Johann Peter Emilius Hartmann (geb. Kopenhagen, 14. Mai 1805 – gest. Kopenhagen 10. März 1900)

Correggio

Konzertouvertüre, op. 59
J.P.E. Hartmann verband zeitlebens eine freundschaftli- che und fruchtbare Beziehung mit dem dänischen Dich- ter Adam Oehlenschläger (1779-1850), dessen Werke ihm nicht nur verschiedentlich als Vorlagen für eigene Kompositionen dienten, sondern ebenso stilistische In- spirationen lieferten. Oehlenschläger zählte nämlich zu den literarischen Vertretern des sogenannten „Goldenen Zeitalters“ Dänemarks und leitete mit seinen Schriften, besonders mit dem Gedicht Die Goldhörner von 1803, massgeblich die dänische Romantik ein. Von ihm stammt unter anderem auch der Text zu der dänischen Landes- hymne. Den Rang eines nationalen Schriftstellers errang er sich aber vornehmlich durch seine Dramen, in denen er verstärkt Stoffe und Elemente aus der nordischen My- thologie und Geschichte verarbeitete.
Eben diese Hinwendung zu den mythologischen Schät- zen einer alten nordischen Vergangenheit zog auch J.P.E. Hartmann in den Bann. Es war um 1840, als er gleich mehrere Werke schrieb, die in enger Verbindung zu Oeh- lenschlägers Dramen stehen: Zum einen erhielt Hartmann nicht weniger als drei Aufträge zu einer Schauspielmusik zu Texten des grossen Dichters. Zum anderen fertigte er
1844 eine Konzertouvertüre über die historische Tragö- die Hakon Jarl an. Diese Projekte gaben ihm die Gele- genheit, seinen ‚nordischen Stil‘ zu verfeinern, mit dem er in der früher entstandenen Musik zu den Goldhörnern zu experimentieren begonnen hatte. Das Rezept zu dieser
‚nordischen‘ Stilistik fand Hartmann in der Bevorzugung von Moll-Tonarten und in einer dunklen Orchestration, die nebst einer massigen Verwendung von Blechbläsern auch die Harfe prominent in Szene setzte.
Wenngleich die erwähnten Projekte teilweise nur einen kurzlebigen Erfolg feiern konnten, markieren sie eine zentrale Phase im künstlerischen Werdegang Hartmanns, denn mit ihnen ging gewissermassen seine Etablierung als nationaler Komponist einher. In Kombination mit dem regen Engagement für das Kopenhagener Konzert- leben – Hartmann zählte 1836 zu den Mitgründern des privaten Musikforeningen – hoben ihn die Oehlenschlä- ger-Werke zusammen mit seiner Oper Liden Kirsten zu einem erstrangigen Vertreter einer als national gefeierten Musik empor, wofür er bis zu seinem Tode weitherum viel Achtung genoss.
Als Komponist war Hartmann überwiegend Autodidakt, studiert hatte er ursprünglich Jurisprudenz. Dies, obwohl er eigentlich einer regelrechten Musikerdynastie ent-
stammte: Schon sein Grossvater, ein im 18. Jahrhundert aus Schlesien eingewanderter Geiger, war am Kopenha- gener Königshof als Komponist tätig gewesen. Und auch sein Sohn Emil sollte später als Komponist in die fami- liären Fussstapfen treten. Damit prägten die Hartmanns
über viele Jahrzehnte hinweg das dänische Musikleben. Was Johann Peter Emilius anging, so sammelte er seine musikalischen Erfahrungen zunächst vor allem als Orga- nist und dann auf Auslandreisen, die ihn unter anderem zu Rossini, Chopin und Cherubini führten. Besonders prägend war jedoch der Kontakt zu Spohr, mit dem ihn daraufhin eine anhaltende Freundschaft verband.
