Max Reger
(geb. Brand, Oberpf., 19. März 1873 – gest. Leipzig, 11. Mai 1916)
 
Konzert im alten Stil für Orchester op. 123
 
Im Februar 1906 hatte Max Reger – als Interpret zuvor der musikalischen Öffentlichkeit vor allem als Liedbegleiter und Klavierkammermusiker bekannt – erstmals einem Orchester vorgestanden, in einem Konzert des Heidelberger Bach-Vereins teilte er sich die Leitung eines Konzertes mit gemischtem Programm und dirigierte seine Sinfonietta A-dur op. 90. Der große Erfolg des gerade erst angehenden Orchesterdirigenten beflügelte Reger, der in der Folge immer häufiger zu Gastdirigaten eingeladen wurde. Trotz seines optisch durchaus eigenen Gebarens, das insbesondere den Karikaturisten Wilhelm Thielmann beflügelte, wuchs sein Ruf als Orchesterleiter. Um die Berufung als Leiter der Meininger Hofkapelle musste sich Reger dann auch nicht bemühen – Fritz Steinbach, vormaliger Meininger Hofkapellmeister und nun städtischer Kapellmeister in Köln, hatte seinen Namen Herzog Georg II. gegenüber ins Spiel gebracht. Er war Intimus von Reger, dessen Serenade G-dur op. 95, Hiller-Variationen op. 100 und Symphonischen Prolog zu einer Tragödie op. 108 er aus der Taufe hob und dem Reger das genannte Variationenwerk auch widmete. Einundzwanzig Musiker bewarben sich auf die Meininger Stelle, darunter später bekannte Namen wie Richard Wetz, Peter Raabe und Carl Schuricht. Reger wird auf der Bewerberliste auf Platz 15 geführt mit dem internen Vermerk: »Würde die Stelle annehmen, wenn sie ihm angeboten würde. [...] "Soll trinken"«. Die Wahl Regers folgte denn auch Steinbachs Votum, der dem Herzog von Sachsen-Meiningen hatte schreiben können: »Reger ist der größte absolute Musiker der Jetztzeit. Er fußt auf Bach + Brahms. Seine Compositionen sind zum Teil sehr schwer verständlich, gehören aber zum Bedeutendsten nach Brahms. Seine Berufung wäre eine Sensation wie s. Z. die von Bülow. Er ist ein ganz herrlicher Klavierspieler – Bach spielt ihm Niemand nach – + ein ausgezeichneter Dirigent. Es ist wahr, er hat früher Bachus zu sehr gehuldigt, seit er in Leipzig ist, soll er solid geworden sein. Er besitzt in Deutschland, namentlich unter der Intelligenz (Universitätskreisen) eine begeisterte Anhängerschaft. Ich glaube ja nicht, daß er sehr lange in Meiningen wie überhaupt in jeder Stellung bleiben wird, aber musikgeschichtlich wäre die Periode seiner Thätigkeit als Kapellmeister jedenfalls interessant + für die Hofkapelle lehrreich und ehrenvoll.« (Brief vom 17. Februar 1911.)
Auch der mittlerweile international anerkannte Komponist Reger hatte eine klare Vorstellung davon, welchem Orchester er als Generalmusikdirektor vorstehen wollte: »Es gibt nur ein Orchester, das ich haben möchte: Meiningen«. Nach zähen Verhandlungen wurde Reger schließlich am 17. März 1911 zum Dezember des Jahres als Hofkapellmeister angestellt, mit einem Jahreseinkommen von 6000 M. Unmittelbar nach seiner Bestallung machte sich Reger daran, die Konzerttourneen des Orchesters, das er »wieder in die imponierende Höhe« heben möchte, »welche diese Kapelle unter H. von Bülow u. Fr. Steinbach erreicht hatte« (Brief vom 27. Februar 1911), für das nächste Jahr zu planen. Das Orchester war klein, aber fein, und da es aus der Privatschatulle des Herzogs finanziert wurde, waren von Reger erhoffte Etaterhöhungen sowohl die Größe der Kapelle als auch die Vergütung der Musiker betreffend nicht leicht umsetzbar.
