Hamish MacCunn
(geb. Greenock/Schotland, 22. März 1868 —
gest. London, 2. August 1916)

The Ship o’ the Fiend

Hamish MacCunn wurde am 22. März 1868 in Greenock on the Firth of Clyde westlich von Glasgow geboren. Seine Familie hatte ihr Vermögen als Schiffseigner erworben. Das Zuhause seiner Kinderzeit war ein kulti-vierter Ort; sein Vater war ein guter Amateursänger, er spielte Gitarre und Cello, malte, schuf Skulpturen und schrieb Poesie, seine Mutter war Schülerin von Sterndale Bennett und eine äusserst fähige Pianistin und Sängerin. Nachdem er Unterricht auf der Geige, an Klavier und Orgel erhalten hatte - auch Unterweisung in Komposition fehlte nicht -, gewann MacCunn ein Stipendium für das 1833 eröffnete Royal College of Music in London, wo er unter der Anleitung von Hubert Parry rasche Fortschritt machte. Bereits vor seinem Abschluss am College im Jahre 1886 hatte seine Konzertouvertüre Cior Mhor ihre Erstaufführung im Crystal Palace unter August Manns (27. Oktober 1887). Das Manuskript dieses Werk ist unglücklicherweise verschollen. In den darauffolgenden zwei Jahren erlebte MacCunn einen ausserordentlichen Aufschwung seiner kreativen Kräfte und kostete erstmals den Geschmack öffentlicher Anerkennung. Wieder war es Manns, der sein The Land of the Mountain and the Flood mit einem Konzert im Crystal Palace am 5. November 1887 förderte. Dieses Orchesterstück ist ein erstaunlich selbstbewusstes Werk Mendelssohnscher Prägung aus der Feder eines Neuzehnjährigen, mit gewinnendem thematischen Material und geradlinigem dramatischen Schwung: es ist die einzige von MacCunns Kompositionen, die ihren Platz im regulären Repertoire noch heute behauptet. Es folgten zwei weitere Stücke für Orchester nach Balladen aus der Küstenregion, The Ship o’ the Fiend und The Dowie Dens of Yarrow, die zusammen mit weiteren Kantaten die offenbar unstillbare Nachfrage nach Werken dieser Art befriedigen sollten, wie sie die aufkeimende Bewegung der Chorgesellschaften in England und Schottland verlangten. Neben diesen grossformatigen Werken schuf MacCun einen ständigen Strom von Liedern für Balladenkonzerte und das Pub-likum in den Salons.

Der junge Komponist gab sich ganz den sozialen und kulturellen Möglichkeiten hin, die das Londoner Leben bot; er befreundete sich mit dem Maler John Pettie, der ihn als Modell in vielen seiner Bilder einsetzte. MacCunn heiratete dessen Tochgter Alison im Jahre 1889. Sein Schaffen in den 1890er Jahren wird von seinen zwei grossen Opern Jeanie Deans (1894) – mit einem Libretto von Joseph Bennett nach Sir Walter Scotts Heart of Midlothian und Diarmid (1897) mit einem Libretto des Marquis von Lorne dominiert. Das letztere Werk, obwohl es ohne Zweifel unter dem Einfluss Wagners entstand, enthält einige der vorwärtsweisendsten und betörendsten Musiken des Komponisten.

MacCun war eindrucksvoller Dirigent seiner eigenen Werke, und ab 1898 als Dirigent von Opern, Operetten und Musicals im Westend sehr gefragt. Er dirigierte für die Companies von Carl Rosa, Moody Manners und Beecham; im Verlauf dieser Tätigkeiten leitete er auch die Erstaufführung der englischsprachigen Fassung von Tristan und Isolde (3. Februar 1899). Im Bereich der leichten Muse war er Musikdirektor bei zahlreichen Operetten seines Freundes Edward German. Als seine Dirigierverpflichtungen zunahmen, blieb weniger Zeit für das Komponieren; sogar Lieder, von denen er bis 1900 mehr als hundert komponiert hatten, flossen ihm nicht mehr aus der Feder. Ein spätes Wiedererblühen sind seine Four Scottish Traditional Border Ballads für Chor und Orchester aus dem Jahre 1913. In diesen Kompositionen feiert er Wiedersehen mit den blutrünstigen Gedichten, die ihn zu seinen jugendlichen Orchesterstücken inspiriert hatten, und er schuf eine Reihe von grossformatigen Chorsätzen (allesamt dauerten sie länger als eine Stunde), die Beweis waren für seine ungebrochene Vorliebe für das Dramatische und Pittoreske. MacCunn setzte grosse Hoffnungen in diese Werke, mit denen er sich als Komponist zurückmelden wolle, aber unglücklicherweise erlebten sie ihre Uraufführung erst nach dem Tod ihres Schöpfers; er starb am 2. August 1916 an Kehlkopfkrebs.

