Johan Severin Svendsen
(geb. Kristiana [Oslo], 30. September 1840 – d. Kopenhagen, 14. Juni 1911)

Festpolonaise op. 12 für großes Orchester
(1873)

Vorwort
Als Gattung ist die Orchesterpolonaise zwar nicht gerade weit verbreitet, innerhalb dieses bescheidenen Teiches ist jedoch das Festpolonaise op. 12 von Johan Svendsen ein beachtlicher großer Fisch. Abgesehen von einigen kleineren Beiträgen aus der Feder historischer Größen wie etwa Bach, Mozart oder Beethoven kann die Geburtstunde der Polonaise als Orchestergattung – wenigstens in westlichen Augen – im glitzernd-extrovertierten Andante spianato et grande polonaise brillant op. 22 (1830/31), einem der wenigen Orchesterwerke von Frédèric Chopin, gesehen werden. Gediehen ist die Konzertpolonaise jedoch erst recht in der russischen Tradition. Ihr Ahnherr war wohl der wenig bekannte polnisch-russische Komponist Ossip Kozlowski (1757-1831), dessen 70 Orchesterpolonaises ebenso einflussreich zu ihrer Zeit waren, wie sie außerhalb Russlands unbekannt geblieben sind. Zu dieser beeindruckend großen Literatur trug etwa Michail Glinka eine Polonaise über ein spanisches Bolero-Thema (1855), deren widersprüchlicher Titel alleine den Abstand der Konzertpolonaise von der ursprünglichen folkloristischen Tanzform Polens deutlich vor Augen führt. Zu den späteren Beiträgen aus der russischen Tradition gehören die beiden hervorragenden Orchesterpolonaises Anatoli Ljadows (op. 49, 1899; op. 55, 1902) sowie die noch imponierenderen Beispiele, die ihren Weg ins Welttheater fanden durch Mussorgskis Oper Boris Godunow (1868-73), Tschaikowskis Ballett Dornröschen (1889) oder vor allem durch die Oper des letztgennanten Eugen Onegin (1878), deren Polonaise in der Ballszene am Anfang des III. Akts (Nr. 19) ebenfalls einen festen Platz im Konzertrepertoire erobert hat.

Dieser brillanten Tradition wandte sich Johan Svendsen zu, als er im Sommer 1873 beauftragt wurde, eine Musik zur Begleitung der Begrüssungsfeierlichkeiten anlässlich des Osloer Besuches des Königs Oskar II. von Norwegen und Dänemark nach seiner Krönung in Trondheim zu komponieren (Svendsen hatte eine Musik auch zu letzterem Anlass geliefert, und zwar den etwas farblosen Krönungsmarsch op. 13). An einem großen Platz unter freiem Himmel sollte ein öffentlicher Ball stattfinden, über den der neuinthronisierte König unter einem mit Hermelin und königlichem Wappen geschmückten Baldachin höchstpersönlich walten sollte. Der hehre Anlass und aufwendig ausgestattete Aufführungsort konnte einem Komponisten wie Svendsen nur zusagen, der gerne im öffentlichen Rampenlicht stand und in großen Gesellschaften erst recht auflebte. Folglich entstand das neue Werk in kürzester Zeit und wurde am 6. August 1873 an einem öffentlichen Osloer Platz in Anwesenheit von König Oskar uraufgeführt. Am nächsten Tag konnte die Tageszeitung Morgenbladet darüber berichten, dass der König "die Polonaise führte [...], zu der Johan Svendsen eine stattliche Musik komponiert hatte".
Eine stattliche Musik ist es auch! Großangelegt in einer geräumigen Rondoform (A-B-A'-C-A") nimmt die Festpolonaise eine an die Meistersinger-Ouvertüre erinnernde Orchesterbekleidung an, wobei sie von raffinierten thematisch-motivischen Ableitungen und einfallsreichen Durchführungskunststücken nur so strotzt. Nicht weniger beachtlich ist die Zusammenführung verschiedenartiger Hauptmelodien, die diesem ansonsten etwas leicht schillernden Gelegenheitsstück eine unerwartete Tiefe und konstruktive Komplexität verleiht. Im Abschnitt C ertönt kontrastierend ein leichtfüssig-ausgelassenes Hauptthema, das der norwegischen Folklore nicht wenig verdankt. Die Festpolonaise wurde durch die späteren Konzertaufführungen Svendsens rasch beliebt, vor allem in den 1890er Jahren, als Svendsen nicht nur zu einem hochangesehenen Dirigenten von Weltrang, sondern auch zum meist aufgeführten nordischen Komponisten außerhalb Skandinaviens avanciert war. In diesen Jahren, noch bevor sein Freund und Altersgenosse Edvard Grieg die Lorbeeren als größter norwegischer Komponisten davongetragen hatte, galten die besten Kompositionen Svendsens, zu denen die Festpolonaise zweifellos gehört, als Inbegriff der norwegischen Kunstmusik. (Die anderen – Karnival in Paris op. 9, Zorahayda op. 11, Norwegischer Künstlerkarnival op. 14, die Symphonie Nr. 2 op. 15 sowie die noch heute beliebte Violinromanze op. 26 – sind sämtlich ebenfalls in der Reihe Repertoire Explorer als Studienpartitur erhältlich).