Durch sein impulsives Wesen machte sich Reger bei Hofe nicht jeden zum Freund. Der Herzog allerdings, 1911 schon fünfundachtzig Jahre alt, beinahe taub und dadurch außer Stande, an den Konzerte seines Orchesters selbst teilzunehmen, war abgeklärt genug, Regers Genialität über jedwede Irritationen zu stellen: Schon am 12. März 1911 hatte er seinem Hofmarschall Leo von Schleinitz mitgeteilt: »Es liegt mir daran, ihn zu bekommen und da ist es beßer, ihn nicht zu ärgern.« Und auch später blieb der Herzog stets ein väterlicher Freund für Reger, der sich auch um des Jüngeren Gesundheit sorgt.
Bereits im Januar 1912 bat Reger seinen neuen Arbeitgeber darum, die Widmung eines neuen Orchesterwerkes anzunehmen – des ersten "Meininger" Werks –, welche der Herzog wiederum »mit Freude und Stolz« annahm. Seine Verwunderung über das Arbeitspensum des Komponisten – »Wann schlafen Sie denn!!!« (Brief vom 24. Januar 1912) – muss nach Erhalt eines Briefes Regers nur umso größer gewesen sein, in dem er berichtet, dass »das "Concert im alten Styl" größtenteils bei Eisenbahnfahrten entstanden« und dann »aus dem Gedächtnis gleich ins Reine« (Brief vom 10. Mai 1912) geschrieben worden sei. Daraus ist nicht abzuleiten, dass Reger völlig ohne Skizzen arbeitete: Neben dem Manuskript befindet sich auch ein grober, die wesentlichen Stimmverläufe des Stücks enthaltender vollständiger Verlaufsplan des Werkes im Max-Reger-Institut in Karlsruhe.
In seinem Opus 123 wollte sich Reger auf »eine alte wunderbare Form« zurückbesinnen: das Concerto grosso. So erwies er Georg II. nicht nur durch Widmung des Werks sowie Schenkung des für Reger ungewöhnlich feinen und zierlichen Manuskripts seine Ehre, gleichzeitig stellte die Verknüpfung mit der barocken Form und insbesondere mit den Brandenburgischen Konzerten eine Reverenz an den Herzog dar.
Trotz der Bezugnahme auf die Form des Concerto grosso in Regers Briefen an Georg II. handelt es sich bei seinem Concert im alten Styl* op. 123 nicht um die schlichte Stilkopie eines Bach'schen Brandenburgischen Konzertes oder eine historisierende Neuinterpretation der alten Gattung. Vielmehr nimmt Reger das barocke Modell als Ausgangspunkt einer freieren Form und entwickelt ein Werk, dass nur schwer in einen Gattungsbegriff zu zwängen ist: Der für das Concerto grosso typische Wechsel zwischen tutti-Passagen und Concertinos – kammermusikalisch besetzten Teilen, in denen sich ein Teil der Orchestermusiker solistisch präsentieren kann – fehlt. Zwar findet sich in dem Stück häufig die Angabe solo, die so überschriebenen Passagen umfassen meist aber nur wenige Takte, manchmal sogar nur einige Töne. Da diese kleinen Soli auch nicht blockweise in mehreren Stimmen gleichzeitig gesetzt, sondern in der Regel einzeln verstreut im Orchestersatz zu finden sind, bilden sich auch keine größeren kontrastierenden Teile, die eine Einteilung in tutti und Concertino ermöglichen würden.
Das einzige Instrument, dass im Verlauf des gesamten Konzerts solistisch erscheint, ist eine Solovioline, die in der Partitur auch ein eigenes System erhält. Ihre Rolle ist jedoch zu wenig prominent, um das Werk als Solokonzert bezeichnen zu können. Außerdem spricht gegen eine solche Gattungszuteilung die Tatsache, dass im zweiten Satz eine zweite Solovioline zur ersten hinzutritt.
Durch seinen essenziell kammerorchestralen Duktus passt sich das Werk nicht in die heute übliche Form des Sinfoniekonzerts ein. Trotzdem handelt es sich mit seiner überschaubaren Form, seiner lichten Instrumentierung und seiner eher konventionellen Harmonik vielleicht um eines der – sowohl für Interpreten als auch Publikum – zugänglichsten Orchesterwerke Regers.

