts between its first theme and tuneful second theme to generate dramatic tension. The slow movement, on the other hand, forms a counterfoil with the gentle sound of its muted strings and shimmering piano accompaniment, interrupted by a lively middle section. Following an elfin scherzo, the finale begins unusually with a slow introduction, suggesting one of those hidden programs that have also been read into to Gade’s First Symphony. The ensuing Allegro impresses with its contrasts between motivic figuration in the main theme and broad melodic passages in the second. The jubilant ending again points to Gade’s happiness during the work’s gestation.

Gade’s pioneering achievement of incorporating a piano in the orchestra ultimately anticipates a line of evolution that would massively dominate the latter part of the century. Composers felt a desire and an urge to enlarge the orchestra and its range of sound by strengthening and differentiating its timbres. They also sought to expand its sonic intensity and volume. These were harbingers of an age of monumentality reflected equally in the mighty instrumental forces of Richard Wagner and the opulent buildings of the Belle Époque. Gade, without having the slightest inkling of these future developments, had taken a first step in this direction in the early 1850s by adding the “domestic orchestra” of the middle-class parlor to the symphonic apparatus. That he was greeted with incomprehension shows that he was more willing to do so than the age he lived in.

Translation: Bradford Robinson

Aufführungsmaterial ist vom Verlag Edition Wilhelm Hansen, Kopenhagen zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars aus der Bibliothek des Conservatoire de musique Genève, Geneva.