Ludolf Nielsen

(geb. Nørre Tvede, 29. Januar 1876 – gest. Kopenhagen 16. Oktober 1939)

Sinfonie Nr. 2 op. 19 in E-Dur

Ludolf Nielsen war als Komponist weitgehend Autodidakt. Aufgewachsen auf einem seeländischen Bauernhof kam er als 16-jähriger nach Kopenhagen, um am Konservatorium Violine, Theorie und Klavier zu studieren. Rasch gliederte er sich in das städtische Musikleben ein und wirkte als Solobratschist im Tivoli-Orchester mit, wo er sich wenig später auch als Hilfsdirigent betätigte. Gleichzeitig unternahm er erste Kompositionsversuche, schrieb zunächst kammermusikalische Werke, denen bald sinfonische Projekte folgten. Dank mehrerer Aufführungen errang Nielsen erste Erfolge und zählte um 1900 zum hoffnungsvollen Nachwuchs dänischer Komponisten.

Seiner zweiten Sinfonie, entstanden 1907-09, hat Nielsen gelegentlich den Beinamen „Glædensymfoni“ („Glückssymphonie“) gegeben, und tatsächlich ist die Sinfonie nicht nur Dokument einer glücklichen Zeit, sondern sollte dem Autor auch beruflich Glück bringen.

Der Beginn der Arbeit datiert just in den Monat, als sich Nielsen mit seiner künftigen Frau verlobte. Dementsprechend ist das Werk, das 1910 zur Premiere gelangte, auch ihr gewidmet. Von den insgesamt drei Sinfonien erreichte die Zweite die grösste Beliebtheit und erschien als einzige im Druck.

Unerwarteterweise klingt der Beginn der Sinfonie keineswegs nach ungetrübter Glückseligkeit, sondern eröffnet vielmehr mit einem düsteren, grüblerischen Habitus. In getragenem e-Moll setzen zunächst die tiefen Streichinstrumente ein, die ein sechstöniges Motiv einführen, das in mehrfacher Wiederholung in Abwärtsbewegung vom Terzton zur Quinte schreitet und den Zuhörer kurze Zeit im Ungewissen über die eigentliche Tonart lässt.

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Diesem getragenen Bassostinato entsteigt sodann ein von den Bratschen initiiertes und von den Klarinetten verstärktes sangliches Thema, das mit dem Tritonus kokettiert.

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Im Verlauf der Einleitung erhalten die beiden motivischen Gebilde zunehmend Kontur und erfahren erste Abwandlungen. Mit dem Übertritt in das strahlende und marschartige Allegro con brio in E-Dur heben sich dann gleichsam die Nebelschleier, indem sich das Ostinato und die melodische Formel in umgekehrter Erscheinungsfolge als Haupt- und Seitenthema entpuppen. Aus ihrem Material formt Nielsen den ganzen Satz und lässt sie schliesslich in der Reprise in kontrapunktischer Verschlingung auftreten. Anstelle des gloriosen Finales führt jedoch eine abrupte Tutti-Dissonanz den Satz zurück in die nebulöse Tiefe des Anfangs, wo nun beide Themen in fragmentarischer Verkürzung leise ausklingen.

Die beiden in der Introduktion exponierten Themen konstituieren allerdings nicht bloss den Eröffnungssatz, sondern ziehen sich als zyklische Bande durch die ganze Sinfonie, wobei sie kontinuierlich Metamorphosen durchlaufen. Im Andante con sentimento, einer dreiteiligen Liedform, taucht insbesondere das Ostinato unentwegt auf, die absteigende Linie variiert zwar leicht, der charakteristische Quartsprung bleibt aber nahezu immer bestehen. Das Melodiethema prägt dagegen vor allem den dramatischen Mittelteil. Im Scherzo wird dasselbe Thema verwandelt in ein leichtfüssig-volkstümliches Sujet, das in verschiedenen Varianten den ganzen Satz durchzieht. Den ländlichen Charakter unterstreicht Nielsen jeweils in den kontrastierenden Episoden, wenn die Klarinetten ganz in der Manier Beethovens Vogelgezwitscher imitieren oder wenn der 6/8-Takt unvermittelt durch derbe 2/4-Rhythmen begleitet wird.

Das Finale beginnt mit einer harmonisch instabilen Einleitung, in der die beiden Grundgedanken als Erinnerungsmotive innerhalb der Ganztonskala auftauchen. Allmählich formt sich daneben in den Blechbläsern aus Fanfaren und Hornquinten ein neues Thema, das eine grosse Affinität zum Hauptthema des Kopfsatzes aufweist. Es bestimmt in seiner endgültigen Kontur das nach der Einleitung folgende Allegro vivace in E-Dur, dessen formaler Aufbau symmetrisch angelegt ist: Die verschiedenen Abschnitte folgen einander nach Satzmitte in rückläufiger Reihenfolge. Losgelöst von der anfänglichen Gedankenschwere nimmt dieses Allegro einen fröhlichen bis überschwänglichen Duktus an und stürmt schliesslich dem „glücklichen“ Ende entgegen.