Jonas Müthing & Jürgen Schaarwächter,
Max-Reger-Institut, Karlsruhe, Frühjahr 2011

* Sowohl das Titelblatt als auch die erste Notenseite des Manuskripts enthalten den Titel in der Schreibweise Concert im alten Styl. Erst durch den Verlag wurde die Schreibweise modernisiert zu Konzert im alten Stil.
In Fragen des Aufführungsmaterials wenden Sie sich bitte an das Bote und Bock, Berlin. Nachdruck eines Exemplars des Max-Reger-Institut, Karlsruhe

Max Reger
(b. Brand, Upper Palatinate, 19 March 1873 – d. Leipzig, 11 May 1916)
 
Concerto in the Old Style
for orchestra, op. 123
 
In February 1906 Max Reger, previously known to the musical public mainly as a lied accompanist and chamber musician, gave his début at the head of an orchestra, sharing a concert of the Heidelberg Bach Society in a mixed program that included his own Sinfonietta in A major, op. 90. The concert's great success inspired the fledgling conductor, who was thereafter invited with increasing regularity to perform with other orchestras. Despite his idiosyncratic gyrations, which drew caustic responses particularly from the cartoonist Wilhelm Thielmann, his fame as a conductor continued to grow. Nor did it require any special effort on his part to be appointed head of the Meiningen Court Orchestra: Fritz Steinbach, formerly the court conductor in Meiningen and now the municipal conductor in Cologne, had mentioned his name to Duke George II. Steinbach was a close friend of Reger's, having conducted the premières of his Serenade in G major (op. 95), the Hiller Variations (op. 100), and the Symphonic Prologue to a Tragedy (op. 108), which is dedicated to him. Twenty-one musicians applied for the Meiningen position, including such future well-known figures as Richard Wetz, Peter Raabe, and Carl Schuricht. Reger was fifteenth on the list of applicants, where his name was accompanied by the internal note, "Would accept position if offered. [...] Is said to drink." Reger's appointment duly followed Steinbach's wish, for the conductor had written as follows to the Duke of Saxe-Meiningen on 17 February 1911: "Reger is the greatest absolute musician of our time. He builds on Bach and Brahms. Though difficult to grasp at times, his compositions are among the most important since Brahms. His appointment would be a sensation on a par with von Bülow's back then. He's a magnificent pianist – no one can approach him in Bach – and an excellent conductor. It's true that he used to worship the god of the grape, but since living in Leipzig he is said to have straightened out. He has an enthusiastic following, especially among the intelligentsia (university circles). I can't imagine that he'll remain very long in Meiningen, or in any other position for that matter, but from a music-historical standpoint his period as a conductor would at least be interesting and, for the Court Orchestra, instructive and praiseworthy."
Though he was by now a composer of international stature, Reger had firm ideas as to which orchestra he wanted to serve as general music director: "There's only one orchestra I'd like to have: Meiningen." On 17 March 1911, after arduous negotiations, he was finally installed as court conductor, beginning in December of that year, at an annual salary of 6000 marks. Immediately after his appointment he set about organizing the orchestra's concert tours for the next year, intent on "restoring the ensemble to the impressive heights it had attained under Hans von Bülow and Fritz Steinbach" (letter of 27 February 1911). The orchestra was small but distinguished, and as it was financed from the duke's personal coffers, the budget increases Reger hoped for with respect to its size and the remuneration of its musicians were not easy to obtain.
With his impulsive nature, Reger was not everybody's friend at court. The duke, who had turned fifty-one in 1911 and who, being almost deaf, was himself incapable of enjoying his orchestra's concerts, was nevertheless serene enough to value Reger's genius above his irksomeness. By 12 March 1911 he had already informed his chamberlain Leo von Schleinitz that he was "intent on getting [Reger] and it's better not to annoy him." In later years, too, the duke was always a paternal friend to the composer and much concerned about his health.
As early as January 1912, Reger asked his new employer to accept the dedication of a new piece for orchestra – the first of his "Meiningen works" – which the duke in turn accepted "with pleasure and pride." His amazement at the composer's workload ("When do you sleep!!!" he asked in a letter of 24 January 1912) must have increased all the more when Reger informed him that "the Concerto in the Old Style has arisen mainly during train rides" and was then "written out in fair copy from memory" (letter of 10 May 1912). This does not imply, however, that Reger worked completely without sketches: besides the manuscript, the Max Reger Institute in Kassel has a rough but complete continuity draft containing the piece's essential melodic lines.
 With op. 123, Reger sought to hearken back to "a wonderful old form," the concerto grosso. Thus, not only did he pay tribute to George II by dedicating the work to him and presenting him with the manuscript (an unusually fine and delicate one by Reger's standards), the connection with the baroque form, and particularly the Brandenburg Concertos, was itself an obeisance to the duke.
Despite the references to the concerto grosso in Reger's letters to George II, his Concerto in the Old Style* is more than just a stylistic copy of Bach's Brandenburg Concertos or a historicizing new take on the genre. Rather, Reger took the baroque model as a free-form point of departure and produced a work that resists generic classification altogether. The typical concerto grosso alternation between tutti passages and concertinos (sections of chamber music texture in which some of the orchestral musicians can stand out as soloists) is missing entirely. True, the piece frequently contains the mark "solo," but the passages thus named are usually only a few bars long, and sometimes no more than a couple of notes. Further, these brief solos do not occur simultaneously in several parts to form a cohesive section, but are generally strewn through the orchestral fabric. As a result, they do not form contrasting sections that would allow the piece to be divided into tutti and concertino.
The only instrument that appears in a solo role throughout the concerto is a solo violin, which is also given its own staff in the score. However, its role is not prominent enough to warrant calling the work a solo concerto. Another argument against this term is the fact that a second solo violin joins the first in movement 2.
Being basically designed as a work for chamber orchestra, Concerto in the Old Style does not fit into today's standard orchestral concerts. Nonetheless, with its clear form, light instrumentation, and relatively conventional harmonies, it may be one of Reger's most accessible orchestral works for performers and audiences alike.
Jonas Müthing and Jürgen Schaarwächter
Max Reger Institute, Karlsruhe, Spring 2011

 

For parts please contact Bote und Bock, Berlin. Reprint of a copy from Max Reger Institute, Karlsruhe.

* Both the title page and the first page of music in the manuscript give the work's title in old German spelling, Concert im alten Styl. It was the publisher who modernized it to Konzert im alten Stil.