Als Hartmann 1858 die Konzertouvertüre Correggio in Angriff nahm, hatte er sich längst an der Spitze des däni- schen Musiklebens etabliert. Und die fruchtbare Beschäf- tigung mit Oehlenschläger hielt offensichtlich an: Nach Hakon Jarl hatte Hartmann 1856 eine zweite Ouvertüre (Axel og Valborg) nach einer Vorlage Oehlenschlägers komponiert, und wenig später folgte also mit Correggio die dritte im Bunde. Diesmal handelte es sich nicht um ei- nen nordischen Stoff, Oehlenschläger hatte die Tragödie zuerst sogar auf Deutsch verfasst, weil er die Thematik für europäisch hielt. Das Drama dreht sich nämlich um den gleichnamigen italienischen Renaissance-Maler An- tonio da Correggio, der in seinem kleinen Heimatdorf ei- nes Tages von Michelangelo und Giulio Romano besucht wird, die sein Werk kritisieren. So macht sich Correggio auf, um die Welt der Malerei zu erkunden und trifft da- bei in Parma auf den Adelsmann Ottavio, der mit seiner herausragenden Kunstsammlung vergeblich die schöne Coelestina gewinnen will. Inspiriert von der eindrucks- vollen Sammlung malt Correggio ein neues Meisterwerk, für das ihm Coelestina einen Lorbeerkranz überreicht. Ottavio entlohnt ihn derweil mit einem Sack voll Gold. Unglücklicherweise erweist sich der Goldsack aber als so schwer, dass er Correggio auf dem langen Heimweg die letzten Kräfte raubt. Und so stirbt der tragische Held just in dem Moment, als ihn die Nachricht von einer neuen Anstellung am Hofe von Parma erreicht.
Dass es Hartmann nicht bloss auf eine musikalische Nachzeichnung der Handlung ankam, sondern auf die gedankliche Essenz der Tragödie, dokumentiert eine aufschlussreiche Notiz zum Konzertprogramm der Ur- aufführung. Als sein Kollege und Schwiegersohn Niels Gade die Ouvertüre mit einiger Verzögerung am 19. De- zember 1860 im Musikforeningen einstudierte, gab der Komponist dem Publikum nämlich folgende Erläuterung mit:
„Die Einleitung schildert Correggios schwärmerisch- melancholische Stimmung, die von einer Offenbarung der heiligen Ideale seiner Kunst unterbrochen wird, – das Allegro steht für die Hoffnungen in seinem Leben, bald verdunkelt durch Missmut, bald belebt durch neue innere Offenbarungen, – der Schluss ist Correggios Tod und die künftige Grösse seines Namens.“ 1
Die Ouvertüre folgt einer relativ konventionellen Form, bei der dem rascheren Hauptteil eine langsame Einlei- tung vorangestellt ist. Pulsierende Triolenbewegungen und elegisch-synkopische Bläsersoli illustrieren zu Be- ginn die unstete Schwermütigkeit, bevor mit dem Wech- sel von f-Moll zu F-Dur vorübergehend die Offenbarung der Kunstideale durchschimmert. Im Allegro con anima verströmen dann die Violinen mit einem leichtfüssigen Thema aus stakkatierten Achteln eine Aufbruchsstim- mung voll hoffnungsvoller Zuversicht. Wiederholt bricht aber der vorherige Missmut durch und stört durch das reduzierte Tempo den schwungvollen Vorwärtsdrang. So ringen die beiden Gemüter, bis ein einsamer Hornruf wo- möglich Correggios Tod andeutet. Der tragische Ton ist allerdings von kurzer Dauer, schon führt Hartmann einen triumphalen Schluss herbei, der das synkopierte Thema aus der Einleitung glanzvoll überhöht und den künftigen Ruhm Correggios vorwegnimmt.

