Peter Iljitsch Tschaikowsky
(geb. Votkinsk, 7. Mai 1840 - gest. St. Petersburg, 6. November 1893)

Snegúrotschka (Schneeflöckchen), op. 12 (1873)
Bühnenmusik zum Schauspiel von Alexander Ostrovsky

Vorwort
1873 gab die Leitung der Kaiserlichen Theater an den damals in Russland führenden Dramatiker Alexander Ostrowsky (1823 – 86) und den Komponisten Tschaikowsky den Auftrag, ein Märchenspiel zu schreiben. Dabei sollten bewusst beide Theater Moskaus in einem Gemeinschaftsprojekt vereinigt werden: Das Bolschoi - Theater als Opern- und Ballettbühne und das "Kleine Theater" als reine Sprechbühne. Anlass war die notwendige bauliche Renovierung des letzteren. Die Zusammenarbeit zwischen Dichter und Komponist gestaltet sich sehr eng.In nur drei Wochen schrieb Tschaikowsky die Partitur, obwohl er zugleich am Konservatorium ein Deputat von 27 Wochenstunden zu absolvieren hatte Die umjubelte Uraufführung war am 23.5.1873.

Der Komponist liebte sein Werk sehr. Noch 1879 schrieb er in einem Brief an seine Vertraute Nadjeshda von Meck: " Snegúrotschka ist eines meiner liebsten Kinder. Es war ein wunderbarer Frühling, es ging mir seelisch gut, wie immer beim Herannahen des Sommers und einer dreimonatigen Freiheit… Ich glaube, dass in dieser Musik die freudige, frühlingshafte Stimmung bemerkbar sein muss, von der ich damals durchdrungen war." Er liebte das Sujet derart, dass er es später in einer Oper aufgreifen wollte. Als ihm 1882 Rimski-Korsakow mit einer gleichnamigen Oper auf einen eigenen Text zuvorkam, war Tschaikowsky tief betrübt. Die Aufführung der originalen Bühnenfassung mit dem gesamten Schauspiel und der kompletten Musik forderte schon im 19. Jahrhundert einen riesigen, auch zeitlichen Aufwand: Gesangssolisten, Chor, Schauspieler, Ballett, großes Orchester, außerdem Kulissen und Kostüme. Schon 1878 fand daher durch den Dirigenten, Freund und Mentor des Komponisten, Nikolaj Rubinstein, eine konzertante Aufführung statt, die die Musik in den Vordergrund stellte und nur zwei Schauspieler einsetzte, die Textpartien der Dichtung zwischen den musikalischen Nummern rezitieren und die Handlung erläutern.

Handlung
Das Drama Ostrowskys nimmt ein weit verbreitetes Motiv der Literatur auf: elfische Naturwesen aus der Welt der Elementargeister wünschen sich eine menschliche Seele, machen aber die Menschen letztlich unglücklich und gehen selbst zugrunde ("Undine", "Kleine Seejungfrau", Russalka"). Schneeflöckchen ist aus einer leichtsinnigen Liasion von Väterchen Frost mit der Frühlingsfee hervorgegangen. In ihr lebt die Unvereinbarkeit der Jahreszeiten Frühling und Winter, hat sie doch von der Mutter die Sehnsucht nach Wärme und Liebe, vom Vater aber die Unfähigkeit zu lieben geerbt. Über diese Verbindung und Ihre Frucht ist der Sonnengott so sehr erzürnt, dass er es seitdem nach langem Winter nicht warm werden lassen will…

Schneeflöckchen ist jetzt 15 Jahre alt geworden. Sie musste immer im Dunkeln leben, weil ihre Mutter fürchtete, sie könne dem Sonnengott zum Opfer fallen, schmelzen und sterben. Schliesslich aber wird sie unter der Obhut des Waldgeistes zu den Menschen gegeben, als Adoptivtochter einer armen Kleinbauernfamilie. Durch ihre Unfähigkeit, Liebe zu empfinden, wenden sich die jungen Männer trotz ihrer grossen Schönheit von ihr ab, was ihre Sehnsucht nur grösser macht. Sie hört im Wald den Hirten Lel singen, was ihr kaltes Herz unerklärlich berührt. Sie geht ihm nach, um zu lernen wie Menschen zu lieben, verliert ihn aber wieder aus den Augen