William Allinghams 1879er Ausgabe von The Ballad Book war MacCunns ständiger Begleiter von Jugend an. Er schätzte es als “unerschöpfliche Quelle der Freude und Unterhaltung” und empfahl, es solle “in der Bibliothek eines jeden stehen, der es liebt, von vergangener Schön-heit und Heldenmut zu lesen und zu träumen.” The Ship o’ the Fiend (1887) fußt auf der Ballade The Daemon Lover, die wiederum auf einem auf der ganzen Welt verbreiteten Genre von Geschichten beruht, in denen ein toter Mann vom Grabe aufersteht, um das Mädchen zu holen, dass er zu Lebzeiten liebte. Der Fliegende Holländer war der offensichtliche Anfang dieser Vertonungen; darauf folgte die Nacherzählung der böhmischen Version durch Erben, Die Geisterbraut, von Dvorák als Kantate bearbeitet. Die dritte J.B.MacEwen’s orchestralen Border Ballads (1905-8) ist The Demon Lover, ein Werk, ebenso ungerichtet und weitschweifig, wie MacCunns Version präzise und zweckdienlich ist. Allighams Zusammenfassung der Ballade lauetet wie folgt: “Eine Frau, die erst ihrem Liebhaber untreu ist, dann ihrem Ehemann und Kind, wird übernatürlich bestraft.” Die übernatürliche Bestrafung besteht darin, dass der Dämon die Frau auf ein Schiff lockt und es versenkt.

Die Art und Weise, wie sich die Musik des Sinnes der Worte annimmt (wenn auch nicht jedes einzelnen), erzeugt eine fliessende Version der Sonatenform, die, hat sie erst einmal ihr melodisches Material vorgestellt, dieses mit geradliniger Kraft bis weit in die Reprise hinein entwickelt, bevor das Stück mit einem “Schock” endet. Tatsächlich verleiht die Art, wie die Durchführung in die Reprise mündet, dem Werk etwas durchkomponiertes und ist somit dem Verlauf der Erzählung sehr nahe. MacCunn unterwirft seine eröffnende Idee einem Prozess, der an Liszt erinnert, anfangs sanft durch die Oboen und Hörner. Was hier auf den ersten Blick wie eine langsame Einleitung anmutet, ist tatsächlich bereits die erste Gruppe, die sich anschliessend in etwas Rasendes und Teuflisches verwandelt. Neben der meisterhaften Beherrschung orchestraler Techniken und dem Fortschritt im Sinne formaler Organisation und Harmonik (der Einfluss Wagners ist bereits in diesem frühen Werk zu vernehmen) ist es die totale Identifikation des Komponisten mit kontrastierenden dramatischen Situationen, die so eindrucksvoll ist. Der Sturm auf der See, der die Durchführung und Reprise einnimmt, ist ein superbes Stück fortwährender Erfindung, die die Auswirkungen eines Sturmes auf einem Schiff mit fast realistischer Drastik einfängt. Ähnlich meisterhaft wird das Enden des Sturms bis hin in sein Schweigen (Takt 301 – 2) vor der trostlosen Koda behandelt. Der Nachdruck, mit dem die zwei Hauptthemen vorgestellt werden, ist sorgfältig balanciert. Nach einer langen Behandlung (fast 100 Takte) des zweiten “femininen” Themas in der Exposition wird der Rest der Komposition von der zunehmend grimmigen Version des ersten Themas dominiert. Tatsächlich taucht das zweite Thema nach der Exposition nur zweimal kurz auf (Takt 166 – 171 und 257 – 264). Auch nimmt das Tempo kontinuierlich ab Takt 4 bis kurz vor Ende zu (unüblicherweise ist die erste Gruppe langsam), was der Ballade eine geschlossene Tempo – Struktur verleiht. Die “Gelenke” zwischen den Abschnitten sind gut verborgen: zwischen den beiden Gruppen der Exposition finden wir ein charakteristisches Oszillieren in Sechzehnteln; die Durchführung beginnt mit einem Ruck in ein neues Zeitmass hinein, aber von dort an verläuft die Konstruktion nahtlos, passend zum Prozess der thematischen Entwicklung. Wenn bei Takt 216 die Reprise beginnt, hat sich die sanfte Melodie der ersten Gruppe in ein wütendes Ding verwandelt, lässt keine Erinnerung an Vergangenes zu, sondern führt eher natürlich den bedrohlichen Durchführungsteil weiter. So passt sich die Struktur der Sonatenform ganz natürlich und mit glücklicher Hand dem Fortlauf der Handlung an.