Michael Matter, 2011

1 QuotedfromIngerSørensen:Hartmann:Etdanskkomponistdynasti

(Copenhagen, 1999), p. 321.

Der Klavierauszug ist bei Horneman & Erslev (1875) zu beziehen, die Partitur mit Stimmen bei der Samfundet til Udgivelse af Dansk Musik (1953), beide in Kopenhagen. Aufführungsmaterial ist von der Breitkopf und Härtel, Wiesbaden zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikabteilung der Leipziger Städtische Bibliotheken, Leipzig.

Johann Peter Emilius Hartmann (b. Copenhagen, 14 May 1805 – d. Copenhagen 10 March 1900)

Correggio

Concert Overture, op. 59
Throughout his career, J. P. E. Hartmann maintained productive and friendly relations with the Danish poet Adam Oehlenschläger (1779-1850), whose writings not only served as a basis for several of his compositions, but helped to inspire his own style. Oehlenschläger was one of the leading lights of Denmark’s so-called “Gold- en Age,” and his writings – especially his poem Guld- hornene (“The Gold Horns,” 1803) – were instrumental in launching the Danish Romantic movement. Among other things, he also wrote the words to the Danish na- tional anthem. But Oehlenschläger attained the status of a national poet primarily with his plays, in which he increasingly adopted themes and elements from Nordic mythology and history.
It was precisely this predilection for mythological gems from ancient Nordic tradition that cast its spell on Hart- mann. Around 1840 he composed several pieces closely related to Oehlenschläger’s dramas. For one thing, he re- ceived no fewer than three commissions to write inciden- tal music for the great poet’s plays; for another, he wrote a concert overture on the historical tragedy Hakon Jarl in
1844. These projects gave him an opportunity to perfect his “Nordic style,” with which he had begun to experi- ment in his earlier music for The Gold Horns. He found the recipe for this Nordic style in a preference for minor keys and dark orchestral colors involving a massive use of the brass and a prominent role for the harp.
Though some these projects enjoyed only brief success, they mark a central period in Hartmann’s artistic evolu- tion, for they were largely responsible for his elevation to the rank of national composer. In combination with his active commitment to Copenhagen’s concert life (he co-founded the city’s private Musical Society in 1836), Hartmann’s Oehlenschläger settings and his opera Liden Kirsten placed him among the foremost representatives of a fervently national music, earning widespread esteem to the end of his days.
Hartmann was a largely self-taught composer. Originally he had studied law, even though he hailed from a full- blown dynasty of musicians. His grandfather was a vio- linist who had emigrated from Silesia in the eighteenth century and served as a composer at the royal court in Copenhagen. Later Hartmann’s son would follow in the family tradition and become a composer. In this way the Hartmanns left their mark on Denmark’s musical culture for decades on end. As far as Johann Peter Emilius was concerned, he gathered his initial musical experiences primarily as an organist and later on foreign tours, which led him to Rossini, Chopin, Cherubini, and other masters. Especially fruitful was his contact with Louis Spohr, with whom he maintained a longstanding friendship.
By the time Hartmann embarked on the concert overture Correggio in 1858, he had long been established at the pinnacle of Denmark’s music life. His productive study of Oehlenschläger evidently continued: after Hakon Jarl, he composed a second overture on an Oehlenschläger text in 1856 (Axel og Valborg), followed a short while later by a third, Correggio. This time the material was not Nordic: originally Oehlenschläger, thinking the subject to be European in scope, had even written the tragedy in German. The drama turns on the eponymous Italian Ren- aissance painter Antonio da Correggio. One day he is vis- ited in his small native town by Michelangelo and Giulio Romano, who criticize his work. Correggio then sets out to explore the world of painting. In Parma he meets the nobleman Ottavio, who is seeking in vain to win the beautiful Coelestina with his superb art collection. In- spired by the impressive collection, Correggio paints a new masterpiece, for which Coelestina crowns him with
a laurel wreath and Ottavio rewards him with a sack full of gold. Unfortunately the sack proves to be so heavy that Correggio exhausts his strength on the long journey home. The tragic hero dies just as the news reaches him that he has received a court appointment in Parma.
Hartmann was concerned with more than simply retrac- ing the plot in music; a revealing note in the concert pro- gram of the première informs us that he sought to capture the tragedy’s underlying essence. When his colleague and son-in-law Niels Gade, after some delay, played the overture in the Musical Society on 19 December 1860, the composer provided the audience with the following explanation: “The Introduction depicts Correggio’s effu- sive and melancholy mood, which is interrupted by a rev- elation of the sacred ideals of his art. The Allegro stands for the hopes in his life, now darkened by frustration, now enlivened by new inner revelations. The ending is Correggio’s death and the future greatness of his name.” 1
The overture follows a relatively conventional form in which the fairly fast main section is preceded by a slow introduction. It opens with throbbing triplets and elegiac syncopated solos in the winds, illustrating Correggio’s restless moroseness, before the revelation of his artistic ideals temporarily bursts through with the change from F minor to F major. Then, in the Allegro con anima, a light-footed theme of staccato eighth-notes in the violins spreads a feeling of resurgence, full of hope and confi- dence. But the previous frustration repeatedly rears its head, blocking the buoyant forward propulsion with its reduced tempo. These two moods wrestle with each other until a solitary horn call hints at Correggio’s impending death. Yet the tragic inflection is of brief duration: Hart- mann summons up a triumphant conclusion in which the syncopated theme from the Introduction is brilliantly magnified in anticipation of Correggio’s future glory.

Übersetzung: Michael Matter, 2011

1 Quoted from Inger Sørensen: Hartmann: Et dansk komponist- dynasti (Copenhagen, 1999), p. 321.

The piano reduction (1875) can be obtained from Horneman & Erslev, the full score with orchestral parts (1953) from Samfundet til Udgivelse af Dansk Musik, both of Copenhagen. Reprint of a copy from the Musikabteilung der Leipziger Städtische Bibliotheken, Leipzig.