Bei den Hochzeitsvorberetungen ihrer Freundin Kupava geschieht es, dass sich der Bräutigam Mizgir Hals über Kopf in Schneeflöckchen verliebt und seine Braut, die ihn innig liebt, Hals über Kopf im Stich lässt. Im Palast des Zaren Borendej klagen die Bewohner des Reiches über den langen, kalten Frühling und den zu kurzen Sommer. Es gebe keine Frühlingsgefühle mehr, unter den Menschen sei die Lieblosigkeit immer grösser geworden. In der Hoffnung, den grollenden Sonnengott zu versöhnen, plant der Zar, alle heiratsfähigen Jungen und Mädchen in einem grossen Fest miteinander zu verbinden. Als er Schneeflöckchen kennenlernt, erstaunt es ihn, dass ein so junges und hübsches Mädchen so gänzlich zur Liebe unfähig sein kann. Er will sie dem zur Frau geben, dem es gelingt, ihre Liebe zu erringen.

Auf einer Waldlichtung haben sich die Menschen versammelt. Als Lel seine Lieder singt, verspricht ihm der Zar das allerschönste Mädchen zur Fau, Lel entscheidet sich für Kupava,was Schneeflöckchen sehr enttäuscht, Ihr folgt Mizgir und gesteht ihr seine Liebe. Nach der eigenen bitteren Erfahrung der Eifersucht bittet Schneeflöckchen die Mutter um die Fähigkeit, Liebe empfinden zu können. Sie willigt ein, obwohl sie weiss,dass sie damit ihre Tochter ins Unglück stürzen wird, So gibt sich Schneeflöckchen ihrem glühenden Verehrer in Hingabe hin. Als sie aber ein Strahl der Sonne trifft, schmilzt sie vor den Augen Mizgirs und des Zaren dahin. Aus tiefster Verzweiflung stürzt sich Mizgit von einem Felsen. Der Zar und sein Volk aber hudligen dem Sonnengott, der sich durch die Liebe und den Tod Schneeflöckchens besänftigen udversöhnen liess.

Musik
"Die "Snegúrotschka - Musik op.12 gehört zu Tschaikowsksy kraftvollsten, unbe-schwertesten, volkstümlichsten und 'russischsten' Werken seiner frühen Zeit, in der das, was sein lebhaftes Interesse am russischen Volkslied und dessen Verschmelzung mit der nationalne Kunstmusik betrifft, dem sogenannten 'Mächtigen Häuflein' mit Blakirew und Stassow, Rimsky - Korskow und anderen künstlerisch besonders nahe stand. Die gesamte Partitur atmet den Geist und die Audrucksstärke der Volkspoesie und des Volksliedes". (Kohlhase)

Dem Opus 12 von 1879 gehen die Ouvertüre "Romeo Und Julia", die Oper "Der Oprotschnik" und die 1. und 2. Symphonie voraus. Nur zwei Jahre sind es bis zum berühmten 1. Klavierkonzert, nur drei Jahre bis zum Ballett "Schwanensee".

In der Tat hat der Komponist in der Schneeflöckchen - Partitur 12 Volksmelodien benutzt, die er teils einer eigenen Sammlung von 50 Volklieden für Klavier vierhändig (1868 /b 699 entnommen hat, teils auch der anderer Autoren.