Stilistisch verrät die Sinfonie deutlich ihre Verwurzlung in einer universalen Spätromantik, die sich offen gegenüber verschiedenen Einflüssen zeigt. Die Form- und Themengestaltung ist relativ konventionell. Harmonisch experimentierte Nielsen – wie viele andere Komponisten damals auch – mit Ganztonleitern und Pentatonik, später mit der Bitonalität. Obwohl er sich mit seiner zweiten Sinfonie als einer der führenden Komponisten Dänemarks etablierte, hielt sein Ruhm nicht lange vor. Nach dem Schock des Ersten Weltkriegs pflegte Nielsen einen ziemlich rückwärtsgewandten Stil und wurde von den Zeitgenossen als konservativ kritisiert, weshalb sein Schaffen bald aus dem Konzertrepertoire verschwand.

Michael Matter, 2012

Aufführungsmaterial ist von Hansen, Copenhagen. zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München

Ludolf Nielsen

(b. Nørre Tvede, 29 January 1876 – d. Copenhagen 16 October 1939)

Symphony No. 2 in E-flat major, op. 19

Ludolf Nielsen was for the most part a self-taught composer. He grew up on a farm in Zealand and went to Copenhagen at the age of sixteen to study violin, theory, and piano at the Conservatory. Quickly establishing himself in the city’s music life, he became the solo viola player of the Tivoli Orchestra and was soon functioning as its auxiliary conductor. He also made his fledgling efforts at composition, at first writing pieces of chamber music and then advancing to symphonic projects. Several performances brought him initial success, and by 1900 he was regarded as a promising young talent among Danish composers.

Nielsen’s Symphony No. 2, composed between 1907 and 1909, is occasionally nicknamed “The Symphony of Joy” (Glædensymfonie). Indeed, not only does it bear witness to a joyous period in his life, it also brought him professional good fortune. He started it in the very month in which he became engaged to his future wife, to whom it is dedicated. Premièred in 1910, it is the most popular of his three symphonies, and the only one to appear in print.

Surprisingly, rather than unalloyed bliss, the symphony opens in a mood of gloom and brooding. The low strings enter in a stately E minor with a repeated six-note motif that proceeds from the third scalar degree to the fifth and leaves the listener briefly uncertain as to the work’s true key:

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This plodding basso ostinato then gives rise to a melodious theme initially stated by the violas and then reinforced by the clarinets, hovering around the tritone:

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In the course of the introduction these two motivic elements gradually assume final shape and undergo initial transformations. With the onset of the radiant, march-like Allegro con brio in E major the veils are lifted, so to speak, as the ostinato and the melodic formula prove to be, in reverse order, the principal and secondary themes. Nielsen constructs the entire movement from their material and weaves them together contrapuntally in the recapitulation. But instead of a triumphant conclusion, an abrupt dissonance leads the movement back to the nebulous depths of the opening, where the two themes fade away softly, truncated into fragments.

The two themes stated in the introduction not only form the basis of the first movement, they also pervade the entire symphony as a cyclic thread in metamorphosis. In the Andante con sentimento, a tripartite movement in arch form, it is above all the ostinato that constantly recurs, its descending line slightly varied but its characteristic leap of a fourth almost invariably left intact. In contrast, the melodic theme mainly governs the dramatic middle section. In the scherzo, the same theme is transformed into a lilting, folk-like subject that pervades the entire movement in various guises. Nielsen emphasizes the bucolic character in contrasting episodes, as when the clarinets imitate birdsong à la Beethoven or the 6/8 meter is suddenly accompanied gruff 2/4 rhythms.

The finale opens with a harmonically unstable introduction in which the two basic ideas crop up as reminiscence motifs within a whole-tone scale. At the same time the brass fashions fanfares and horn fifths into a new theme closely resembling the main theme of the opening movement. Having assumed its definitive shape, it proceeds to dominate the E-major Allegro vivace that follows the introduction. This section is laid out symmetrically, its various subsections recurring in reverse order from the middle of the movement on. Released from the brooding intensity of the opening, this Allegro adopts a mood ranging from merriment to exhilaration and finally rushes to its “happy” conclusion.

With regard to style, the symphony clearly betrays its roots in a universal late romanticism capable of accommodating a wide range of influences. The formal and thematic design is relatively conventional. In point of harmony Nielsen, like many other composers of his day, experimented with whole-tone scales, pentatonisicm, and later bitonality. Though the Second Symphony placed him at the forefront of Denmark’s composers, his fame did not last long. Following the shock of the First World War, he adopted a quite backward-looking stance and was criticized by his contemporaries as conservative, causing his music soon to vanish from the concert repertoire.

Michael Matter, 2012

For performance material contact Hansen, Copenhagen. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, Munich.