The Ship of the Fiend ist ist das ehrgeizigste und meiner Ansicht nach erfolgreichste von MacCunns frühen Orchesterstücken. Bei seiner Premiere am 21. Februar 1888, bei der MacCunn das London Symphony Orchestra in der St. James’ Hall dirigierte, wurde das Stück gut aufgenommen. Die Musical Times sprach von einem erstaunlichen Talent: “Die Erwartungen, die man nach dem Erfolg seiner Stücke, die im Crytal Palace aufgeführt wurden, in ihn setzte, fanden sich vollständig bestätigt. (…) Ob der schottische Musiker im Bereich der abstrakten Musik ebenso erfolgreich sein wird wie auf dem Gebiet der Darstellung nationaler Themen bleibt zu überprüfen; jedenfalls hat er auf auf letzterem Gebiet ein so bemerkenswertes Versprechen abgelegt, dass hohe Erwartungen geweckt sind.”

Alsdair Jamieson, 2011

 

Wegen Aufführungsmaterials wenden Sie sch bitte an Stainer and Bell, London.

Hamish MacCunn
(b. Greenock, Scotland, 22 March 1868 —
d. London, 2 August 1916)

The Ship o’ the Fiend

Hamish MacCunn was born on 22nd March 1868 at Greenock on the Firth of Clyde, west of Glasgow. His family had achieved its prosperity through owning ships. The childhood home was a cultured place; his father was a fine amateur singer, he played the guitar and cello, painted, sculpted and wrote poetry, his mother had been a pupil of Sterndale Bennett’s, and was an extremely able pianist and singer. After taking lessons on violin, piano and organ – as well as some in composition - MacCunn won a scholarship to the newly-opened Royal College of Music, London in 1883, where he made rapid progress under the guidance of Hubert Parry. Even before he left the College in 1886, MacCunn had already had his orchestral overture Cior Mhor premiered at the Crystal Palace conducted by August Manns (27th October 1885). The manuscript of this work has, frustratingly, been lost. The next two years would see an extraordinary rush of creative activity and the first taste of public approbation. Again, Manns promoted The Land of the Mountain and the Flood at the Crystal Palace on 5 November 1887. This was an astonishingly assured piece of Mendelssohnian orchestral writing from a 19-year old, with winning thematic material and a forthright dramatic sweep: it is the only one of MacCunn’s works to hold a regular place in the repertoire today. Two further orchestral pieces followed, based on Border Ballads, The Ship o’ the Fiend and The Dowie Dens of Yarrow, together with various cantatas to satisfy the seemingly unquenchable demand for such works from the burgeoning choral society movement in England and Scotland. In addition to these larger works, MacCunn was writing a steady stream of songs for ballad concert and drawing room audiences. The young composer revelled in the social and cultural possibilities offered by London life; he made friends with the painter John Pettie, who used him as a model in several of his pictures. MacCunn married Pettie’s daughter Alison in 1889. His output in the 1890s is dominated by two grand operas Jeanie Deans (1894) – libretto by Joseph Bennett, after Sir Walter Scott’s Heart of Midlothian, and Diarmid (1897) - libretto by the Marquis of Lorne. This latter work, although obviously influenced by Wagner, contains some of the composer’s most forward-looking and beguiling music. MacCunn was an impressive conductor of his own works, and from 1898 onwards he was in demand as a conductor of opera, operettas and musical comedies in the West End. He conducted for the Carl Rosa, Moody Manners and Beecham Companies; in the course of these activities he directed the first English language version of Tristan and Isolde (3rd February 1899). Within the ambit of lighter music he was musical director of several operettas by his friend Edward German. As his conducting engagements increased, the amount of compositions fell away; even songs, of which he had written more than a hundred by 1900 and which remain notably undervalued today, ceased to flow from his pen. A late flowering is found in the Four Scottish Traditional Border Ballads for chorus and orchestra of 1913. Revisiting the bloodthirsty poems which had inspired his youthful orchestral pieces, he crafted a sequence of extensive choral settings (altogether lasting more than an hour) that show an undimmed predilection for the dramatic and picturesque. MacCunn had great hopes for these works to re-establish his reputation as a composer, but sadly they had to wait until after their creator’s death for their first airing; he died on 2nd August 1916 of throat cancer.