Von den 21 Nummern sind 8 Chorszenen, sechs davon mit Volksliedern, meist äusserst schwungvolle, rhythmisch prägnante Strophenlieder. Dazu kommen acht reine Instrumentalstücke: Die Introduktion, Zwischenaktmusik, Melodramen und der Tanz der Gaukler (Nr.14), der die Balletteinlage repräsentiert. 6 Nummern sind Gesangssolisten zugedacht: Die Rolle des Hirten Lel war als Hosenrolle für eine damals berühmte Mezzosopranistin komponiert. Wir sind so frei, dies rückgängig zu machen und die Männerpartie von einem Bariton singen zu lssen. Lel sagt von sich selbst: "Der Sonne Liebling war ich schon als Kind. Sie lehrte mich Lieder, ihre Wärme strömte durch meine Reden. Die Wärme der Sonne rauscht in meinem Blut, sie pocht in meinem Herzen, glüht im Braun de Wangen und lacht die Welt aus meinen Augen an!" Die Tenorpartien des Frost und des Brussalia werden von einem Sänger repräsentiert.
Wenn man sich die Einzgarrtikeit von Schneeflöckchen innerhalb des Oeuvre von Tschaikoqwsky, innerhalb der russischen Musik, ja der gesamten Musik der Romatik vor Augen führt und die unerhört eingängige und mitreissende Musik erlebt, ist schwer zu begreifen, dass dies op. 12 im deutschen Kulutrraum praktisch nicht rezipiert wurde. Es gibt Einspielungen namhafter russischer, amerikanischer und skandinavischer Orchester. In Deutschland ist uns nur die Erstaufführung 1996 in Marburg durch den dortigen Bachchor mit einm russischen Orchester unter Wolfram Wehnert bekannt, eine deutsche Einspielung existiert nicht.Eine Zweitaufführung erfolgt 2006 durch das Tübinger Ärzteorchester unter der Leistung von Norbert Kirchmann.

Norbert Kirchmann, 2011

Nachdruck eines Exemplars der Musikabteilung der Leipziger Städtische Bibliotheken, Leipzig.
Wegen Aufführungsmaterial wenden ie sich bitte an New Musical Publshers, Moscow.

Peter Ilych Tchaikovsky
(b. Votkinsk, 7 May 1840 – d. St. Petersburg, 6 November 1893)

Snegurochka
("The Snow Maiden"), op. 12 (1873)
Incidental music for the play by Alexander Ostrovsky

 

Preface
In 1873 the directors of the Imperial Theater commissioned Tchaikovsky and Alexander Ostrovsky (1823-1886), at that time Russia's leading dramatist, to create a large-scale fairy-tale play. Both of Moscow's theaters – the Bolshoy, the city's house for opera and ballet, and the "Little Theater," its venue for spoken drama – were to be united in a common project occasioned by the renovations necessary at the latter. The poet and the composer worked together very closely, and Tchaikovsky completed the score in a mere three weeks' time even though he had to deliver twenty-seven hours of lessons each week as a substitute teacher at the Conservatory. The première, given on 23 May 1873, was an unalloyed triumph.

Tchaikovsky was extremely fond of this work. As late as 1879, writing to his confidante Nadezhda von Meck, he claimed that "Snegurochka is one of my favorite children. It was a wonderful spring, I was in fine spirits, as always with the approach of summer and three months of freedom.[...] I believe that the joyous, springlike mood that filled me at the time must be noticeable in this music." He loved the subject-matter to such an extent that he later considered turning it into an opera, and was deeply dismayed when Rimsky-Korsakov beat him to the punch with a like-named opera to his own libretto in 1882.

Even in the nineteenth century, performances of the original stage version, with the like-named play and the complete score, required great expenses of time and resources: vocal soloists, chorus, actors, corps de ballet, large orchestra, sets, and costumes. Thus, as early as 1878 a concert performance was given under the baton of Tchaikovsky's friend and mentor, the conductor Nikolay Rubinstein. Its main focus fell on the music; only two actors were employed to recite the spoken passages and to explain the plot between the musical items.

Plot Synopsis

Ostrovsky's play takes up a well-known theme from literature, in which elfin beings from the spirit world desire to obtain a human soul, only to make the humans unhappy and to perish themselves in the process ("Undine," "The Little Mermaid," "Rusalka").
Snegurochka ("Snowflake") is the fruit of a casual liaison between Grandfather Frost and the Spring Fairy. The irreconcilable seasons of spring and winter reside within her; from her mother she has inherited a longing for warmth and love, from her father an inability to feel love. The Sun God is so angry at this union and its offspring that he refuses to allow the long winter to relent into spring ...