1886 erschien die Festpolonaise als Partitur beim Osloer Verlag C. Warmuth in einer Druckausgabe, für die Svendsen ein Honorar von 400 Kronen erhielt. Später wurde das Werk vom Kopenhagener Verlagshaus Hansen übernommen, das die Partiturausgabe 1900 neu auflegte und gleichzeitig Bearbeitungen vor Klavier zu zwei bzw. vier Händen herausgab. (Eine vereinfachte zweihändige Klavierbearbeitung erschien 1920 beim gleichen Verlag). Auch über die Jahre ließ die Beliebtheit von Op. 12 nicht nach, was 1950 sogar eine Taschenausgabe beim Verlag Hansen zur Folge hatte. Zudem eignete sich das Stück mit seinem mitreißenden Überschwang vorzüglich für Bläserbearbeitungen, die prompt auch angefertogt wurden. Dennoch ist die Festpolonaise nicht besonders stark auf Tonträgern vertreten, wobei eine bemerkenswerte Ausnahme in einer historischen Einspielung (ca. 1950) durch den großen russischen Dirigenten Nikolai Malko mit dem Dänischen Rundfunk-Symphonieorchester besteht. Ziel der vorliegenden Studienausgabe ist es, der Festpolonaise op. 12 von Johan Svendsen die vielen Bewunderer außerhalb Skandivaniens zu gewinnen, die sie so reichlich verdient.

Bradford Robinson, 2010

 

Aufführungsmaterial ist von Hansen, Kopenhagen zu beziehen.

Johan Severin Svendsen
(b. Christiana [Oslo], 30 September 1840 – d. Copenhagen, 14 June 1911)

Festival Polonaise for full orchestra
op. 12 (1873)

 

Preface
The concert polonaise is not exactly a voluminous genre, but within this small pond Johan Svendsen's Festival Polonaise for orchestra, op. 12, is a decidedly large fish. Ignoring a few lesser contributions to the repertoire from such earlier greats as Bach, Mozart and Beethoven, the birth of the polonaise as a concert piece can be said, in Western eyes, to have begun with Chopin's flashy and extroverted Andante spianato et grande polonaise brillant, op. 22 (1830-31), one of the Polish master's few compositions for orchestra. But it was in the Russian tradition that the concert polonaise truly flourished. Its progenitor was little-known Russo-Polish composer Osip Kozlovsky (1757-1831), whose seventy orchestral polonaises were as popular in their time as they are unknown outside Russia today. To this impressive body of literature Mikhail Glinka added his Polonaise on a Spanish Bolero Theme (1855), whose oxymoronic title alone shows that the concert polonaise had already parted ways from the Polish folk dance. Later instances from the Russian tradition are the two fine orchestral polonaises of Anatoly Liadov, opp. 49 (1899) and 55 (1902), and the still more impressive examples that found their way onto the world stage through Mussorgsky's Boris Godunov (1868-73), Tchaikovsky's Sleeping Beauty (1889), and especially the latter's Eugene Onegin (1878), where the polonaise that opens the ball scene in Act III (No. 19) has become a familiar concert item in its own right.

It was this brilliant tradition that Svendsen turned to in summer 1873 when he was asked to write music for the welcoming ceremony in honor of King Oscar II of Norway and Denmark, who was scheduled to visit Oslo after his coronation in Trondheim. (Svendsen had written music for that event as well, a rather bland Coronation March, op. 13). A public ball was to be held in a large open square, attended by throngs of people and presided over by the king himself, seated on a throne beneath an ermine-trimmed canopy decorated with the royal coat-of-arms. The lavishness of the setting appealed to a composer like Svendsen, who relished the public spotlight and enjoyed grand gatherings, and the piece arose in very short order. It was performed in an Oslo public square, in the presence of King Oscar, on 6 August 1873. The next day the local newspaper, the Morgenbladet, reported that the king had "led the polonaise ... for which Johan Svendsen composed some stately music."

The music is stately indeed. Grandly laid out in an A-B-A'-C-A" form, it is orchestrated on the scale of the Meistersinger Overture and abounds in clever motivic derivations and inventive development. Equally noteworthy is its combination of dissimilar themes, which lends a surprising depth and intricacy to this otherwise superficially engaging pièce d'occasion. The C section changes tack to feature a buoyant, skittish melody that owes something to Norwegian folk music. The popular piece quickly found a place on Svendsen's own concert programs, especially in the 1890s, by which time he had become not only a conductor of world stature but the Nordic composer most frequently performed outside his native Scandinavia. In these years, before his friend and age-mate Edvard Grieg had won the laurels of being Norway's greatest composer, Svendsen's best works, including the Festival Polonaise, were considered the quintessence of Norwegian music. The others – Carnival in Paris (op. 9), Zorahayda (op. 11), Norwegian Artists' Carnival (op. 14), Symphony No. 2 (op. 15), and the ever-popular Violin Romance (op. 26) – are all likewise available in miniature score in the Repertoire Explorer series.

In 1886 the Festival Polonaise was published in full score by C. Warmuth of Oslo, in an edition for which Svendsen received a flat fee of 400 crowns. Later the work entered the catalogue of Hansen in Copenhagen, who reissued the full score in 1900 and published arrangements for piano two-hands and piano four-hands at the same time. (A simplified arrangement for piano two-hands was issued by the same publisher in 1920). Such was the fame of op. 12 that Hansen even published it in pocket score in 1950. Further, with its stirring ebullience, the work was made to order for wind band arrangements, which appeared in due course. The work has not often been recorded, one notable exception being an historical recording by the great Russian conductor Nicolai Malko and the Danish Radio Symphony Orchestra (ca. 1950). It is the hope of the present publication that Svendsen's Festival Polonaise will attract the many admirers outside of Scandinavia that it so richly deserves.

Bradford Robinson, 2010

For performance materials please contact Hansen, Copenhagen.