William Allingham’s 1879 edition of The Ballad Book had been MacCunn’s constant vademecum from childhood onwards. He found it to be ‘an inexhaustible source of delight and entertainment’ and recommended that ‘it should be in the library of everyone who loves to read and to dream of ancient beauty and valour.’ The Ship o’ the Fiend (1887) is based on the ballad The Daemon Lover which in turn partakes of a wider international genre of stories telling how a dead man rises from the grave, and comes to fetch the girl he loved in life. The Flying Dutchman is an obvious starting point; then Erben’s retelling of the Bohemian version, The Spectre’s Bride, was set as a cantata by Dvorák. The third of J.B.MacEwen’s orchestral Border Ballads (1905-8) is ‘The Demon Lover’, as unfocused and prolix a work as MacCunn’s is concise and pertinent. Allingham’s synopsis of this ballad runs thus: ‘A woman, first faithless to her lover, and then to her husband and child, is supernaturally punished.’ The supernatural punishment involves the demon luring the woman onto a ship and sinking it.

The way the music is moulded to the sense of the words (if not to every incident in the story) produces a fluid-sounding version of sonata form, which, having laid down its melodic material, develops it with a single-minded violence that continues far into the recapitulation, before the ‘shock’ ending. In fact, the way the development merges into the recapitulation lends this piece a feeling of something through-composed and thus truer to the ongoing narrative. A process of Lisztian transformation is applied to the opening idea, initially gently stated by the horn and oboe in what feels like a slow introduction but is in fact the first group, but subsequently changed into something rapid and fiendish. Beyond the continuing mastery of orchestral techniques and the progress made in terms of formal organisation and harmony (the influence of Wagner is already apparent in this early work), it is the total identification of the composer with contrasting dramatic situations that is so impressive. The storm at sea which takes up the development and recapitulation is a superb piece of sustained invention that captures the effect of a tempest on a ship with quasi-realistic brio. Similarly, the way the storm dies down to silence (bars 301-2) before the desolate coda is masterfully handled. The relative amount of exposure of the two main themes is carefully balanced. After a long (almost 100 bars) treatment of the ‘feminine’ second subject in the exposition, the rest of the piece is dominated by the increasingly grim versions of the first subject. Indeed the second subject only surfaces briefly twice (bars166-171 and 257-264) after the exposition. There is a gradual increase of speed from bar 4 to just before the end (unusually, the first group is slow), which lends the orchestral ballad a cohesive tempo structure as well. The ‘hinges’ between sections are reasonably well concealed: between the two groups in the exposition we find a characteristic semiquaver oscillation; the development starts with a jolt in a new time signature, but from then on the construction is seamless, due in no small measure to the process of thematic transformation. When the recapitulation starts at bar 216, the gentle first group melody is now a furious thing, making us ignore any sense of recall, rather it leads on naturally from the threatening development section. Thus the sonata form structure accommodates the poem’s narrative quite happily and naturally.
The Ship of the Fiend is the most ambitious and, to my mind, the most successful of the three early orchestral pieces. It was well received at its first performance on 21st February 1888, when MacCunn conducted the London Symphony Orchestra at the St. James’ Hall. The Musical Times acclaimed a prodigious talent: “The expectations formed by the success of his pieces performed at the Crystal Palace were fully realised. [...] Whether the young Scottish musician will be as successful in the domain of abstract music as he is in the delineation of national subjects remains to be proved; in the latter, the promise he has already displayed is so remarkable as to awaken very high expectations.”

Alasdair Jamieson, 2011