Snegurochka is now fifteen years old. She has been forced to live forever in darkness because her mother feared she might fall victim to the Sun God, melt away, and die. Finally, under the care of the Forest Spirit, she is brought to the world of human beings and adopted by a poor peasant family. Because she is incapable of feeling love, young men quickly turn away from her, despite her great beauty. This only increases her longing. When she hears the shepherd Lel singing in the forest, her cold heart is inexplicably moved. She follows him in order to learn how to love like the humans, but soon she loses sight of him.

During the preparations for the wedding of her friend Kupava, the bridegroom, Mizgir, falls head over heels in love with Snegurochka and abandons his bride, who dearly loves him.

In Tsar Berendey's palace, the inhabitants of the kingdom complain of the long, cold spring and the short summer. There is no longer any spring fever; people are becoming increasingly listless. In the hope of placating the irate Sun God, the Tsar plans to summon all youths and maidens of marriageable age to a grand feast. When he encounters Snegurochka, he is amazed that a maiden as young and lovely as she should be completely incapable of love. He decides to give her to the youth who manages to win her affections.

The people have gathered together in a forest clearing. As Lel sings his songs, the Tsar promises to let him have the most beautiful maiden of all to be his wife. Lel decides in favor of Kupava, leaving Snegurochka deeply disappointed. She is pursued by Mizgir, who confesses his love. Having tasted the bitter cup of jealousy, she asks her mother for the ability to feel love. Her mother consents even though she knows it will only bring her daughter sorrow. Snegurochka then submits in love to her ardent admirer. But she is struck by a ray of sunshine and melts away before the eyes of Mizgir and the Tsar. In his despair, Mizgir flings himself from a cliff. But the Tsar and his people pay tribute to the Sun God, who has been placated and reconciled through Snegurochka's love and death.

The Music

"The incidental music for Snegurochka, op. 12, is one of Tchaikovsky's most energetic, lighthearted, folklike, and 'Russian' works of his early years, when he was particularly close to the so-called 'Mighty Handful' of Balakirev, Stasov, Rimsky-Korsakov, and others as far as his lively interest in Russian folk song and its combination with national art music is concerned. The entire score exudes the spirit and the expressive force of folk poetry and folk song." (Thomas Kohlhase)

Tchaikovsky's op. 12 of 1873 was preceded by the "Romeo and Juliet" Overture, the opera The Oprichnik, and the First and Second Symphonies. Only two years separate it from the world-famous First Piano Concerto, and only three from the ballet Swan Lake.

Indeed, the composer used twelve folk melodies in the score of op. 12, some from his own collection of Fifty Folk Songs for Piano Four-Hands (1868-69), and some from collections by other authors.

Of the twenty-one numbers, eight are large-scale choral scenes, including six with folk tunes, usually extremely exuberant and highly rhythmical strophic songs. Another eight are purely instrumental pieces: the introduction, entr'actes, melodramas, and the Dance of the Tumblers (No. 14), representing the ballet interlude. Six numbers are given to vocal soloists. The part of the shepherd Lel was written as a trouser role for a famous mezzo-soprano of the day. Lel says of himself: "Even as a child I was the darling of the Sun, who taught me to sing songs whose warmth flows through my speech. The warmth of the Sun rushes in my blood and beats in my heart, glows in the brown of my cheeks and laughs at the world from my eyes!" The tenor parts of Grandfather Frost and Brusila are taken by a single singer.

Considering the uniqueness of Snegurochka within Tchaikovsky's oeuvre, within Russian music – indeed, within the music of the entire Romantic Era – it is difficult to understand after hearing music of such unparalleled and thrilling melodiousness why this work is practically unknown in the German-speaking countries. There are recordings by established Russian, American, and Scandinavian orchestras, but the first German performance had to wait until 1996, when the work was performed in Marburg by the local Bach Choir and a Russian orchestra under Wolfram Wehnert. There is still no German recording. A second German performance was given in 2006 by the Tübingen Physicians' Orchestra under Norbert Kirchmann.

 

 

 

Reprint of a copy of the Leipziger Städtische Bibliotheken, Leipzig. For parts please turn to